Die Gelotophobie
(Aus: Titze/Eschenröder: Therapeutischer Humor. Grundlagen und Anwendungen. Fischer TB Nr. 12650, Frankfurt 1998, S. 39-47)
Das aggressive Lachen

Gemäß der antiken Degradationstheorie, die auf Aristoteles zurückgeführt wird, regt die Wahrnehmung von Defekten, Deformierungen oder auch nur der Hässlichkeit eines Mitmenschen zum Lachen an (vgl. Cooper 1922). Hobbes (1651/1968) ging entsprechend davon aus, dass Lachen im Gefolge des Erlebens eines »plötzlichen Triumphes« über einen als minderwertig wahrgenommenen Menschen erfolge.

In diesem Zusammenhang wird die Bedeutung der Aggressivität von manchen Autoren besonders hervorgehoben. So schreibt etwa Gregory (1924):

»Das Gelächter, das mit dem Menschen aus dem Nebel der Antike auftaucht, scheint einen Dolch in der Hand zu halten. Es gibt in der Literatur der Antike über das Lachen so viele Beispiele für brutalen Triumph, Verachtung und Fußtritte gegen den Besiegten, dass wir annehmen dürfen, dass das ursprüngliche Lachen ausschließlich aggressiv gewesen ist« (zit. n. Koestler 1966, S. 44).

Freud (1905/1982a) sah im Witz (vgl. 5.2.1) Tendenzen sexuellen und aggressiven Charakters am Werk, die an der kulturbedingten Über-Ich-Zensur »vorbeigemogelt« würden. Entsprechend betonten Reik (1929) und Grotjahn (1974) die Bedeutung aggressiver Tendenzen bei der Entstehung der Humorreaktion. Grotjahn zufolge liegt dem Witz die Absicht zugrunde, zu verletzen. Ähnlich hatte schon 1744 der englische Philosoph Morris argumentiert, der den Witz als die »Waffe« und gar »Artillerie« von Menschen auswies, die andere lächerlich machen wollen (zit. n. Hügli 1980, S. 8). Denn der Humor »erspare« dem Gewissen die Empfindung von Mitleid (Freud 1927/1982b, S. 278) bzw. bewirke eine »momentane Anästhesie des Herzens« (Bergson 1921, S. 131):

»Ist Demütigung sein Zweck, so muss es der Person, der es gilt, eine peinliche Empfindung verursachen. Dadurch rächt sich die Gesellschaft für die Freiheiten, die man sich gegen sie heraus genommen hat.«

Unterstützt wird diese Sichtweise durch verschiedene verhaltensbiologische bzw. ethologische Befunde. Schon frühe Autoren wie Kallen (1911), Crile (1916), Delage (1919), Ludovici (1932) und besonders Rapp (1947,1949,1951) sahen das Lachen als ein aggressives Instinktresiduum an. Eibl-Eibesfeldt (1967) sieht im Lachen eine ursprüngliche Drohgebärde, die sich im Laufe der Menschheitsentwicklung allmählich zu einer »Begrüßungszeremonie« gewandelt hat. Aus einem aggressiven Zähnefletschen sei zunächst ein »ritualisiertes Zubeißen« geworden, also eine aggressiv entschärfte Drohgebärde. Eibl-Eibesfeldt (ebd., S. 140) schreibt: »Die rhythmische Lautäußerung (im Lachen) erinnert an ähnliche Lautäußerungen, mit denen viele Primaten einer Gruppe gemeinsam gegen einen Feind drohen (»hassen«). Ein solches gemeinsames Drohen verbindet die Mitglieder einer Gruppe, und es fällt bei einer Untersuchung des Lachens auf, daß hier in ganz ähnlicher Weise zwischen Gruppenmitgliedern ein starkes Band geschaffen wird. Außerhalb der Gruppe Stehende berührt ein solches Lachen eher unangenehm, ja wenn es den Charakter des Auslachens trägt, wirkt es ausgesprochen aggressiv, herausfordernd. Lachen scheint in seiner ursprünglichen Funktion gegen Dritte zu verbinden. Beim Lächeln dagegen ist die aggressive Komponente durch das weniger ausgeprägte Zähnezeigen und den Wegfall der Lautäußerungen zur rein beschwichtigenden Kontaktgebärde geworden. Lächeln und Lachen haben eine gemeinsame Wurzel, scheinen jedoch in verschiedener Weise ritualisiert.«

Für Rapp (1949) stellt die Aggression einen grundlegenden Instinkt im Leben des Menschen dar. Der Humor ist für ihn eine der möglichen Formen ihrer Äußerung. Rapp geht außerdem davon aus, dass das Lachen in der präverbalen Epoche der menschlichen Entwicklungsgeschichte die Funktion eines basalen Kommunikationsmittels erfüllt habe. Es habe der Signalisierung des Triumphes gedient, der sich nach siegreich beendigtem Kampfe eingestellt habe. Denn die Beendigung eines so starken physischen Spannungszustandes löse sich am unmittelbarsten in einem frenetischen Lachen auf. Dabei habe sich das erlegte Tier bzw. der besiegte Gegner jeweils als ein »lächerliches Objekt« präsentiert. Dieses Objekt nicht nur physisch, sondern auch ideell niederzumachen, habe einem grundlegenden Anliegen der Luststeigerung entsprochen. Diese These wird im übrigen auch von Gruner (1978) vertreten. E. C. Hirsch (1985, S. 10) beschreibt dies so: »Das Lachen (ist) wie der Nachhall eines harten Kampfes. Der Körper zuckt, die Zähne sind gebleckt, der Atem geht schwer, die Stimme grunzt und schreit. Es mag wohl so sein, dass Lachen immer noch dazu da ist, den Sieg über einen äußeren Feind zu feiern; freilich ist das gewöhnlich kein äußerer Feind mehr, sondern irgendein innerer Gegner, das Gewissen vielleicht oder eine Hemmung, ein moralisches Verbot oder ein unterdrückter Hass. Was da festsaß, das schüttet man nun im Lachen aus; man sprudelt es mit dem Ausatmen weg.«

Ziv (1984) bemerkt, im Evolutionsprozess der Zivilisation sei die intellektuelle Form aggressiver Kriegsführung zunehmend an Stelle der physischen getreten. Statt Schläge auszuteilen sei es zunehmend zu einem verbalen Schlagabtausch gekommen. Doch die Regeln blieben die gleichen: Ein Beispiel bilden die Spottduelle der grönländischen Eskimos, die Moody (1979, S. 29) so beschreibt:

»Anstatt ihre Differenzen durch körperliche Auseinandersetzungen und Blutvergießen auszutragen, verspotteten und beleidigten sich die erbosten Parteien gegenseitig. Vor den Augen der versammelten Stammesgemeinschaft und zum Dröhnen der Trommeln verhöhnten, beschimpften und verlachten die Beteiligten einander. Die Zuschauer amüsierten sich köstlich und bekundeten ihren Beifall durch fröhliches Gelächter. Die Kraftprobe wurde sehr ernst genommen, und der Verlierer wurde manchmal so gedemütigt, dass er in die Verbannung gehen musste.«

Insbesondere in solchen Gesellschaften, deren Sozialisationsstil schamorientiert ist (vgl. Neckel 1992; Titze 1996b) stellt das Verlachen eine wichtige Erziehungsmaßnahme dar. Moody (ebd., S. 2930) führt in diesem Zusammenhang die Pygmäen, aber auch moderne Japaner an, die ihren Kindern damit drohen, andere Leute würden sie auslachen, wenn sie bestimmte unerwünschte Dinge tun sollten.

Es gibt bestimmte Formen des Humors, die ein unmittelbarer Ausdruck dieses aggressiven Auslachens sind. Dazu gehören die Ironie, insbesondere aber der Sarkasmus und der Zynismus.


Das Lächerliche

Das Lächerliche ist der eigentliche Gegenstand der aggressiven Formen des Humors. Platon hat diesen Begriff als erster in substantivierter Form verwendet (Hügli 1980, S. 2). Zu wissen, wie man Lächerliches (und damit Lachen) hervorruft oder vermeidet, ist nach Aristoteles »im Kampf der Geister« von Nutzen, denn man müsse die Würde des Gegners durch Gelächter zunichte machen. In seiner Poetik erwähnt Aristoteles (o. J., S. 78) zwei verschiedene Arten des Lächerlichen: die gegen den Sprechenden selbst sich richtende Ironie sowie die Verhöhnung eines anderen. Auch Cicero stellte fest, man errege Lachen dadurch, indem man »die Charaktere anderer verspottet, seinen eigenen von einer lächerlichen Seite zeigt, und Hässliches mit noch Hässlicherem vergleicht« (zit. n. Hügli 1980, S. 2). Der englische Philosoph Hobbes (1651/1980, S. 54) führte das Lächerliche auf ein Gefühl der Überlegenheit zurück, das entstehe, »wenn die schwachen Seiten anderer sichtbar« gemacht werden. Jean Paul (1804/1980, S. 105) definierte das Lachen als das »unendlich Kleine«, das der »Erbfeind des Erhabenen« sei, und er bemerkt: »Unter dem Lachen fühlt man weniger sich gehoben [...] als den anderen vertieft« (ebd, S. 121). Kraepelin (1885, S. 352) hat das Lächerliche als das »Verlachenswerte« ausgewiesen, das von einem »Objekt von geringerem inneren Wert« ausgeht. (Er unterschied das Lächerliche übrigens vom Komischen [vgl. 4.2.2], das er als das »Belachenswerte« definierte).

Auch Bergson (1921, S. 131) hob die Bedeutung der Aggressivität im Verlachen hervor. Er sah das Lachen als eine »Strafe«, als ein »Erziehungsmittel« an, deren Zweck »Demütigung« sei: »Dadurch rächt sich die Gesellschaft für die Freiheiten, die man sich gegen sie herausgenommen hat. Und das Lachen würde sein Ziel nicht erreichen, wenn Sympathie und Güte seine herrschenden Züge wären«. Entsprechend sah Baudelaire (o. J., S. 252) im Lachen »ein verwerfliches und seinem Ursprunge nach teuflisches Element«, das auf der Überlegenheit beruht: »Das Lachen ist satanisch, also im tiefsten menschlich. Es ist im Menschen die Folge der Vorstellung seiner eigenen Überlegenheit.« (ebd., S. 257).


Das Komische

Für die alten Griechen war die Komödie der Rahmen, in dem sich das Komische entfalten konnte. Das Wort als solches leitet sich von komos ab, jener Prozession, in der zu Ehren von Dionysos ein überdimensionaler Phallus getragen und obszöne Lieder gesungen wurden (Giangrande 1963). Palmer (1994, S.32) erwähnt, dass die - in der Regel stark betrunkenen - Teilnehmer dieser Prozession einen oft obszönen Humor an den Tag legten. Denn die Figur des Dionysos war durch Ambiguität gekennzeichnet: Einerseits war er der Patron der Fruchtbarkeit und des Vergnügens, andererseits galt er aber auch als Verursacher von Schrecken. Es ist anzunehmen, dass die unbeholfenen Bewegungen der betrunkenen Dionysos-Anhänger auf die Zuschauer solcher Prozessionen belustigend bzw. »komisch« gewirkt haben. Ihre zunächst wohl spontane Nachahmung, führte zur allmählichen Entwicklung des komischen Schauspiels. Dieses wird von Aristoteles (o. J., S. 99) folgendermaßen definiert:

»Die Komödie ist die nachahmende Darstellung einer lächerlichen Handlung, welche keine abgeschlossene Größe zu haben braucht, vorgeführt durch Handelnde, nicht durch Berichtende. Ihre Aufgabe ist, durch Lust und Lachen die Reinigung von diesen Affekten zu bewirken. Die Komödie ist die Tochter des Lachens«.

Diese kathartische Bedeutung der Komödie erfüllt eine wichtige sozialpsychologische Funktion. Denn derjenige, der in seinem Handeln aus dem normativ festgelegten Rahmen »fällt«, wirkt prinzipiell bedrohlich. Er stellt den normalen Ablauf sozialen Lebens in Frage und gefährdet damit die »bewahrte Vernünftigkeit« (Stierle 1976, S. 260) der sozialen Handlungswelt. Wenn dieser Mensch nun der verspottenden Lächerlichkeit preisgegeben wird, kommt es zu einer »Wiederherstellung vernünftiger Zustände, einer geordneten kulturellen Welt« (ebd.), mit der sich der einzelne (wieder) identifizieren kann. Deshalb erfüllt die Komödie eine wichtige sozialkorrektive Funktion.

Jean Paul (1804/1980, S. 115) erwähnt, dass bei allen Völkern das Schauspiel mit der spottenden Nachahmung der Komödie anfing. Die Lust am Verlachen des komisch Wirkenden muss daher als eine sehr ursprüngliche Neigung des Menschen angesehen werden. Blumenberg (1976, S. 11) sieht auch die Entstehungsgeschichte der Philosophie mit komödiantenhaftem Spott verknüpft. Er führt dabei eine von Plato zitierte Anekdote aus dem Dialog Theaetet an, in der Thales von Milet der Lächerlichkeit preisgegeben wird: »So erzählt man sich von Thales, er sei, während er sich mit dem Himmelsgewölbe beschäftigte und nach oben blickte, in einen Brunnen gefallen. Darüber habe ihn eine witzige und hübsche thrakische Dienstmagd ausgelacht und gesagt, er wolle da mit aller Leidenschaft die Dinge am Himmel zu wissen bekommen, während ihm doch schon alles, was ihm vor der Nase und den Füßen läge, verborgen bleibe«.

Antike Autoren wie Cicero, Horaz und Quintilian bezogen sich in ihren Ausführungen vor allem auf die Nachahmung von körperlichen Deformierungen, Defekten und Abnormitäten eines komischen Menschen (vgl. Fuhrmann 1976). Dieses Prinzip griff Hobbes (1651/1980, S. 54) auf, der die Wahrnehmung der »schwachen Seiten anderer« als Voraussetzung dafür ansah, »sich einen Wert verschaffen zu wollen«.

Die präziseste Definition des Komischen nahm der Philosoph Karl Groos (1892) vor, indem er verschiedene theoretische Perspektiven zusammenfasste: »Es ist uns ein Objekt gegeben, welches wir erstens für etwas Verkehrtes (»Widersprechendes«, »Widersinniges«, »Unlogisches«) halten und darum zweitens mit einem Gefühl der Überlegenheit betrachten« (ebd., S. 376). Dabei dürfe weder Furcht noch Mitleid in den Vordergrund treten, »weil sonst die erheiternde Wirkung notwendig ausbleiben muss« (ebd.). Groos führte in diesem Zusammenhang das folgende Beispiel an: »Ein Mensch von auffallend kleiner oder auffallend großer Gestalt wirkt komisch, solange er uns nicht mit Furcht oder Mitleid erfüllt. Ebenso verhält es sich bei zu dicken und zu dünnen Formen, bei gattungswidrigen Proportionen, bei Auswüchsen, bei auffallender Hautfärbung usw. [...] Das Gleiche ist begreiflicherweise dem Häßlichen gegenüber der Fall, ja selbst dem bloß Fremdartigen gegenüber« (ebd., S. 378-379).

Nicht zuletzt ist es auch die Ungeschicklichkeit, »welche uns hier das erheiternde Gefühl unserer Überlegenheit verschafft« (ebd., S. 381). Dazu zählt Groos auch die Zerstreutheit, die Nervosität, die Verlegenheit, die Angst, die Vergesslichkeit, das Missverständnis und jene »dauernde geistige Verkehrtheit, die sich in »närrischen« Handlungen äußert« (ebd., S.382). Insgesamt handelt es sich dabei nach Groos um »Zustände, die eine aus der richtigen Ordnung geratene Seele kennzeichnen« (ebd.).

Als das Urphänomen des Komischen führt Groos die Ungleichheit bzw. den Kontrast zwischen dem Objekt des Komischen und dem Betrachter an. Dieser schöpft daraus das Selbstgefühl seiner Erhebung und Erheiterung, wobei er das »behagliche Pharisäergefühl« empfindet, nicht so zu sein »wie dieser Verkehrten Einer« (ebd., S.392-393).

Groos führt, unter Berufung auf zeitgenössische Autoren, drei Stadien der Entwicklung des Komischen an: Der erste Eindruck des Komischen bestehe darin, dass die Verkehrtheit verblüffend wirkt. Das zweite Stadium zeichne sich dann ab, wenn aus der Verblüffung die bewusste Erkenntnis der Verkehrtheit entsteht. Doch erst im dritten Stadium könne sich das »völlig angenehme Gefühl« entfalten, sich selbst im Angesicht der Verkehrtheit als Überlegenen zu empfinden. Groos kommt zu der Schlussfolgerung: »Aus der ganzen Untersuchung über das Wesen des Komischen springt der Gedanke mit großer Klarheit hervor, daß das Lachen beim Komischen zunächst ein Verlachen ist« (ebd., S.402). Der Sinn des Komischen liegt demnach in einer »Erhöhung des Selbstgefühls«.

Für den französischen Philosophen Henri Bergson (1900/1921) ist ein wesentliches Erkennungsmerkmal des Komischen die »Gefühlslosigkeit« bzw. »Anästhesierung des Herzens«. Seelische Kälte sei sein wahres Element (ebd., S.7). Außerdem könne sich das Komische nur in einem sozialen Kontext entfalten: »Man würde für das Komische kein Organ haben, wenn man allein stünde [...] Unser Lachen ist stets das Lachen einer Gruppe« (ebd., S.8). Dieses Lachen wird gewöhnlich durch einen Außenstehenden hervorgerufen, der das Objekt des gemeinsamen Verlachens ist: »Das Komische entsteht, scheint es, wenn eine Anzahl als Gruppe zusammengehöriger Menschen ihre Aufmerksamkeit alle auf einen lenken, ihr Gefühl beiseite schieben und lediglich ihren Intellekt spielen lassen« (ebd., S.9). Dieses intellektuelle Moment nimmt aber Bezug auf vorgegebene normative Erwartungen. Wer diesen Erwartungen, z. B. aufgrund von Ungeschicklichkeit, nicht entspricht, der wird von den anderen verlacht werden. Dies kann sich ebenso auf körperliche wie auf geistige Fehlleistungen beziehen

Für Bergson manifestiert sich Normalität zunächst im körperlichen Bereich. Je unverkrampfter, je flüssiger und geschmeidiger sich ein Mensch in seinem Lebensvollzug geben kann, desto weniger komisch wirkt er. Die Hemmung dieses natürlichen Bewegungsablaufs bezeichnet Bergson als »Trägheit«. Sie ist »das Komische, und das Lachen ist ihre Strafe« (ebd., 18). Wenn sich die Trägheit im mimischen Bereich auswirkt, bekommt ein Gesichtsausdruck »etwas Starres, sozusagen Geronnenes« (ebd., S.20). Auch dies wirkt komisch, da es sich um »eine einzige eindeutige Grimasse« handelt (ebd.). Insgesamt sieht Bergson die »mechanische Verkrustung des Lebendigen« als die eigentliche Ursache des Komischen an: »Stellungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichen Körpers sind in dem Maße komisch, als uns dieser Körper dabei an einen bloßen Mechanismus erinnert« (ebd., S.23). Menschen, die verkrampft versuchen, ihren Körper bewusst zu kontrollieren, tragen zu dieser Mechanisierung bzw. Erstarrung bei: Sie werden damit zu unlebendigen »Holzpuppen« (ebd., S.43), die ihre Lebendigkeit verlieren. Sie werden zu einer Sache: »Wir lachen jedes Mal, wenn eine Person uns wie eine Sache erscheint« (ebd., S.42). Bergson nimmt damit Erkenntnisse der modernen Schamforschung (vgl. Lewis 1995; Neckel 1993; Wurmser 1993) vorweg, die das Wesen der Scham ebenfalls auf eine Verobjektivierung des Lebendigen zurückführen. Allerdings spricht Bergson in diesem Zusammenhang von »Schüchternheit«. Er schreibt: »Der Schüchterne kann den Eindruck eines Menschen machen, den sein Körper geniert und der sich nach einem Platze umsieht, wo er ihn ablegen könnte«. (ebd., S.38).

Insgesamt geht Bergson davon aus, dass das Komische als Folge der Nichtbeachtung sozialer Übereinkünfte entsteht. Dabei handelt es sich nicht um moralische Normverstöße, sondern um eine Verletzung der impliziten Spielregeln sozialen Zusammenlebens. Diese kann nur der gesellige Mensch wirklich beherrschen. Der Einzelgänger, dem das soziale Leben fremd ist, läuft hingegen Gefahr, unangenehm aufzufallen: »Gleichviel, ob ein Charakter gut oder schlecht ist: Wenn er nur ungesellig ist, so kann er komisch wirken. Die Schwere des Falles, sehen wir jetzt, macht auch nichts aus: Ob leicht oder schwer, wir können immer darüber lachen, wenn man es nur so einrichtet, daß unser Gefühl unbeteiligt bleibt. Ungeselligkeit der dargestellten Person und Fühllosigkeit des Zuschauers sind die beiden wesentlichen Bedingungen (ebd., S.98).

Dieser Auffassung schließt sich auch Freud (1905/1982a, S. 176) an, der das Komische in einen Zusammenhang mit den »sozialen Beziehungen der Menschen« stellt: »Es wird an Personen gefunden, und zwar an deren Bewegungen, Formen, Handlungen und Charakterzügen, wahrscheinlich ursprünglich nur an den körperlichen, später auch an den seelischen Erscheinungen derselben, bzw. an deren Äußerungen« (ebd.). Eine wesentliche Bedingung des Komischen ist für Freud daneben jener »zu große Aufwand«, der körperliche Bewegungen auszeichnet, die aus der erwarteten Durchschnittsnorm fallen. Diese wirken - i. S. normativer sozialer Erwartungen - ebenfalls unangepasst. Freud (ebd., S. 177) schreibt: »So sind ganz reine Fälle dieser Art von Komik die Bewegungen, die der Kegelschieber ausführt, nachdem er die Kugel entlassen hat, solange er ihren Lauf verfolgt, als könnte er diesen noch nachträglich regulieren; so sind alle Grimassen komisch, welche den normalen Ausdruck der Gemütsbewegungen übertreiben, auch dann, wenn sie unwillkürlich erfolgen wie bei an Veitstanz leidenden Personen; so werden die leidenschaftlichen Bewegungen eines modernen Dirigenten jedem Unmusikalischen komisch erscheinen, der ihre Notwendigkeit nicht zu verstehen weiß.«

Freud beschreibt damit auch ein Inkongruenzerlebnis. »Man« erwartet Bewegungen, die den normativen Vorstellungen eines vorgegebenen Bezugsrahmens entsprechen. Wird dieser Rahmen jedoch gesprengt, so ergibt sich eine komische Wirkung. Dies gilt auch für Körperformen und Gesichtszüge, die aus diesem Rahmen fallen: »Aufgerissene Augen, eine hakenförmig zum Mund abgebogene Nase, abstehende Ohren, ein Buckel, all dergleichen wirkt wahrscheinlich nur komisch, insofern die Bewegungen vorgestellt werden, die zum Zustandekommen dieser Züge notwendig wären, wobei Nase, Ohren und andere Körperteile der Vorstellung beweglicher gelten, als sie es in Wirklichkeit sind«.

Als komisch wird nach Freud nur dann etwas empfunden, wenn der Betrachter selbst eine Vorstellung von dem hat, was in einer bestimmten Situation angemessen ist. Wird diese Vorstellung nicht erfüllt, weil z. B. ein Mitmensch zu wenig oder zu viel Aufwand betreibt, kommt es zu einem Kontrasterlebnis: »Das Komische beruht auf einem Vorstellungskontrast; ja, insofern dieser Kontrast komisch und nicht anders wirkt. Das Gefühl der Komik rührt vom Zergehen einer Erwartung her; ja, wenn diese Enttäuschung nicht gerade peinlich ist«. (ebd., S. 202)

Das Lachen, das ein solches komisches Kontrasterlebnis hervorruft, wird von Stierle (1976, S. 250) als »kathartische Befreiung« verstanden. In diesem Lachen kann der betreffende Mensch einen »chaotischen Gegensinn der Dinge« unter Kontrolle bringen, dem er sich »eigentlich« ausgeliefert fühlt und der daher als bedrohlich erlebt werden muss. Im Lachen wird diese Bedrohung negiert und eliminiert. Stierle schreibt: »Das Lachen angesichts des Komischen ist ein Akt der Befreiung, der komischen Katharsis, in mehr als einem Sinn. Es ist die Befreiung von einer Paradoxie der Aufmerksamkeit, aber es ist darüber hinaus auch ein Akt der Befreiung von der Identifikation mit einem fremdbestimmten Handeln und schließlich auch ein symbolischer Akt der Befreiung des in einer Fremdbestimmtheit komisch verstrickten Subjekts. Im Lachen wird das komische Mißlingen aus seinem Kontext herausgehoben und, indem es Gegenstand der Anschauung wird, gesellschaftlich negiert. Indem der Betrachter das komische Faktum isoliert und als dieses zur Anschauung bringt, wird das in ihm liegende Moment der Bedrohung [...] als akzidentiell und eliminierbar aufgefaßt. Nachdem gelacht wurde, ist die Welt wieder ins Lot gebracht, die komische Verstrickung ist, indem sie im Lachen fallengelassen wurde, negiert«. (ebd.).


Die Gelotophobie

Jene Autoren, die die aggressive Funktion der Humorreaktion hervorheben, weisen vielfach auch auf die gruppenkohäsive Bedeutung des Lachens hin (4.4). Demnach würde dieses die Mitglieder einer Gruppe dann zusammenschmieden, wenn es einen äußeren Gegner auszumachen gilt, den die Gruppenmitglieder gemeinsam zu einem verlachenswerten Opfer machen. So schreibt Lorenz (1963, S. 384): »Wahrscheinlich ist das Lachen durch Ritualisierung aus einer neu-orientierten Drohbewegung entstanden, ganz wie das Triumphgeschrei der Gänse. Wie dieses und wie auch die Begeisterung erzeugt das Lachen neben der Verbundenheit der Teilnehmenden eine aggressive Spitze gegen Außenstehende. Wenn man nicht mitlachen kann, fühlt man sich ausgeschlossen, selbst wenn das Gelächter sich ganz und gar nicht gegen einen selbst oder überhaupt gegen irgend etwas richtet. Wo das der Fall ist, wie beim Auslachen, wird der Gehalt an Aggression und gleichzeitig die Analogie zu gewissen Formen des Triumphgeschreis noch deutlicher.«

Kinder werden zu sozialen Außenseitern, wenn es ihnen nicht gelingt, sich an die normativen Erwartungen außerfamiliärer Bezugsgruppen (peer groups) anzupassen. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zunächst können diese Kinder aufgrund objektiver Absonderlichkeiten »aus dem Rahmen fallen«. Dazu gehören körperliche und/oder geistige Behinderungen, auffallende Merkmale wie die Haarfarbe, Körpergröße, mangelhafte Sprachbeherrschung (z. B. bei Ausländerkindern), eine nicht der Mode entsprechende Bekleidung (z. B. bei Kindern von Sektenangehörigen) sowie alle Formen von Schüchternheit. Letztere kann auch Folge belastender und/oder pathologisierender Erziehungseinflüsse sein. So wird das Kind aus einer sozial schwachen oder existentiell bzw. psychisch belasteten Familie andere rollenspezifische Verhaltensbereitschaften entwickeln als ein Kind, das in einer unbelasteten Familie aufwächst.

Insbesondere bei selbstbezogenen, das heißt narzisstisch bedürftigen Bezugspersonen wird das Kind - im Zuge eines Parentifikationsprozesses (vgl. Titze 1996b, S. 56-58) - in Rollen hineinwachsen, in denen es sich ausschließlich um die spezifischen Bedürfnisse und psychopathologischen Probleme seiner Bezugspersonen kümmern muss. Dabei kann der normative Erwartungsdruck, der vom familialen Beziehungsgefüge ausgeht, so stark sein, dass sich das betreffende Kind jenen weitergehenden sozialen Lernprozessen nicht öffnen darf, die von außerfamiliären Sozialisationsagenturen ausgehen. Damit wird der Erwerb solcher sozialen Verhaltensbereitschaften behindert, die sich an einem allgemein gültigen Vernunftsgewissen (common sense, »soziale Intelligenz«, »gesunder Menschenverstand«) orientieren. Die betreffenden Kinder machen folgerichtig vieles »falsch«. Sie ecken an, benehmen sich daneben, geben sich vielleicht »altklug«, so dass sie auf Gleichaltrige »komisch« und befremdlich wirken. Wenn sich solche defizitären sozialen Fertigkeiten so mit einer mangelnden Selbstbehauptungsfähigkeit verbinden, kann das betreffende Kind allmählich in die verhängnisvolle Rolle eines lächerlichen Außenseiters gelangen. Von anderen Kindern, die untereinander eine spontane Verbindung haben, werden diese Außenseiter nicht selten gehänselt und ausgelacht.

Das ist in hohem Maße beschämend und entmutigend! Denn gerade in diesem Zusammenhang äußert sich die destruktiv-aggressive Wirkung des Lachens. Lorenz (1963, S. 358) schreibt: »Das Lachen (ist) eine grausame Waffe, die bösen Schaden stiften kann, wenn sie unverdientermaßen einen Wehrlosen trifft; ein Kind auszulachen ist ein Verbrechen!

Ziv (1984, S. 37) bemerkt allerdings, dass das ausgelachte Opfer (»scapegoat«) eine wichtige sozialpsychologische Rolle einnimmt. Es ist ein Projektionsobjekt für die eigenen Schwächen und Mängel der Gruppenmitglieder. So muss das verlachte Opfer den »Schock des Humors absorbieren« (ebd.), wodurch es immer auch beschämt wird.

Scham ist ein Sicherungsgefühl (vgl. Titze 1995a, S.67ff). Häufig ist sie Ausdruck der Angst vor dem Ausgelachtwerden (Gelotophobie). Sie motiviert den betreffenden Menschen, auszuweichen und sich aus der beschämenden sozialen Interaktion zurückzuziehen (Wurmser 1993, S. 144). Doch wenn dies nicht möglich ist, kann sich die Gelotophobie zunehmend pathogen auswirken. Das ist, wie Ziv (1984, S. 37f) schreibt, etwa der Fall, wenn ein Grundschüler keine andere Wahl hat, als sich tagtäglich der beschämenden Situation des Ausgelachtwerdens von neuem zu stellen: »Als das Opfer seiner Klassenkameraden ist er hilflos. Sie können sein Leben erbarmungslos zu einem einzigen Elend machen, und er findet keinen Ausweg. Am allerschlimmsten ist diese Situation dann, wenn ein Lehrer mit sadistischen Tendenzen einen Schüler zum Objekt seines sarkastischen Humors macht. Das Zusammenwirken der destruktiven Witzeleien solcher Lehrer und des Gelächters der anderen Kinder kann die Welt des betreffenden Kindes zerstören«.

(Literaturangaben finden sich im oben angegebenen Buch)

© Dr. Michael Titze