Keiner wird gerne ausgelacht. Manche Menschen haben sogar panische Angst davor. Sie sitzen im Tram und sind überzeugt, dass die lustige Truppe auf den Nachbarbänken über sie kichert. Gelotophobie nennt sich diese Störung - in Anlehnung an die griechischen Wörter Gelos für Lachen und Phobos für Furcht.
»Ein Gelotophobiker ist davon überzeugt, lächerlich zu wirken und lässt sich davon auch nicht abbringen«, sagt der Psychologe Willibald Ruch von der Universität Zürich. Ruch und sein Kollege René Proyer sind derzeit dabei, die Häufigkeit der Störung in verschiedenen Ländern zu quantifizieren. »Gelotophobie ist nicht selten«, musste Ruch zu seinem eigenen Erstaunen feststellen.
Wird im Raum gelacht, nässt ein IT-Spezialist regelmässig ein Die ersten Ergebnisse, die demnächst im »International Journal of Humor Research« veröffentlicht werden, hat Ruch in Deutschland erhoben. Demnach haben elf Prozent der 800 ansonsten psychisch gesunden Probanden eine übersteigerte Angst davor, ausgelacht zu werden. Bei knapp einem Prozent ist die Angst extrem ausgeprägt. Ein Beispiel: Ein IT-Spezialist gab an, dass er regelmässig einnässe, wenn im Raum laut gelacht werde. Gelotophobie tritt unabhängig von Geschlecht, Alter, regionaler und sozialer Herkunft auf.
Übertriebene Angst vor dem Gelächter anderer hat zuerst der Tuttlinger Psychotherapeut Michael Titze in den Neunzigerjahren bei einigen seiner Patienten diagnostiziert. Gelotophobiker könnten nicht unterscheiden, ob ein Gelächter freundlich, ausgelassen, gehässig oder verlegen ist. Ruch vermutet, dass bei den Betroffenen das innere Bewertungssystem für soziale Situationen nicht richtig justiert ist. An der gleichen Störung leiden auch so genannte Sozialphobiker, die sich übermässig vor Situationen fürchten, in denen sie mit anderen Menschen zu tun haben und in denen sie von anderen bewertet werden. Typisch ist zum Beispiel die Angst, in der Öffentlichkeit zu reden.
Über andere lachen können Gelotophobiker aber sehr wohl. Allerdings sehen sie sich eher als Spötter und Satiriker denn als lustige Menschen. Die geselligen Formen von Humor vermeiden sie. Sie albern nicht in fröhlicher Runde herum, sind eher schlecht gelaunt als heiter, haben nur selten positive Emotionen und plagen sich mit Schamgefühlen.
Unter Experten ist das Phänomen Gelotophobie allerdings umstritten. «Ich glaube nicht, dass es Menschen gibt, die ausschliesslich vor dem Lachen Angst haben. Solche Menschen haben ganz sicher auch andere Probleme und andere soziale Ängste», sagt Borwin Bandelow, Professor für Psychiatrie an der Universität Göttingen. Tatsächlich ist Gelotophobie nicht im so genannten ICD-Katalog aufgeführt, einer von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebenen Liste von Krankheiten. Ruch hofft, die Skeptiker mit der Zeit überzeugen zu können. »Zunächst habe ich das Problem auch nicht ernst genommen«, sagt er. Dann habe er jedoch begonnen, sich wissenschaftlich mit dem Phänomen zu beschäftigen. Inzwischen hat sein Team einen psychologischen Test entwickelt, anhand dessen sich die Angst vor dem Ausgelachtwerden identifizieren und von anderen Sozialphobien unterscheiden lässt.
Mit Hilfe dieses Tests haben Ruch und Proyer die Daten in Deutschland sowie in vielen anderen Ländern, darunter auch die Schweiz, erhoben. Sie werden derzeit ausgewertet. Es deutet sich an, dass hier zu Lande weniger Gelotophobiker leben als in Deutschland. Die Häufigkeit der Störung variiert offenbar von Nation zu Nation.
Lustiges Gelächter erzeugt Fältchen um die Augen
Wie die paranoide Angst vor dem Gelächter entsteht, ist noch unklar. Psychotherapeut Titze vermutet, dass Menschen zu Gelotophobikern werden, weil sie in ihrer Kindheit oft und massiv der Lächerlichkeit preisgegeben oder von den Eltern nicht ernst genommen wurden. Das führe womöglich dazu, dass sie sich nicht entspannt und unvoreingenommen in soziale Gruppen einfügen könnten. Eventuell spielt auch die genetische Veranlagung eine Rolle.
Weil der Befund Gelotophobie neu und umstritten ist, gibt es noch keine ausgefeilten Therapieansätze. «Man muss solchen Menschen helfen zu erkennen, was Spass und was Ernst ist, was Mitgefühl und was Ironie, sagt Ruch. Lernen könnten sie das etwa, indem sie die Mimik um die Augen genau beobachten. Lustiges Gelächter erzeugt nämlich Fältchen rund um die Augen, boshaftes Lachen nicht. Wichtig sei auch, Gelotophobiker davon zu überzeugen, dass öffentliches Auslachen nur sehr selten vorkomme.
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