Keiner wird gerne ausgelacht. Zum Glück kommt das auch nur sehr selten vor. Meistens wird mit- und nicht übereinander gelacht. Elf Prozent der deutschen Bevölkerung aber leben in der ständigen Furcht, von anderen ausgelacht zu werden und haben eine paranoide Angst davor, lächerlich zu wirken, schätzen die Psychologen Willibald Ruch und René Proyer von der Universität Zürich. Gelotophobie nennt sich diese Störung - in Anlehnung an die griechischen Wörter Gelos für Lachen und Phobos für Furcht.
Gehen Gelotophobiker auf der Straße an Fremden vorbei, die plötzlich anfangen zu lachen, beziehen sie das Gelächter auf sich. Sitzen sie in der S-Bahn, sind sie überzeugt, dass die lustige Truppe auf den Nachbarbänken über sie kichert.
"Gelotophobie ist gar nicht selten«, hat Ruch zu seinem eigenen Erstaunen festgestellt. Der ehemalige Präsident der Internationalen Gesellschaft für Humorstudien untersucht schon lange die positiven Seiten des Lachens. Seit sieben Jahren interessiert er sich auch für die negative Seite des Humors: die Angst vor dem Lachen.
Dabei lernte er beispielsweise einen Mann kennen, der erzählte, dass er in einem Restaurant allein am Tisch gesessen habe. Am Nebentisch habe man oft und laut gelacht. Schließlich sei er aufgestanden und habe die Nachbarn aufgefordert, endlich aufzuhören ihn auszulachen. Worauf die sich sehr wunderten, denn ihr Spaß hatte mit dem Mann gar nichts zu tun. »So etwas ist typisch für einen Gelotophobiker. Er ist davon überzeugt, lächerlich zu wirken und lässt sich davon auch nicht abbringen,« sagt Ruch.
Eine übertriebene Angst vor dem Gelächter anderer hat zuerst der Tuttlinger Psychotherapeut Michael Titze in den Neunzigerjahren bei einigen seiner Patienten diagnostiziert und in dem 1997 im Opladen Verlag erschienenen Buch »Scham - ein menschliches Gefühl« beschrieben.
Unter Experten ist das Phänomen allerdings umstritten. »Ich glaube nicht, dass es Menschen gibt, die ausschließlich vor dem Lachen Angst haben. Solche Menschen haben ganz sicher auch andere Probleme und andere soziale Ängste«, sagt Borwin Bandelow, Professor für Psychiatrie an der Universität Göttingen. Tatsächlich ist Gelotophobie auch nicht im sogenannten ICD-Katalog aufgeführt, einer von der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegebenen Klassifikation von Krankheiten.
Der Züricher Psychologe Ruch hofft, die Skeptiker mit der Zeit überzeugen zu können. »Zunächst habe ich das Problem auch nicht ernst genommen«, sagt er. Dann habe er jedoch begonnen, sich wissenschaftlich mit dem Phänomen zu beschäftigen. Inzwischen hat sein Team einen psychologischen Test entwickelt, anhand dessen sich die Angst vor dem Ausgelachtwerden identifizieren und von anderen Sozialphobien unterscheiden lässt. Sozialphobiker leiden generell an unangemessener Furcht in Situationen, in denen sie mit anderen Menschen zu tun haben und in denen sie sich davor fürchten, von anderen Menschen bewertet zu werden. Typisch ist zum Beispiel die Angst, in der Öffentlichkeit zu reden.
In einer Studie mit mehr als achthundert Probanden fanden die Züricher Psychologen heraus, dass Gelotophobie unabhängig vom Geschlecht, vom Alter, von der regionalen und der sozialen Herkunft ist. Die Studie zeigte, dass elf Prozent der ansonsten psychisch gesunden Probanden eine völlig übersteigerte Angst davor haben, ausgelacht zu werden. Bei knapp einem Prozent ist die Angst sogar extrem ausgeprägt, etwa bei einem IT-Spezialisten, der angab, dass er regelmäßig einnässe, wenn im Raum laut gelacht werde.
Gelotophobiker können die unterschiedlichen Arten von Gelächter - etwa freundliches, schadenfrohes, ausgelassenes, gehässiges, verlegenes Lachen - nicht voneinander unterscheiden, sagt Ruch. Der Forscher vermutet, dass bei den Betroffenen, wie auch bei Sozialphobikern, das innere Bewertungssystem für soziale Situationen abnorm verändert ist.
Über andere lachen können Gelotophobiker aber sehr wohl. Allerdings sehen sie sich eher als Spötter und Satiriker denn als lustige Menschen. Die geselligen Formen von Humor vermeiden sie. Sie albern nicht in fröhlicher Runde herum, sind eher schlecht gelaunt als heiter, haben nur selten positive Emotionen und plagen sich mit Schamgefühlen.
Wie die paranoide Angst vor dem Gelächter entsteht, ist noch unklar. Titze glaubt, dass Menschen zu Gelotophobikern werden, weil sie in ihrer Kindheit oft und massiv der Lächerlichkeit preisgegeben oder von den Eltern nicht ernst genommen wurden. Das führe womöglich dazu, dass sie sich nicht entspannt und unvoreingenommen in soziale Gruppen einfügen könnten, sagt der Psychotherapeut. Angsterkrankungs-Experte Bandelow gibt jedoch zu bedenken, dass Sozialphobien vermutlich auch genetisch bedingt sind. »Darauf weisen Studien mit getrennt aufgewachsenen Zwillingspaaren hin«, sagt er.
Weil das Konzept der Gelotophobie neu und umstritten ist, gibt es noch keine ausgefeilten Therapiekonzepte. »Man muss solchen Menschen helfen zu erkennen, was Spaß und was Ernst, was Mitgefühl und was Ironie ist«, sagt Ruch. Lernen könnten sie das beispielsweise, indem sie die Mimik um die Augen genau beobachten. Lustiges Gelächter erzeugt nämlich Fältchen rund um die Augen, boshaftes Lachen nicht. Wichtig sei es auch, Gelotophobiker davon zu überzeugen, dass öffentliches Auslachen wirklich sehr selten vorkomme.
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