Interview mit Dr. rer. soc. Michael Titze, 10/2008
Aus: Markus Frittum, »Die Soziale Arbeit und ihr Verhältnis zum Humor. Möglichkeiten humorvoller Intervention im Beratungsgespräch«.
»Denn Humor darf nicht gleichgesetzt werden mit Verbalhumor,
sondern es handelt sich vielmehr um eine ganzheitliche Haltung.«
Dem Interview mit Michael Titze begegnete ich mit besonderem Interesse, da er bereits mehrere Bücher und Artikel über Humor verfasst hat, mit denen ich mich ebenso im Vorfeld intensiv auseinandergesetzt habe. Vor allem das Werk »Therapeutischer Humor - Grundlagen und Anwendungen« verhalf mir in der Einstiegsphase zu dieser Arbeit, einen ersten Überblick über die Möglichkeiten des Einsatzes von Humor zu erhalten.

Angesprochen auf Assoziationen, die ihm zu Humor in der Sozialen Arbeit einfallen, betont er zunächst, dass er auf diesem Gebiet kein Spezialist sei. Humor sei eine kommunikative Hilfe und schlage Brücken, weshalb man auch vom sozialen Schmiermittel sprechen würde. In der Entwicklungspsychologie komme diese Brücke in Form des kindlichen Lächelns an seine Bezugsperson vor.
»Man kann durchaus sagen, dass die Mutter das Kind so konditioniert, es lieb zu haben.
Man kann weiterhin sagen - immer wenn ich jemandem humorvoll lächelnd gegenübertrete, dann entsteht nicht nur eine kommunikative, sondern auch eine affektive Verbindung.
So konditioniere ich den anderen, oder ich mache das, was man in der Tiefenpsychologie als Übertragungsmanipulation bezeichnet. So schaffe ich die Voraussetzungen, dass die weitere Kommunikation besser läuft.«

Mit einem skeptischen Gesicht oder einer neutralen Maske ergebe sich diese Brücke nicht.
»Es geht also darum, dass die kommunikative Verbindung hergestellt wird, bevor es zur eigentlichen Verbalisierung kommt.«
Erkenntnisse, die auch für die Soziale Arbeit wichtig seien. Unter diesen eben beschriebenen Voraussetzungen könne eine humorvolle Haltung entstehen.
»Denn Humor darf nicht gleichgesetzt werden mit Verbalhumor, sondern es handelt sich hier vielmehr um eine ganzheitliche Haltung.«
Humorkenntnisse aus der Psychotherapie seien auf jeden Fall in die Soziale Arbeit eins zu eins übertragbar. »Wo Menschen direkt miteinander zu tun haben, geht man von der gleichen Prämisse aus.«

Wie sieht es Michael Titze, wenn man meine, Humor und Lachen wären bei sozialen Problemen unpassend? Lachen, meint er, sei eine mögliche Humorreaktion.
Eine humorvolle Haltung entspreche einer Gelassenheit, die sich vor allem in der Mimik zeige. Dieses körpersprachliche Angebot könne für Menschen, die unter Druck stehen und soziale Probleme haben, eine Anregung zur Relativierung sein, die für die Betroffenen hilfreich sei. Titze kommt dabei auf Viktor Frankl zu sprechen.
Die paradoxe Intention »hat er als große humorvolle Maßnahme angesehen, das hat er mir persönlich gesagt. Dass für ihn alles Paradoxe nur Mittel sind, die aufgrund einer Haltung, einer Einstellung, einer humorvollen Einstellung appliziert werden können«. Frankl sprach davon, dass es um die Umstellung einer Einstellung gehe. »Mithilfe der humorvollen Gelassenheit lässt sich eine einseitige Einstellung, die auch viele Klienten in der Sozialarbeit haben, umstellen.« KlientInnen werde somit gezeigt, es gebe noch mehr Möglichkeiten im Leben und werden auf diese Weise ermutigt.
»Der therapeutische Humor, nicht der Unterhaltungshumor, zielt auf Ermutigung, Vermittlung von Mut, Lebensmut, Selbstbewusstsein und Ich-Stärkung ab.« Das werde allerdings nur dann vermittelt, wenn auch Sozialarbeiterinnen selber diese Umstellung oder diesen Einstellungswandel bei sich vollzogen haben. »Ich denke, aus einer durch Humor vermittelten Haltung heraus, die nicht unbedingt logisch oder rational nachvollziehbar ist, entsteht so etwas wie die Gewissheit: 'Na ja, es lässt sich doch etwas tun und lässt sich doch etwas ändern'.«

Menschen, die mit Therapeutinnen, Beraterinnen oder Sozialarbeiterinnen zu tun hätten, würden sich auch von deren Optimismus anstecken lassen. Die Überzeugung, dass es doch irgendwie machbar ist, könne nur nonverbal transportiert werden, ist er sich sicher. Insofern hätten Sozialarbeiterinnen eine Modellwirkung, weil sie selbst an das glauben, was sie vermitteln sollen.

Ich frage nach den Grenzen in der Humoranwendung und kann mir vorstellen, dass er bei akut krisenhaften Problemsituationen nicht angebracht wäre. Das ist richtig, antwortet Titze. Würde man mit Humor aus dem verbalen Bereich relativieren wollen, und sagen, das sei doch nicht so schlimm, und würde noch ein Witzchen anhängen, dann fühlte sich der Andere nicht ernst genommen. Man müsse sich mit dem Anderen identifizieren und gleichzeitig davon ausgehen, dass es eine Lösung gebe. »Zunächst geht man auf den Klienten als Person ein und signalisiert gleichzeitig: 'Es wird schon einen konstruktiven Weg der Problemlösung geben, auch wenn ich dir jetzt im Augenblick nicht sagen kann, wie dieser. Weg aussieht.'« Weiters hebt er einen interessanten Aspekt heraus. Je weniger man sich auf Witze oder Sprüche einlasse, beispielsweise »Es wird schon klappen« oder »Machen sie sich nicht so viel Gedanken«, desto eher könne eine echte authentische Beziehung entstehen, aus der heraus Ermutigung erfolgen könne.

Ob aufgrund der Persönlichkeitsstruktur Humor bei manchen KlientInnen nicht zum Einsatz kommen sollte, frage ich. Handle es sich um verbalen Humor, würde er das bestätigen. Es gehe darum, sich in Menschen hinein versetzen zu können und den Fokus auf seine Stärken zu richten. Ruch und Seligmann nennt er an dieser Stelle, die sich als Vertreter der positiven Psychologie mit diesem Thema beschäftigten. Blicke man auf die Stärken und die Ressourcen, würde man sich auch nicht von dem, was nicht gelinge, irritieren lassen. So könne man bei einem Hausbesuch einem Klienten, der einen Messi-Haushalt und katastrophale Finanzen habe, den Blick automatisch auf das Gelingende richten und das entsprechend verbalisieren. »Es geht also darum, das Gute im Schlechten aufzudecken.«

Als Grundsatz oder Richtlinie in der Humorarbeit betont er den Mut zur eigenen Unvollkommenheit. Auch sei dem Anderen zu vermitteln, dass man nicht die Person sei, die schnelle Lösungen parat habe, aber gleichzeitig zeigen solle, dass man nicht aufgebe. Eine Tendenz zur Selbstironisierung wäre dabei sehr wichtig. Oft sei es so, dass Klientinnen ihr Gegenüber als übermächtig ansehen. Werden ihre Erwartungen nicht erfüllt, seien sie schnell enttäusch. Hier könne man von Vornherein die eigenen Grenzen und Einschränkungen verbalisieren. Mit dem »Mut zur Lächerlichkeit«, wie es Frankl nannte, könne man seine eigene Person und seine Fähigkeiten mithilfe der Selbstironie relativieren. »Aber auch bei der Selbstironisierung geht es um das richtige Augenmaß. Das heißt: Wenn der Therapeut oder Sozialarbeiter sich selbst so richtig durch den Kakao zieht oder sich zu sehr der Lächerlichkeit preisgibt, dann ist das sicher nicht gut. Denn da handelt es sich bloß um Effekthascherei, um Schau oder - was noch schlimmer ist - um eine Art Masochismus. Konstruktiver ist es, wenn lediglich eine leichte Tendenz zur Selbstironisierung erkennbar wird.«

Diese Umstellung der eigenen Einstellung könne man sich sicherlich nicht aus Büchern anlesen, es handle sich hierbei um einen Prozess, in dem man seine Haltung auf das Gute im Schlechten einstelle. Michael Titze bringt ein sehr anschauliches Beispiel: Wenn man in einer Beratung verbal angegriffen würde, weil man einen Fehler gemacht habe, könne man sich für den Hinweis bedanken und auf den Mut hinweisen, diese Kritik geäußert zu haben. KlientInnen würden das als Bestätigung sehen. Bei den SozialarbeiterInnen müsse dabei aber die Bereitschaft vorhanden sein, KlientInnen auch mal in eine überlegene Position kommen zu lassen. Bei Seminaren beispielsweise könne das in Rollenspielen gut ausprobiert werden.

Wir kommen auf den provokativen Stil zu sprechen. Titze findet die Arbeiten von Farelly, Höfner und Schachtner sehr interessant, meint aber, dass bei traumatisierten Menschen diese Vorgehensweise kontraproduktiv sein könne. Die moderne Traumatherapie habe festgestellt, dass Konfrontatives eher kontraproduktiv sei, »weil pathogene Muster aufgerissen werden, was Ohnmachtsempfindungen zur Folge hat, die mit einer affektiven Implosion einhergehen können, also Resignation, Selbstschädigung oder Auto-Aggression«. Luise Reddemann empfehle ausdrücklich ein nicht konfrontatives humorzentriertes Vorgehen in der Traumatherapie.
»Ich denke, die Klientel des Sozialarbeiters, gerade in sozialen Brennpunkten, setzt sich aus Menschen zusammen, die nicht selten schwer traumatisiert sind. Das setzt schon in der Kindheit ein, wenn man an prekäre wirtschaftliche Verhältnisse denkt, an zerrüttete Familienverhältnisse, Missbrauch und Misshandlungen. Letztendlich hat es der Sozialarbeiter immer wieder mit traumatisierten Menschen zu tun. Daher sollte er oder sie die Ergebnisse der durch die Hirnforschung unterstützten modernen Traumatherapie grundsätzlich berücksichtigen, deren Fazit ist, dass konfrontatives Arbeiten kontraindiziert ist, ein nicht humorzentriertes Vorgehen hingegen produktiv wirkt.«

Ich erzähle von meiner Teilnahme am Workshop mit Frank Farrelly und merke an, dass mir auffiel, dass Humor schon von Anbeginn eines Beratungsgespräches eingesetzt wird.
»Das Hauptproblem der Provokativen Therapie ist der fremdironisierende Humor. Wenn das ein selbstironisierender Humor wäre, der aber nicht zu stark sein darf, könnte dieser Ansatz durchaus konstruktiv sein.«
Titze bringt seine Meinung auf den Punkt: »Es liegt mir einfach nicht, mich über andere Menschen, noch dazu Klienten, lustig zu machen! Was hinter der Idee der Provokativen Therapie steht, ist im Grunde der alte Ansatz der Reizüberflutung. Durch ein forciertes Lächerlichmachen der Symptomatik soll es zu einer Umbesinnung, Neuorientierung in Richtung rationaleres, realitätsgerechteres Denken und Handeln kommen. So wird der Klient ins kalte Wasser der sarkastischen Übertreibung gestoßen und man hofft dann, dass er oder sie gerade dadurch zur Einsicht kommt und vernünftiger wird. Ob das Lachen, dass dabei entsteht, tatsächlich echt im Sinne einer Befreiung ist, bleibt dahingestellt.«

Welche SozialarbeiterInnen sollten Humor eher nicht anwenden? Wer sich mit Selbstironie schwer tue oder Schwierigkeiten habe, verbale Angriffe schlagfertig zu kontern, »der soll und kann sich auf humorvolle Interventionsstrategien nicht einlassen.« Mit Humor könne man auch eine defensive Haltung einnehmen und Aggressionen von außen abwehren. Diejenigen, die gar nicht darauf reagieren würden, liefen Gefahr, in eine ohnmächtige Position zu gelangen. Reagiere man mit Gegenaggression könne man keine Brücke mehr zu Klientinnen schlagen, was eine weitere Arbeit unmöglich mache.
»In einer von Humor geprägten Haltung schaffe ich es jedoch, die Aggressionen, die vom Anderen ausgehen, zu entschärfen, zu relativieren, so dass die zwischenmenschliche Brücke stabil bleibt.«
Ein humorloses Beratungsgespräch wäre nicht stimmig und von einem inneren Konflikt geprägt. Die verbalen Inhalte können mit nonverbalen inkompatibel sein.
»Es ist klar, dass die zwischenmenschliche Beziehung sich nicht im Verbalen aufbaut. Wenn ich also jemanden als lästig oder widerlich ansehe, und dann versuche, diesem Menschen zu helfen, dann spürt dieser, dass ich das eigentlich nicht will.« KlientInnen zeigen eine entsprechende Reaktion auf nonverbaler Ebene. Die verbalen Interventionen der BeraterInnen laufen somit ins Leere.

Haben BeraterInnen das Bedürfnis zu lachen sei es geradezu kongruent, wenn sie das machten. Es sei jedoch drauf zu achten, dass dieses Lachen nicht auf Kosten der KlientInnen ginge.

Titze selbst hat ursprünglich klassisch tiefenpsychologisch psychoanalytisch gearbeitet. Als Krisenintervention im Sinne einer Kurztherapie sei es schwierig, psychoanalytisch zu arbeiten. Titze verweist hier auf das Buch von Waleed Anthony Salameh, das für die Soziale Arbeit zu empfehlen sei. Er habe Viktor Frankl 1980 oder 1981 bei einem Kongress kennen gelernt und es ergab sich eine lange Korrespondenz über Paradoxien. Frankl erkannte sein großes Interesse an diesem Thema und ermutigte ihn, da weiter zu machen. »Er hat mir gesagt, dass es nicht so sehr um technische Aspekte im Humor geht, entscheidend ist vielmehr die Haltung. Und die muss man sich täglich aneignen, indem man eben den Mut zur Unvollkommenheit als Chance ansieht, und nicht als Defizit. Denn hierbei werden Ressourcen und Kompetenzen freigelegt, die sich in einen kreativen Prozess einbinden lassen.«

Ich stelle abschließend die Frage, ob noch etwas offen geblieben sei oder noch hinzugefügt werden könnte. Wie sein Zugang zum Humor entstanden sei, könne ich auf der Vitae auf seiner Homepage nachlesen, und würde noch eine Ergänzung darstellen. Es gehe eben stark auf Frankl ein, unterstreicht er, der »mit seinem sinnzentrierten Ansatz eigentlich auch die Theorie für Humor in Therapie und Beratung und all diesen Bereichen mitgeliefert hat, und er bezeichnet den Humor ja als ein Existential. Der Humor ist für Frankl etwas für die eigene Person Essentielles. Und das würde bedeuten, dass man Humor dann auch lebenslang trainieren muss«.

Wir unterhalten uns nach dem Interview noch etwas über Frankl, Adler und Freud. Wir verabschieden uns mit Glückwünschen von seiner Seite. Im Gespräch mit Michael Titze empfand ich eine sehr freundliche und positive Stimmung. Die transportierten Inhalte haben den vorgegebenen Themenbereichen neue Aspekte verliehen, aber auch Hinweise zu weiteren Blickpunkten und Sichtweisen gegeben.