SDR 2 - S2-Forum 08.01.1997
Das Gelächter der Geschlechter

Gesprächsteilnehmer:
Dr. Helga Kotthoff, Linguistin an der Konstanzer Universität
Professor Ulrich Gaier, Literaturwissenschaftler an der Universität Konstanz
Dr. Michael Titze, Psychotherapeut aus Tuttlingen
Am Mikrofon: Elisabeth Erdmenger

»Dass sich heute eine Gesprächsrunde zu diesem Thema zusammengefunden hat, hat zu tun mit einem Buch, mit dem gleichen Titel, das im Universitätsverlag Konstanz erschienen ist. Herausgeberin und Autorin ist die Konstanzer Linguistin Helga Kotthoff, und was der Titel ihres Buches, 'Das Gelächter der Geschlechter', suggeriert, führt zu meiner ersten, zugegeben etwas simpel formulierten Frage, an Sie, Frau Kotthoff: Lachen Frauen anders als Männer?«

Kotthoff: »Ich denke, man muss viele Lacharten unterscheiden und simpel gesagt, es geht beim Lachen, vom freundlichen Unterstützungslachen, bis zum verlachen, oder auslachen, bis zu subversiven Formen. Ich würde zunächst einmal ganz einfach sagen: Was Frauen immer schon erlaubt war, war das freundliche Unterstützungslachen. Was ihnen sehr viel weniger erlaubt war, und was sie infolge dessen auch sehr viel weniger zeigten, waren die subversiven Formen, also diese Arten des Verlachens.

»Wir werden darauf zurückkommen. Herr Gaier, Sie sind Professor an der Universität Konstanz im Fach Literaturwissenschaft. Was interessiert den Literaturwissenschaftler an dem Thema Lachen?«

Gaier: »Nun, hier hat es ja auch dauernd mit Komödien zu tun und was mich speziell betrifft, ich habe ein Buch über Satire geschrieben, das hat also gerade unmittelbar mit dem zu tun, was Frau Kotthoff gesagt hat, mit dem verlachen. Insofern ist der Literaturwissenschaftler sowohl als Germanist mit den deutschen Lustspielen, wie auch als allgemeiner Literaturwissenschaftler mit dem Phänomen des Lachens, des Verlachens, des Anlachens, des Belachens, etc. vertraut.«

»Lachen sei die beste Medizin, heißt es im Volksmund. Herr Titze, Sie sind Therapeut. Wie sehr können Sie diesen Satz bestätigen, aus Ihrer Praxis mit therapeutischem Humor, mit dem Sie arbeiten.«

Titze: »Im Allgemeinen kann ich das natürlich sehr bestätigen. Aber ich greife das auf, was Frau Kotthoff gesagt hat. Es ist auch bei uns das Verlachen, das im Vordergrund steht. Die Patienten, die zu uns kommen, haben eine Angst vor dem Lachen entwickelt, die sogenannte Gelotophobie. Das ist ein Teilaspekt der Scham und mit diesem Problem haben wir uns auseinanderzusetzen.«

»Gibt es eine wissenschaftlich beweisbare Wirkung des Lachens?«

Titze: »Das gibt es. Es gibt die Gelotologie, die Wissenschaft vom Lachen, die das in den letzten 10 Jahren sehr genau, sehr akribisch ermittelt hat.«

»Und wie sieht das aus? Können Sie das erklären?«

Titze: »Man weiß, dass Menschen, die lachen, in ihrem Blut Stoffe, Hormone, selbst Killerzellen ausschütten, die dann um das drei- bis Vierfache höher sind als im normalen Zustand und so das Immunsystem stärken.«

»Gut. Also zunächst einmal, auf den ersten Blick, ist es ja eigentlich so, bei Lachen, Lächeln, Witz, Humor, da denkt man, das sind eigentlich positiv besetzte Begriffe. Und wenn man ein bisschen nachdenkt, und Sie haben es alle Drei angedeutet, kommt man auf so Worte wie auslachen, aggressives Lachen, abschätzig lachen. Es sieht so aus, als ob das Lachen oder Lächeln doch eine sehr vielschichtige Angelegenheit ist. Wie ist das jetzt mit der Vielschichtigkeit aus der Sicht des Literaturwissenschaftlers?«

Gaier: »Wie ich vorhin sagte. Ich habe mit Satire gearbeitet und da muss man in sehr frühe Zustände der Menschheit zurückgehen, denn das Lachen hat, was als unserem satirischen Lachen heute noch zugrunde liegt, durchaus aggressive Bedeutung gehabt. Die Bedeutung, die Feinde z.B. durch ein Verlachritual regelrecht zunächst fertig zu machen, bevor man sie irgendwie noch mit Waffen bekämpft hat. Man hat Berichte von solchen Lachritualen. Es waren regelrecht Dichter tätig, die die Aufgabe hatten, im Zusammenhang einer Schlacht, einer Kriegserklärung u.s.w., Spottgedichte auf die Feinde zu machen und diese Feinde mit Hilfe dieser Spottgedichte dann auch, gewissermaßen schon vor sich selber, lächerlich zu machen und damit zu schwächen. Also diese aggressive Grundhaltung des Lachens, glaube ich, kann man durchaus behaupten, sie hat vielleicht nur zwei verschiedene Formen. Ich glaube, Herr Titze hat darüber schon sehr viel gearbeitet. Ich habe selber aus seinem Buch, Heilkraft des Lachens gelernt, es gibt negativ aggressives Lachen, also zerstörendes, böses Lachen, das dann eben in diesem Fall gegen die Feinde angewandt worden ist und es gibt quasi aufbauend aggressives Lachen. Es gibt zwei Formen von Aggressivität. Eine Aggressivität, die sozusagen Mut beweist, Mut macht, so dass der andere mitlachen kann über eine Sache. Die andere ist eine wirklich zerstörende. Ich glaube, diese beiden müssen wir vielleicht zugrunde legen.«

Titze: »Phylogenetisch gesehen hat das Lachen tatsächlich eine doppelte Bedeutung. Von der Gruppe her verbindend, eröffnet das Lachen die Möglichkeit, dass sich die Gruppenmitglieder eng, zu einer Lachgemeinschaft, zusammenschließen. Auf den Außenstehenden, den Außenseiter, Fremden, der nicht dazugehört, kann dieses Lachen bedrohlich, in seiner Wirkung sogar destruktiv sein. Destruktiv in einem aggressiven Sinne, den man sich am besten so vorstellen kann, dass der Gruppenfremde durch das Lachen der »in-group" die Funktion des »Schwarzen Schafes", des »Sündenbocks", des »Prügelknaben" zugewiesen bekommt. Man könnte nun sagen, dass im Prinzip jeder schwache Mensch, der nicht im positiven Sinne aggressiv ist - oder wie im Englischen heißt 'assertive' ist - sich selbst behaupten kann, hinstehen kann, sich wehren kann, dass so ein Mensch irgendwann zum Gespött werden kann. Zur Zielscheibe eines Lachens, das, wenn es früh einsetzt in der Sozialisation, so destruktive Auswirkungen haben kann, dass dann oft der Psychotherapeut nach langer Zeit der erste Mensch ist, dem das eingestanden wird. Denn diese Thematik ist sehr schambesetzt. Zum Beispiel kann der Patient berichten: »Ich habe, wenn ich auf den Schulhof kam, immer gespürt, dass die anderen mich nicht ernst nehmen. Sie haben mich belächelt. Sie haben ihre Späßchen über mich gemacht. Sie haben mich gehänselt.« Das betrifft nicht nur Jungen, sondern auch Mädchen. Es ist also so, dass ein Mädchen, das wohlerzogen ist, das für die Mutter die beste Ersatzpartnerin ist, gelernt hat, nur das tun zu dürfen, was für die anderen hilfreich, nützlich und von Vorteil ist. Voraussetzung dafür ist aber eine Hemmung der eigenen Aggression. Gerade aggressionsgehemmte Kinder werden aber zum Gespött der anderen, und sie wissen nicht, wie sie sich wehren sollen. Einen Menschen, der sich nicht wehren kann, kann man natürlich leicht zu einem Sündebock machen, denn die anderen brauchen vor ihm keine Angst zu haben. Sie haben es leicht, brauchen keine Konsequenzen zu befürchten. So können sie sich in ihrem Lachen stark fühlen und gleichzeitig diese Stärke aus der Gruppe heraus spüren. Das ist von der Sozialisation her sehr wichtig ist. Aus der Gruppe heraus zu lachen ist etwas, was auch für spätere Lebensphasen entscheidend ist, wenn man sich fremden Gruppen nähern will, usw.«

Kotthoff: »Ich finde das sehr interessant. Wir haben das Lachen schon sehr stark im Kontext von Konkurrenz. Wo ich Ihnen auf jeden Fall Recht gebe ist, dass man diese beiden Seiten vom Lachen, also einmal Verbindung, aber dann auch Abgrenzung, dass man die sehen muss. Es kann das Eine überwiegen, aber auch das Andere. Ich denke, diese Beispiele, die Sie beide gerade genannt haben, verweisen schon sehr stark auf eine eher männlich geprägte Lachkultur. Herr Gaier, Sie haben z.B. diese Spottgedichte vor einem Kampf erwähnt. Wer zog da in den Kampf, kann man sich fragen? Außerdem gibt es solche Spottgedichte in vielen Kulturen auch heute noch. Zum Beispiel auf dem Dorf. Ich habe solche Studien im Kaukasus gemacht, wo sich auf dem Dorf gegnerische Gruppen mit solchen Spottgedichten gegenseitig ansingen. Das sind immer Männer, die das machen.«

Gaier: »Das ist nicht wahr. Es waren sehr häufig die Frauen, die da gespottet haben. Die standen auf den Palisaden, hinter der Brüstung gewissermaßen, und schrien und spotteten gegen die Feinde.«

Titze: »Bei den Teutonen zum Beispiel!«

Gaier: »In der Tat. Gerade diese germanischen Frauen, die haben da gewaltig mitgebrüllt.«

Kotthoff: »Ich kenne diese Traditionen eher aus der modernen Zeit, wo es um mündliche Spottrituale geht, das ist z.B. untersucht worden für Afro-Amerikaner. In amerikanischen Großstädten, unter türkischen Jugendlichen. Das nimmt dann sehr oft sehr obszöne Formen an. So etwas gibt es eben in Georgien auch und da sind das fast ausschließlich männliche Formen. In Amerika wird das heute beobachtet, dass sich das derzeit ändert und Frauen zunehmend auch daran teilnehmen. Aber ich wollte trotzdem noch etwas zu dieser aggressiven Bedeutung sagen. Es gibt drei Entwicklungslinien für die Erklärung von Humor. Humor hängt ja irgendwie mit dem Lachen zusammen, wenngleich sich das nicht voll überlappt. Da muss man unbedingt differenzieren. Aber es gibt einen Zusammenhang und ich denke, Aggression war immer eine Erklärungslinie. Die andere ist z.B. Entspannung, Spaß usw.
Ich denke, dass diese Dimension, also Lachen, um des Lachens willen, das die in vielen Wissenschaften nicht das richtige Gewicht bekommt und in ihrer Bedeutung nicht adäquat eingeschätzt wird. Spiel, Freude am Spielen, was auch ganz zweckfrei sein kann, das spielt im Alltag auch eine Rolle. Der aggressive Typ ist nicht der relevanteste. Das zum einen. Dann glaube ich in der Tat, dass auch heute noch unter Jugendlichen, aber auch unter Erwachsenen, dass die sehr aggressiven Formen von Lachen und Spott, Satire usw., dass das eher eine männliche Domäne ist.«


Titze: »Das würde ich so nicht sehen. Ich würde es tendenziell anders sehen. Es ist sicher so, dass die sehr handfesten Formen der Verspottung, die dann mit einem Lachen einhergehen, eher von männlichen Kindern und Jugendlichen kommen. Aber andererseits ist die subtilere Form des Auslachens, das Kichern und Belächeln gerade bei Mädchen sehr verbreitet ist. Es ist sicher so, dass Mädchen sehr viel subtiler sind in ihrer Verspottung, in ihrem destruktiven Humor. Ich kann nur aus meiner Praxis berichten. Ich höre oft von Frauen, wie sie in der Phase der Sozialisation immer wieder gemerkt haben, im Lachen, im Gekicher der anderen Mädchen, ausgeschlossen zu werden.«

Kotthoff: »Ist es nicht auch so, dass Frauen, im Gegensatz zu den Männern, viel eher in Therapie gehen und viel bereiter sind, über solche Negativerfahrungen zu reden?«

Gaier: »Das besagt doch dann gerade, dass das nicht stimmt, was Sie vorher gesagt haben, dass es hauptsächlich eine Männersache sei. Wenn so viele Frauen kommen, dann muss es ja doch unter Frauen ebenso verbreitet sein. Darum ging es ja zunächst einmal. Was mir jetzt in den beiden Stellungnahmen wichtig ist, ist zweierlei. Darauf möchte ich antworten. Erstens mal der Normaspekt. Herr Titze, Sie haben vorher gesagt, dass es der Wehrlose ist, der unter Umständen diesen Verspottungen ausgesetzt ist. Man hat eben dann wehrhaft zu sein, also man muss sich durchsetzen, sich wehren können, usw.
Wer das nicht kann, wird verspottet. Das ist also die Norm, die da im Hintergrund steht. Hier ist, glaube ich, dieser Aspekt des Verlachens als dasjenige, was die Normen innerhalb einer Gruppe, oder bis hin zu Gesellschaften, Kulturen zu stabilisieren versucht.
Das Verlachen ist sozusagen ein Lachen dieser Kultur von oben herunter, auf den Unterlegenen, oder von innen heraus, auf den, der vollends ausgegrenzt wird. Ein Lachen, das diese Normen stabilisiert. Das hat Dürrenmatt, um wieder auf meine Komödien zu kommen, bezeichnet, als ein Lachen in der Gesellschaft, oder Komödie in der Gesellschaft, die die Gesellschaft stabilisiert und eben den nicht normgerechten ausgrenzt. Er hat darin unterschieden, die eigentlichen, also diejenigen, um die es ihm, Dürrenmatt, ging, die eigentlichen Komödien, die Komödien der Gesellschaft. Da nämlich, wo einer nicht von oben nach unten lacht, sondern von untern nach oben und die Gesellschaft als solche in Frage stellt. Also die ganzen Normzusammenhänge dieser Gesellschaft in Frage stellt, und da hat er ein paar aufgezählt, nämlich: Aristophanes, Shakespeare und natürlich Dürrenmatt, der solche Komödien der Gesellschaft schreibt. Ich finde das sehr interessant und wichtig. Es gibt also auch ein Lachen, das gewissermaßen ins Chaos führt, und das einer Gesellschaft insgesamt sagt, du stimmst nicht mehr, und tu etwas dazu, dass du dich veränderst, und dass du dich neu konstituierst. Das war der eine Aspekt.
Der andere Aspekt ist der, den Sie vorhin angesprochen haben, mit dem spielerischen Lachen. Ich glaube, dass sich das mit einer Form der Aggressivität verbinden lässt. Und zwar dieser positiven Aggressivität, die sich über den Dingen fühlt, die sich gut fühlt, die sich über eine Sache hinwegsetzen kann und im Spiel ihre eigene Überlegenheit, ihre eigene Verfügung über sämtliche Köperkräfte und geistigen Kräfte usw., demonstriert. Ich glaube, dass lässt sich durchaus miteinander verbinden. Es gibt unendlich viel verschiedenes Lachen.«

Kotthoff: »Da muss man einen irre weiten Aggressionsbegriff annehmen. Dann kann man alle Lacharten oder alle Humorarten auch in irgendeiner Art und Weise mit Aggression in Verbindung bringen. Ich würde das nicht machen, aber ich stelle das allen Leuten frei, wenn sie das so sehen wollen. Ich möchte noch einmal zurückkommen auf die Spottformen unter Mädchen. Das ist sicher so. Ich würde natürlich nie so weit gehen und sagen, das gibt es unter Mädchen nicht. Natürlich gibt es das. Natürlich sind die ganz subtilen Formen besonders Nachdrückliche, mit lang anhaltender Wirkung. Und natürlich gibt es auch unter Mädchen irgendwelche Formen von Ausschluss. Sie haben jetzt gerade von Gesellschaften gesprochen Herr Gaier, aber man kann das auch einfach auf Gemeinschaften übertragen. Gemeinschaften konstituieren in gewisser Weise ihre Normalität u. a. dadurch worüber sie lachen. Und sie grenzen sich von anderen Gemeinschaften ab, von progressiven, konservativen usw.
Um noch mal auf die Geschlechterdimension zurückzukommen. Ich denke, und das zeigt sich im Alltag, das kann man auch wissenschaftlich aufzeigen, der Humorist ist jemand, der sozial sehr gut auftreten kann. Er hat ein bestimmtes Redetalent, kann sich selbst unheimlich gut darstellen, kann sogar ganze Runden erheitern und unterhalten. Es kommt nicht von ungefähr, dass man in ganz unterschiedlichen sozialen Milieus mehr Männer in dieser Rolle findet als Frauen. Das geht rauf bis zu den offiziellen Bühnen beim Theater und im Fernsehen, wo wir bis auf den heutigen Tag sehr viel mehr Kabarettisten haben. Kabarettistinnen sind im Kommen. Das ist historisch ein relativ neues Phänomen und wenn man sich anschaut, was die für Chancen im Fernsehen haben, z.B. auch im deutschen Fernsehen, dann ist es noch nicht so dolle um sie bestellt.
Da ist aber eine Bewegung, da ist etwas im Kommen, dass sehe ich auf jeden Fall so. Um noch einmal auf Jungen- und Mädchencliquen zurückzukommen. Es gibt sehr viele soziolinguistische Untersuchen, die besagen, wie es in Mädchen- und Jungencliquen zugeht. Man hat in Jungencliquen sehr aggressive Formen der Abgrenzung von schwächeren Jungs nach unten hin gefunden. Sie genießen in der Clique die wenigste Anerkennung und werden dann für alle anderen Jungs zum Neckopfer oder zum Frotzelopfer. Das kann richtiggehend ritualisiert werden. Die werden dann monatelang verspottet. So etwas hat man z.B. in Fußballgruppen beobachtet. Das kann sich ändern, wenn sie z.B. gut im Fußball sind. Dann kann sich die ganze Sozialstruktur wieder ändern. Aber ein solches Einhergehen von einer ritualisierten Lachordnung, Hackordnung fast schon, die so einen Jungen über einen längeren Zeitraum in einer untergeordneten Position belässt, hat man in Mädchencliquen bislang nicht gefunden.«

Titze: »Vielleicht sollten wir noch einmal auf den Begriff der Norm kommen. Die soziale Norm ist etwas Entscheidendes. Ich würde lieber den Begriff Gewissen, oder auch Über-Ich verwenden. Das Gewissen ist ja die Verinnerlichung sozialer Normen. Was man zunächst von den Eltern bekommt, das sind oft sehr private Normen, die ganz anders sein können als die Normen, die in einer Gesellschaft, auch in einer Subkultur wichtig sind und befolgt werden müssen, damit man dazugehört. Es ist so, dass das Lachen eigentlich nur zu erklären ist, mit der Funktionsweise des Gewissens. George Orwell hat einmal gesagt, das Lachen ist eine winzige Revolution. Es ist auf jeden Fall ein anarchischer Zustand. Jemand der richtig lacht, der überlässt sich ganz seinem Körper. Er denkt nicht mehr, sondern es lacht. Wir machen z.B. Lachgruppen oder Lachrunden, in denen eine halbe Stunde am Stück gelacht wird. Mit bestimmten Techniken ist das möglich. Dann sagen die Patienten, am Anfang hatte ich mich noch an den anderen orientiert, hatte mich immer wieder hinterfragt, wie wirkt das, was ich hier mache? Aber irgendwann macht es Klick und dann bin ich - ich selber, und es ist dann völlig egal, was die anderen über mich denken. Wenn jemand aber z.B. in einem Restaurant, wo die Leute ruhig und ernst tafeln, sehr laut zu lachen beginnt, dann wird er unweigerlich Anstoß erregen. Viele werden sich nach ihm oder nach ihr, eher nach ihm, weil in der Tat Frauen so etwas weniger machen, umdrehen und vielleicht den Kopf schütteln. Nun ist es aber natürlich so, dass auch ein Mädchen ein Gewissen hat. Ich würde sagen, dass das Gewissen von Mädchen, verglichen mit dem Gewissen von Jungen, von internalisierten Normen voll ist, die möglicherweise sehr viel rigider sind als die von einem 10 - 12jährigen Jungen, der ja ein Lausbub sein darf, der aggressiv sein darf und der möglicherweise, nicht nur von Papa, sondern auch von Mama dazu angehalten wird, sich in einer eher aggressiven Weise in eine Bezugsgruppe einzubringen und sich dort auch durchzusetzen. Ich meine, jetzt käme natürlich die Frage, ist Aggressivität etwas per se Schlechtes? Wenn wir das als eine reine Selbstbehauptungstendenz sehen, dann würden wir sagen, es geht gar nicht ohne Aggressivität. Aggressivität wird ja auch zuweilen in unserer Gesellschaft sehr positiv gesehen. Wenn man z.B. von aggressiven Verkaufsmethoden spricht, oder wenn man sagt, jemand hat sich auf eine aggressive Weise in den Vordergrund gebracht, denken wir an Politiker, dann wird man sehen, dass das eine sehr widersprüchliche Sache ist.
Einerseits kann Aggressivität destruktiv sein, ohne Frage sogar. Andererseits ist es so, wenn jemand in einem vollbesetzten Saal als Diskussionsteilnehmer das Wort ergreift und sich dann mit jemanden anlegt. Das ist natürlich auch eine Form von Aggressivität und zwar einer Aggressivität, die manchmal sehr nützlich und sinnvoll ist. Denken wir z.B. auch an einen Menschen, der Zivilcourage zeigt, der sich gegen Ungerechtigkeit wehrt usw.
Das Gewissen eines Menschen der verlacht wird, ist so stark entwickelt, dass dieser Mensch es verlernt hat, sich aggressiv durchzusetzen. Die Norm, du darfst niemanden etwas Böses antun, ist überaus stark entwickelt. Das geht ursprünglich auf Auseinandersetzungen mit Eltern zurück, die immer dann sehr gekränkt und beleidigt reagierten, wenn ihr Kind sich trotzig durchzusetzen versuchte. In ihrem späteren Leben haben diese Menschen dann Angst vor ihrer eigenen aggressiven Lebenskraft, ihrer Fähigkeit zur Selbstbehauptung. Denn sich fürchten, sich unbeliebt zu machen.
Ein Patient sagte mir vor ungefähr einem Jahr: Ich kam mir immer vor, wie ein Jäger ohne Gewehr. Er sagte nicht Soldat ohne Gewehr, er sagte, wie ein Jäger ohne Gewehr. Denn er wollte damit ausdrücken: Ich konnte mich nicht am Leben erhalten. Ich war jemand, der das Instrument der Selbstbehauptung, nicht bzw. nicht mehr besitzt.
An dieser Stelle möchte ich an ein sehr bemerkenswertes Buch erinnern, geschrieben von Fritz Zorn. Es trägt den Titel Mars. Zorn ist ein Pseudonym - Mars ist der Kriegsgott. Der Autor wuchs irgendwo am Züricher See im Schoße einer steinreichen Schweizer Familie auf, wo allergrößter Wert auf gesittete Umgangsformen gelegt wurde. Die Erziehung war ansonsten unspektakulär, es gab niemals Schläge oder böse Worte, denn 'böse' sein, sich miteinander streiten war in dieser Familie völlig verpönt. So konnte Fritz Zorn kein konstruktiv aggressives Verhalten einüben, und er konnte das Streiten nicht lernen. In seinem Buch bemerkte er: 'So wie ein Trompeter Trompete spielen lernen muss, um Konzerte zu geben, so muss ein Mensch, der sich in der Gesellschaft durchsetzen will, das Streiten gelernt haben. Ich habe es nie gelernt.'

Kotthoff: »Das sagen übrigens viele Therapeutinnen auch über Frauen, dass sie das Streiten nicht gelernt haben, dieses aggressive Durchsetzen nicht gelernt haben. Insofern gebe ich Ihnen auch recht. Das sind Komponenten, die sicher zu den Leuten gehören, die andere viel zum Lachen bringen. Die haben gelernt sich einzubringen, sich gut darzustellen und sie haben eben diese Aggressivität, die man sich sehr gut zunutze machen kann, ohne, das sie für andere schädlich wird. Sie haben vorhin Fritz Zorn angeführt. Ich meine, es gibt einfach sehr viel Frauen, die diese Persönlichkeitskomponenten nicht ausbilden konnten. Zumindest nicht im gleichen Maße ausbilden konnten. Unsere Stereotypen über Männer und Frauen sehen Frauen auch nicht so. Als Unterhalterinnen in der Runde, als diejenigen, die die Lacher und Lacherinnen immer auf ihrer Seite haben und die auch ein bisschen zum Spott gehen dürfen, denn das wirkt ja sehr aggressiv. Aggressivität wird sowieso mehr mit Männlichkeit verbunden und ich denke, da sehen sich auch viele Frauen vor, also sie haben wahrscheinlich Angst vor den Reaktionen. Das kann zum Schlagabtausch führen und man muss sich ja darin sicher sein, dass man wieder zurückschlagen kann, auf witzige Weise. Das sind alles Fähigkeiten, die man in der Sozialisation entweder ausbildet oder nicht ausbildet. Dann hat man die als Erwachsener und kann sich damit entweder einbringen oder auch nicht.«

»In S2 Forum unterhalten sich heute ein Therapeut, eine Linguistin und ein Germanist über das Gelächter der Geschlechter. Sind Frauen weniger schlagfertig, Herr Gaier? Dürfen Frauen nicht wagen, so laut wie Männer zu lachen?«

Gaier: »Ich gebe das ohne weiteres zu. Es gehört, mindestens in der älteren Generation bei uns, nicht zum Bild der Frau, dass sie eine solche Art von Alleinunterhalter, Witze-Erzähler oder derartiges ist, wie das Männer manchmal können und berufsmäßig machen. In dem Sinne würde Sie, da komme ich wieder mit meinem Normbegriff, eben aus der üblichen gesellschaftlichen Norm herausfallen und damit zum Gegenstand einer Ausgrenzung, bis hin zum Verlachen, werden.«

Kotthoff: »Sie muss Geschlechterrollen-Normen verlassen und das muss der Mann nicht.«

Gaier: »Es gibt für den Mann auch eine Geschlechterrolle. Das müssen Sie akzeptieren.«

Kotthoff: »Das akzeptiere ich. Aber die ist in dem Fall umgekehrt. Der aktive Humorist ist männlich. Die aktive Humoristin ist aber nicht unbedingt weiblich.«

Gaier: »Ja, das ist durchaus so und das gehört in unsere Gesellschaft. Das bringt mich wieder auf den Gewissensbegriff, den Sie eingebracht haben. Mir ist der zu allgemein menschlich. Ich meine, dass die Normen, um die es geht, in denen eine Gesellschaft, bis hin zu einer kleinen Gruppe, durchaus geschichtlich sind und sich geschichtlich wandeln können. Frau Kotthoff hat vorhin gesagt, dass ändert sich jetzt z.B. mit den Kabarettistinnen, oder mit den Frauen, die sich mehr als Lachende, manchmal auch als laut Lachende in der Gesellschaft zu zeigen. Früher gehörte es sich nicht, dass eine Frau in der Gesellschaft...

Kotthoff: »Das steht in Etikettebüchern.«

Gaier: »Ja. Das kann man nachlesen. Das ist ganz klar. Deswegen ist mir der Begriff Gewissen ein bisschen zu hoch gegriffen. Über-Ich würde ich viel eher akzeptieren, weil das eben auch einen historisch sich wandelnden Charakter annimmt. Während Gewissen, das nimmt man so gewissermaßen im alten religiösen oder sittlichen Sinne als die allgemein menschliche Beziehung jedes einzelnen auf die Allgemeinheit der Menschheit, ohne einen historischen Wandel anzusetzen. Ich denke wirklich, das Lachen ist bezogen auf dass, was einen in einer bestimmten Gesellschaft zu der Art Mensch macht, was auch zu seiner Rolle gehört. Wir müssen die Geschlechterrollen durchaus einbeziehen. Meine These ist, beim Lachen verteidigt einer sein Menschsein. Er wehrt sich unter Umständen gegen dass, was das angreift, was ihn zu dem Menschen, oder in seiner Rolle zu dem Menschen macht, der er sein soll, oder es bestätigt ihn in seinem Menschsein.
Ich persönlich denke, dass das angreifende Lachen, das wir vorhin auch als Verlachen bezeichnet haben, und dieses Lachen schlicht aus Freude und Selbstbestätigung, aus einer einzigen Quelle kommt. Eben aus dem, dass der Mensch sein Menschsein erhalten will. Ich verstehe unter Menschsein dieses ganz bestimmte historische, was er in dieser Gesellschaft gelernt hat, was seine Rolle ist.«

Kotthoff: »Aber auch meine Subjektivität. Es geht auch um ein aus der Rolle heraustreten. Sich als Subjekt zeigen mit Dimensionen, die bestimmte Rollen auch verlassen. Eigenart zeigen. So würde ich es beschreiben.«

Gaier: »Können Sie ein Beispiel geben?«

Kotthoff: »Wenn man z.B. gefrotzelt wird, wegen irgendeiner Eigenart, die man hat und man kann da mitlachen, man zeigt vielleicht Selbstironie in irgendeiner Weise, dann ist das so eine gegenseitige Bestätigung in ganz subjektiven Dimensionen. Meinetwegen jemand wird gefrotzelt, er habe ein opulentes Sozialleben, was bedeutet, es sei toll, dass er überhaupt mal dabei ist. Und er steigt dann mit ein in die Frotzelei, dann denke ich, er gibt sich eine Anerkennung einer sehr subjektiven Seite, dass er nämlich ein sehr zurückgezogener Mensch ist, der aber gleichzeitig akzeptiert, dass man darüber witzelt und selbst auch darüber witzeln kann und dadurch auch eine gewisse, wahrscheinlich sehr gesunde Distanz zu eigenen Eigenschaften zeigt.«

Titze: »Vielleicht sollten wir noch einmal bei dieser Frage bleiben, ob das Gewissen, oder der Begriff des Gewissens, verwendbar ist. Ich greife gerne Ihre Anmerkung über die Subjektivität auf. Es ist ja so, dass ein Mensch, der über andere lacht, der auch über eine Situation lacht - eine Situation, die er anders wahr nimmt, als es viele andere tun - in gewisser Weise gewissenlos ist. Freud hat von einem ersparten Mitleid gesprochen, als er den Humor definierte. Mitleid und Gewissen haben etwas miteinander zu tun. Henry Bergson, der wahrscheinlich die wichtigste Abhandlung zum Thema Lachen geschrieben hat, sprach von der Anästhesie des Herzens.«

Kotthoff: »Die sprechen alle vom Auslachen. Bergson sprach nie vom Mitlachen. Das wäre mein Vorwurf an Bergson.«

Titze: »Vielleicht bleiben wir erst einmal bei dieser Voraussetzung. In dem Augenblick, indem ich mich entscheide zu lachen, muss ich mein Denken weglassen. Das Gewissen im besonderen und das Wissen im allgemeinen haben kausal miteinander zu tun. Es ist nicht nur so, dass wir davon ausgehen können, dass es eine Ansammlung von verinnerlichten Normen ist, die uns erlaubt, zu lachen, oder nicht zu lachen oder uns die Möglichkeit gibt, die Entscheidung zu lachen bewusst zu treffen. Es ist etwas sehr Spontanes, eben Subjektives.
Unter dieser Voraussetzung kann ich genau so lachen, wie ein Kind über einen Clown lacht! Auch ein Clown tut vieles, was zunächst vielleicht sehr aggressiv wirkt: Wenn er mit einem Hammer (der natürlich nur aus Schaumgummi besteht!) einem anderen auf den Kopf schlägt, spielt er ein Spiel, ein Spiel freilich, das ohne Frage aggressiv ist. Doch in diesem Augenblick beginnen Kinder in aller Regel zu lachen, weil sie wissen, jetzt brauche ich kein Mitleid zu haben, jetzt brauche ich mir nicht zu überlegen, tut es dem anderen weh, wird er geschädigt usw. Da sich die Zuschauer das Mitgefühl ersparen dürfen, wie Freud es formulierte, kann sich das Lachen eruptiv entfalten. Dabei wird reine Lebensenergie freigesetzt, die nicht mehr gebunden wird über eine Reflexion über das Gute und das Böse, über das Erlaubte und das Verbotene.
Ich finde übrigens, es ist phänomenologisch gesehen sehr viel einfacher zu fragen, was geschieht bei einem Menschen, der loslacht? Was bei ihm geschieht ist, dass er das Denken und vor allem das moralische Empfinden.«

Kotthoff: Ich muss jetzt auch einmal aus meinem Fach heraus reden. Ich bin Gesprächsanalytikerin. Wir arbeiten mit Aufnahmen von natürlichen Gesprächen. Wir haben sehr viele Lacharten in diesen Aufnahmen. Dieses herausprustende laute Lachen, das ist ein Typ, der gar nicht so dominant ist. Es ist z.B. auch so, dass das Lachen nicht immer Reaktion ist. Das Lachen rahmt eine bestimmte Äußerung als solche, d. h., es gibt einer Äußerung z.B. die Lesart, was ich hier sage, ist jetzt ein bisschen komisch, ist auch komisch gemeint. D.h., wir lachen nicht nur als Reaktion, sondern auch Initial. Wir können in unsere Äußerungen Lachpartikel integrieren. Es handelt sich dabei um Äußerungen, Einleitungen, die man schlecht nachmachen kann, ich hab's gerade versucht. In solchen Äußerungen oder Einleitungen stecken bereits Lachpartikel, so dass die Hörer und Hörerinnen informiert werden, jetzt kommt etwas lustiges. Da ist dann Lachen immer wieder integriert. Das ist ein Beispiel dafür, dass es nicht nur das eine Lachen gibt, wo man kein Mitleid hat und wo das Gewissen in irgendeiner Weise spricht. Lachen ist vielschichtiger.«

Titze: »Dann müssen wir uns aber überlegen, wie wir Lachen definieren wollen. Es gibt sicher Formen der Kommunikation, ...

Kotthoff: »Phänomenologisch - Ha-Ha-Ha ...«

Titze: »Es gibt sicher Formen der Kommunikation, die das Lachen, oder den Ausdruck des Lachens, oder das Ha-Ha-Ha oder Hi-Hi-Hi - es gibt ja viele Möglichkeiten ...«

Gaier: »Das sind diese unsäglichen Transkriptionen, die die Linguisten verwenden ...«

Kotthoff: »Ja, genau! Aber mit denen kommen wir in der Analyse sehr weit ...«

Titze: »Darf ich noch zu Ende führen? Ich denke in diesem Zusammenhang auch an das Lächeln. Das Lächeln hat ja zunächst einmal etwas mit dem Lachen zu tun. Es ist ein unterschwelliges Lachen, wenn man die romanischen Sprachen nimmt, z.B. sorriso im Italienischen, aber das hat mit dem Lachen an sich gar nichts zu tun. Ich habe bei Ihnen auch gelesen, dass in Kulturen, in denen die Frauen sehr an bestimmte Normen herangeführt sind, in Süd-Ost-Asien z.B., sehr viel gerade von Frauen gelächelt wird. Aber diese Frauen haben eben nicht viel zu lachen. Ich kann z.B. ein verlegenes Lachen einsetzen als eine Kommunikationsform. Aber das hat mit dem Lachen nichts zu tun, es kann im Gegenteil lächerlich wirken, wenn ich in einer bestimmten Situation, in der ich mich nicht zum Lachen aufgelegt fühle, dann so tue, als ob ich lachen würde. Ich glaube, das müssen wir differenzieren.«

Gaier: »Sie haben es gerade zu recht gesagt, wir müssen wissen, wie man das Lachen definiert.«

»Herr Titze, Sie beschreiben Lachen als etwas, das ausbricht. Als Situation, in der der Mensch an seinem Verstand vorbeilacht. Frau Kotthoff bringt was anderes ins Spiel. Das Lachen als eine in die Kommunikation eingebrachte Information. Herr Gaier, wie definieren Sie nun Lachen?«

Gaier: Ich glaube, man muss einfach sehen, dass das Lachen auf verschiedenen Ebenen passiert. Das passt eben auch in meinen Begriff, deshalb hab' ich den auch so gewählt, dass Menschen dann lachen, wenn ihr Menschsein in einer bestimmten Gesellschaft, was sie dafür gelernt haben, wenn das in irgendeiner Weise auf dem Spiel steht. Wenn das Kind anfängt zu lachen, wenn ein Riesenhammer auf einen Schädel kommt und wenn der andere dabei nicht schreit, sondern sich nur irgendwie auf den Kopf fasst, da braucht man kein schlechtes Gewissen zu haben. Da ist dann eben die Normalität außer Kraft gesetzt. Das heißt also, hier sind ganz primitive Grundvoraussetzungen unseres Umgehens mit Gegenständen außer Kraft gesetzt. Oder wenn der Clown über seine zu großen Schuhe stolpert, oder auftritt wie Charly Chaplin. Das sind diese Lachanlässe, die mit unseren aller ersten gelernten Fähigkeiten zusammenhängen, uns aufrecht zu erhalten. Und ich kann mir vorstellen Herr Titze, dass Sie das, weil es tatsächlich am untersten ist von dem, was Menschen lernen, dass Sie das sehr gut und sehr wohl brauchen können als Hebel für die therapeutische Behandlung von Menschen, die quasi das Lachen verlernt haben. Aber es gibt eben höhere Formen.
Da kommt dann die Phase in der man über Fäkalien lacht, also das Dreckgelächter. Man lacht über Sexualität, weil man lernt, all dies in Schamzonen einzugrenzen. Wenn das dann überschritten wird, dann fängt man auch da an, an dieser Grenze dessen, worüber man sich eigentlich schämen müsste, zu lachen.«

Kotthoff: »Da hat man ja im Grunde wieder diese Dimension, dass wir eine Normalität haben und Lachen hat zu tun mit dem Brechen von Normalitäten.«

Gaier: »Was Sie vorhin gesagt haben, das Lachen in einem Gespräch z.B., das, wie Lessing gesagt hat, nicht mit dem Bauch, sondern mit dem Verstand geschieht, da handelt es sich darum, dass wir in der Tat auch lernen, mit unserem Verstand umzugehen, Logik z.B., ernste Kommunikation, nicht ernste Kommunikation. Das ist etwas, was wir unbedingt lernen müssen. Diese Wahrhaftigkeit wird in dem Fall durchbrochen, wenn Sie anfangen, etwas Witziges zu sagen. Der andere soll es um Himmels willen nicht bierernst nehmen.«

Kotthoff: »Es gibt das Lachen auch noch als reine Freundlichkeit. In Begrüßungen z.B. wird unheimlich viel gelacht. In Verabschiedungen ebenso. Dieses Lachen ist nicht im Kontext von Komik und Witzigkeit. Deshalb habe ich vorhin gesagt, Lachen und Humor sowie Komik überlappen sich eben nicht vollständig. Wir haben Lacharten, die mit Komik und Humor nichts zu tun haben. Sie signalisieren nur gesteigerte Freundlichkeit. Insofern hängen die sehr mit dem Lächeln zusammen. Das kommt heraus, wenn man transkribiert.«

Gaier: »Na ja....

Titze: »Man kann auf jeden Fall sagen, dass diese Formen des Lachens eine kommunikative Funktion besitzen ...«

Kotthoff: »Unbedingt! Alle Formen haben eine kommunikative ...«

Titze: »Am Anfang stand das ursprüngliche, wenn Sie wollen: primitive Lachen, als Ausdruck einer triebgesteuerten Befreiung. Daraus entwickelte sich, um es mit Konrad Lorenz zu sagen, ein 'ritualisiertes Triumphgeschrei', das schon eine kommunikative Funktion hatte. Mit der zunehmenden kulturellen Entwicklung der Menschheit wurde der Ausdruckscharakter des Lachens mehr und mehr ausdifferenziert, in der ursprünglichen Stärke des Ausdrucks aber auch mehr und mehr geschwächt, bis es zu den von Ihnen erwähnten Formen gesellschaftlich normierten Pseudolachens kam.«

Kotthoff: »Die haben alle diese Degradationstraditionen ...«

Titze: »Die dann natürlich auch zur Theorie der Komödie sehr viel beitrugen. Auch Thomas Hobbes stellte im 17. Jahrhundert fest: Alles was einer Normabweichung entspricht, also ein Krüppel, oder jemand, der einen Buckel hat, oder nicht richtig sprechen kann, gibt Anlass zum Lachen. Das war eine sehr grausame Zeit, in der man im Theater über jemanden, der Deformationen aufwies, herzhaft lachen durfte.
Erst im 18. Jahrhundert kam man dann überhaupt so weit, darüber zu reflektieren, dass Lachen auch entstehen kann, wenn Inkongruenzen, also Widersprüchlichkeiten wahrgenommen werden. Dass ist das, was z.B. Kant aufgenommen hat oder Schopenhauer. Also sehr spät fing man dann an, die rein kognitive Funktion dessen, was zum Lachen Anlass gibt, zu untersuchen. Ursprünglich war es wohl so, dass nur diese aus dem Bauch kommende Form des Lachens interessant war ...«

Kotthoff: »Und die Degradationsform! Also Lachen wurde immer mit irgendeiner Art und Weise von Abwertung in Zusammenhang gebracht. Und das kann man nur noch historisch betrachten, denn das ist nicht mehr der Stand der Dinge.«

»Jetzt wollt ich mal ganz grundsätzlich eine aggressive lächelnde Frage stellen. Ich hatte ja gesagt, auf den ersten Blick ist Lachen positiv besetzt. Wir reden jetzt seit 45 Minuten davon, dass es doch sehr negativ besetzt ist ...? Da läuft ja offenbar etwas, was man nicht so negativ sehen kann.«

Kotthoff: »Wir hatten das ganz am Anfang schon. Lachen kann eine Inklusions- und Exklusions-Funktion haben. 'In-group' - 'out-group'. Was historisch immer sehr viel stärker gesehen worden ist, das ist diese Traditionslinie von Aristoteles bis Hobbes usw., die diese Degradationsfunktion immer wahnsinnig wichtig genommen hat, oder sogar nur dieses gesehen hat. Wenn man aber Alltagsscherze und Alltagslachen anschaut, dann kommt man nicht daran vorbei zu sehen, eben diese positiven Funktionen, sehr viel stärker zu gewichten, dass man sich im Lachen, im gemeinsamen Lachen, im gemeinsamen Scherzen usw. in irgendeiner Weise als Gruppe, als zusammengehörig definiert. Das kann einhergehen mit einer gleichzeitigen Distanzierung von 'out-goups', muss es aber nicht. Man versichert sich in irgendeiner Weise implizit geteilter Werten. Das muss nicht gleichzeitig mit einer Verspottung von Leuten, die andere Werte haben, einhergehen. Das hängt mit der Themenauswahl usw. zusammen.
Ich hab' z.B. Abendessen unter guten Bekannten untersucht. Und da ist es eben so, dass man im großen und ganzen ähnlich liegt, also von Normen und Werten usw. her. Erst einmal, was für Scherzformen gibt es? Es gibt ja nicht nur Witze, was immer das Lieblingskind der Scherzforschung gewesen ist. Es gibt witzige Anekdoten. Es gibt Aufziehen. Es gibt Veräppeln und Frotzeln.
Es gibt spaßige Formen von Ironie und auch spaßige Satire. Das ist erst einmal rein vergnüglich. So eine Gruppe kann sich über Stunden in Albernheiten hineinsteigern und das gilt zum Glück als unheimlich schöner Abend. Das ist vielleicht auch mal wichtig zu sagen, dass es nicht immer nur um irgendwelchen Informationsaustausch oder gehobene Unterhaltung geht, sondern dass man sich in Blödeleien auch reinsteigern kann, da entsteht eine bestimmte Stimmung der Heiterkeit. Dann jagt ein Gag den nächsten, man kommt in eine Stimmung, in der man Wortspiele produziert und, und, und.
Da würde ich jetzt mal behaupten, das hat mit Aggression nur noch ganz wenig zu tun. Das hat mit Spaß am Spiel zu tun.«

Titze: »Da würde ich sehr gerne gleich Bezug darauf nehmen. Ich fand es wunderbar, wie Sie das gesagt haben. Und ich gehe jetzt von meiner therapeutischen Arbeit aus, die sich orientiert an der Therapieform der kreativen Aggressivität von George Bach, in der ausschließlich mit humorbezogenen Aggressionsübungen gearbeitet wird. Wir machen das auch. Die Patienten, die kommen, sind am Anfang wie versteinert. Sie sitzen da, sie haben wirklich nichts zu lachen, sie haben auch kaum Lust und die Bereitschaft, mit anderen in einen kommunikativen Konnex zu treten, oder gar mit ihnen gemeinsam zu lachen. Nachdem wir, mit zum Teil sehr harten Aggressionsübungen gearbeitet haben, nachdem wieder ein Anschluss an diese kreative Aggressivität, an diese Selbstbehauptungsfähigkeit gefunden wurde, ergibt sich, ohne dass das direkt intendiert oder manipuliert wird, ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Es ist dann so, dass nach etwa einem halben Jahr Zugehörigkeit zur Gruppe von vornherein sehr viel spontanes Lachen entsteht. Die Teilnehmer gehen dann hinterher noch zusammen etwas trinken und essen und sie rufen sich an und es ist eine Gruppenkohäsion da, die sehr bemerkenswert ist. Ich denke mir immer, niemand hat den Leuten das vorgeschrieben. Niemand hat ihnen gesagt, sie müssen es so machen. Diese Kohäsion ergab sich, nachdem die Gruppenteilnehmer keine Angst mehr vor Aggression hatten (wie übrigens der Titel eines Buches von George Bach lautet).«

Kotthoff: »Aber die Heiterkeit löst auch die aggressive Stimmung ab und die Leute kommen über das Lachen in eine andere Stimmung.«

Titze: »Beides ist in einem sehr engen Zusammenhang zu sehen und man könnte sogar sagen, dass das eine ohne das andere nicht möglich ist.«

Kotthoff: »Nö, ich sehe das anders. Ich glaube wirklich nicht, dass alle Lacharten immer mit Aggression zu tun haben und ich finde es schade, dass diese Heiterkeitsdimension so zurückgeschraubt wird auf die aggressiven Seiten. Ich denke, dass der Spaß am Spiel, Freude, genießen von Stimmung und Formulierkunst ... das ist ganz wichtig im Humoristischen, witzige Formulierungsverfahren, da sind wir auch wieder beim Anthropologischen, da kommt so eine ganz kreative Seite des Menschen zum Ausdruck ...«

Titze: »Das ist aber nur möglich, wenn ich keine Angst davor habe, lächerlich zu erscheinen und aufgrund meiner Lächerlichkeit den anderen Anlass zu geben, mich in ihrem Lachen abzulehnen. Dann kann ich bei mir selbst eine heitere Stimmung entwickeln, die auch etwas mit Gelassenheit zu tun hat. Und dann kann ich auch die Möglichkeit ins Auge fassen, mich aktiv in eine Gruppe einzubringen.«

Gaier: »Herr Titze vertritt die eine Seite und Frau Kotthoff die andere Seite. Ich denke, wenn ich vorhin gesagt habe, im Lachen verteidigt der Mensch oder bestätigt der Mensch das, was er als Mensch gelernt hat.
Und wenn er verteidigt, dann ist das eine Aggression. Wenn er bestätigt, dann ist das keine Aggression mehr. Es kommt dann zu Leichtigkeit und Behaglichkeit, weil man sich mit sich selber und mit den Menschen, die einen umgeben, in einem harmonischen Verhältnis fühlt. Dieses harmonische Verhältnis wird dann gefeiert durch das Lachen.«

Kotthoff: »Also ich gehe auf jeden Fall insofern mit, dass ich auch denke, dass sich im Lachen das Subjekt in irgendeiner Weise zeigt und zwar Mann und Frau. Das kann etwas mit Aggression zu tun haben, in Bezug auf Selbstbehauptung usw., muss es aber nicht.«

Titze: »Ich würde sagen, vielleicht kann ich das zum Abschluss so formulieren: Unser Subjektsein zeigt sich im unverletzten inneren Kind, das manchmal auch als das göttliche Kind bezeichnet wird. Dieses Kind ist weder männlich, noch weiblich, sondern es ist reines Ich-Subjekt.«

Kotthoff: »Doch. Aber es darf auch männlich und weiblich sein. Und es darf auch ein Unterschied dabei sein.«

ENDE