Wie es begann ...
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Von Michael Titze
Erinnerungen

Während meines Psychologiestudiums an der Uni Konstanz belegte ich im Wintersemster 1970 ein Seminar über »Pathologische Kommunikationsstile«. Pflichtlektüre war der soeben in deutscher Übersetzung erschienene Sammelband Schizophrenie und Familie, der die wichtigsten Arbeiten der von Gregory Bateson gegründeten »Palo Alto-Gruppe« beinhaltet. Die Kernaussagen dieses Buches beziehen sich auf kommunikative Doppelbindungen im Stile von Alices »Wunderland«. Beschrieben werden alogische Verwirrspiele und meta-kommunikative Zwickmühlen, die - so die zugrunde liegende These - »schizophrenogen« sind, also geeignet, einen Menschen ins Reich der Verrücktheit zu bringen! Diese These wäre beängstigend, hätten die Autoren dieses Buches nicht schon auf den ersten Seiten festgestellt, dass auch der Humor der Strategie paradoxer Verwirrspiele folgt - indem er von einem logischen Bezugssystem in ein alogisches springt und dabei z. B. metaphorische Aussagen in wörtliche Feststellungen münden lässt, die einen anderen Sinn besitzen. Glücklicherweise konnte ich mir vom damaligen Seminarleiter das 1963 von William F. Fry verfasste Buch Sweet Madness ausleihen, das diese paradoxen Strategien des Humors sehr genau beschreibt. Der Stanford-Professor Fry war der »Humorbeauftragte« der Palo Alto-Gruppe und ein langjähriger Freund von Paul Watzlawick, der die Wirkweise paradoxer Interventionen in den siebziger Jahren auch im deutschsprachigen Bereich bekannt machte.

Nach Abschluss meines Studiums habe ich einige Jahre in der stationären Psychiatrie gearbeitet und gleichzeitig eine Ausbildung in der tiefenpsychologischen Methode Alfred Adlers absolviert. Besonders nützlich erschienen mir die »antisuggestiven« Methoden der Adlerschen Individualpsychologie, die insgesamt auf den paradoxen Grundsatz der Symptomverstärkung hinauslaufen. 1932 formulierte dies Rudolf Dreikurs so: »Der Therapeut rät dem Patienten in nicht verletzender Weise und unter irgend einem Vorwand, gerade das zu üben, was er bisher bekämpft hat, also sein Symptom zu verstärken« (zit. nach Titze&Eschenröder, S. 66). Es war ganz selbstverständlich, dass ich in diesem Zusammenhang auf Viktor Frankls »paradoxe Intention« stieß, denn der spätere Begründer der Logotherapie war in seinen jungen Jahren ein Schüler von Alfred Adler! Und es war Frankl, der die eher vagen Hinweise zur paradoxen Verfahrensweise, wie sie in der adlerianischen Literatur der zwanziger und dreißiger Jahren zu finden sind, zu einer eigenständigen Behandlungsmethode ausbaute. Erstmals in der Psychotherapiegeschichte brachte Frankl dies ausdrücklich in einen Zusammenhang mit Humor , indem er erklärte, man solle den Patienten anhalten, seine Ängste »mit humorvollen Formeln zu übertreiben« (zit. nach Titze&Eschenröder, S. 77). In der täglichen Arbeit mit psychiatrischen Patienten wirkte diese Methode verblüffend gut - und meistens stellte sich eine befreiende Erheiterung ein! Ich beschrieb diese Erfahrungen 1977 in einem Zeitschriftenartikel und 1979 in einem Buch, das schon längst vergriffen ist. Der Zufall wollte es, dass Viktor Frankl über diese Publikationen stolperte und mit mir zu korrespondieren begann. 1982 lernte ich Frankl bei einem Kongress persönlich kennen. In der Folge besuchte ich einige Fortbildungsseminare, die er in Wien veranstaltete, und 1983 referierte ich beim 3. Internationalen Kongress für Logotherapie über Frankls paradoxe Methoden. Beim anschließenden Abendessen sprach mich ein Lektor des Freiburger Herder-Verlags auf ein Buchprojekt über Humor in der Psychotherapie an. Ich reagierte nicht besonders humorvoll, denn das Thema war mir alles andere als vertraut! Doch der Lektor sah das anders: »Herr Frankl hat mir gerade gesagt, dass Sie dieses Buch schreiben sollten ...« Worauf ich sofort Frankl, der in der Nähe saß, um eine Erklärung bat. Er gab mir diese Antwort: »Sie haben sich ausführlich mit der paradoxen Intention befasst, und diese ist nichts anderes als Humor in der Therapie. Wenn Sie das Buch schreiben, werden Sie es schon merken.« Ich gestehe, dass es zunächst gar nicht so einfach war, dies in die Tat umzusetzen. Doch dann war die Heilkraft des Humors geschrieben und wurde 1985 im Herder-Verlag veröffentlicht.

Im November 1983 rief mich Frankl an und informierte mich darüber, dass William F. Fry (dessen Buch ich wie gesagt schon als Student gelesen hatte) Autoren für einen Sammelband über Humor in der Therapie suchte. Frankl beendete das kurze Telefongespräch mit den Worten: »Ich habe ihm Ihre Anschrift gegeben und wünsche Ihnen schon jetzt Inspiration beim Schreiben«.

An einem Frühlingstag des folgenden Jahres erhielt ich einen Brief von Fry, handgeschrieben auf dem Papier des Golf-Clubs von Palo Alto, California, in dem er mich persönlich zur Mitarbeit am Handbook of Humor in Psychotherapy einlud. Beigelegt hatte er einen Artikel aus dem Jahr 1971, in dem er sich über Forschungsergebnisse der »Gelotologie« äußerte. Gelotologie? Diesen Begriff hatte ich bis dahin nicht gehört! Die Definition fand ich schnell in Frys Artikel: »Gelotology originates from the Greek root, gelos: laughter. It is used to designate the science of laughter.« Ich war fasziniert: Präzise beschrieb Fry, wie sich ein herzhaftes Lachen auf viele Funktionen des Körpers - Herz-Kreislauf-System, Atmung, Verdauung, Körpertemperatur - auswirkt. Später sollte ich erfahren, dass er bei seiner frühen Forschungsarbeit keinerlei Unterstützung von der Stanford-University, an der er als Psychiater lehrte, erhielt. Im Gegenteil: Von vielen seiner Kollegen wurde er als liebenswürdiger Spinner belächelt. Lachen als Gegenstand der Forschung? Das konnte doch nur ein Witz sein!

1984 hatte sich die Situation allerdings schon etwas verändert. Zumindest in den USA gab es einige Fachleute (Therapeuten, Ärzte, Krankenschwestern), die das heilsame Lachen ernst zu nehmen begannen. Natürlich betraf das auch den großen Bereich des Humors, in dem sich das Lachen - als »Humorreaktion« - entfaltet. Wenige Jahre später lernte ich William Fry persönlich kennen und fungierte bei seiner Vortragsreise durch Deutschland und die Schweiz im Oktober 1992 als Übersetzer. Fry vermittelte mir die Mitgliedschaft in der International Society of Humor Studies und dem Humor Seminar der University of Central Oklahoma.

Mehrfach war Fry dann Referent bei unseren Humorkongressen in Basel und Stuttgart. Diese enge und herzliche Kooperation fand ihren Höhepunkt beim 2. Stuttgarter Humor-Kongress (1. und 2. Mai 2002), als Fry während einer Feierstunde unter einer lachenden Frühlingssonne in das Amt des Ehrenvorsitzenden von HumorCare Deutschland eingesetzt wurde.


Literatur:
Bateson & Jackson & Haley & Weakland & Wynne: Schizophrenie und Familie. Frankfurt, 1969
Fry: Sweet Madness. Palo Alto, 1963
Fry & Salameh (Hrsg): Handbook of Humor in Psychotherapy, Sarasota, 1987
Titze: Ist die »paradoxe Intention« eine individualpsycholgische Technik? Zeitschrift f. Ind. Psychologie, 2, 1977, S. 103-122
Titze: Lebensziel und Lebensstil. München, 1979
Titze: Heilkraft des Humors. Freiburg, 1985
Titze & Eschenröder: Therapeutischer Humor. Frankfurt, 2003 (4. Aufl.)


© Dr. Michael Titze
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