SWR1 - Der Abend, Sendung vom 01.05.2010
 
Witze
 
mit Stefanie Jacob
 
 
Stefanie Jacob: Kommt ein Mann zum Arzt ... bei uns in SWR1 »Der Abend« geht es heute um Witze. Am Sonntag ist nämlich Welt-Lachtag und da dachten wir uns, warum machen wir nicht mal was über Witze. Einen Witz gut zu erzählen oder erst recht einen zu erfinden, das ist eine Kunst für sich. Wie das geht, darüber sprechen wir später. Jetzt geht es erst einmal um die Praxis.

Helge Thun (SWR1 Kabarettist): Das Schlimmste, was man als Komiker hört ist ja: »Kennen sie Mario Barth, der ist witzig« oder noch schlimmer: »Kennen Sie den hier ...«
Das ist ja auch eine Frage, die in keiner anderen Berufsgruppe gestellt wird. Zu recht, als Urologe will man ja auch nicht, dass alle gleich die Hose runterlassen und fragen: 'Kennen Sie schon den hier?'
Ich mein', ich würde mir ja gern Witze anhören, nur Männer erzählen welche, haben aber keinen Humor und Frauen haben Humor, können aber keine Witze erzählen. Und Männer kennen ja auch nur übelste Stammtischwitze. Ich antworte schon immer instinktiv: »Ja, kenn ich ...«. Nützt nur nichts, ich muss mir die Schei*** trotzdem anhören.
Frauen können da ja super schauspielern, die lachen was das Zeug hält, egal wie schlecht der Witz ist, aber die können ja auch einen Orgasmus vortäuschen.
Meine Strategie ist ja jetzt: Erst zu früh lachen und nach der Pointe fragen: Und wie geht die Pointe? Problem ist nur, da muss man sich auch noch die Erklärung anhören. Dafür kann man dann sagen: Ich habe schon über bessere Witze nicht gelacht oder man lässt ihn verrecken und fragt: »... und wie geht's ihrer Frau?«
Da ist natürlich das Timing entscheidend und dass der Typ überhaupt eine Frau hat, was bei dem Humor meistens zu bezweifeln ist. Obwohl Frauen ja selbst bei solchen Flachpfeifen lachen können.
Das kennt man aus den lustigsten Hitradio Morning Shows. Da ist ja auch grundsätzlich ein gutgelaunter Vollidiot, der auf einer Witzigkeitsskala von 1-10 bei -12 liegt, quasi ein Günther Öettinger des Humors und dazu eine weibliche Lachkonserve, bei der man sich fragt, wenn deren IQ schon bei 25 liegt, warum setzen die dann keinen Cockerspaniel ins Studio, der würde die Pointe zumindest ansatzweise verstehen.

Stefanie Jacob: Wir sind heute in SWR1 »Der Abend« dem Witz auf der Spur und fragen unseren Kabarettisten: Hast du einen Lieblingswitz?

Helge Thun: Ja, ich habe tatsächlich einen Lieblingswitz, der ist aber nur ganz kurz, da muss man aufpassen und er kommt natürlich aus Norddeutschland: »Was liegt am Strand und spricht undeutlich?« - »Eine Nuschel.«

Stefanie Jacob: Lachen ist ja bekanntlich gesund und Witze sind dafür eine gute Ausgangsbasis, können die Kommunikation bei vielen Gelegenheiten auflockern. Das Ganze kann aber auch gründlich danebengehen, wenn die Witze schlecht erzählt werden, peinlich berühren oder einfach nur schlecht sind.

Dr. Michael Titze beschäftigt sich mit Witzen. Er ist Diplom Psychologe und Humorforscher. Dr. Titze die Frage muss ich als erstes stellen: Wie geht der Lieblingswitz eines Humorforschers?

Michael Titze: Zur Zeit habe ich einen Lieblingswitz, der aus der Familientherapie kommt, also aus meiner aktuellen Arbeit, und der geht so: Der Hausarzt kopfschüttelnd zur Frau des Patienten: »Ihr Mann gefällt mir aber gar nicht.« Und sie antwortet drauf: »Mir gefällt er auch nicht, aber die Kinder hängen so an ihm.«

Stefanie Jacob: Ich habe mich schon häufig gefragt, wie entstehen eigentlich Witze, wer erfindet die?

Michael Titze: Es gibt natürlich Gag-Experten, die sich Witze für Alleinunterhalter wie Harald Schmidt oder Stefan Raab einfallen lassen, aber meist ist es so, dass sie bereits vorhandene Witze modifizieren.
Viele Witze entstehen einfach spontan in geselligen Runden, am Stammtisch zum Beispiel, da gibt ein Wort das andere. Da kommt ein Statement und ein anderes, das vielleicht gar nicht so dazu passt, folgt sofort. Und dann wird kollektiv versucht, das irgendwie miteinander zu verknüpfen, auch und gerade, wenn es unpassend ist: Das ist das Kontrastphänomen. Und was daraus entsteht, kann ein Witze sein, der sich - wenn er gut ist - entsprechend dem Schneeballeffekt verbreitet. Das geht rasend schnell und oft ist es so, dass ein guter Witz in wenigen Monaten um den ganzen Erdball herumgegangen ist.

Stefanie Jacob: Also ich muss sagen, ich kenne das eigentlich nur, wenn man jetzt mit Freunden zusammensitzt, dann kommt es schon mal vor, dass irgendeiner einen Witz erzählt, aber ich habe noch nie in meinem Leben erlebt, klar dann waren Situationen lustig, dass daraus ein Witz entstanden ist.

Michael Titze: Was witzig ist kann grundsätzlich zu einem Witz werden: In belustigenden Situationen kann ein witziges Statement, z.Bsp. über einen abwesenden Ehemann, dazu führen, dass jemand einfach assoziativ einen Kommentar dazu abgibt. Das regt wiederum die anderen dazu an, ihre Einfälle in die Diskussion einzubringen - und plötzlich beginnen alle zu lachen! Dann ist es mit Sicherheit so, dass eine Pointe entstanden ist. Eine Pointe ist einfach eine Steigerung von belustigendem Spannungsaufbau, aber auch intellektueller Erkenntnis, die sich zum Schluss so verdichtet, dass sich etwas ganz Neuartiges entsteht. Wenn dieses neuartige Element ins Spiel gebracht wird, ist ein richtiger Witz entstanden.

Stefanie Jacob: Eine Mail haben wir bekommen, von Alexander aus A. Er schreibt: Treffen sich zwei Zahnstocher im Wald und unterhalten sich. Kommt ein Igel vorbei, sagt der eine Zahnstocher zum anderen: »Wusste gar nicht, dass hier ein Bus fährt«.
Schöner Witz, witziger Witz, aber es gibt ja auch andere. Ich weiß nicht, ob Sie es auch schon einmal erlebt haben ... Ich war vor ein paar Wochen auf einem Geburtstagsfest und an meinem Tisch saß ein Mann, der hielt sich für den besten Witzeerzähler der Welt und hat einen schlechten Witz von sich gegeben, und ich glaube, der hat nicht gemerkt, dass fast keiner gelacht hat, weil er selbst am lautesten lachte über seine Witze.
Ob ein Witz witzig ist, das muss jeder für sich selbst entscheiden, denn nicht jeder lacht ja über das gleiche. Frage an den Humorforscher Dr. Michael Titze: Es gibt aber tatsächlich verschiedene Witz-Mechanismen, welche denn?

Michael Titze: Es gibt einen Mega-Mechanismus und das ist der komische Kontrast. Ein Kontrast ist ein Ausdruck von Widersprüchlichkeiten, man spricht auch von Inkongruenz. Wenn also zwei Sachverhalte zusammenkommen, die eigentlich nicht zusammenpassen und die dann miteinander verschmolzen werden, ergibt sich das Kontrasterlebnis. Es gibt da Beispiele: Jemand trägt zu einem schwarzen Sonntagsanzug schwere Bergstiefel, oder bei einem Sommerfest wird ein Weihnachtslied angestimmt.
In der Forschung geht man davon aus, dass sich in diesem Zusammenhang eine Verbindung von rationalem Erwachsenendenken und nicht rationalem kindlichen Denken ergibt. Ein komischer Kontrast ergibt sich also, wenn ein vernünftiger Erwachsener plötzlich wie ein albernes Kind zu argumentieren beginnt. Dann gibt es einen intellektuellen Sprung, der einen kreativen Mix bewirkt. Und das verblüfft und amüsiert zugleich.
Ein Beispiel kommt von Woody Allen, der auf diesem Gebiet besonders aktiv gewesen ist: »Der Nihilismus behauptet, dass es kein Leben nach dem Tode gibt, ein deprimierender Gedanke besonders für einen, der sich nicht rasiert hat.«
Oder Groucho Marx, der berühmte amerikanische Komiker, der sagte einmal: »Wenn ich ein Pferd hätte, würde ich Ihnen die Sporen geben.«
Das ist natürlich völlig unlogisch, aber man beginnt nachzudenken und hat dann plötzlich das Gefühl, dass da doch etwas dran ist an solchen absurden Sprüchen. Man kann zwar nicht genau sagen, was es ist, denn die Logik ist ja ausgeschaltet. Aber emotional baut sich unweigerlich eine Heiterkeit auf, die zum Lachen anregt.

Stefanie Jacob: Der Lieblingswitz von Michael aus Baden-Baden: »Sagt die Mutter zur Tochter entsetzt: »Was, du bist erst 16 Jahre alt und willst schon die Pille?« Antwortet die Tochter: »Ja klar oder kannst du mir versprechen, dass ich nochmal drei Jahre Glück habe?«
Dann schreibt er noch: »Da ich vor 7 Wochen Zwillingsmädchen bekommen habe, finde ich den Witz wohl nur noch 12 Jahre und 45 Wochen lustig.«
Bei uns geht es um Witze und ganz klar, jeder hat einen ganz anderen Humor und anscheinend können auch Männer über andere Witze lachen als Frauen. Ich kenn' das aus persönlicher Erfahrung. Während sich in einer geselligen Runde bei manchen Witzen die Männer auf die Schenkel klopfen, herrscht bei den Frauen betretenes Schweigen.
Hattu Möhren, muttu kaufen ... oder so ähnlich, die Häschenwitze waren mal ganz in.
Jede Zeit hat ihre Witze. Erinnern sie sich noch: Häschen kommt gegen Abend ins Obstgeschäft ... oder: Da sitzen zwei Ostfriesen vor dem Spiegel, sagt der eine: »Du sag mal, die beiden kommen mir so bekannt vor oder »Wie bringt man eine Blondine am Montag zum Lachen?«
Blondinen-Witze, Häschen-Witze, Ostfriesen-Witze: Sie sind alle mal in gewesen. Frage an Dr. Michael Titze: Wie kommen solche Witze-Wellen zustande?

Michael Titze: Es ist klar, dass immer wieder nach neuen Witzen gesucht wird, die nicht bekannt sind, die noch verblüffen können. Dann entstehen halt solche Witze wie die Häschen-Witze, die Mitte der 70er Jahre entstanden sind und die damals ganz neu waren und daher verblüffen konnten. Die Handlung ist ganz einfach: Es geht darum, dass ein Hase, einen von den Menschen geführten Dienstleistungsbetrieb, ein Geschäft z.Bsp., aufsucht und dann von der Angestellten oder dem Inhaber etwas ganz Untypisches, wie z.Bsp. kalten Kaffee oder aber etwas Hasenspezifisches wie eine Möhrentorte haben will. Die Pointe erfolgt dabei immer auf ein einfaches Wortspiel: Der Hase kommt in ein Schallplattengeschäft und fragt die Verkäuferin (diesmal untypisch): »Hattu Platten?« Als diese bejaht, antwortet der Hase: »Muttu aufpumpen.«

Stefanie Jacob: Also sind diese Häschen-Witze immer nach dem gleichen Schema aufgebaut?

Michael Titze: Immer nach dem gleichen Schema, aber der Effekt, die Tendenz wie man in der Witzforschung sagt, hat damit was zu tun, dass der Hase eben ein Inbegriff von Weniger-Kompetenz ist im Vergleich zum Menschen. Das hängt ja auch schon damit zusammen, dass er nicht richtig sprechen kann, dass er durch seine Schneidezähne hindurch nuschelt. Und durch diese Unfähigkeit des Hasen gegenüber dem kompetenten Menschen entsteht ein Gefälle. Das ist der Abwärtsvergleich, der für eine Witzeentstehung sehr wichtig ist. Also man muss sich, wenn man den Witz hört, sofort als ein Überlegener fühlen. Man ist in diesem Fall nicht der Hase, sondern man ist der Mensch, der das alles besser kann und da ergibt sich ein Abwärtsvergleich.

Stefanie Jacob: Aber das ist ja bei den Blondinen ähnlich, also die werden ja auch alle niedergemacht in den Witzen.

Michael Titze: Ganz genau, das können ebenso Blondinen-Witze sein oder Ostfriesen-Witze oder Witze über Mantafahrer. Bei den Blondinenwitzen ist es tatsächlich so, dass eine vermeintliche Randgruppe auf's Korn genommen wird, die sich ebenfalls durch weniger Kompetenz ausgezeichnet. Somit gehört der Zuhörer zur Mehrheit der Kompetenteren.
Dabei ergibt sich natürlich ein Kontrast. Der Zuhörer ist der Überlegenere und die Blondine, das Häschen oder der Mantafahrer, das sind die weniger Kompetenten, die Blöden. Und dieses Zusammenprallen von zwei unterschiedlichen Gedankensträngen führt dazu, dass eine Verblüffung entsteht, die erheitern kann.

Stefanie Jacob: Wollen wir zum Schluss versuchen, einen Witz zu erfinden? Ich bin mal gespannt, ob wir das hinbekommen. Dr. Titze, ich denke wir machen es nicht in die Richtung: Kommt ein Mann zum Arzt, sondern nehmen uns ein aktuelles Thema, ein politisches Thema. Wir könnten doch die griechische Staatsverschuldung als Ausgangspunkt nehmen, einverstanden?

Michael Titze: Das könnten wir machen, ich muss dazu nur nochmal wiederholen: Es müssen zwei Aussagen kommen, die durch ein gemeinsames Element verbunden sind, ansonsten aber in Kontrast zueinander stehen - die also logisch nichts miteinander zu tun haben. Wir können mit dieser Aussage beginnen: Die griechische Staatsverschuldung ist vielleicht der Beginn oder der Ursprung des wirtschaftlichen Ruins Europas.
Und nun die zweite Aussage, die mit der ersten gar nichts zu tun hat: In Griechenland hat die Komödie ihren Ursprung. Wenn man diese beiden Aussagen zusammenbringt, ließe sich sagen: Die griechische Staatsverschuldung ist eine einzige Komödie, an der die Europäer als Darsteller beteiligt sind und Deutschland wieder einmal die Hauptrolle spielt.

Stefanie Jacob: Also da schmeißt man sich jetzt nicht gerade weg vor Lachen, aber es ist ordentlich.

Das war Dr. Michael Titze, er ist Diplom-Psychologe und Humorforscher, hat viele Bücher über Lachen und Humor geschrieben, z.B. «Die Humorstrategie« und er ist außerdem Gründungsvorsitzender von HumorCare Deutschland e.V., das ist eine Gesellschaft zur Förderung von Humor in Therapie, Pflege, Pädagogik und Beratung.