WESTDEUTSCHE ZEITUNG, NR. 214, 14.09.2002
Zum König der Idioten

Der Psychotherapeut Michael Titze setzt Lachen als Therapie ein. Ein Weg zurück in das frühkindliche Dasein.

Von Oliver Wiegand

Herzhaftes Lachen hat Eingang in die Therapie körperlich oder seelisch Erkrankter gefunden. Gerade in unserer technisierten Welt, in der jeder nach Höchstleistungen strebt, wird das Lachen immer wichtiger. Doch viele haben das Lachen verlernt, aus Angst sich selbst lächerlich zu machen. Worüber lacht man heute überhaupt noch?

Titze: In den vergangenen Jahren sind es immer mehr derbe Zoten oder schmutzige Witze, die die Leute zum Lachen bringen. Denken Sie an die TV-Show von Stefan Raab, da wird an niedrige Instinkte appelliert. Das ist oftmals blanker Slapstick, ein primitiver Humor, man macht sich offensiv und aggressiv über andere Menschen lustig. Das hat im Prinzip Dritt-Klässler-Niveau.

Was ist die Ursache?

Titze: Es gibt in unserer Gesellschaft keine Konsens stiftenden Instanzen mehr. Früher stellten Kirche, Zünfte und Könige klare Regeln auf. Heute belasten sich die Menschen mit oft viel zu hoch gesteckten Zielen, die sie nicht erreichen können. Da kommen Witze über Randgruppen und Minderheiten wie gerufen. Sie haben etwas Befreiendes, man bricht aus dem Alltag, aus und setzt sich über Tabus hinweg. Man gelangt wieder auf ein frühkindliches Niveau, in dem man ohne jeden Zwang und Druck geblödelt hat.

Kann man Lachen lernen?

Titze: Beispiel: Sie haben Angst vor einer Prüfung oder dein Gespräch mit einem Vorgesetzten. Da hilft das einfache Mittel der Übertreibung. Man stelle sich vor, total zu versagen, nie wieder Arbeit zu finden, unter Brücken zu schlafen und zum allerärmsten aller Bettler abzusteigen. Nur Mut! Man ernenne sich selbst zum König der Idioten. So zieht man die Angst vor der vermeintlichen Katastrophe ins absolut Lächerliche und nimmt sich so nicht den ungeheuren Druck, sondern lernt auch wieder, herzhaft zu lachen.

Lachen als Therapie?

Titze: Es ist eine Möglichkeit, vom subjektiven Anspruchsdenken herunter zu kommen. Der Trick besteht darin, die Menschen zurück an ihre Ursprünge zu führen. In der Psychologie nennen wir das Regression, der Weg in die Phase des vorsprachlichen Denkens. Es geht darum, dass einseitige Verhaftetsein des Menschen in der starren Welt der Erwachsenen zurückzuführen in die Sphäre des eigenen Kindseins. Wenn der Wandel der Einstellung gelingt, wirkt sich das heilsam aus.

Wurde früher mehr gelacht?

Titze: Es gibt Untersuchungen, dass in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg viel mehr gelacht worden ist. Je schlechter es den Menschen materiell ging, desto mehr wurde gelacht. Ähnliches galt auch für die DDR. Die Menschen hatten sich ihre Nische eingerichtet, in der sehr viel mehr Platz für Fröhlichkeit war als heute. Je geringer die Anforderungen, desto niedriger die Angst zu versagen, sich lächerlich zu machen.

Lachen Männer und Frauen unterschiedlich?

Titze: Bei Männern ist oft eine aggressive Art des Lachens festzustellen. Lachen hat bei ihnen oft etwas von Auslachen und gleichzeitig andere niedermachen. Frauen lachen subtiler. Wenn sie zum Beispiel hinter vorgehaltener Hand über das Make-Up oder den neuen Rock einer Kollegin tuscheln, stellen sie durch Kichern klar, dass dort jemand aus der Gruppe ausschert und nicht dazugehört.

Also hat Lachen auch etwas Archaisches?

Titze: Wenn die Männer früher von der Jagd kamen, bauten sich die Stresshormone im Körper langsam ab. Es gab Fleisch und etwas zu feiern, also wurde auch gelacht. Man lachte aber auch, um sich gegen andere Gruppen abzugrenzen. Lachen ist also auch die Haltung der Sieger, mit denen sich Gruppenmitglieder identifizieren können.

Wie reagiert der Körper auf einen Lachanfall?

Titze: Ein Lachanfall ist so ähnlich wie inneres Joggen, 80 Muskeln werden angespannt und wieder gelockert, die Atmung angeregt, die Lungenflügel weiten sich. Der Puls steigt auf 120 Schläge die Minute. Der Herzschlag wird kurzfristig beschleunigt, verlangsamt sich danach aber spürbar. Wer sich krank lacht, lebt gesund, die Stresshormone Cortisol und Adrenalin im Gehirn werden spürbar reduziert.

Worüber können Sie herzhaft lachen?

Titze: Für mich sind es oft die absurden Situationen. Einer meiner Lieblingswitze lautet: Betritt ein Mann den Bus und fragt nach der Uhrzeit. »Jetzt haben wir Donnerstag«, antwortet der Busfahrer. »Oh, dann muss ich ja aussteigen«.