ORF1 - Salzburger Nachtstudio, 14.02.2007
Lachen, Scherzen, Witze reißen (gekürzt)
Gestaltung: E. Nöstlinger & T. Plasil
Michael Titze: »Was macht einen Clown aus? Nichts anderes, als die Kunst des Stolperns, also das, was immer auch als Symptom angesehen werden kann, so zu zelebrieren, das es eben zu einer Kunst wird. Und ferner: die Lust am Scheitern.«

Sprecherin: »Was hier der Psychotherapeut Michael Titze anspricht, erweckt nicht nur die Heiterkeit des Betrachters, sondern kann auch Vorbild sein. Wann aber hört der Spaß auch und was ist eigentlich Humor? Seit mehr als 3000 Jahren wird daran geforscht. Noch heute scheiden sich die Geister. Michael Titze, Psychotherapeut und Spezialist für therapeutischen Humor in Tuttlingen, sieht die Schwierigkeit für eine einheitliche Definition vor allem darin, dass manche nur die gute Seite des Humors als solchen gelten lassen wollen und nicht auch den bösen Scherz.«

Michael Titze: »Inzwischen hat es sich eingebürgert, dass man den Humor als einen Sammelbegriff für sämtliche Formen der Humorreaktion oder auch der Erheiterung bezeichnet, also für all das, was zum Lachen führt. Die Humorreaktion ist die Voraussetzung für ein Lachen oder ein Lächeln oder ein Grinsen. Alles das, was Erheiterung herruft, ist Humor, und dazu gehören eben auch diejenigen Formen, die man als schwarzen Humor bezeichnet: Ironie, Sarkasmus, Zynismus und all das, was man normalerweise vom ethischen Standpunkt her als negativ einschätzt.«

Sprecherin: »Warum lachen die Menschen? Sie lachen, wenn sie sich amüsieren, freuen, scherzen. Sie lachen aber auch dann, wenn es eigentlich nichts zu lachen gibt. Dann, wenn sie unsicher, nervös und in der Enge sind, aber auch dann, wenn sie flirten. Sie lachen, wenn sie erleichtert oder überrascht sind und sie lachen andere aus, um sie zu erniedrigen, um sich selbst zu erhöhen.
Das Lachen des Kindes ist die Freude der Mutter. Es ist die erste Kommunikationsform die beide glücklich macht. Lachen ebnet Wege, um zueinander zu finden, ist Teil des Menschseins.«

Michael Titze: »Ontogenetisch ist es so, dass die Fähigkeit zum Lachen angelegt ist. Das Lächeln ist Vorform des Lachens. Das kennt man von Babys, die schon nach der 6. Woche im Ansatz zu lächeln vermögen. Und spätestens mit 6 Monaten ist das Kleinstkind in der Lage richtig zu lachen. Das setzt jedoch immer den Blickkontakt voraus, der die Funktion hat, zwei Menschen, in diesem Fall Mutter und Kind, zusammen zu schmieden.«

Sprecherin: »Das ist jedoch nicht immer so. Früh schon lernen Kinder, dass Lachen nicht nur wohlgemeint sein kann, sondern auch herablassend. Oft genug kommen sie sich ausgelacht vor. Caroline Rusch, Sprachwissenschaftlerin und freie Autorin schildert solch frühe Verletzungen.«

Caroline Rusch: »Wer kennt das nicht: Jeder hatte im Kindergarten so eine arme Seele, die von den anderen Kindern ausgelacht wurde. Wenn man sich selber in peinlichen Situationen wiederfindet, möchte man am liebsten im Boden versinken. Es gibt wahrscheinlich nichts schrecklicheres, wie eben als dieser Hofnarr in der Mitte von Menschen zu stehen und wirklich dann nur noch sagen zu können: Pietá, Pietá, Erbarmen! Bitte hört auf zu lachen!
Das ist wohl die äußerst schmerzliche Seite einer Kindheit. Kinder sind ja bekanntlich nicht besonders zimperlich. Das Lachen in der Gruppe ist ja etwas, was zum einen integriert, die Gruppe selber, aber auch ausschließt, nämlich den, über den gelacht wird.«

Sprecherin: »Die Schattenseite des Lachens ist aggressiv, einschüchternd, traumatisierend. Je mehr ein Mensch versucht, dieser Schattenseite des Lachens zu entkommen, nicht zum Außenseiter zu werden, der Peinlichkeit und Lächerlichkeit zu entgehen, desto verkrampfter, auffälliger und komischer wird er. Man rutscht in die Rolle des Stadtneurotikers, eine Rolle, die uns Woody Allen in seinen Filmen brillant vor Augen führt.«

Michael Titze: »Der sogenannte Neurotiker ist nichts anderes als jemand, der auch aufgrund seines zwanghaften Anspruches perfekt zu sein, unfreiwillig komisch ist. Er ist also im Grunde ein unfreiwilliger Clown. Dazu gehören die Menschen, die sich (wie Viktor Frankl es ausgedrückt hat) getrieben vom faustischen Drang zur Hundertprozentigkeit dermaßen kontrollieren und dermaßen viel von sich verlangen, dass sie dann nicht mehr das zeigen können, was Henri Bergson als die natürliche Elastizität bezeichnet hat. Diese kommt nur zustande, wenn ich mir nicht überlege, wie ich auf andere wirke. Viele unserer Patienten sprechen dieses Phänomen an, wenn sie berichten, wie sie durch einen vollen Saal gegangen sind und versuchten, sich möglichst natürlich und unauffällig zu verhalten - und dann dennoch über Stühle fielen oder irgendwas runterrissen. Es gibt das Motto: 'Nichts ist so sichtbar wie das, was wir verheimlichen möchten!' Wenn jemand also verheimlichen möchte, nicht perfekt zu sein, und unbedingt das Gegenteil von komisch sein möchte, kommt paradoxerweise genau das zustande, was man vermeiden möchte. Frankl hat das als ein Paradoxon bezeichnet. Und er hatte die geniale Idee, den Betroffenen zu raten: 'Wenn Sie ohnehin in diese komische Position gekommen sind, hat es keinen Sinn, dagegen anzukämpfen. Denn damit rufen Sie noch mehr Zwang, noch mehr Kontrolle hervorgerufen ... Frankl brachte daher ein Gegenparadoxon ins Spiel, indem er den Betroffenen riet, sich zu sagen: 'Wenn ich schon komisch bin, dann will ich mich nicht zwingen, nicht komisch zu sein; dann will ich im Gegenteil alles daran setzen, allen mal so richtig zu zeigen, dass ich ein Weltmeister im Zittern oder im Erröten oder in sonstigen Peinlichkeiten bin!'
Das bedeutet also, dass jemand, der in die Position des unfreiwilligen Clowns gekommen ist, sich ganz bewusst vornimmt, ein freiwilliger Clown zu werden und sich zu sagen, wenn ich das ohnehin kann, lächerlich zu sein, also Leute zum Lachen zu bringen, dann will ich gezielt etwas daraus machen! Es ist tatsächlich so - und dazu gibt es schon Untersuchungen! - dass viele große Clowns so angefangen haben.«

Sprecherin: »Nicht alle Menschen schaffen es, aus ihrer Not, peinlich, lächerlich und hässlich zu erscheinen, Kapital zu schlagen. Sie leiden vielmehr darunter. Das Humordrama kann dazu verhelfen, das Ausgelachtwerden erträglich zu machen, oder sogar zu steuern.«

Michael Titze: »Im Humordrama geht es darum, seine geheimen Ängste peinlich zu sein, auf einer richtigen Bühne in Szene zu setzen. Die anderen Mitglieder der Gruppe sitzen unten als Zuschauer. Sie sollen sich möglichst kritisch verhalten, also nach Belieben pfeifen, johlen usw. Und diejenigen, die auf der Bühne agieren, sollen alles tun, um das peinliche Agieren so sehr zu übersteigern, bis es von einer echten Komödie nicht mehr zu unterscheiden ist. Und genau an diesem Punkt gibt es dann den ersten Applaus. Nach diesem Applaus stellt sich - vielfach zum ersten Mal im Leben dieser Menschen - der heilsame therapeutische Effekt da: Er äußert sich stets in purer strahlender Freude und in einer ausgelassenen Gemeinschaftlichkeit. Das ist, glaube ich, etwas, was man in all den Jahrzehnten bis Mitte der 90-iger Jahre in der Psychotherapie so noch nicht bedacht hat. Man wollte ja vor allem reparieren. Man wollte das, was nicht gelang, durch bestimmte Techniken wegbekommen. Heute in der Ressourcen orientierten Phase der Therapie sagt man, man braucht nicht unbedingt im konventionellen Sinne zu therapieren. Denn die Patienten selbst sind ja schon Experten darin, komisch zu sein und dadurch andere zum Lachen zu bringen. Das einzige, was sie bisher nicht geschafft haben ist, dieses Lachen auch zu genießen.«

Sprecherin: »Lustig zu sein, ohne Einschränkungen: Schon in der römischen Antike machte man sich Gedanken darüber, was angemessener Humor wäre. Für Cicero musste ein Witz elegant, geistreich und komisch sein. Man durfte sich nicht über Verbrechen, Unglück und Elend lustig machen. Auch in Griechenland beschäftigten sich Denker mit Humor. Die Sprachwissenschaftlerin Caroline Rusch fasst zusammen.«

Caroline Rusch: »Theoretisch haben sich die Denker in der Antike natürlich auch damit beschäftigt. Es gibt in etwa zwei Lager; die einen sehen die potentielle politische Gefahr des Lachens, die wir ja bis in die Gegenwart gut feststellen können. Zum Beispiel Plato in Politeia. Er ist eigentlich sogar dafür, dass man die lustigen Göttergeschichten eliminiert, damit auch ja der Respekt vor dem Staat für das Gemeinwesen da ist und man eben nicht über höherrangige lacht, das würde ja den Staat zersetzen. Er sieht das Lachen eher negativ und sieht darin auch eher die hämische Komponente, die böse, die ja auch da ist. Die andere Seite wäre etwa Aristoteles, dessen berühmtes Buch über das Lachen ist leider verloren. Umberto Eco hat es wiedergefunden, fiktional. Aber er, so weit wir wissen, hat sich eher dafür ausgesprochen, dass es in Maßen gesund ist, daher kommt es wahrscheinlich auch, dass Lachen gesund ist. Nicht zuviel natürlich, denn auch das würde leicht in Vulgarität oder in Albernheit ausarten. Aber eben ein gewisses Maß an Lachen ist für Körper und Seele gesund.«

Sprecherin: »Maßlos gebärdete sich das Volk bei wilden Spektakeln. Der Psychotherapeut Michael Titze bringt ein Beispiel für ein Fest, das für das Wort komisch namensgebend wurde.«

Michael Titze: »Das Wort komisch leitet sich her von einer Prozession zu Ehren des Dionysos. Dieses Fest wurde in uralten antiken Zeiten in Griechenland einmal im Jahr veranstaltet: unter Mitwirkung von Betrunkenen, denn Dionysos war ja der Gott des Weines! Diese Menschen bewegten sich natürlich nicht so, wie das der Idealnorm entspricht. Sie fielen vielmehr hin, torkelten oder verhielten sich sonst wie peinlich. Vor ihnen wurde ein komos hergetragen: ein überdimensionaler Phallus aus Leder, als Symbol dionysischer Lustbarkeit. Diejenigen, die hinter diesem komos herliefen lachten ebenso wie diejenigen, die als Zuschauer am Wegesrand standen, einfach deshalb, weil das lustig war. Und genau dies dürfte der Grund gewesen sein, dass man sich irgendwann entschloss, dieses komische Spektakel über das ganze Jahr zu veranstalten. Und das war der Beginn der Komödie.«

Sprecherin: »Lachen macht gesund. Diese Aussage konnte erstmals der amerikanische Wissenschaftsjournalist Norman Cousins in einem Selbstversuch bestätigen. Er erkrankte 1964 an der Wirbelsäule. Da die Ärzte ihn aufgegeben hatten, beschloss er sich in einem Hotelzimmer einzuschließen und nur noch lustige Bücher und lustige Filme zu konsumieren. Cousins konnte feststellen, dass er nach 10 Minuten Lachen für zwei bis drei Stunden schmerzfrei war. Schließlich lachte er sich gesund. Die Erfahrungen von Norman Cousins waren die Initialzündung für die wissenschaftliche Erforschung des Lachens. Man nennt sie Gelotologie. Gelos ist das griechische Wort für Gelächter. Der Tuttlinger Psychotherapeut Michael Titze fasst die medizinischen Ergebnisse der Lachforschung zusammen.«

Michael Titze: »Es gibt eindeutige Hinweise dafür, dass ein ausgeprägtes Lachen schmerzreduzierend ist. Es sorgt ferner dafür, dass die Stimmung besser und die Infektionsanfälligkeit geringer wird - und dass möglicherweise sogar schwere Krankheiten wie virale Infekte, vielleicht sogar Krankheiten mit Zellentartungen zumindest von ihrem Verlauf her günstig beeinflusst werden. Man konnte in Versuchen feststellen, dass entzündungshemmende Hormone nach einem ausgiebigen Lachen von einer halben Stunde, um das Drei- bis Vierfache in der Blutprobe nachzuweisen sind. Was jeder selber an sich ausprobieren kann ist, dass die Ventilation der Lunge günstig beeinflusst wird. Durch die Lachatmung kommt nämlich viel mehr Luft in die Lunge; die Lunge wird nachgerade durchlüftet. Es kommt dadurch auch viel mehr Sauerstoff in den Körper und damit ins Gehirn. Dadurch wird die Hirnaktivität positiv beeinflusst, Ermüdungserscheinungen werden reduziert. Durch ein herzhaftes Lachen, das das Zwerchfell hüpfen lässt, werden schließlich auch die inneren Organe massiert, was wiederum die Verdauungsvorgänge günstig beeinflusst.«

Sprecherin: »Lachen entspannt. Die Stresshormone Kortison und Adrenalin werden beim Lachen reduziert. Endorphine, die Glückshormone werden freigesetzt. Depressionen werden reduziert. Weiterhin gibt es Hinweise, dass Lachen das Ausscheiden von Cholesterin fördert, den Blutdruck senkt, das Herzinfarktrisiko reduziert. Die Produktion der Killerzellen der körpereigenen Produktion wird angeregt und das stärkt die Immunabwehr. Beim Lachen sind bis zu 400 Muskeln aktiv. Lachen ist beinahe Sport. Vor etwa 10 Jahren hat der indische Arzt Madan Kataria das Lachyoga erfunden, das auch in Europa und den USA gut ankommt. Es geht um Lachen ohne Grund.«

Michael Titze: »Eine wichtige Methode ist die von Kataria entwickelte Methode des Yoga-Lachens. Er nahm auf eine alte Tradition Bezug, die es in Indien schon seit Tausenden von Jahren gibt, die im Yoga auch immer wieder erprobt wurde und die mit standardisierten Übungen arbeitet.«

Sprecherin: »Michael Titze vergleicht Lachyoga mit einem Training. Will man eine Klaviersonate spielen, eine Turnübung schaffen, oder das Radfahren erlernen, so muss man üben, auch das Lachen.«