Senioren Ratgeber (Apotheken Umschau), 08/2024, S. 18-19.
 
Für Humor braucht es Mut
 
Interviewerin: Andrea Mayer-Halm
 
 

Herr Titze, Humor ist gesund. Schön und gut. Aber was mache ich denn, wenn ich ein humorloser Keks bin?

Da müssen wir vorab klären, was Humor eigentlich ist. Die treffendste Definition von Humor kommt vom US-amerikanischen Komiker Groucho Marx: Humor ist verrückt gewordene Vernunft.

Das müssen Sie mir näher erklären.

Was uns als Erwachsenen im Wesentlichen den rechten Weg weist, ist die Vernunft. Dementsprechend orientieren wir uns in unserem Alltagsleben an dem, was von uns im gesellschaftlichen Leben jeweils erwartet wird. Das ist das Normale. Über diese durch die Vernunft fixierten Leitplanken der Vernunft setzt sich der Humor kurzerhand hinweg.

Wie das?

Indem unserem «inneren Kind» ein uneingeschränkter Freiraum gewährt wird. In der Welt des Kindes herrscht das kreative Chaos. Wenn wir uns als Erwachsene darauf einlassen, dann wirken wir durchaus albern, schräg, komisch. Die Vernunft wird dabei ? vorübergehend – außer Acht gelassen. Genau das wird seit jeher von närrischen Karnevalisten praktiziert.

Und kann denn jeder Mensch humorvoll sein?

Es gibt von Natur aus selbstgenügsame, zurückhaltende Menschen, und es gibt Menschen, die von vornherein leutselig und draufgängerisch sind. Manche sind eben ungeniert, andere sind schüchtern. Das ist deren Persönlichkeit, und zwar seit ihren Kindheitstagen. Der erste Schritt, um zum eigenen Humor zu finden ist, sein individuelles Wesen uneingeschränkt anzunehmen. Der griechische Dichter Pindar brachte es auf den Punkt: «Werde, der Du bist.»

Ich soll also zu dem stehen, was ich eh schon bin – aber vielleicht versucht habe, geheim zu halten. Und dann entwickle ich Humor?

Stellen Sie sich einen ganz reservierten Menschen vor. Der wird gefragt, warum er so selten zu Partys kommt. Viele in seiner Situation würden wohl ihre Schüchternheit verheimlichen wollen. Doch das widerspricht der Strategie des Humors, die nicht verheimlichen, sondern bedenkenlos beistimmen will. Folgerichtig wäre es humorig, selbst zu einer scheinbaren Charakterschwäche ohne Wenn und Aber einzustehen, ja diese sogar hemmungslos zu überzeichnen. Das wäre der Fall, wenn der betreffende Mensch antwortet: «Partys liegen mir überhaupt nicht. Ich habe nämlich eine ultrakrasse Sozialphobie.» Das nennt man eine paradoxe Intention. Beim Gegenüber sorgt diese gewöhnlich für ein verblüfftes Lachen.

Braucht es dafür viel Selbstbewusstsein?

Es braucht Mut. Mut zur Unvollkommenheit und auch einen Mut zur Lächerlichkeit. Viktor Frankl gilt als Vater des therapeutischen Humors. Er sagte: Wenn ein Mensch in der Lage ist, diesen Mut zur Lächerlichkeit an den Tag zu legen und sich nicht zu genieren, etwas zu offenbaren, was eigentlich peinlich ist, dann hat dieser Mensch einen direkten Zugang zum Humor.

Und was ist das Heilsame daran?

Wenn wir uns unserer Schwächen schämen, wird es anstrengend. Mit dem Alter nehmen die Schwächen zwangsläufig zu. Wir sind körperlich nicht mehr so fit, werden vergesslicher, dafür haben wir mehr Altersflecken. Wenn Menschen versuchen, das zu verbergen oder zu überspielen, dann enden sie unweigerlich in einer Tragikomödie. Sie werden zu unfreiwilligen Komikern, über die unliebe Mitmenschen lachen können.

Was dem Selbstwert sicher nicht guttut, oder?

Genau. Aber wenn jemand humorvoll zu allfälligen Schwächen und Gebrechen steht, die ja jeder und jede von uns irgendwie hat, dann wird das vom Gegenüber in aller Regel nicht verachtet, sondern viel eher bewundert. Und das steigert da eigene Selbstwertgefühl enorm.

Weil man zu etwas steht, was in unserer Gesellschaft ein Tabu ist.

Ich habe oft festgestellt: Menschen, die andere bewusst zum Lachen bringen, indem sie zur eigenen Unvollkommenheit stehen, kommen besser an. Sie wirken einfach spritziger und souveräner. Und während sie mit denen zusammen lachen, die sie eigentlich auslachen wollten, werden sie überdies mit Glückshormonen versorgt, was wiederum das Selbstvertrauen stärkt.

Wer lacht eigentlich mehr – Männer oder Frauen?

Meines Erachtens sind Männer nach wie vor stärker davon geprägt, ihre Gefühle zu kontrollieren. Folglich fällt es ihnen schwerer, so ausgelassen zu lachen, wie viele Frauen das vermögen.

Es gibt humorbezogene Therapien. Vielleicht sollten da mal einige hingehen?

Humorbezogene Therapien sind definitiv etwas für Menschen, die in der ständigen Angst leben, etwas falsch zu machen und dadurch peinlich aufzufallen. Die den Anspruch haben, immer perfekt sein zu müssen. Es verlangt zweifellos Mut, humorvoll zu eigenen Fehlern bzw. Schwächen zu stehen. Doch die Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können, ist Voraussetzung für ein emotional störungsfreies Leben.

Das klingt sehr befreiend.

Absolut. Wir lernen, die Welt einfach positiver wahrzunehmen. Das gibt uns Kraft.