Manche Narren gebärden sich in den tollen Tagen dermaßen außer Rand und Band, daß es stilleren Gemütern die Sprache verschlägt. Kein Grund zur Besorgnis. Wer allerdings auch den Rest des Jahres nichts zu lachen hat, lebt äußerst ungesund. Wir sprachen darüber mit Dr. Michael Titze, Autor des Buches »Die heilende Kraft des Lachens«. Der Tuttlinger Psychologe und Psychotherapeut nutzt in seiner Praxis den »Therapeutischen Humor« und hilft damit seinen Patienten, selbst jahrelang verschüttete Lebensfreude wieder zu aktivieren.
Herr Dr. Titze, wenn im Februar die Narren - geschminkt, kostümiert oder maskiert - auf die Straße ziehen und feiern, stehen nicht wenige Leute abseits oder spötteln darüber. Haben die das Frohsein verlernt?
Dr. Michael Titze: Nicht unbedingt, das hängt ab von der jeweiligen Persönlichkeit. Die Fastnacht ist halt das Fest des Narren, des »Gegenteilers«, der - wie das kleine Kind - in einer anderen Welt lebt als der vernünftige, überangepaßte Erwachsene. In dieser Welt ist der Ernst des Lebens, das vom kontrollierten Leistungsprinzip beherrscht wird, aufgehoben. Hier ist das Lustprinzip bestimmend, die Freude am Unsinn. Dieser wohltuende Unsinn sollte allerdings nicht organisiert, reglementiert sein.
Wer im traditionellen Sitzungs- und Straßenkarneval nur »Fröhlichkeit auf Kommando« sieht, kann trotzdem ein witziger Zeitgenosse sein und bei anderen Gelegenheiten viel Spaß haben!?
Titze: Natürlich. Der echte Narr ist übrigens nicht im Sitzungskarneval zu Hause, sondern viel eher im Straßen karneval. Auch benötigt er keinen kalendarischen Rahmen. Ein närrischer - oder eben humorvoller - Mensch findet in der Tat zu allen Jahreszeiten Gelegenheit, den »Sinn im Unsinn« zu suchen.
Der Reiz, sich zu verkleiden, fasziniert viele Narren. Im Schutz der Maske hauen sie auf den Putz. Liegen da nicht oft Freude und Entsetzen nahe beieinander?
Titze: Der verkleidete Mensch ändert seine Identität. Er steigt aus der Uniform des Alltags aus. Deshalb lieben gerade auch kleine Kinder das Verkleiden. Wer aber seine Identität derart wandelt, der findet spontan Zugang zu Verhaltensweisen, die im Alltagsleben sonst brachliegen. Man wird ein anderer, auch emotional gesehen. Dies kann den Maskierten an die Quellen einer Lebenskraft führen, die so ungestüm ist, daß manch biederer, überangepaßter Zeitgenosse davor zurückschrecken mag.
Niemand mutiert vom Miesepeter zum allzeit fröhlichen Alleinunterhalter. Gibt es Methoden, wenigstens zu einer positiven Grundstimmung zu finden?
Titze: Die gibt es schon. Man muß einfach lernen, sich zeitweilig vom Alltagsdenken zu befreien, um neue Wege des Denkens und Handelns zu erproben. Die Kreativität des »Kindes in uns« kann uns diese Wege weisen. Zunächst müssen wir aber einen gewissen Mut zur Unvollkommenheit erlangen, der uns verhilft, von den Zwängen des Leistungsprinzips Abstand zu nehmen. Dies ist Voraussetzung dafür, uns »etwas zu leisten«, das heißt uns in kreativer Weise lustvoll danebenzubenehmen. Ein fröhliches Lachen wird sich dann zumeist von selbst einstellen.
Läßt sich solches Fröhlichsein trainieren? Wie wird das Leben zum Fest?
Titze: Im Neuen Testament finden sich viele Beispiele dafür. Jesus liebt gerade diejenigen besonders, die keine überangepaßten Erwachsenen - Pharisäer - sind. Dazu gehören insbesondere die Kinder, aber auch gesellschaftliche Randexistenzen: der Zöllner, der Samariter, der verlorene Sohn, Maria Magdalena, sogar der Schächer am Kreuz. Jesus weiß auch zu feiern, zum Beispiel auf der Hochzeit von Kana. Er lebt uns den Mut zur Unvollkommenheit vor. Im Mittelalter gab es in der Osternacht ein Fest der Freude, das »Osterlachen«, das auch heute in der Orthodoxie lebendig ist.
Die Wissenschaft ist den positiven Effekten des Lachens auf der Spur. Gibt es konkrete Hinweise, was Lachen bewirkt?
Titze: William F. Fry, lange Jahre Professor an der Stanford-University in den USA, begründete in den siebziger Jahren die Humorphysiologie. Sie wird auch Gelotologie, also Wissenschaft vom Lachen, genannt. Inzwischen gibt es einen ganzen Forschungszweig, der sich mit den positiven Auswirkungen des Lachens auf das menschliche Immunsystem befasst. Wir wissen, daß Lachen die Produktion des Streßhormons Adrenalin bremst und gleichzeitig die Ausschüttung von Endorphinen, »Glückshormonen«, fördert. Dadurch werden unter anderem Spannungen abgebaut und Schmerzen, Kopfschmerzen etwa, gelindert.
In welchem Stadium wirkt es heilend?
Titze: Gerade bei chronischen Erkrankungen. Das Lachen bewirkt einerseits eine Stärkung der Immunabwehr, andererseits weckt es - psychologisch gesehen - die Lebensgeister, so daß das Leben aus einer anderen, positiveren Perspektive gesehen werden kann.
Nicht jedes Lachen ist gesund. Manchmal kann es doch recht zynisch gemeint sein?!
Titze: Durchaus. Lachen ist ein zweischneidiges Schwert, einerseits Ausdruck heiterer Gestimmtheit, andererseits aber auch Ausdruck von beschämender Aggressivität. Diesem Problem habe ich die ersten zehn Kapitel meines Buches gewidmet.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, ein Buch über das Lachen zu schreiben?
Titze: Bei vielen meiner Patienten habe ich festgestellt, daß sie unter den negativen Aspekten des Lachens gelitten haben. Das heißt, sie wurden in ihrer Kindheit, insbesondere aber in der Pubertät, Opfer von nicht selten grausamen Verspottungen - also Hänseln, Verlachen - sowohl von Seiten Gleichaltriger als auch Erwachsener, zum Beispiel Lehrer. So entwickelten sie eine Lachangst, Gelotophobie, die fast immer vor der Umwelt schamhaft verborgen wird und Quelle vieler psychischer Probleme sein kann. Sie kann in soziale Angst münden. Mein Buch möchte dazu ermuntern, die Heilkraft des Humors gegen erlittene Beschämungen einzusetzen.
In Ihrer Praxis haben Sie mit Menschen zu tun, die nicht gerade Lebenskünstler sind. Wie können Sie ihnen helfen, ihre Probleme zu bewältigen und wieder froh zu werden?
Titze: Ich nutze den Therapeutischen Humor in meiner Gruppentherapie. Rollenspiele in Humorgruppen helfen, das Eis zu brechen und die Scham vor dem Ausgelachtwerden zu überwinden. Die Scham ist ein lebensfeindlicher Affekt. Sie verstellt den Blick auf die universale Lebenskraft und engt unser Leben ein.
Sie haben sich lange mit dem Phänomen des Lachens beschäftigt. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Titze: Lachen ist der reinste Ausdruck des unverletzten Kindes in uns, das zuweilen auch als das »göttliche Kind« bezeichnet wird. Es ist Ausdruck einer Lebenskraft, die im Laufe der Sozialisation verschüttet werden kann, so daß der betreffende Mensch im Ernst des Lebens erstarrt, seine Lebendigkeit verliert. Am Märchen von Pinocchio läßt sich aufzeigen, wie Menschen, die die Identität einer hölzernen Marionette übergestülpt bekamen, im Lachen zu ihrem wahren Selbst zurückfanden.
Sie wissen um die Heilkraft des Lachens, sind aber selbst trotzdem sicher schon mal schlecht gelaunt? Was tun Sie an solchen Tagen?
Titze: Ich halte mich an die Humortechniken, die mein Kollege Waleed A. Salameh im Anhang zu meinem Buch beschrieben hat. Etwa die Methode, aus Selbstverständlichkeiten, die einem gerade in den Sinn kommen, neue lustige Abweichungen zu bilden, in denen noch ein Körnchen Wahrheit steckt. Zum Beispiel der Spruch: Wenn du ein Heuchler sein willst, solltest du es wenigstens damit ehrlich meinen.
Haben Sie einen ganz praktischen Tip, wie man sich in gute Stimmung bringen kann, wenn der morgendliche Blick in den Spiegel nichts Gutes verspricht?
Titze: Ja, zum Beispiel Salamehs Idee einer Lachübung. Ein paar Seiten in einem Witzbuch lesen oder sich eine lustige Kassette anhören und dabei an komische oder absurde Ereignisse des Lebens denken. Dann vor dem Spiegel Grimassen schneiden. Sobald man spürt, daß es innerlich »klick«' gemacht hat, sich ganz dem Lachen hingeben. Wer das praktiziert, ohne einen Gedanken an den Alltag zu verschwenden, kann schon nach kurzer Zeit minutenlang herzhaft lachen.
Bei welchen Gelegenheiten und wie feiern, lachen Sie selbst am meisten?
Titze: Immer dann, wenn ich mit Menschen zusammen bin, denen der Ernst des Lebens nicht allzu wichtig ist. Und dies sind erstaunlich viele. Ganz entscheidend ist es, solche Zusammenkünfte zu strukturieren, indem spielerische Einlagen, zum Beispiel Stegreiftheater, bestimmte Clownsübungen oder Singen lustiger Lieder von vornherein eingeplant sind. Man kommt so schnell in eine Spiellaune, wie wir sie alle aus unserer eigenen Kindheit her kennen.
Verraten Sie uns zum Schluß noch Ihren Lieblingswitz?
Titze: Gerne. Er geht so: Wann wurde eigentlich das Jodeln erfunden? - So um 1895, als ein Schweizer Briefträger mit dem Fahrrad barfuß von einer Alm heruntersauste und mit dem großen Zeh in die Speichen kam.
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