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Hessischer Rundfunk hr1, Lounge vom 21.02.2007 |
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Ist jetzt Schluss mit lustig ... |
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Moderator: Uwe Fritzsche |
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Moderator: »Aschermittwoch. Vorbei mit Büttenreden, Schunkeln, Straßenfastnacht. Jetzt kommt der Ernst des Lebens wieder, oder? Wäre es nicht besser etwas von dem Humor in den Alltag rüberzuretten? Michael Titze ist Psychologe, Psychotherapeut in Tuttlingen. Sie haben sich ja sehr viel mit dem Humor beschäftigt und dem Lachen. Ist jetzt Schluss mit lustig oder sollten wir lieber humorvoll weitermachen?«
Michael Titze:
»Also ich hoffe, dass es mit dem Humor noch nicht zu Ende ist. Der Humor lebt ja eigentlich davon, dass er Normen auf den Kopf stellt, den geregelten Lauf der Dinge zum Stocken bringt. Manchmal wurde der Humor auch schon als eine kleine Rebellion definiert, als ein kleiner Krieg, ein Guerillakrieg des Einzelnen gegen all die Normen, die Verbote und Gebote, denen ein Mensch in seiner Kindheit ausgesetzt werden musste. Man muss lernen, in dieser Welt sich richtig anständig zu benehmen, um da hineinzuwachsen in den Ernst des Lebens. Aber dieser Ernst des Lebens kann manchmal zu einem Selbstzweck werden und dann verliert man eben das, was Kinder so gut beherrschen, die natürliche Lebensfreude. Es gibt eine Untersuchung die besagt, dass Kinder 300-mal am Tag lachen, Erwachsene ungefähr 20-mal. Das wäre ein Hinweis dafür, dass der Ernst des Lebens unter Umständen die Lebensfreude dämpft. Humor ist nichts anderes, als wieder an diese ursprüngliche Lebensfreude des Kindes heranzukommen. Das sehen wir im Karneval, in der Fastnacht, denn der Narr ist nichts anderes als das Ebenbild des kleinen Kindes. Es gibt in Nürnberg im germanischen Nationalmuseum einen Kupferstich, der die Ständeleiter darstellt. Oben ist der Kaiser, dann kommen die Könige, die Fürsten, die Bürgerlichen und ganz unten ist links ein Kind, rechts ein Narr und drunter steht: Dem Kinde klein, gleich ich allein. Was früher der Narr war, der Hofnarr, das ist heute der Clown. In der Fastnacht geben wir den Narren oder den Clown. Wir wollen damit als Erwachsene wieder zur Lebensfreude des Kindes zurückfinden. Und wir benehmen uns dann ja auch wirklich kindlich, kindisch, wie auch immer. Und das gibt uns dann manchmal so viel Freude, dass wir auch die traurigen Zeiten im Leben wieder irgendwie ertragen: im Bewusstsein, dass diese närrische Zeit wieder kommen wird. Und wenn wir es schaffen, diesen Humor rüberzuretten in den nachfastnachtlichen Ernst des Lebens, wäre das doch eine feine Sache.«
Moderator: »Sie haben ganz interessante Zahlen genannt. Ein Kind lacht am Tag 300 Mal, ein Erwachsener 20 Mal. Warum vergeht uns das Lachen im Laufe der Zeit?
Michael Titze:
»Das Lachen ist anarchisch. Es ist zum einenein Ausdruck von Lebensfreude, aber es ist auch etwas, was zum Beispiel nicht in die typische Schulsituation passt. Wenn Kinder im Unterricht lachen, weil sie sich Witze erzählen, oder weil sie blödeln, oder weil sie einfach lustig sind, dann stört das den Unterricht. Und zumindest in meiner Schulzeit war es dann so, dass man dafür gerügt oder auch bestraft wurde, denn man musste als guter Schüler ernst bleiben. In der Kirche war das so, bei Beerdigungen sowieso. Es gab ganz viele Situationen in denen wir als Kinder gelernt haben, dass das Lachen nicht so gut ist, und dass wir mehr Erfolg im sozialen Leben haben, wenn wir ernst bleiben. Wenn Kinder das dann verinnerlicht haben, können sie unter Umständen eine Gelotophobie entwickeln.
Moderator: »Was ist das, Gelotophobie?«
Michael Titze: »Gelos ist griechisch und bedeutet das Gelächter. Phobie kommt ebenfalls aus dem Griechischen und bedeutet Angst. Gelotophobie wäre demnach die Angst vor dem Lachen in vielfältiger Hinsicht. Sie bewirkt, dass manche Menschen so ernst sind, dass man sie beim besten Willen nicht mehr zum Lachen bringen kann. Und das wirkt dann unfreiwillig komisch. So kann sich ein Zirkel bilden: Diejenigen, die zu ernst sind, die gar nicht mehr lachen können, wirken häufig 'irgendwie komisch'. Dadurch können sie wiederum Anlass zum für Gelächter der anderen werden, die sich über sie lustig machen und sie auf den Arm nehmen. Deswegen ist das so eine Sache mit dem Nicht-Lachen-Können. Es hat sich ja jetzt in letzter Zeit nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt eine regelrechte Lachbewegung entwickelt, die ausging von Indien, von einem Arzt namens Madan Kataria und die sich jetzt auf allen Kontinenten ausbreitet. Dies ist ein Phänomen in unserer postmodernen Zeit, das es vor 10-15 Jahren nicht gegeben hat. Heute gibt es immer mehr Menschen die in Lachclubs gehen, einfach um dort zu lachen und so zu sein, wie sie in ihrer Kindheit schon mal gewesen sind.«
Moderator: Herr Titze, wenn ich Krach mit dem Nachbarn habe, was nützt mir der Humor, wenn dieser ein verkniffener Hausmeister ist?
Michael Titze: »Ich muss dann aufpassen, dass ich nicht genauso verkniffen reagiere. Wir machen das häufig so: Wenn es Probleme gibt, bleiben wir im Bezugssystem des Erwachsenen, also im Ernst des Lebens, und dann wird mit Logik gearbeitet, dann folgt ein Argument dem anderen. Und man versucht dann angestrengt, unbedingt die besseren Antworten zu haben und wenn man die nicht hat, fängt man an sich zu rechtfertigen. Das läuft alles über die Vernunftschiene. Erich Kästner hat schon gesagt, Humor zu haben bedeute, Kontraste einfließen zu lassen - in unsere Gespräche, in unser Handeln, in unser Zusammenleben mit anderen Menschen. Ein Kontrast bedeutet nichts anderes, als dass ich als Erwachsener mit meinem inneren Kind in Kontakt trete, damit wir miteinander eine Antwort finden. Das Ergebnis ist dann oft sehr verblüffend. Woody Allen hat das sehr gut gekonnt. Von ihm stammen entsprechende Sprüchen, die zu einem Teil sehr vernünftig klingen, die zum anderen Teil aber die Welt des unvernünftigen kleinen Kindes spiegeln. Hier ein Beispiel: 'Es mag stimmen, dass es kein Leben nach dem Tode gibt, aber versuchen Sie einmal, einen Installateur an einem Wochenende zu finden!' Hier paart sich das Logische, das Vernünftige, das Ernste mit dem - wenn Sie so wollen - Naiv-Blöden. Oder dies: 'Es ist unmöglich, unvoreingenommen seinen eigenen Tod zu erleben und dabei ruhig weiter zu singen!' Auch das ist eigentlich unmöglich und doch ist es eine Voraussetzung für Humorentstehung.«
Moderator: »Wie könnte ich denn auf meinen Hausmeister reagieren? Er behauptet, mein Radio sei wieder zu laut gewesen und ich bin der Meinung, dass das gar nicht stimmt.«
Michael Titze: »Also ich darf mich nicht rechtfertigen. Und wenn ich dann die Judomethode anwende, ist das nichts anderes als die Ironie, die schon Sokrates vor Augen hatte, als er erklärte, man sollte sich selbst zunächst mal dumm stellen. Dadurch vermittelt man dem Kontrahenten das Gefühl, im Recht zu sein. Und wenn man ihn auch noch dafür lobt, auf ihn eingeht mit einer Attitüde, die zum Ausdruck bringt, dass er als Gesprächspartner geschätzt wird, wird eine zwischenmenschliche Brücke gebaut, die eine unabdingbare Voraussetzung für eine humorvolle Beziehung ist. Also: Wenn sich der Hausmeister über das laute Radio beschwert, dann sollte er erst mal dafür gelobt werden, dass er es gesagt hat. Und dann sollte man noch von sich aus noch eine selbstkritische Zugabe bringen. Etwa so: 'Ja, das ist richtig, dass Sie mir das gesagt haben. Außerdem muss ich bei dieser Gelegenheit gestehen, dass ich mir in diesem Haus noch einige andere Sachen geleistet habe, von denen noch keiner was gemerkt hat. Zum Beispiel habe ich meine Fahrräder überall in den Fluren aufgestellt. Und ich hoffe, dass Sie nicht böse auf mich sind, wenn ich auch noch gestehe, schon mal auf den Rasen gemacht zuhaben.'"
Moderator: »Also noch einen drauf setzen?«
Michael Titze: »Ja, noch einen drauf setzen. Man kann natürlich auch so weit gehen, dass man sich ganz auf die Ebene eines naiven Kindes begibt. Dafür müsste aber die zwischenmenschliche Brücke bereits hergestellt sein. Und das gelingt am besten mit einem lächelnden Gesicht. Das könnte dann so aussehen: Ein Angestellter wurde von seinem Chef auf 14:00 Uhr einbestellt, kommt 5 Minuten zu spät. Der Chef schaut sehr ernst und vorwurfsvoll auf seine Uhr. Darauf entgegnet der Angestellte: 'Kann man mit der auch tauchen?' Der Chef fängt an zu lachen. Denn die Antwort hat ihn verblüfft. Miteinander auf eine verblüffende, unkonventionelle Weise zu kommunizieren, das macht den Humor aus. Humor als eine Methode der Konfliktbewältigung bedeutet nichts anderes, als immer wieder Pseudo-Rechtfertigungen bzw. Kontrarechtfertigungen einfließen zu lassen, die nicht logisch sind, dafür aber selbstironisch sind. Dadurch signalisiere ich dem Gesprächspartner: 'Ich bin bereit, mich selbst auf die Schippe zu nehmen. Daher brauchst du es nicht zu machen. Ich kann das nämlich sehr viel besser, als du das jemals könntest.«
Moderator: »Herr Titze, kann man sagen, Humor macht gesund?«
Michael Titze: »Auf jeden Fall kreativer. Humor führt dazu, dass wir vieles aus ganz anderen Perspektiven wahrnehmen, was wir so im Ernst des Lebens nicht sehen. Diese Möglichkeit, die Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu sehen, führt zu einer neuen Haltung und diese Haltung relativiert den Ernst des Lebens. Es gibt diesen schönen Spruch der besagt, die Lage ist katastrophal, aber nicht ernst. Das ist eine völlig unlogische, aber eben auch heilsame Einstellung, die sich natürlich lernen lässt. Vorher sprachen wir darüber, dass Humor auch Unterhaltung ist, dass man das in der Kommunikation einsetzen kann. Aber das ist nur möglich, wenn es diese relativierende Haltung gibt. Sie ist die Voraussetzung für eine Gelassenheit, die besagt: Es ist mir nicht so wichtig, ob jemand gut gelaunt oder schlecht gelaunt ist. Ich nehme nichts mehr krumm. Ich gehe aus meiner eigenen Perspektive, aus meiner eigenen Position an das Ganze ran und ich bin vor allem derjenige, der Selbstironie üben kann. Das hatte Freud schon am Beispiel eines Delinquenten gezeigt - ein wunderbares Beispiel von Galgenhumor -, der am frühen Montagmorgen zum Schafott geführt wird und dem Scharfrichter entgegen ruft: 'Na, die Woche fängt ja schon gut an!' Das ist natürlich erst einmal widersinnig, unlogisch. Es gibt dem Delinquenten aber eine Größe und eröffnet ihm auch die Möglichkeit, nicht jene normale Angst zu empfinden, die man empfinden müsste, wenn einem so etwas widerfährt.«
Moderator: »Heißt Humortherapie auch so etwas wie die Leichtigkeit des Seins zu lernen?«
Michael Titze: »Genau das heißt es. Normalerweise ist es so, dass Menschen, unter Depressionen, Ängsten und den vielen anderen Zivilisationskrankheiten, die alle irgendwie stressbedingt sind, zum Teil erheblich leiden. Humor ermöglicht es diesen Menschen, sich vor diesen Symptomen nicht mehr zu fürchten, sondern diese im Gegenteil anzunehmen, gut zu heißen. Das wurde von dem großen Viktor Frankl, dem eigentlichen Begründer der Humortherapie, erstmalig so vorgeschlagen. Frankl riet den Betroffenen nämlich, niemals gegen ihr Symptome ankämpfen bzw. zu versuchen, diese wegzukriegen, sondern mit aller Macht zu versuchen, genau diese Symptome zu verstärken. Wenn also jemand darunter leidet, auffällig zu zittern bzw. Angst davor hat, andere könnten dieses Zittern sehen, dann soll sich dieser Mensch nachgerade vornehmen, Weltmeister im Zittern zu werden. Wenn jemand Probleme mit dem Erröten hat, soll sich dieser Mensch vornehmen, so rot zu werden, wie noch nie jemand auf der Welt bislang rot geworden ist. Wird diese 'paradoxe Intention' in dieser Weise befolgt, ändert sich auch die Einstellung gegenüber dem Symptom im Sinne einer Relativierung. Unwillkürlich fangen solche Menschen dann auch an zu lachen. Sie sagen, dass ist doch unmöglich! Aber sobald sie anfangen zu lachen haben sie schon gewonnen.«
Moderator: »Eine ganz böse Form des Humors ist ja die Schadenfreude. Da gibt es ganze Shows, die sich nur mit dem Versagen, dem Pech von anderen beschäftigen und man schüttelt sich so richtig aus vor Lachen, wenn einer dämlich gegen die Wand gelaufen ist. Herr Titze, müssen wir uns für die Schadenfreude schämen?«
Michael Titze: »Ja, Schadenfreude ist nicht gerade eine moralisch hochstehende Emotion. Aber sie ist in ihrem Ursprung durchaus natürlich, als ihre Wurzeln in der Kindheit liegen. Das hat vor allem mit der Geschwisterrivalität zu tun, bzw. auch mit dem Vergleich mit etwas älteren Kindern, die schon etwas mehr können, die kompetenter sind. So entsteht zunächst einmal ein Minderwertigkeitsgefühl. Das Kind merkt, dass andere Kinder etwas können, was es selber noch nicht kann. Wenn aber dieses Kind, das zunächst als überlegen wahrgenommen wurde, plötzlich zu Fall kommt, entsteht natürlich eine Freude. Das Vergnügen des Erwachsenen, das entsteht, wenn jemand in einer Slapstick-Situation vorgeführt wird, geht auf diese Wurzel zurück. Kurzum: Diese natürliche, kindliche Schadenfreude, die auch in der Situationskomik des Clowns enthalten ist, die ist gar nicht so schlimm. Schlimm ist dagegen die Häme, die man heute - nicht nur in der Comedy-Szene - tagtäglich erlebt: die pure Freude an den Schwächen, Schönheitsfehlern und oft genug auch am Misserfolg des anderen! Das ist ein Ausdruck von einem sarkastischen Spott, der schon von Cicero beschrieben wurde und den er als malevolentia, das missgünstige Wollen oder eben Schadenfreude bezeichnet hat. Für Cicero war dies die Schwester des Neids.
Diese Form von Schadenfreude entsteht gerade dann, wenn jemand ständig darauf sieht, ob es anderen besser geht als ihm selbst. In unserer heutigen Gesellschaft erfüllen die wenigen Menschen, die immer oben sind, die das Leben mit Kompetenz, Erfolg, Reichtum, Sex-Appeal, Berühmtheit beschenkt werden, durch die Vermittlung der Medien eine unglaubliche Vorbildfunktion - gerade für diejenigen, die vom Schicksal weniger begünstigt sind. Man hat festgestellt, dass es heute eine Tendenz zum Aufwärtsvergleich gibt. Man vergleicht sich bevorzugt mit Menschen, denen es besser geht. 80% der Vergleiche, die es im sozialen Leben gibt, haben etwas mit dem 'Blick nach oben', dem Aufwärtsvergleich zu tun. So entstehen natürlich Scham- und Minderwertigkeitsgefühle, Neid und Verbitterung. Und das kann auf Dauer nicht gut sein. Deswegen gibt es ein natürliches Bedürfnis nach dem ultimativen Abwärtsvergleich! Und dieser wird in Comedys und im Kabarett geliefert, wo gerade Prominente herabgesetzt. Gegenwärtig gibt es gesellschaftliche Entwicklungen, die darauf schließen lassen, dass schadenfreudige Abwärtsvergleiche fast schon suchtartig gesucht werden. Wir brauchen nur an die fürchterliche Videos zu denken, die z. B. auf Schulhöfen getauscht werden. In diesen Filmen werden andere Kinder - oft sind es solche, die als Streber angesehen werden, oder die einfach aus Familien kommen, in denen sie mehr geboten bekommen - oft auf sehr grausame Weise niedergemacht. Gerade für Jugendliche, die sich insgeheim als 'loser' empfinden, kommt in diesem Augenblick des Gewahrwerdens der Erniedrigung eines Anderen, es zu einer emotionalen Befreiung. Das ist, psychologisch gesehen, ein funktionierendes Ventil, aber moralisch und gesellschaftlich natürlich sehr gefährlich. Auch die Tatsache, dass Sendungen im Stile von 'Pleiten, Pech und Pannen' - ausgestrahlt öffentlich-rechtlichen Sendern, nicht nur im Privatfernsehen! - das gewachsene Bedürfnis nach Schadenfreude bedienen zeigt, dass wir in einer Zeit leben, in der immer mehr Menschen das Gefühl haben, sich in ihrem Leben - im Hinblick auf die gängigen Ideale - nicht mehr verwirklichen zu können. Wenn dann die Überzeugung entsteht, das eigene Leben sei im Grunde ein einziger Misserfolg gewesen, ist der Wunsch nach einem emotionalen Ausgleich nachvollziehbar. Das aber ist die gefährliche Seite der Schadenfreude.«
Moderator: »Muss man im Job eigentlich immer der Erste sein? Oder kann man mit Spaß nicht auch mal nur der Fünfte oder nur Zehnte sein? Wenn ich schon ein Idiot bin, dann will ich wenigstens der König der Idioten sein! Diesen Ratschlag zur Karriere gibt Michael Titze, Psychologe, Psychotherapeut, Humorexperte, hat eine ganze Reihe von Büchern zum Thema geschrieben. Herr Titze, was meinen Sie mit diesem Satz, wenn ich schon ein Idiot bin, dann will ich wenigstens der König der Idioten sein?«
Michael Titze: »Na ja, da geht es um die Fähigkeit zur Selbstpersiflage, die Kunst, sich selbst auf den Arm nehmen, was ja auch ein Ausdruck von Kreativität ist.
Da gibt es einen alten Witz. Jemand ist aus der Straßenbahn abgesprungen und unsanft auf seinen Allerwertesten gefallen. »Sind Sie niedergefallen?« fragt ein schadenfroh grinsender Passant. Und die Antwort darauf: »Nein, nein, so steige ich immer aus!«
Ein anderer Witz: Jemand kommt am Bahnhof an mit seinen Koffern und will noch in den Zug, aber der fährt ab und er sieht nur noch die Schlusslichter. Da wird er von jemanden gefragt: »Haben Sie den Zug versäumt?« Er antwortet darauf: »Nein, ich wollte ihn nur verscheuchen!«
Moderator: »Also über den Misserfolg auch mal lachen können?«
Michael Titze: »Ja, und das ist genau das, was auch zur sog. Unternehmenskultur beiträgt. In diesem Zusammenhang geht es darum, im Berufsleben ungewöhnliche Möglichkeiten zu erkennen, zu erproben und dann auch gemeinsam mit den Kollegen umzusetzen. Angefangen hat damit South-West, eine Airline in den Vereinigten Staaten. Ich will jetzt nicht unbedingt für South-West werben, aber ich kenne diese Airline recht gut. Sie haben alte Flugzeuge, die gar nicht attraktiv aussehen, aber wenn man da mitfliegt gibt es immer unheimlich viel Unterhaltung. Manche Flugbegleiter machen Zauberkunststücke. Andere singen oder erzählen Witze. Es ist immer etwas anderes, was dem Passagier geboten wird. South-West ist mit der Zeit so beliebt geworden, dass sie die einzige Airline in den Vereinigten Staaten ist, die wirklich immer nur schwarze Zahlen schreibt. Das kam folgendermaßen. Als South-West Anfang der neunziger Jahre kurz vor dem Konkurs stand, wurde ein sehr bekannter Humorexperten engagiert: Paul McGhee, ein Universitätsprofessor, der sich später zum Clown ausbilden ließ. McGhee begann das Flugpersonal kreativ zu schulen. Er brachte den Leuten Humortechniken bei, wie man sie von Clownsschulen her kennt. Doch das war nicht alles. McGhee hämmerte den Leuten von South-West ein: Ihr müsst das, was ihr an kreativer Energie habt, nicht in der Freizeit verschwenden, sondern in den beruflichen Alltag einbringen. Die Mitarbeiter wurden aufgefordert, alles aufzuschreiben, was sie während der Arbeit, auch im Umgang mit Vorgesetzten und Kollegen, belastete. Diese Notizen wurden sodann in einen Kummerkästen geworfen. Die geschilderten Problemen wurden dann am Freitagnachmittag auf einer eigens geschaffenen Bühne in Szene gesetzt. Da hat dann auch der Chef mitgemacht. Die entsprechenden Situationen, alltägliche Ärgernisse, aber auch Fälle von Mobbing, wurden im Rollenspiel dann in clownesker Weise so auf die Spitze getrieben, dass die Mitarbeiter nolens volens eine Lachgemeinschaft entwickelten und aus dieser Lachgemeinschaft heraus aufhörten, sich als neiderfüllte Rivalen zu sehen. So kam es zur Bildung eines wirklich kreativen Teams. In diesem Rahmen wurden dann Ideen entwickelt, die zunächst einmal gar nichts mit der eigentlichen Arbeit zu tun hatten, die aber dazu führten, dass bei South-West eine mit sehr viel Kreativität angereicherte Unternehmenskultur entstanden ist. Und das sicherte einen Erfolg, der inzwischen für weitere Unternehmen eine Vorbildfunktion besitzt.«
Moderator: »Wenn man nun gar keinen Humor hat, kann man den dann eigentlich so lernen wie man eine Fremdsprache lernt?«
Michael Titze: »Ja, das kann man. Man kann das wieder lernen, was wir als Kinder schon problemlos gekonnt haben. Problemlos deshalb, weil wir uns damals nicht so viele Gedanken über die Reaktion der Umwelt machen konnten. Diejenigen, die von einer Humor- oder Lachtherapie besonders profitieren, sind gewöhnlich Menschen, die zu ernst sind und die in einer Gemeinschaft von Menschen, die lockerer sind, nicht so gut ankommen, und möglicherweise zur Zielscheibe von Hänseleien werden. Solche Menschen profitieren, wie gesagt, besonders von den Angeboten, wie sich diese bei HumorCare finden lassen, einer Fachgesellschaft, die ich zusammen mit 3, 4 Kollegen vor 12 Jahren gegründet habe. Bei HumorCare wird nichts anderes gemacht, als überernste Menschen dazu zu bringen, wieder das zu lernen, was sie als Kinder gewöhnlich problemlos gekonnt haben, nämlich Spielfreude gemeinsam zu erleben. Ein entscheidender Impuls kam 2,3 Jahre nach der Gründung von HumorCare durch den indischen Arzt Madan Kataria, dem Wegbereiter des sog. Yoga-Lachens. Wir hatten ihn 1998 zu einem Kongress eingeladen, in dessen Rahmen Kataria die spezifischen Übungen des Yoga-Lachens vorgestellt hat. Diese Übungen rufen im Grunde die kindliche Freude am Spiel wach, im gemeinsamen Lachen, angeregt durch systematische Übungen, werden einstmals ernste, oft hölzern wirkende Menschen zu einer unbefangen lockeren Lachgemeinschaft. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, man kann in diesen Gruppen lernen, ein fröhlicher Mensch zu werden. Man muss aber den Mut haben, sich auf die Ebene eines naiven Kindes zu begeben. Man bezeichnet das in der Tiefenpsychologie als Regression und diese lustvoll spielfreudige Regression ist genau das, was in Lachgruppen vonstatten geht.«
Moderator: »Hat Humorlosigkeit also was mit Angst zu tun? Angst vor den Reaktionen der Umwelt?«
Michael Titze: »Zunächst mal hat es etwas mit der Angst zu tun, nicht vernünftig zu sein, nicht ernsthaft genug, nicht normal zu erscheinen. Wenn man diese Angst verliert, wird man lockerer. Gleichzeitig verliert man dann auch die Angst, auf andere (unfreiwillig) komisch zu wirken. Wenn jemand Angst hat, unfreiwillig komisch zu sein, dann muss dieser Mensch lernen, freiwillig komisch sein zu wollen. Er muss im Grunde nur das Gleiche, das er immer schon gemacht hat, nämlich komisch zu sein, bewusst tun wollen - und dabei aus dem Vollen schöpfen! Das heißt, sich vorzunehmen, möglichst komisch zu sein, allerdings auf der Basis einer bewussten (und damit kontrollierbaren) Entscheidung. Unter dieser Voraussetzung hat der betreffende Mensch alles, was ein großer Clown braucht, um andere zum Lachen zu bringen.«
Moderator: »Wird bei uns das Vernünftige zu stark überbewertet?«
Michael Titze: »Ja, ich denke schon. Das sieht man schon in der Schule, in der es zunehmend darum geht, immer mehr Fachwissen - Regelwissen und spezifische Fertigkeiten - zu vermitteln, während das Kreative viel zu wenig zum Vollzug kommt. Ich denke, dass wir uns damit zu einseitig in die - ich möchte es so formulieren - fachidiotische Schiene begeben haben. Wir müssen wieder mehr in die kreative Welt hineinkommen. Dazu bedarf es einer Spielfreude, aus der heraus die Kreativität, wie wir das bei South-West und anderen Unternehmen gesehen haben, von selbst zu wachsen beginnt.«
Moderator: »Vielleicht kann man ja auch sagen, Lachen ist vernünftig. Michael Titze, Psychotherapeut und Buchautor, vielen Dank, dass Sie hier waren.« |
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