Reutlinger Generalanzeiger, 03.05.2003
Das Kind in sich mal wieder wecken
Humor-Kongress: Im Stuttgarter Hospitalhof sind Forscher dem Lachen auf der Spur.
Von CHRISTINE DREHER

STUTTGART. Wer Menschen mit roten Pappnasen durch die Gegend spazieren sieht, wähnt sich im Zirkus. Höchstenfalls vielleicht noch im Straßentheater. Im Stuttgarter Hospitalhof gehören Clowns zu einem wissenschaftlich-therapeutischen Kongress. Unter dem Leit-Thema »Heilsames Lachen« tauschen sich Lachforscher und Therapeuten das ganze Wochenende lang in Vorträgen und Seminaren über die Heilkraft des Lachens aus - und geben sich größte Mühe, möglichst viele Teilnehmer mit guter Laune anzustecken.

Denn: »Lachen hilft immer«, sagt Michael Titze. Der Psychotherapeut und Woody-Allen-Fan aus Tuttlingen ist wissenschaftlicher Leiter des Humor-Kongresses. Jemand, der sich tut dem Lachvirus infizieren lässt, erklärt er, ist besser gegen Krankheiten gewappnet. Bei einer herzhaften Lachsalve schüttet der Körper eine geballte Ladung Killerzellen, Lymphozyten und T-Helferzellen in den Kreislauf - kein Wunder, dass sich da Clowns in Kliniken immer mehr durchsetzen. Vor allem aber verschafft Lachen Luft. Die Atmung beschleunigt sich, die Lunge bekommt eine Extra-Ladung Sauerstoff. Und auf die Psyche wirkt spontanes Lachen wie ein Ventil.

Lachen löst Spannungen
Titze hat Lachen daher als Therapieform in seiner Praxis und als Element in der Beratung entdeckt. Lachen löst die Spannung zwischen dem Zwang zur Normerfüllung und der Angst vor dem Scheitern. »Von. einem Erwachsenen wird erwartet, dass er funktioniert wie ein Roboter«, sagt Titze. Wenn ein Manager plötzlich bei einem Vortrag ins Stottern kommt oder eine Ärztin in der Klinik-Konferenz vor lauter Aufregung knallrot anläuft, ist das für die Betroffenen oft eine Katastrophe - wenn sie nicht darüber lachen können.

Dabei helfen therapeutische Clowns wie Alfred Gerhards alias Globo. »Mit dem Clown spielen wir nach, was die Leute beschämt hat und sie belastet«, erzählt der Therapeut, Das wird dann so lange so stark übertrieben, bis der Knoten platzt und sich alle vor Lachen am Boden kringeln.

Mehr Raum für Heiterkeit
Damit gibt Titze nicht nur seinen Klienten die Chance, ihre Situation im paradoxen Licht der Komik von einer ganz anderen Seite wahrzunehmen. Im Netzwerk »HumorCare«, einem Zusammenschluss von humorvollen Menschen, die Lachen verstärkt in Therapie und Pflege einsetzen wollen, will er dem Lachen auch wieder mehr Raum in der Gesellschaft geben.

«In den frühen fünfziger Jahren, hat man dreimal so vie gelacht wie heute«, sagt er. Der Grund dafür? Der liegt für ihn im zunehmenden Zwang zur Perfektion. »Man muss heute überdurchschnittlich sein, um eine Chance zu haben.« Wer, scheitert, gibt sich der aggressivsten Form des Lachens, dem Auslachen, preis. Und das tut weh.

Dagegen haben Titze und der Clown Globo vor allem dieses Rezept parat: Ganz bewusst selbst den Clown spielen und damit. andere zum Lachen bringen.

Das funktioniert im Privatleben genauso wie im Beruf. Und das kann jeder, »wenn wir uns auf eine Ebene begeben, auf der wir schon als Kinder waren«, ist Titze überzeugt.

Lieber lustig als nur normal
Öfter mal das eigene innere Kind zu wecken, das das Gefühl im Bauch über die Fesseln der Vernunft siegen lässt, rät der Therapeut. »Im Alltag gibt es so viele komische Anlässe, über die man sich totlachen könnte.« Man muss nur die Augen aufmachen, um sie zu entdecken.