»Verbindendes statt Trennendes« – Die Paradoxie als Spannungsbogen zwischen Homöopathie und Allopathie
Mit Neugierde gelesen von Christoph Müller
Mit erstaunten Augen habe ich das Buch »Paradoxie – Die Spanne zwischen Unsinn und Erleuchtung« in die Hand bekommen. Aus der psychiatrisch-pflegerischen Praxis ist mir die paradoxe Intervention bekannt. Im Leben an sich sind mir paradoxe Phänomene bekannt. Dass tiefgründig über die Paradoxie und das Paradoxon an sich nachgedacht wird, ist mir bis zum Buch der Homöopathin Rosina Sonnenschmidt und des Psychotherapeuten Michael Titze nicht begegnet.
Da verwundert es nicht, dass aus dem bloßen Erstaunen eine Neugierde erwachsen ist. Denn Sonnenschmidt und Titze haben mit dem Buch nicht nur die Spannungsbögen zwischen der Homöopathie und der Allopathie deutlich gemacht. Sie haben auf dem Fundament vielfältiger praktischer Erfahrungen die Spannungsbögen aufgelöst, gleich dem Durchschlagen eines gordischen Knotens.
Die Homöpathie (Naturheilkunde) und die Allopathie (Schulmedizin) scheinen sich unversöhnlich gegenüberzustehen. Eine gegenseitige Wertschätzung scheint häufig auszubleiben. Die Schnittmenge zwischen Sonnenschmidt und Titze ist die intensive Auseinandersetzung mit dem Lachen und dem Humor als Alltags-und Beziehungsphänomen. Sie spitzen dieses schwierige Verhältnis in der Bemerkung zu: »Wenn wir dem daraus resultierenden Verhalten eine Komik abgewinnen, ergo über uns selber lachen können, entmachten wir die in der Medizin bzw. Heilkunde immer noch virulente Haltung zur Inquisition + Intoelranz + Kampfeslust. Das kann zwar eine lange Weile dauern, weil in der Medizin genau die gleichen Ängste um Pfründe und Geltung florieren wie in der Homöopathie, aber wir tun mal den ersten Schritt ins Neuland der Toleranz + gegenseitigen Würdigung + Humor = Zeichen kultivierten Verhaltens.« (S.7)
Aus persönlichen Begegnungen mit den beiden Autoren ist mir während der Lektüre das Augenzwinkern und das verschmitzte Lächeln vor Augen gewesen, mit denen Sonnenschmidt und Titze das Buch geschrieben haben müssen. Es kommt daher als Dialog zwischen zwei erfahrenen Praktikern, die sich auf Augenhöhe begegnen und dem Gesprächspartner die eigene Gedankenwelt lassen können. Dabei verlieren sie nicht das Ziel aus den Augen, das Verbindende statt das Trennende zu ergründen.
Im Fokus ist beispielsweise der Begriff des Symptoms. Im Sinne der paradoxen Intervention fordert der behandelnde Psychotherapeut unter anderem den Menschen in der Krise auf, seine Symptome zu übertreiben. Die Irritation des seelisch angeschlagenen Menschen erscheint vorprogrammiert. Apropos Irritation: es wirkt so, dass Sonnenschmidt und Titze aufrütteln wollen. Sie wollen die Behandelnden aus den Schneckenhäusern ihrer Therapie- oder Professionsschulen locken. Sie wollen Behandelten zeigen, dass einer seelischen wie körperlichen Instabilität mit vielen Optionen begegnet werden kann.
Titze geht so weit, dass er »Symptome als innere defensive Ressourcen« beschreibt. Damit wendet er den Blick von der Pathologie ab, sucht nach dem Sinn der Symptome. Da gerät wie innerhalb einer Familie in den Hintergrund, dass der scheinbar kranke Mensch als Symptomträger eines sozialen Systems daher kommt. Der instabile Mensch muss als Glücksfall betrachtet werden, um Ressourcen des Einzelnen wie der Gemeinschaft wieder zu entdecken.
Das Buch »Paradoxie – Die Spanne zwischen Unsinn und Erleuchtung» verlässt die gewohnten Wege, nimmt an der einen oder anderen Stelle den Mainstream in Naturheilkunde, Medizin und Therapie auf den Arm. Titze bringt bewusst Begriffe der Abnormität, Widersinningkeit und Absurdität ins Gespräch. Dies kann jedoch nur zustande kommen, wenn die Kreativität des Einzelnen bereit ist, ein neues Drehbuch für das eigene Leben zu schreiben.
Die vordergründige Widersprüchlichkeit und bewusste Suche nach dem Gemeinsamen macht die Lektüre zu einer kurzweiligen Abenteuertour. Über die Naturheilkunde lernt der Leser eine Menge. Kenntnisreich führt Sonnenschmidt durch die Homöopathie und macht Appetit, sich hier oder dort etwas intensiver hineinzufühlen. Ihr Bekenntnis spricht für sich: »Ich habe ein unerschütterliches Vertrauen in die Mutter Natur und ihre mächtige Tochter, die Homöopathie, und ihren kraftstrotzenden Sohn, den Humor ... Aber es ist tatsächlich so, dass ich offen bin für das Wundervolle in unserer Heilkunst und wurzelfest davon überzeugt bin, dass nur der Patient sich heilen kann.« (S.191)
Diese Idee wird viele Menschen zum Widerspruch anregen. Viele Zeitgenossen sehen sich sicher eher als Opfer, denn als Täter bei der Genese einer körperlichen Erkrankung oder seelischen Instabilität. Entscheidend ist bei dem Buch von Sonnenschmidt und Titze, dass Schwarz-Weiß-Schemata dieser Art aufgelöst gehören, da die Dynamik der eigenen Persönlichkeit und des alltäglichen Lebens sich darin nicht wirklich auflösen lassen.
Sonnenschmidt und Titze haben mit dem Buch »Paradoxie – Die Spanne zwischen Unsinn und Erleuchtung« einen Treffer gelandet. Sie wollen, dass sich Allopathie und Homöopathie die Hand reichen. Sie schaffen es, dass mit dem Humor und dem Lachen diese Annäherung gelingt. Hoffentlich verhallt ihr lauter und anregender Ruf nicht in der stillen und steinernen therapeutischen Wirklichkeit. Im Aufspüren wenig beachteter Phänomene wie der Paradoxie gibt es die nötigen Berührungspunkte. So wird auch aus einem überraschten ein entspannter Blick. |