Magazin - Aachener Zeitung/AachenerNachrichten, Nr. 5, 05.02.2005, S. 4/5
Der Klassenclown will das Lachen kontrollieren
Interview mit Michael Titze
Wenn einer den Klassenclown spielt, steckt hinter seinen lustigen Einfällen meistens eine Geschichte, die nicht nur lustig ist. Was verbergen diese auffallend komischen Typen?

Michael Titze: In die Rolle eines unfreiwilligen Clowns geraten genau die, die sich besonders gut an die Idealvorstellungen der Gesellschaft anpassen wollen. Früher gab diese der Staat oder auch die Kirche vor, heute sind es etwa Fernsehhelden, die vormachen, wie man sich kleidet, was man sagt, wie man cool ist usw. Es klingt paradox: Aber wer sich willentlich bemüht, genau so zu werden, der verkrampft und fällt über kurz oder lang durch ein komisches Gehabe auf. Wer so übers Ziel hinausschießt, läuft dann Gefahr, bei den anderen anzuecken, nicht ernstgenommen oder gar gehänselt zu werden. In dieser prekären Situation entscheiden sich manche Kinder, aus der Not eine Tugend zu machen: Sie begeben sich bewusst in die Rolle des komischen Außenseiters, verhalten sich übertrieben auffällig, indem sie blödeln und Unsinn machen, also den Klassenclown geben. In dieser Rolle gewinnen sie die Kontrolle über das Lachen der Klassenkameraden. Sie sind nicht mehr unfreiwillig komisch, sondern selbstbestimmte Spaßmacher. Es wird nicht mehr über die Person, sondern über ihr Tun gelacht. Und das stärkt ihr Selbstvertrauen.

Wann macht sich der Klassenclown zum Narren?

Titze: Wenn ich mich unentwegt und dauernd zum Narren mache, dann hat das fast masochistische Züge. Ich bringe andere zum Lachen, aber werde nicht ernst genommen. Also muss ich noch mehr anstellen - das ist eine Spirale, sie sich immer weiter und weiter dreht. Wir sehen es ja täglich im Fernsehen: Schauspieler, die sich nicht mehr beachtet fühlen, lassen - zum Beispiel im »Dschungel-Camp«, alles mit sich machen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Aber sie sind nicht mehr in der Position des Könners, des aktiven Clowns, sie machen sich selbst zum Spottobjekt.

Was wird aus dem Klassenclown, wenn er - zumindest an Jahren - reifer wird?

Titze: Der Narr galt seit jeher als ein verrückter Irrer. Den Clown machen hat viel mit dieser geistigen Abnormität gemeinsam, die die normale Realität nicht (an-)erkennt. Der weltbekannte Clown-Arzt Patch Adams (Anm. der Red.: Die Geschichte dieses unkonventionellen Mediziners wurde mit Robin Williams in der Hauptrolle verfilmt) war schon als Kind »voll daneben«. Hätte er die internationale Anerkennung als Clown nicht bekommen, weiß ich nicht, ob er auch als ernsthafter Arzt erfolgreich gewesen wäre. Auch Joschka Fischer oder Daniel Cohn-Bendit gehörten einst zu den 68er Politclowns, jetzt haben sie eine völlig ernsthafte Rolle übernommen.

Kann es in jeder Gruppe nur einen geben?

Titze: Konkurrenzdenken? Und wie! Der Clown will im Mittelpunkt stehen. Gibt es zwei, dann entbrennt ein Machtkampf. Nur der setzt sich durch, der besser blödeln kann als der Rivale. Einer bleibt immer auf der Strecke. Das ist in der Schulklasse so wie auf der Bühne, wo es selten Clowns gibt, die als Partner zusammenarbeiten.

Den Clown geben hat etwas mit Schlagfertigkeit zu tun. Hat derjenige, der andere zum Lachen bringen kann, bessere berufliche (Aufstiegs-) Chancen?

Titze: Das kommt auf den sozialen Kontext an. Einstein wahrscheinlich nicht, aber Politiker, zum Beispiel Wehner oder Adenauer, haben von ihrer Schlagfertigkeit profitiert. Viele Radio-Moderatoren haben schon als Kinder ihre Mitmenschen mit witzigen Bemerkungen zum Lachen gebracht. Grundsätzlich gilt: In allen Berufen, die mit Menschen zu tun haben, ist es ein großer Vorteil, wenn Humor mit Methode eingesetzt werden kann. Viele Komiker hatten ursprünglich einen bürgerlichen Beruf. Sie wurden zu Aussteigern, um das zu machen, was sie wirklich können - andere zum Lachen bringen! Vielfach verzichten sie dabei auf eine bürgerliche Existenz, die zwar soziale Sicherheit, aber auch Bedeutungslosigkeit und soziale Isolation mit sich bringen könnte. Wer andere auf der Bühne zum Lachen bringt, empfindet ein Kompetenzvergnügen, das tatsächlich »unbezahlbar« ist! So werden alle Nachteile - Lampenfieber, finanzielle Unwägbarkeiten, ein »Leben aus dem Koffer« usw. - bewusst in Kauf genommen.

Und jetzt erklären Sie uns doch mal, was überhaupt Humor vom Witz unterscheidet!

Titze: Humor ist eine persönliche Haltung, eine ganzheitliche Verhaltensweise, die zwischen der Affektivität des Kindes und der vernunftgesteuerten Ernsthaftigkeit des Erwachsenen oszilliert. Humor ist somit eine reife Leistung. Der Witz ist einseitig auf das Verwenden verbaler Möglichkeiten beschränkt. Sehr witzige Leute können einem auf die Nerven gehen, da sie immer nur reden, aber nicht unbedingt humorvoll handeln.

Kann man die Menschen nach dem, worüber sie lachen können, also nach der Art ihres Humors, unterscheiden?

Titze: Muss jemand immer etwas Aggressives tun oder erleben, um zum Lachen gebracht zu werden? Wenn jemand ausschließlich solche hämischen, entwertenden Stimulierungen braucht, dann kompensiert er damit vielleicht einen Minderwertigkeitskomplex. Heute brät der Zirkusclown jemandem eins mit dem Gummihammer über, im römischen Circus amüsierte sich das Publikum köstlich, wenn andere grausam ums Leben kamen. Beides ist eine ganz primitive Ebene der Humorentstehung. Wortspiele und absurde Verhaltensweisen, wie etwa bei Woody Allen, sind dagegen ein weiterentwickelter, vielseitiger Humor. Dieser kommt aber nicht bei jedermann an, das geistreiche Aushebeln der Logik ist zu wenig spektakulär. Das zeigt das Fernsehen: Woody Allen kurz vor Mitternacht und Ballermann-Filme zur besten Sendezeit.

Können wir uns Angst, Trauer und Sorgen von der Seele lachen?

Titze: Wilhelm Busch hat einmal gesagt: »Wer Sorgen hat, hat auch Likör.« Alkohol als chemische Beseitigung von sozialen Hemmungen spielt ja auch im Karneval eine große Rolle. Leider lässt sich beobachten, dass gerade die Straßenfasnacht immer aggressiver wird. Eine Art Gegenbewegung sind die Lach-Yoga-Clubs, die derzeit auch in Deutschland eine unglaubliche Entwicklung nehmen. Die Idee stammt von einem Arzt aus Indien und bezieht sich auf Übungen, die dass spielfreudige Blödeln reaktiviert, das schon bei einem unbeschwerten Kindergeburtstag die Stimmung hebt. Im Lach-Yoga wird die seelische, soziale und körperliche Verfassung der Teilnehmer sehr effektiv und völlig mühelos angeregt. In Zeiten von Vereinsamung, wirtschaftlicher Unsicherheit und gesellschaftlichem Druck kommt diesem gemeinsamen Lachen ohne Zweifel eine wichtige Ventilfunktion zu.

Sollte man sich selbst seine tägliche Dosis Lachen verordnen?

Titze: Die Übungen der Lach-Yoga-Clubs funktionieren am besten in der Gruppe. Und wenn der Bann einmal gebrochen ist, dann werden die Leute, wie die Erfahrung zeigt, auch in anderen Bereichen humorvoller und weniger empfindlich. Sie lernen, keine Angst davor zu haben, sich lächerlich zu machen. Denn das ist der größte Humorkiller, gefolgt von dem Zwang, alles perfekt hinkriegen zu wollen.