Hessischer Rundfunk, HR 2, 15.01.1988
Von der Heilkraft des Humors (gekürzt)
Von Michael Titze
Es war einmal ein Mann, dem alles im Leben mißlang. Irgendwann entschloß er sich, seinem Elend ein Ende zu setzen. Er fuhr mit seinem Auto auf einen hohen Berg, parkte direkt vor einem steilen Abgrund, in dessen Tiefe er sich stürzen wollte. Doch ehe er diese schreckliche Tat ausführte, wollte er seinen Frieden mit dem Schöpfer schließen. Er fiel auf die Knie, erhob die Augen zum Himmel und hob an zu beten: »Lieber Gott, verzeihe mir das, was ich jetzt tun werde. Aber ich, halte es einfach nicht mehr länger aus. Es ist zu viel gewesen, und ich habe nun keine Kraft mehr!« Wie er diese Worte sprach, kam ein Vogel angeflogen, der etwas fallen ließen, was ihm geradewegs auf den Kopf fiel. Der Mann erhob darauf sein Haupt gen Himmel und klagte: »Gott, nun siehst du, was ich meine ... Für andere Leute singen sie!«

Über Jahrzehnte hinweg war die Psychotherapie eine todernste Sache. Obwohl Sigmund Freud schon kurz nach der Jahrhundertwende eine bewundernswerte Abhandlung über den Witz geschrieben hatte, blieb die von ihm begründete Psychoanalyse bis auf den heutigen Tag gegenüber dem Humor im allgemeinen und dem Lachen im besonderen eher skeptisch eingestellt. So erklärte der Psychoanalytiker Lawrence Kubie vor einigen Jahren: »Humor hat seinen angestammten Platz im Leben. Geben wir uns damit zufrieden, und geben wir zu, daß es einen Platz gibt, wo der Humor nur eine sehr eingeschränkte Rolle zu spielen hat (wenn überhaupt), und das ist die Psychotherapie!«

Unglück und Unheil beschwört nach Kubie er Psychotherapeut herauf, der sich des Humors bedient. Ihn selbst mag es amüsieren und unterhalten, sich als ein »toller Hecht« zu präsentieren, der in einer schlagfertigen Weise souverän über die Minderwertigkeitsgefühle seiner Patienten hinweggeht. »Schau wie klug, witzig, amüsant und lebensgewandt ich bin«, könnte er nach Kubie dem Patienten signalisieren. »Und du ... ? Du kannst nur wehklagen und dich bemitleiden. Aber ich habe dich durchschaut, mit mir kannst du das nicht machen!«

Keine Frage, meint Kubie deshalb, daß sich der Patient angegriffen und blockiert fühlen wird, daß eine Atmosphäre der Feindseligkeit aufkommt, in der die neurotischen Abwehrmechanismen besonders gut gedeihen.

Kubies Thesen sind mittlerweile in der einschlägigen Literatur viel diskutiert worden. Man gab ihm teilweise Recht, da festzustehen scheint, daß der Humor im allgemeinen und das Lachen im besonderen einiges mit Aggression und Überlegensein wollen zu tun hat. Denn jeder Witz, der »wirklich gut zum Lachen« anregt, zielt zum Beispiel in irgendeiner Form auf das Lächerlichmachen einer anderen Person ab. Hier ein Beispiel:

Der Direktor einer Irrenanstalt lässt einen Gast die Zellen besichtigen. In einer sitzt ein Mann und hält eine Holzpuppe im Arm, die er herzt und liebkost. Leise sagt der Direktor: »Der Mann liebte ein Mädchen, das ihn verschmähte und einen anderen heiratete. Darüber wurde er verrückt. In seinem Wahn hält er die Puppe für seine Geliebte.« Die nächste Zelle ist ausgepolstert. Darin läuft unaufhörlich ein Mann mit den Gebärden eines Tobsüchtigen gegen die Wand. »Das ist der andere«, erklärt der Direktor.

Dieser Witz ist grausam und amüsant zugleich - je nach der Perspektive, die der Zuhörer einnimmt. Nimmt er nämlich den Standpunkt des gewissenhaften, vernünftigen Erwachsenen ein, dann ist das Ganze für ihn »herzlos« und »unerfreulich«. Sieht er die Szene jedoch mit den Augen des »kleinen Kindes in ihm«, dann bleibt ihm alles Mitleid erspart, wie Sigmund Freud es ausdrückte, und er kann sich herzhaft über das immense Mißgeschick des armen Teufels freuen. Er kann sich nicht zuletzt auch deshalb freuen, weil es ihm selbst doch noch besser geht, weil er trotz mancher Missgeschicke im Leben, doch nicht »so tief unten« ist.

Hier liegt der Schlüssel für die therapeutische Wirksamkeit des Humors. Er ist »gut«, er ist »positiv«, wenn er dem »kleinen Kind in uns« nützt, wenn er es diesem ermöglicht, ein Gefühl - und sei es noch so kurzfristig - von Überlegenheit und Selbstachtung zu erlangen und (damit zusammenhängend), wenn ein Venti1 zur Abfuhr jener verdrängten Aggressivität geöffnet wird, die in jedem Minderwertigkeitskomplex schlummert. Deshalb ist gerade der ursprüngliche, das heißt, wenig veredelte bzw. »derbe« Humor das Mitte1 der Wahl, wenn es um therapeutische Wirkungen geht. Doch darf dieser Humor eben nicht zu Lasten des Patienten gehen, nicht das »kleine Kind im Therapeuten« freuen und aufbauen, sondern er muß im Gegenteil ganz auf den Patienten selbst »zugeschnitten« sein.

So muß der Therapeut als unabdingbare Voraussetzung jenen »Mut zur Unvollkommenheit« besitzen, der es ihm erlaubt, grundsätzlich die Grandiosität seiner beruflichen Qualifikation in Frage stellen zu lassen. Und es gibt in der Tat eine Fülle von Witzen, in denen der Psychiater und Psychotherapeut, wie es so schön heißt, durch den Kakao gezogen wird:

Ein frischgebackener Hypnotherapeut besitzt den Ehrgeiz, eine Massenhypnose durchzuführen. Er bittet fünf oder sechs Zuschauer, zu ihm auf die Bühne zu kommen. Er stellt sie nebeneinander auf, läßt sie auf seine hellglänzende Taschenuhr blicken, die er wie ein Pendel hin- und herbewegt. Sofort fallen die Probanden in tiefe Trance. Beeindruckt von diesem Erfolg, entschließt sich der Hypnotherapeut, dem gesamten Auditorium eine wirklich tolle Show zu bieten. Also verläßt er die Bühne, pendelt mit seiner Uhr, und in kurzer Zeit befinden sich sämtliche Anwesenden im Tiefschlaf. Jetzt ist der Hypnotherapeut ganz in seinem Element. Er eilt die Treppe zur Bühne hoch, um die Demonstration fortzuführen. Dabei stolpert er jedoch, fällt auf die Knie, so daß seine Uhr in Brüche geht. »Oh Scheiße«, ruft er aus, als er seine kaputte Uhr untersucht. Das war vor zwei Monaten. Und noch immer ist man damit beschäftigt, den Theatersaal zu reinigen!

Witze dieser Art leben einerseits von der Schadenfreude des Zuhörenden, andererseits stellen sie, wie Alfred Adler bemerkte, eine Revolte gegen das festgefügte normative System des Gewissens dar, das gerade beim sogenannten Neurotiker besonders stark entwickelt ist, so daß die bedenkenlose Spontaneität des »kleinen Kindes in ihm« in oft unerträglicher Weise gehemmt wird. Freud sprach in diesem Fall von einem Lustprinzip, das unter dem Druck jenes Realitätsprinzips steht, das unser aller Erwachsenenleben bestimmt und lenkt. Beachten wir in diesem Zusammenhang die gemeinsame sprachliche Wurzel der Wörter »Lust« und »lustig«! Lustig ist es, wenn etwas Ungewöhnliches, nicht Vorhersehbares geschieht, das irgendwie mit den gängigen Anstands- und Benimmregeln nicht zu vereinbaren ist. Lustvoll wird ein solches Ereignis aber erst dann, wenn der Betroffene eigentlich eine erhabene Rolle bekleidet bzw. eine überlegene Position einnimmt. Der bekannte Essayist Arthur Koestler, der das Phänomen des Humors in scharfsinniger Weise analysiert hat, führt in diesem Zusammenhang die folgende Zeitungsnotiz an:

Rund tausend Schulkinder in Edinburgh brachen während des gestrigen Konzerts in schallendes Gelächter aus, als dem russischen Geiger Oistrach, der gerade Schuberts Phantasie in C-Dur spielte, eine Saite riß. Im selben Augenblick, als Herr Oistrach, Ehrengast der Edinburgher Festspiele, seine Geige hochhielt und bestürzt seinen Klavierbegleiter ansah, war es mit der gespannten Aufmerksamkeit vorbei.

Diese lustvoll erlebte »Umkehr der Erhabenheit«, wird auch im Rahmen der Psychotherapie immer dann wirksam, wenn der Patient ursprünglich eine Haltung von furchtsamem Respekt der betreffenden Autoritätsperson bzw. Institution gegenüber eingenommen hat. Es ist naheliegend, daß dies insbesondere auf Menschen zutrifft, die zu besonderem Wohlverhalten erzogen wurden. Dies bezieht sich auf Eltern, Vorgesetzte, scheinbar erfolgreichere Mitmenschen - und natürlich auch auf den Psychotherapeuten selbst, den ein psychisch leidender Mensch oft als die letzte heilbringende Instanz erleben mag. Wie befreiend muß es da sein, wenn der Therapeut bereit und fähig ist, sich und seinesgleichen auf den Arm zu nehmen. So etwa, wenn er den folgenden Witz erzählt :

Eine junge Lehrerin bemühte sich am Schuljahresanfang, sich mit ihren Schülern bekanntzumachen. Sie fragte die Kinder daher, was ihre Väter von Beruf seien. Eines sagte: »Ein Arzt«. Ein anderes: »Ein Kaufmann« usw. Schließlich kam der kleine Fritz an die Reihe. Er sagte: »Mein Vater spielt Klavier in einem Bordell!« Die Lehrerin war entsetzt. In einem strengen Ton ordnete sie an: »Richte deinem Vater aus, daß ich ihn morgen sehen will! »- Am nächsten Tag erschien der Vater tatsächlich mit Fritzchen in der Schule. Die Lehrerin nahm ihn zur Seite und erzählte ihm aufgeregt: »Gestern fragte ich alle Kinder, wodurch ihre Väter ihren Lebensunterhalt verdienen. Und als Fritz an der Reihe war, sagte er, Sie wären ... äh ... hm ... ein Musiker äh ... ah ... in einem ... äh ... Haus von schlechtem Ruf« - Der Vater zeigte sich erstaunt. Er rief Fitzchen herbei und herrschte ihn an: »Du weißt genau, daß ich das nicht mache! Warum erzählst du der Lehrerin also so einen Unsinn?« - »Ja hast du etwa erwartet«, entgegnete Fritz, »ich würde ihr sagen, du bist ein Humortherapeut?«

Aber es ist nicht nur die Ehrfurcht vor der Erhabenheit gewisser Personen, die den übermäßig am Realitätsprinzip ausgerichteten sog. Neurotiker in ihrem Hanne hält. Er, den wir auch als einen »Gewissenskranken« bezeichnen können, starrt fasziniert auf die soziale Welt wie das hypnotisierte Kaninchen auf die Schlange. Er möchte alles richtig oder noch besser: perfekt machen, und so lebt er in der beständigen Furcht, unangenehm aufzufallen, etwas falsch zu machen oder sich gar zu blamieren . Doch das Lustprinzip lebt vom Widerspruch, von Aufbegehren gegen festgesetzte Normen und Gebote. Kleine Kinder wirken deshalb lustig, weil sie bedenkenlos das tun, was ihnen Spaß macht, wozu sie Lust haben, ohne sich zu überlegen - denn dies können sie ja noch nicht richtig - ob dies auch erlaubt ist oder nicht. Die Psychotherapie muß dem überernsten, überverantwortlichen und übergewissenhaften Neurotiker genau hierzu verhelfen, nämlich (zeitweise) so zu werden wie die Kinder. Viktor Frankl, der als erster die Bedeutung des Humors für die Psychotherapie erkannt hatte, riet seinen Patienten deshalb: »Am allervernünftigsten ist es, nicht allzu vernünftig zu sein«. Frankls weltbekannte Methode der »paradoxen Intention« stellt nach seinen eigenen Worten ein »Training zur Unvollkommenheit« dar. Aus der Schule Frankls wird folgender Fall berichtet:

P. K. ist 36 Jahre alt, verheiratet, Vater von zwei Teenagern. Er leidet seit mehr als 21 Jahren an einer Reihe schwerer angst- und zwangsneurotischer Symptome. Im Vordergrund steht die Furcht, homosexuell zu werden und sich ein für allemal gesellschaftlich, dadurch unmöglich zu machen, daß er nach dem Genitale irgendeines gerade in der Nähe befindlichen männlichen Individuums greife. Von psychiatrischer Seite war bereits Schizophrenie diagnostiziert worden. Jahre hindurch war Herr K. psychoanalytisch behandelt worden. Daneben war er sowohl intensiver Pharmakotherapie als auch Elektroschockbehandlung unterzogen worden. Nichts jedoch brachte ihm nennenswerte Erleichterung. Als Herr K. seinen neuen Therapeuten, einen Frankl-Schüler, das erstemal in dessen Praxis aufsuchte, war er äußerst angespannt und in Tränen aufgelöst. »Durch mehr als 20 Jahre bin ich durch eine wahre Hölle gegangen! Alles habe ich für mich behalten - nur meine Frau weiß davon; aber ich kann versichern, die einzige Erleichterung ist mir vergönnt, wenn ich schlafe!«

Die Befürchtung, jemandes Genitale zu ergreifen, überkam ihn beispielsweise aufs heftigste, wenn er einen Friseurladen aufsuchen mußte. Jeweils malte er sich dann auch schon aus, nicht nur gesellschaftlich erledigt zu sein, sondern auch seinen Posten zu verlieren.

Sechs Monate fanden nun zweimal wöchentlich psychotherapeutische Sitzungen statt. Als - um nur das wichtigste Detail hervorzuheben - dem Patienten der »Rat« erteilt wurde, jede sich bietende Gelegenheit - auf der Straße, in Restaurants oder wo immer - auszunützen, um nach jemanden Penis zu greifen, begann Herr K. zu lachen - auch über seine Zwangsbefürchtungen zu lachen -, und es dauerte dann nicht mehr lange, bis sie aufhörten, ihn überhaupt noch zu belästigen. Am eindrucksvollsten war jedoch sein Bericht von der ersten Flugreise seines Lebens, die zu unternehmen, er schließlich fähig geworden war: von seinem Urlaub in Übersee heimgekehrt (es war das erste Mal nach langen Jahren gewesen, daß er sich zu einem Urlaub Überhaupt hatte aufraffen können!), erzählte er seinem Therapeuten, wie er sich im Flugzeug »direkt bemüht« hatte, in panische Angst zu geraten und, vor allem, »in der Kabine herumzulaufen und einem nach dem andern den Penis abzutasten« -und das Ergebnis? Von Angst keine Rede, im Gegenteil, Reise und Urlaub wurden zu einer einzigen Kette freudiger Erlebnisse. Der Patient wurde völlig beschwerdefrei und mit seinem Leben in jeder Hinsicht zufrieden.

Hier folgte der Therapeut also der Weisung Frankls, die zwangsneurotischen Impulse nicht zu bekämpfen. Denn Druck erzeugt Gegendruck. Stattdessen riet er dem Patienten, eben diese Impulse nicht nur zu akzeptieren, sondern sogar zu übertreiben und dabei humorvolle Formeln zu verwenden. Denn »Humor schafft Distanz«, erklärt Frankl: »Der Patient soll lernen, der Angst ins Gesicht zu sehen, ja, ihr ins Gesicht zu lachen. Hierzu bedarf es eines Mutes zur Lächerlichkeit. Der Arzt darf sich nicht genieren, dem Patienten vorzusagen, ja vorzuspielen, was sich der Patient sagen soll. Wenn der Patient lächelt, sagt er ihm: 'Auch wenn Sie all dies sich selbst sagen werden, werden Sie lächeln - und gewonnenes Spiel haben'.«

Mit dieser »pardoxen Intention« soll der Gewissenskranke allmählich lernen, bewußt unvollkommen sein zu wollen. Denn seine »eigenartige allgemeine Geisteshaltung«, sagt Frankl, »seine Weltanschauung ist jeweils bestimmt durch ein ganz charakteristisches Streben nach Hundertprozentigkeit, nach Absolutheit. Was er sucht ist die absolute Sicherheit - in allem: im Erkennen sowohl wie im Entscheiden.« Der Humor hebt diesen von Frankl so bezeichneten, »faustischen Drang« aus den Angeln, denn er gibt den quälenden Perfektionismus der heilsamen Lächerlichkeit preis.

Harold Greenberg, ein bekannter amerikanischer Humortherapeut, pflegt seinen perfektionistischen Klienten in diesem Zusammenhang gerne Anekdoten zu erzählen, die eine solche Lächerlichkeit beispielhaft offenbaren. So etwa die folgende Geschichte:

Ein Mann fährt an einem regnerischen Tag mit seinem Auto über Land. Zehn Kilometer vor dem nächsten Ort hat er eine Panne. Er steigt aus und sieht, daß ein Reifen platt ist. So entschließt er sich, den Reifen zu wechseln. Er öffnet den Kofferraum, durchsucht ihn, findet aber keinen Wagenheber. So läuft der Mann los. Der Regen wird immer heftiger. Bald ist er naß bis auf die Knochen. Er sagt sich: »Ich gehe jetzt zur nächsten Tankstelle. Ich frage nach einem Wagenheber. Ich sag' denen, daß ich eine Panne hatte.« Plötzlich kommt ihm ein unangenehmer Gedanke: 'Mir einen Wagenheber borgen? ... Vielleicht werden die mir den nicht einfach so geben wollen. Also muß ich eine Pfandgebühr hinterlegen. Vielleicht 30 Mark? Wer weiß? Wer bin ich schon, daß ich die Pfandgebühr für einen Wagenheber festsetzen könnte? Vielleicht wollen die 50 oder 100 Mark!«

Er läuft weiter, und da kommt ihm ein anderer Gedanke: »Vielleicht geben die mir den Wagenheber auch nicht für 100 Mark , weil die wissen, daß ich hier draußen aufgeschmissen bin. Vielleicht werden die darauf bestehen, daß ich den Wagenheber kaufe. Wie viel werden die dafür wollen?! Mein Gott ... « Und so geht es noch eine ganze Weile.

Schließlich erreicht der Mann die Tankstelle. Er öffnet die Tür, betritt, naß wie er ist, den Verkaufsraum, und der Tankwart sagt: »Ja?« Worauf der Mann ausruft: »Sie können sich Ihren Wagenheber sonst wohin stecken!«

Greenberg erzählt diesen Witz mit Vorliebe Leuten, die dabei sind, sich einen neuen Job zu suchen, die aber fast vor Angst vergehen, wenn sie an all die schrecklichen Dinge denken, die da auf sie zukommen könnten. Greenberg rät deshalb: »Sagen Sie denen, sie können sich den Job sonst wohin stecken. Fangen Sie am besten gar nicht erst damit an. Lassen Sie sich nicht zum Narren halten!«

Diese Bemerkungen entlasten. Denn sie ermöglichen es, Distanz zu schaffen zum Katastrophendenken des Perfektionisten. Dadurch ist eine wichtige Voraussetzung erfüllt, jene mutige Einstellung zu gewinnen, die für den Lebenskampf unerläßlich ist. Dies gilt gerade für den von Versagensängsten und Minderwertigkeitsgefühlen geplagten Perfektionisten. Es ist der Mut zur Unvollkommenheit, um den es hier geht. Und wer ihn erwerben will, der muß sich kontinuierlich darin üben, dem heiligen Ernst des Erwachsenenlebens - zumindest gelegentlich - ins Gesicht zu lachen.

Mutig sein heißt also, sich den, festgefügten Anstandsregeln unseres Alltagslebens immer wieder ein klein wenig zu entziehen, um dem Lustprinzip des »kleinen Kindes in uns« ein Ventil zu Öffnen. Menschen, die dies tun, verhalten sich bezeichnender Weise »frech«, »respektlos«, vielleicht sogar »unmöglich«. Doch sind sie eben auch in der Lage, die Humorreaktion hervorzurufen. An einer Anekdote, die der Psychoanalytiker Theodor Reik anführt, läßt sich dies veranschaulichen:

Ein bekannter österreichisch-polnischer Abgeordneter der Kaiserzeit - wir wollen ihn hier Stepanowitsch nennen - stand (vermutlich zu Unrecht) im Rufe, Hermaphrodit zu sein. Einer seiner Kollegen, der als enfant terrible bekannt war, soll eine Tischrede folgendermaßen begonnen haben: »Meine sehr geehrten Damen und Herren, und Sie, mein lieber Stepanowitsch!«

Diese Decouvrierung setzt ein gehöriges Maß an Respekt und Herzlosigkeit auf Seiten des sarkastischen Spaßvogels voraus. Er gibt seiner Schadenfreude bedenkenlos Ausdruck und schert sich keinen Deut um allgemeingültige gesellschaftliche Tabus. Dazu bedarf es natürlich auch einer gehörigen Portion Mutes. Denn wie leicht könnte sich eine derartige Bemerkung »peinlich« auswirken, also Mißfallen und Empörung auf Seiten der Zuhörer auslösen. Dies um so eher, als der Angriff einer hochgestellten Persönlichkeit galt!

Und doch ist es allgemein bekannt, welch machtvolle Quelle der Belustigung das Miterleben aggressiver und bösartiger Handlungen darstellt, wenn man selbst in der Rolle des unbeteiligten Zuschauers verbleiben kann. Denn dadurch bleibt einem die Furcht vor negativen Konsequenzen, vor Strafe und Mißachtung erspart. Diesen Effekt machen sich alle professionellen Spaßmacher, also Clowns, Kabarettisten und selbst Catcher nutzbar. Wen wundert's, daß auch die Humortherapeuten mit Theodor Reik von der Devise ausgehen, der Humor sei eine besondere Art des Trostes im Kampf ums Dasein und der Witz eine besondere Art der Waffe.