Pflichtlektüre, Studierendenmagazin der Universitäten Bochum, Dortmund und Duisburg-Essen, 29.06.11
 
Humor von seiner dunklen Seite
 
Von Janna Cornelissen

Wenn man an lachende Menschen denkt, fallen wohl den meisten zuerst positive Gefühle ein. Würde man aber einen Gelotophobiker fragen, was er beim Anblick lachender Menschen empfindet, wäre die Antwort: Angst, Schwindel, Zittern und Schweißausbrüche. Zusammengefasst: Purer Stress und teilweise richtige Panikattacken. Die Gelotophobie, also die Angst vor dem Ausgelacht werden, betrifft mehr Menschen als man denkt.
 
 

»Ich wurde immer empfindlicher und begann selbst Leute zu fürchten, die mich freundlich anlächelten.« So beschreibt eine Patientin ihr jahrelanges Martyrium aus Selbstzweifeln und der Angst, von anderen ausgelacht zu werden. Die Ursache für diese Form der Scham-Angst sieht der Psychoanalytiker und Humorforscher Michael Titze in einer zwanghaften Angepasstheit, die durch das Elternhaus und die Kultur, in der man aufwuchs, verlangt wurde.
»Sogenannte Schamkulturen prägen die Menschen auf eine Angepasstheit und übertriebene Loyalität«, sagt Titze. Schamkulturen stellen das Allgemeinwohl weit vor das Wohl des Einzelnen. Menschen, die so aufwachsen, lernen nicht, dass Lachen auch schöne Seiten hat. Die ständige Demütigung durch Bezugspersonen und das Lachen als Mittel zur Kränkung führt dann zu schweren Komplexen, die sich auch im Erwachsenenalter fortsetzen.
In einer Studie der Universität Zürich wurden Menschen aus 73 Ländern auf Gelotophobie untersucht. Insgesamt rund 23.000 Probanden haben teilgenommen. Das Ergebnis: In muslimischen Ländern und in Japan leben auffallend viele Gelotophobiker. Die skandinavischen Länder haben eine sehr viel niedrigere Rate. Michael Titze hat dieses Ergebnis nicht überrascht: »Muslimische Länder sind Schamkulturen, deswegen ist die Anzahl Betroffener hier so hoch.« Aber auch Deutschland sei vor einigen Jahren noch eine Schamkultur gewesen: »Bis in die 60er, 70er Jahre wurden auch hier viele Kinder zu übertriebener Scham erzogen. Man muss sich vorstellen, dass man zum Beispiel Bettnässer so bestraft hat, dass die Bettlaken demonstrativ nach draußen gehängt wurden«, erklärt der Psychotherapeut.

Der Pinocchio- Komplex
»Bin ich ein ungeschickter Trampel? Ich traute mir bald gar nichts mehr zu, denn tatsächlich wurde ich wirklich immer verkrampfter und komischer.« Eine Patientin erzählt von einem ganz typischen Bild eines Gelotophobikers: Dem »Pinocchio-Komplex«. Die körperlichen Symptome führen dazu, dass sie auf ihre Mitmenschen erst recht unfreiwillig komisch wirkt. »Die Patienten sehen teilweise aus wie Marionetten, weil sie sich so verkrampft bewegen«, sagt Michael Titze. Jedes auch nett gemeinte Lächeln von anderen wird als Erniedrigung wahrgenommen. Die Traumatisierung aus der Kindheit ist wieder präsent.
Um die Angstspirale zu durchbrechen, benutzt Titze in seinen Therapiestunden das »Humordrama«. In Rollenspielen müssen die Patienten wie Clowns alles tun, um ganz bewusst komisch zu sein. »Eigene Fehler sollen dann überspitzt vor den anderen Patienten dargestellt werden«, sagt Titze. Das helfe, zu seiner eigenen Persönlichkeit Abstand zu gewinnen und die Kontrolle wiederzuerlangen.

Amokläufer sind oftmals Gelotophobiker
Die Ursachen für diese Phobie sind oftmals deutlich, aber auch die Auswirkungen zeichnen sich immer mehr ab. Es gibt, vereinfacht gesagt, zwei Extreme dieser Erkrankung: Totaler Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben, um die Angst zu umgehen. Oder ein Ausbruch, der in den schlimmsten Fällen zu tragischen Ereignissen führt.
In den USA hat man die Vorgeschichte von Amokläufern analysiert und kam zu dem Schluss: Fast alle litten unter einer Gelotophobie. »Die Täter waren meistens vorher selbst Opfer von Mobbing und wurden ständig ausgelacht. Sie wollen dann irgendwann ihrer Rolle entkommen und Machtphantasien werden dann bei einigen real ausgelebt«, erklärt Michael Titze. Natürlich wird nicht jeder Gelotophobiker zum Amokläufer, aber jahrelange Wut und Verzweiflung können irgendwann mal ausbrechen.

Lachen als Ausdruck von Aggression und Überlegenheit
Nicht viele Humorforscher befassen sich auch mit der »dunklen Seite« des Humors. Die Öffentlichkeit geht meistens auf die heilende Wirkung des Lachens ein, was durch viele Studien auch belegt wird. Lachen ist und bleibt gesund. Aber ist die Ursache für das Lachen wirklich immer so grundgut? Schon Philosophen wie Aristoteles und Hobbes haben damals festgestellt, dass das Lachen nicht immer auch eine positive Ursache hat.
»Stärke und Macht gehen mit dem Lachen meistens einher«, sagt der Experte. Nicht umsonst zeigt man seinem Gegenüber beim Lachen auch die Zähne. Und auch die hohe Lautstärke beim lachen zeugt von typisch aggressivem Verhalten. Der Blick in die Tierwelt kann hier Erklärungen bieten: Unsere nächsten Verwandten, die Affen, benutzen das Zähneblecken als Drohgebärde, um über den Gegner zu triumphieren.«

Das Herz mit Humor betäuben
Blickt man auf die Geschichte der Menschheit zurück, entdeckt man in jeder Epoche Beweise dafür, dass Humor Ausdruck von Aggression sein kann. Über andere Menschen zu lachen, die in den Augen des Lachenden minderwertig sind, wird durch die »Überlegenheits- und Aggressionstheorie« des Humors gestützt.
»Hinrichtungen im 18. Jahrhundert oder die verschiedene Erlebnisse im Dritten Reich zeigen, dass Menschen über eigentlich Grausames ausgiebig lachen können«, sagt Humorforscher Titze. So haben die Aufseher in Konzentrationslagern über Folterungen und Hinrichtungen herzhaft gelacht. »Mit Humor kann man Mitleid ausschalten, man kann sich betäuben und man schafft eine Distanz, die alles relativiert.«