SWR 1 - Der Abend, 12.02.2010
Lachen - mal ernst genommen! (gekürzt)
Moderation: Andreas Doms
Doms: »Heute gibt es was zu lachen. Während in den närrischen Hochburgen die Jecken los sind, will ich ja auch herausfinden: Warum ist lachen gesund und warum lachen wir eigentlich so wenig?
Manchmal kommt das Lachen wie angeflogen, dann zucken die Mundwinkel nach oben, das Zwerchfell fängt an zu beben und aus dem Mund kommt ein herzhaftes lautes Lachen.
Also, ich kann mich schlapp lachen über Situationskomik, über Sprachwitz und auch über wirklich gute Witze. Es passiert oft, dass ich zuhause mit Freunden am Tisch sitze und wir blödeln herum und dabei bleibt oft kein Auge trocken.
Wir sagen dann manchmal hinterher: Wenn das jemand mitgehört hätte, dann würde jetzt das weiße Auto mit den Milchglasscheiben kommen und uns allesamt in Zwangsjacken stecken und in die nächste geschlossene Anstalt einweisen.
Oder es gibt unter den Kabarettisten in Deutschland so ungefähr ein Dutzend, da muss ich vor Beginn des Soloprogramms auf die Toilette gehen. Bei diesem Dutzend muss ich nämlich so hemmungslos lachen, dass mich die Körperbeherrschung zu verlassen droht.
Ich finde Lachen einfach herrlich und mich macht es traurig, dass wir im normalen Alltag oft viel zu wenig zu lachen haben.
Heute ist Abend ist Dr. Michael Titze mein Gesprächspartner. Er ist Diplom-Psychologe und hat mehrere Bücher über das Lachen als Therapie geschrieben.
Herr Dr. Titze, über was können sie am meisten lachen?«

Titze: »Ich kann am besten über schlagfertige Antworten lachen, die plötzlich eine ganz andere Perspektive eröffnen. Da gibt es etwa diesen Witz: Der Urologe fragt: 'Brennt's beim Wasserlassen?'
Der Patient antwortet: 'Nö, angezündet hab ich es noch nicht.'"

Doms: Herr Dr. Titze, wir wissen wo, im Kopf das Sprachzentrum sitzt. Wir wissen, warum und wo wir Schmerzen empfinden, woher bitte kommt das Lachen? Warum lachen wir?

Titze: Man geht davon aus, dass das Lachen eine Luxusreaktion ist, die kein anderes Lebewesen außer dem Menschen besitzt. Das Lachen ist offenbar etwas, das uns Menschen gerade dann gelingt, wenn wir merken, dass wir aus der eingefahrenen Routine des Lebens plötzlich in eine ganz andere Richtung hineinkommen, die unerwartet ist. Das ist dann der Fall, wenn wir also etwas Verblüffendes erleben, etwas womit wir überhaupt nicht gerechnet haben. In solchen Augenblicken fühlt sich unser Verstand überfordert. Unser Gehirn weiß erst einmal nicht mehr weiter, und dann kommt die Weisheit des Körpers zum Zuge. Dann ergibt sich eine Entlastungssituation im Lachen, und wir sind jetzt nur noch Affektivität, nur noch Gefühlsempfinden.«

Doms: »Ist Lachen Reflex?«

Titze: »Ja, man spricht von einem Reflex, der dann entsteht, wenn wir eine Situation im Leben plötzlich anders beurteilen. Stellen Sie sich einmal vor: Sie sind auf der Autobahn ganz knapp einem Unfall entgangen. Wenn man dann wieder freie Fahrt hat, dann kommt bei vielen Menschen das Lachen. Es ist eine Befreiung. Es ist eine körperliche, emotionale Befreiung, verbunden mit dem Bewusstsein: Ich habe noch mal Glück gehabt!«

Doms: »Wir lachen aber auch, wenn wir gekitzelt werden. Das ist ja etwas ganz anderes dann.«

Titze: »Das ist gar nichts anderes. Die Kitzel-Theoretiker gehen davon aus, dass das Kitzeln ganz weit zurück geht, in eine Zeit, als unsere Vorfahren, also die Höhlenmenschen, könnte man sagen, permanent gefährdet gewesen sind.
Stellen Sie sich einmal vor: Da liegt jemand schlafend in seiner Höhle und plötzlich wird er/sie gekitzelt. Das könnte natürlich in so einer primitiven Situation, vielleicht vor 50.000 Jahren, ein gefährliches Reptil oder ein Skorpion gewesen sein. Daraus wäre dann, wenn man das weiter entwickelt, eine riesige Gefahr entstanden. Doch dann stellt der Betreffende fest, dass ihn einer seiner Kollegen aus der Höhle nur mit einer Feder gekitzelt hat. In diesem Augenblick entsteht eine affektive Befreiung, die sich im Lachen äußert.«

Doms: »In einem Film lernen ein paar Individuen auf der Entwicklungsstufe der Neanderthaler das Lachen. Stimmt das, kann man die Zeit ungefähr benennen, wo wir das Lachen gelernt haben?«

Titze: »Dazu gibt es sehr interessante Theorien der Verhaltensforschung. Da wird davon ausgegangen, dass die damaligen Menschen noch nicht richtig verbal kommunizieren konnten. Sie verfügten nur über ganz rudimentäre sprachliche Möglichkeiten. Deshalb hatte das Lachen nach überwundener Gefahr immer auch die Bedeutung einer Botschaft. Über dieses Lachen wurde Stärke und Sicherheit signalisiert. Und bis auf den heutigen Tag ist dieses triumphierende Lachen ein Ausdruck von positivem Lebensgefühl.«

Doms: »Lachen ist gesund - dieser Spruch ist uralt, aber er scheint tatsächlich wahr zu sein. Täglich ca. 20 Minuten herzhaft zu lachen ist angeblich eine Methode, länger zu leben und vor allen Dingen gesund zu bleiben. Herr Dr. Titze, lachen ist gesund. Was passiert da im Körper?«

Titze: »Im Körper passiert beim Lachen ungeheuer viel. Das hat die Gelotologie, die Wissenschaft vom Lachen (gelos = das Lachen), ermittelt. Menschen die ausgiebig lachen, erreichen damit, dass die Sauerstoffversorgung des Gehirns steigt und dass Glückshormone und körpereigene schmerzstillende Substanzen freigesetzt werden. Dann wird das Herz-Kreislauf-System positiv beeinflusst, was dazu führt, dass der Blutdruck sinkt und die Verdauung angeregt wird und dass sich vor allem die Skelettmuskulatur entspannt, was sehr wichtig ist, wenn man zuvor unter Stress gelitten hat.«

Doms: »Wenn man einen Lachkrampf bekommt, ist das dann auch nicht gesundheitsschädlich?«

Titze: »Prof. Fry, der Begründer der Lachforschung, hat erklärt, er kenne noch keinen einzigen Fall, dass jemand beim Lachen gestorben ist.«

Doms: »Aber woher kommt dann der Ausdruck: Ich lach' mich tot oder ich lach' mich kaputt? Das heißt einfach nur, dass ich nur diesem Lachen Raum geben kann und nichts anderes tun?«

Titze: »Wenn man sagt: Ich lach mich kaputt ... dann bedeutet das, dass man total erschöpft ist und dass man denkt, ich kann nicht mehr! Und manche sagen gar: Ich möchte am liebsten sterben, weil ich das gar nicht mehr stoppen kann. Doch das sind eigentlich nur paradoxe Äußerungen.«

Doms: »Dass der Bauch vom Lachen weh tut, das ist noch gesund?«

Titze: »Das hängt damit zusammen, dass die Muskulatur zunächst einmal angespannt wird. Man geht davon aus, dass bei einem ausgiebigen Lachen rd. 300 Muskeln aktiviert werden. Wenn man aber weiter lacht, dann lässt die Spannung nach und es erfolgt eine totale Entspannung. Deswegen sagt man ja auch, man könnte sich vor Lachen in die Hosen machen. Das stimmt insofern, als die Muskulatur sich derart entspannen kann, dass es tatsächlich zu diesem Effekt kommen kann.«

Doms: »Was halten sie von Lachclubs?«

Titze: »Madan Kataria kenne ich persönlich gut und es ist auch interessant, wie er zu seiner Lachyoga-Methode kam. Kataria war ein praktischer Arzt in Bombay und seine Patienten waren ganz arme Leute, die keine Krankenversicherung hatten und die auch keine Medikamente bezahlen konnten. Nachdem Kataria von den Befunden der Lachforschung erfahren hatte, sagte er sich: Wenn die Patienten keine Medikamente bezahlen können, dann muss man ihnen auf diese Weise dazu verhelfen, ihre Immunabwehr zu steigern. Deshalb führte er eine Methode des Yoga ein, die schon immer dazu angetan war, den Lachreflex hervor zu rufen. So entstanden die Lach-Clubs. Und so kam es auch zu vielen heilsamen Effekten: Die Teilnehmer der Lach-Clubs bekommen weniger grippale Infekte und wohl auch andere Krankheiten im Vergleich zu Menschen, die nicht ausgiebig lachen. Was aber genau so wichtig ist, ist der soziale Effekt: Die Teilnehmer lernen nämlich, sehr viel besser miteinander, aber auch mit anderen Menschen umzugehen, denn man sagt nicht von ungefähr: Lachen ist ein soziales Schmiermittel.«

Doms: »Warum ist Lachen ansteckend?«

Titze: »Da gibt es die Theorie der Spiegel-Neuronen, die ich jetzt nicht im einzelnen erläutern möchte. Nur so viel: Wenn man jemanden lachen sieht, ergibt sich ein Effekt der Projektion. Im eigenen Gehirn werden nämlich genau die Bereiche aktiviert, die auch beim lachenden Gegenüber aktiv sind. Man nimmt dabei auch das auf, was im Gehirn des Anderen vorgeht, und das ist die unerbittliche Erkenntnis: Ich komme jetzt mit meinen Routinehandlungen als angepasster Erwachsener nicht mehr weiter. Irgendein Gedanke, irgendein neuer Inhalt hat sich hineingeschmuggelt und den kann ich jetzt nicht mehr in das integrieren, was ich eigentlich machen wollte. Das ist so verblüffend, dass ich nicht anders als lachen kann!
Diese rationale Inkompetenz, die ich unmittelbar erlebe, diese Inkompetenz führt dazu, dass ich mich zurück entwickle auf die Stufe eines Kindes, das sich ganz gedankenlos dem kreativen Spiel hingibt.«

Doms: »Man spricht hier von einem Lach-Flash, er kann nicht mehr anders. Warum können wir das, wenn das einmal abgeht, nicht unterdrücken? Das passiert mir auch, dass es Situationen gibt, da kann ich nicht aufhören zu lachen.«

Titze: »Man sagt, dass im Lachen die Weisheit des Körpers diktatorisch Macht über den Menschen gewinnt und dass die sonst vorherrschende Macht unserer Vernunft und unseres Gewissens blockiert ist. In diesem Augenblick entsteht etwas, das schon immer in uns angelegt gewesen ist und das Kinder sehr gut kennen: Eine affektive Explosion! Kinder können ja auch manchmal nicht mehr aufhören zu lachen, und so geht es auch dem Erwachsenen, der zwar immer noch er selbst ist, aber gleichzeitig in eine ganz andere Dimension katapultiert wurde.
Diese Erkenntnis führt dazu, dass wir als Verstandesmenschen kapitulieren und uns dem Lachen hingeben müssen.«

Doms: »Fast alle Menschen lachen gerne und Lachen ist gesund für Leib und Seele. Aber herausgekommen ist auch, dass die Menschen teilweise sehr unterschiedlich reagieren auf Lachimpulse.
Herr Titze, ich erzähle einen Witz vor 10 Leuten, zwei schauen gelangweilt und lachen nicht, zwei grinsen ein wenig und die anderen sechs lachen laut. Warum passiert so was?«

Titze: »Jeder hat seinen eigenen Lachstil und man könnte auch sagen: An ihrem Lachen sollt ihr sie erkennen! Also das, worüber Menschen lachen können, das zeigt auch, wie sie wirklich sind. Es gibt Menschen, die dann lachen können, wenn sie in Situationen kommen, in denen Peinlichkeit plötzlich entsteht. Wenn sie diese Peinlichkeit lachend akzeptieren, spüren sie sogleich: Es ist eigentlich nicht so schlimm, ich brauche mich nicht zu schämen! Sie erkennen, dass dies auch eine Chance ist, andere zum Lachen zu bringen. Ich denke, das ist die höchste, weil befreiende Form des Humors.«

Doms: »Wer oder was bestimmt denn, worüber nicht gelacht werden darf? Da gibt es ja auch gesellschaftliche Konventionen«.

Titze: »Ja, das ist richtig. Japaner werden über ganz andere Dinge lachen, als Europäer, und es wird auch immer wieder gesagt, dass Chinesen am meisten lachen können, wenn sie in den Zoo gehen und kleine Küken den Krokodilen vorwerfen. Das ist kulturell unterschiedlich.
Wenn man sich jetzt überlegt, worüber Pubertierende lachen, das ist etwas völlig anderes, als gesetzte Herren am Stammtisch, die Witze erzählen, die vielleicht ein wenig schlüpfrig sind.
Ich denke, das zeigt, dass das Lachen ein so weit gefasstes Phänomen ist, dass es sich nicht erschöpfend erklären lässt. Jeder hat eine andere Präferenz, einen anderen Lachstil, und das zeigt, dass das Lachen eigentlich etwas Anarchisches ist.«

Doms: »Ganz schlimm finde ich persönlich Menschen die, egal in welcher komischen Situation oder bei etwas Witzigem, ihrer gesamten Umgebung mit einem sehr ernsthaften Gesicht signalisieren: Darüber kann ich nicht überhaupt nicht lachen. Was sind das für Typen?«

Titze: Das sind Typen, die von einem Woody Allen oder Buster Keaton wunderbar dargestellt, persifliert werden. Es sind die, die nicht aus ihrer angestammten Rolle heraus kommen ...«

Doms: »Die kokettieren mit Ernsthaftigkeit.«

Titze: »Ja, Werner Finck hat gesagt: Am meisten lächerlich sind die, die auf gar keinen Fall lächerlich sein wollen.«

Doms: »Man spricht ja auch häufig von Menschen, die zum Lachen in den Keller gehen. Auf Neudeutsch sagt man gerne: Das ist eine Spaßbremse. Solche Menschen sollte man doch eigentlich meiden, oder?«

Titze: »Diese Spaßbremsen sind häufig unfreiwillig komisch, weil sie eben nicht komisch sein wollen, und gerade dadurch alles unternehmen, um als unfreiwillige Clowns zu agieren. Das sind oftmals wahre Humorspezialisten, die das abergar nicht gerne machen, die sogar darunter leiden. Aber dennoch besitzen sie die große Kompetenz, andere zum Lachen zu bringen. Wenn sie das einmal akzeptiert haben, dann sind sie auf dem Weg zum freiwilligen Komiker schon ganz weit gekommen.!

Doms: »Wenn man sich das Fernsehprogramm ansieht, auf allen Kanälen und da durchzappt, fällt man von einer Comedy-Show in die andere. Wird in Deutschland zu wenig gelacht?«

Titze: »Dazu gibt es Statistiken, wonach in den frühen 50er-Jahren dreimal so viel gelacht wurde wie heute. Das möchte ich nicht weiter kommentieren. Nur eines: Wir stehen einfach mehr unter Druck, wir müssen mehr leisten und wir müssen auch immer damit rechnen, das existenziell etwas Verhängnisvolles passiert, dass man den Job verliert etc. Ich denke dieser Stress führt dazu, dass Menschen ein Bedürfnis nach etwas haben, das diesen Stress ganz schnell weg lachen lässt.«

Doms: »Also wir müssen alle mehr lachen?«

Titze: »Wir müssen alle mehr lachen und ich hoffe, dass wir das auch tun!«