prima carina, 9/98, S. 104-107
Lachend der Angst davon
Von Gerlinde Felix

Lachen befreit! Diese wunderbare Erfahrung hat Sabine, 32, nach Jahren massiver Versagensängste jetzt machen können. Die junge Frau wuchs als uneheliches Kind bei ihren Großeltern auf. Stets hatte sie das Gefühl, überflüssig zu sein und Spürte die Schande, die sie der Familie durch Ihre Existenz bereitete. Die Großmutter strafte sie mit vernichtenden Blicken, wenn sie nicht ordentlich aussah oder schmutzige Fingernägel hatte. Diese Blicke wirkten bis heute. Sabines Versagensängste äußerten sich darin, daß sie in wichtigen Gesprächssituationen schnell anfing zu schwitzen, Panik, bei dem Gedanken empfand, nun sprechen oder hei offiziellen Anlässen die Kaffeetasse an den Mund führen zu müssen. Sie hatte stets Angst, sich daneben zu benehmen, etwas Falsches zu sagen und damit unangenehm aufzufallen. Diese Ängste führten dazu, daß sie sich immer mehr von ihrer Umwelt zurückzog. Geholfen hat Ihr schließlich die Humortherapie.

Lachen löst Spannungen und trägt dazu bei, Hemmungen zu überwinden. Psychologen und Psychotherapeuten setzen den Humor deshalb im Rahmen der Humortherapie als »Werkzeug« gegen Selbstwertstörungen en. Störungen, die durch verletzende Beschämungen entstanden sind. Scham verursacht viele Angstgefühle. Dazu gehört auch die Angst, ausgelacht zu werden. Wenn wir ehrlich sind steckt so ein bißchen davon in jedem von uns. Wer möchte sich schon blamieren und verspotten lassen. Bei manchen Menschen jedoch haben Kindheitserlebnisse und Erfahrungen in der Pubertät dazu geführt, daß diese Angst massiv, auftritt. Daß die Betreffenden entsprechende Situationen fürchten und vermeiden. Auch extreme Schüchternheit, Stottern und Platzangst können die Folge von derartigen Schamgefühlen sein.

Zu Beginn der »Lachtherapie« ergründet zunächst ein Therapeut gemeinsam mit dem Patienten in einem Gespräch unter vier Augen, was »schiefgelaufen« ist. Der nächste Schritt ist dann das eigentliche Herz der Therapie: das Humordrama in drei Akten. In Rollenspielen spielen der Betroffene und einige Gruppenmitglieder entsprechende Kindheitssituationen nach. »Es sind genau die Szenen, die die Patienten als bedrückend empfunden haben oder in denen sie lächerlich gemacht wurden«, erläutert der Tuttlinger Psychologe und Psychotherapeut Dr. Michael Titze, der die Humortherapie schon seit einigen Jahren einsetzt.

In Sabines Fall lief das Humordrama folgendermaßen ob: Der erste Akt begann damit, daß sie von anderen Gruppenmitgliedern mit Sätzen verspottet wurde, die ihr besonders peinlich waren. Im Gespräch mit der jungen Frau hatte der Therapeut herausgefunden, daß die Großeltern ihr beispielsweise beim Essen immer wieder schmatzende Geräusche vorgeworfen hatten. Sie hatte sich bemüht, diese Geräusche zu vermeiden, aber es ist ihr nie völlig gelungen, Während des Humordramas sagten die Mitspieler, die die Großmutter, eine Lehrerin und einen heutigen Vorgesetzten darstellten, immer wieder »Iß endlich leise!« Eine Aufforderung, die die junge Frau zunächst erstarren ließ. Im zweiten Akt des Humordramas stand ihr dann der Co-Therapeut in Gestalt eines Clowns zur Seite.

Der Clown versuchte, sie zu Handlungen zu bewegen, die sie aus der Erwachsenenrolle herausrissen und die schlichtweg komisch waren. Durch die Aufforderungen des Clowns schaffte sie es, sich über das »Iß endlich leise« hinwegzusetzen. Sie begann, hörbar zu schmatzen - Knoten war geplatzt. Irgendwann - Akt drei - mußte sie laut loslachen und machte sich damit über jene Personen, die sie lange Zeit verächtlich behandelt hatten sowie über deren Normen lustig. Durch die Rollenspiele des Humordramas gelang es Sabine, sich von ihren Versagensängsten zu befreien, ihr Korsett aus Hemmungen abzulegen und wieder locker zu wer den. Wer panische Angst davor hat, öffentlich sprechen zu müssen, der darf in der Humortherapie schon mal eine Grabrede für einen just verstorbenen Hamster halten. Erlaubt ist alles, nur müssen möglichst viele Fehler in die Rede eingebaut werden. Lispeln, Holpern und viele »Äh's« und »Mmh's« sind erwünscht - und das Ganze mit einem Schluck Wasser im Mund. Das Lachen wird nicht lange auf sich warten lassen.

Unterstützt wird das Humordrama durch das sogenannte Reflexlachen. Dabei atmet man ganz tief durch die Nase ein und durch den Mund aus, bis einem fast schwindelig wird undein »kollektiver Lachorgasmus« einsetzt. Lachen auf Kommando für zehn, zwanzig, dreißig Minuten oder noch länger bis zur Erschöpfung. Reflexlachen eignet sich aber nicht als Party-Gag, sondern sollte unter therapeutischer Aufsicht durchgeführt werden.

»Nach diesem Lachen fühlt man sich viel selbstbewußter«, hat Vera, eine 27jährige Sozialpädagogin, erfahren, die wie Sabine eine Humortherapie mitmachte. Sie hat gelernt, die Angst aus ihrer Kindheit vor ihre übermächtigen, gewaltätigen Vater endlich abzulegen. »Das Lachen hat mich stark gemacht«, sagt sie.

Lachen führt zu einer optimistischeren Lebenseinstellung - das können sich auch alle Menschen, die nicht unter Versagensängsten leiden, zunutze machen.Wer so richtig down ist, wird schnell merken, daß es ihm besser geht, wenn er ein witziges Buch liest oder einen komischen Film anschaut. Eine Minute Lachen ersetzt 30 Minuten Entspannungstraining oder zehn Minuten Laufen, das haben Untersuchungen von Lachforschern jetzt ergeben. Gute Laune erhöht auch den beruflichen Erfolg: Wer eine f'reundliche Ausstrahlung hat, hat bei der Jobsuche bessere Chancen und wird leichter Karriere machen, weil sie souverän und motivierend wirken. Lachen ist darüber hinaus ein hervorragendes Atemtraining und macht uns dadurch welch wunderbarer Nebeneffekt! - attraktiver.

Das Humordrama

Das Humordrama wurde speziell zur Behandlung der Angst, ausgelacht zu werden, entwickelt. Die meisten Patienten wurden als Kind gezwungen, sich mit den auferlegten Normen ihrer Bezugspersonen zu identifizieren. Ziel des Humordramas ist es, diese nicht selbstbestimmten Verhaltensweisen so weit zu überziehen, bis sich ihre Aussage als absurd oder lächerlich erweist. Die Charakterzüge des Patienten, die zu seinem komischen Erscheinungsbild beigetragen haben, werden vom Therapeuten und einem Teil der Gruppe überschwenglich gutgeheißen. Andere Gruppenmitglieder spielen die Gegner des Patienten. Menschen also, bei denen er sich wertlos und ungeliebt fühlte. Soweit der 1. Akt.

Erst im 2. Akt bietet ein Clown Rückhalt bei der Konfrontation mit diesen Figuren, die in dem Patienten Schamgefühle auslösen. Der Clown ist die optimale Figur für diese Rolle. Denn Clowns haben traditionsgemäß Narrenfreiheit, können agieren wie Kinder und sämtliche Anstandsregeln mißachten. Der Clown lenkt den Patienten ab und bringt ihn dazu, sich selbst wie ein Kind zu verhalten. Er ermutigt ihn, Kauderwelsch zu reden und sich wie ein Hampelmann zu bewegen. Das Lachen der anderen wird nun nicht mehr als belastend, sondern als Anerkennung für die Clownerien empfunden. Der Clown hebt mit seinen Äußerungen die »Man-muß-Normen« aus den Angeln.

3. Akt: Der Patient lacht - auch in Situationen, die ihn früher belasteten.