FACTS: Herr Titze, Comedy-Sendungen und Humorfestivals boomen, der Konsum von Humor ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Woher kommt diese Nachfrage?
MICHAEL TITZE: Von den Problemen einer sich rasant wandelnden Welt. Die Anfälligkeit für Depressionen hat sich seit den Fünfzigerjahren verzehnfacht, es gibt auch mehr Suchtprobleme. Die Leute haben weniger zu lachen, die Existenzsorgen nehmen zu. Aber zugleich besteht ein Bedürfnis nach Lebensfreude, also lässt man sich professionell zum Lachen bringen.
FACTS: Wir holen also unsere regelmässige Ration Freude beim Comedy-Profi?
TITZE: Ja, wir lassen uns animieren. Es gibt Statistiken, wonach man früher mehr gelacht hat als heute, aber im eigenen Umfeld, eben spontan und ungezwungen. Heute besteht eher das Gefühl, dass es jemanden braucht, der das Lachen professionell ermöglicht. Paradoxerweise müssen die Comedy-Profis dann wieder auf eine Ebene gehen, die mit einer naiven Lebenswelt zu tun hat. Harald Schmidt hat einmal gesagt: »Damit die Leute lachen, muss ich Zoten bringen.« Das zeigt, welch grosses Bedürfnis besteht, im Humor Einfacheres zu konsumieren, als es die zunehmend komplizierte Erwachsenenwelt sonst bietet.
FACTS: Humor als Überdruckventil in unsicheren Zeiten?
TITZE: Wir leben schon in einer Welt:, in der alles beliebiger und unabsehbarer wird. Die Politiker versprechen vor der Wahl etwas, wenig später machen sie das Gegenteil - das führt gar nicht mehr zu einem Aufschrei. Man hat gelernt, dass dieses nicht Berechenbare, nicht Verlässliche dazugehört.
FACTS: Wir nehmen alles locker?
TITZE: Ja. Wenn sich heute zwei Lebensabschnittspartner die ewige Liebe schwören, wissen sie im Hinterkopf, dass das in wenigen Jahren durchaus anders sein könnte. Das war früher nicht unbedingt so.
FACTS: Welche Bedeutung hat da der Humor? Man nutzt ihn ja gern, um alles Erhabene und Aufgeblasene abzutakeln.
TITZE: Was uns scheinbar vom Schicksal auferlegt wird, eine Prüfung, eine existenzielle Herausforderung - das persiflieren wir im Humor. Was das Leben uns zumutet, parodieren und übertreiben wir genüsslich; dadurch erleben wir uns nicht mehr als Opfer, sondern als Akteure, die das Geschehen kontrollieren. Auch der Clown, der freiwillig-lustvoll scheitert, hat diese Kontrolle.
FACTS: Andersrum: Mit Humor will man doch Überlegenheit entwickeln.
TITZE: Lustig machen kann man sich über Personen, die sich in unflexibler Weise zwingen, gewisse Rollen zu spielen - und das nicht schaffen. Das ist im Clown-Theater so. Der Komödiant spielt virtuos mit einer Inkompetenz, vor der sich andere fürchten. Und das macht ihn überlegen: Er hält sich nicht an konventionelle Zwänge, die man befolgen muss, um erfolgreich zu sein. Er macht sich darüber lustig und distanziert sich somit von der Angst zu versagen. Das ruft ein Gefühl von Überlegenheit hervor, das auch der Humor-Therapeut seinen Patienten vermitteln will.
FACTS: In der Psychotherapie wird verstärkt Humor eingesetzt. Warum?
TITZE: Erstens hat sich eine Einsicht durchgesetzt: Wenn der Patient nicht vernünftig ist, bringt es nichts, ihm mit Vernunftargumenten zu kommen. Also muss man sich eine Weile auf seine private Logik einstellen. Man muss das konsequent vertreten, was scheinbar widersinnig ist. Und zweitens kommt, wie erwähnt, die allgemeine gesellschaftliche Situation hinzu: Es gibt heute generell weniger verbindliche Regeln, die grossen Botschaften fehlen. Jeder muss irgendwie seine eigenen Leitlinien finden. Auch das bedeutet, dass der Therapeut unkonventionell und flexibel vorgehen muss, nur so kann er in die private Welt des Patienten einsteigen - auch wenn dies auf Aussenstehende paradox wirkt.
FACTS: Die Schweiz ist ein Zentrum der Humortherapie, auch sind Comedy-Veranstaltungen hier sehr häufig. Ist die Schweiz jetzt ein besonders lustiges oder ein besonders krankes Land?
TITZE: Es stimmt, die Schweiz ist ein Zentrum der Lachbewegung, ab 1995 gab's Europas erste Kongresse über den therapeutischen Humor in Basel und Arosa. Ich spüre hier ein starkes Interesse an der Humorforschung. Es dürfte damit zusammenhängen, dass der Zwang, sehr vernünftig und erwachsen zu sein, relativ stark ausgeprägt ist. Das kommt vielleicht aus calvinistisch-pietistischen Grundhaltung. Sie schafft - wiederum paradoxerweise - einen Boden für therapeutischen Humor.
FACTS: Es gibt Menschen, die gelotophob sind - sie fürchten sich vor Humor. Sinkt ihr Anteil mit steigendem Comedy-Konsum?
TITZE: Nein, im Gegenteil. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung sind gelotophobisch. Sie haben Angst davor, lächerlich zu erscheinen, sie kontrollieren ihre natürlichen Bewegungsabläufe, weil sie überzeugt sind, dass sie unfreiwillig irgendwie komisch sind. Deshalb halten sie Ausschau nach Leidensgenossen, die in Medien tagtäglich vorgeführt werden - denken Sie nur an die diversen Fernseh-Talkshows am Nachmittag oder die »Pleiten, Pech und Pannen«-Sendungen! Es entlastet eben, wenn man auch andere in der Position sieht, die man selber so fürchtet.
|