Die Rheinlandpfalz am Sonntag, Jg. 6, Nr. 13, 01.04.2012
 
April, April! Heute heißt es Vorsicht, sonst wird einem ein Bär aufgebunden.
Ein Gespräch mit dem Humorforscher Michael Titze über Aprilscherze und Schadenfreude.
 

Interview: Martin Schmitt

 
 

Herr Titze, ich habe leider wenig Zeit, ich bin auf dem Weg zum Emir.
Äh, wie, Emir? Erst zahlen und dann geh’n wir?

April, April, war’n Scherz. Hat aber offenbar nicht so funktioniert. Das waren nämlich die ersten Worte, die Christian Wulff der »Bild«-Zeitung aufs Band quatschte.
Schlecht war der Versuch nicht. Ein Aprilscherz muss verblüffen, und verblüfft war ich. Und außerdem muss er plausibel klingen. Hätten Sie gesagt, Sie seien auf dem Weg zum Mond, hätte ich nicht gestutzt, sondern gleich Bescheid gewusst.

Lassen Sie mich raten: Weil Aprilscherze sich oft um extraterrestrisches Leben drehen, um Ufos und so?
Nein, nicht deshalb. Außerirdische werden zwar gern genommen, aber das Geheimnis eines guten Aprilscherzes ist, dass er demjenigen, der hereingelegt werden soll, nicht auf Anhieb auffällt. Er muss etwas thematisieren, das im Bereich des täglichen Lebens liegt. Die Situation muss in den Alltag passen, sonst wird man sofort misstrauisch. Es ist natürlich eine Gratwanderung, weil: Ein wenig ausgefallen muss schon sein.

Haben Sie gerade ein Beispiel?
Ich lebe am Fuß der Schwäbischen Alb. Eine Lokalzeitung hat mal vermeldet, auf der Alb sei ein riesiger unterirdischer See entdeckt worden, und am 1. April würden Wissenschaftler aus der ganzen Welt erwartet, sich das anzusehen. Auch die Bevölkerung dürfe zuschauen. Da standen dann 100 Autos auf dem Acker, deren Insassen schließlich merkten, dass sie gefoppt worden waren.

Aber zunächst glaubten sie die Geschichte, weil es auf der Alb unterirdische Wasserläufe gibt?
Genau. Das war wie nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine als Chef der SPD. Da stand dann in der Zeitung, er wolle sich ein Anwesen auf der Alb kaufen und Rinder züchten. Der SPD-Ortsverein legte daraufhin schon den Mitgliedsantrag für Lafontaine bereit und wollte einen Vortragsabend organisieren.

Die schöpften keinen Verdacht?
Ganz und gar nicht. Es wäre ja auf den ersten Blick auch tatsächlich möglich gewesen, dass der Mann aus dem Saarland ins Ländle zieht. Dass das aber bei genauerem Hinsehen unrealistisch ist, fällt dem »Aprilnarren« erst auf, wenn das Ganze aufgelöst wird. Auch das macht einen guten Aprilscherz aus: Die Geschichte klingt erst ein wenig abwegig, aber durchaus realistisch – und dann fällt es einem wie Schuppen von den Augen, dass da etwas von Anfang an nicht zusammengepasst hat.

Woher kommt dieser Brauch des Veralberns am 1. April?
Wir kennen erste Zeugnisse aus der Antike. Das zieht sich durchs Mittelalter bis in die Moderne. Grundlegend kann man den Aprilscherz in Zusammenhang mit anarchischen Festen wie der Fasnacht sehen. Es sind Gelegenheiten, aus Zwängen und Pflichten, aus dem genormten Alltag auszubrechen. Offenbar brauchen wir Menschen das für die seelische Hygiene.

Wir fühlen uns besser, indem wir uns über andere lustig machen?
Indem wir andere zum Narren halten, tun wir etwas fürs Selbstwertgefühl. Wir erhöhen uns sozusagen über andere, sind ihnen überlegen, zumindest in diesem Moment. Und außerdem gibt es wohl kaum einen Menschen, der nicht Schadenfreude empfinden und auch genießen kann.

Das klingt aber nicht sehr nett.
Machen wir uns nichts vor: Schadenfreude ist ein menschliches Bedürfnis. Das muss man akzeptieren. Indem man die närrischen Zeiten auf Fasnacht und 1. April festlegte, konnte man das Treiben in gesellschaftlich unschädliche Bahnen lenken. Früher war der Brauch übrigens viel stärker in der Gesellschaft verwurzelt, vor allem in den Betrieben.

Da ließ der Meister den Gesellen die Feierabend-Schablone suchen.
Es gibt viele solcher Scherze. In diesem Fall hat der Meister unterbewusst dem vorgeführten Gesellen bestätigt, wer der Chef ist. Das ist die hämische Form der Schadenfreude, die sich gegen Schwächere richtet. Es gibt auch den umgekehrten Fall, bei dem Schwächere den Stärkeren austricksen und dadurch zumindest für den Augenblick gleichziehen. Das ist die ausgleichende Schadenfreude, die Unterlegenheit kompensiert. Diese wird jedoch zunehmend verdrängt durch die hämische Form der Schadenfreude: Im Reality-TV werden Menschen bloßgestellt, bei Casting-Shows, bei »Pleiten, Pech und Pannen«, in Comedy-Sendungen.

Solche Formate gibt es in den Medien wie Sand am Meer.
Und genau deswegen, glaube ich, hat der Aprilscherz an Kraft verloren. Man bekommt so etwas ja allzeit und überall frei Haus geliefert. Die Medien übernehmen das für uns, wir müssen selbst nichts mehr dazutun. Dabei ist das im Grunde ein schöner zwischenmenschlicher Brauch.

Das heißt, ich kann ruhig mal meinen Chef in den April schicken?
Ich rate dazu, nur jemanden zu veralbern, der einem nicht gefährlich werden kann.