BaZ: Herr Titze, seit wann spielt der Humor als Therapieform eine Rolle?
Michael Titze: In der Antike galt nur das Komische als Quelle einer Erheiterung. Es galt gegenüber einem lächerlichen Menschen vergleichsweise vorteilhaft abzuschneiden. Auf diesen Abwärtsvergleich zielt auch der moderne Unterhaltungshumor. Demgegenüber baut der heilsame Humor auf dem Konzept des «guten Humoristen» auf. Dieser Begriff wurde im England des 18. Jahrhunderts formuliert. Doch erst in den vergangenen 40 Jahren entwickelte sich daraus ein eigenes Therapie- und Pflegekonzept.
Was löst Humor bei Patientinnen und Patienten auf deren Befindlichkeit aus?
Humor eröffnet die Möglichkeit, emotional positive Beziehungen zu Patienten aufzubauen. Man spricht hier von einer positiven «Übertragungsmanipulation», die einen Perspektivenwandel ermöglicht. Dieser führt zu einer heilsamen Umstellung einer bislang pessimistischen Einstellung. So wird das Gute im Schlechten hervorgehoben und somit ein «komischer Optimismus» gefördert.
Welche Art von Humor erzielt therapeutische Wirkung?
In der Therapie gibt es verschiedene Arten humoristischer Kommunikation: Dazu zählen Anekdoten, Witze, belustigende Geschichten und paradoxen Parabeln. Ganz wichtig sind überraschende Fragen, sowie ironische Bemerkungen, die darauf abzielen, allzu rigide Überzeugungen sowie moralisch zensierte Gedanken und Gefühle humorvoll zu relativieren. Das darf aber nur mit einem augenzwinkernden Humor geschehen, der den Patienten in seiner sozialen Gleichwertigkeit unbedingt bestätigt.
Gibt es Humor in der Therapie, der Schaden anrichtet?
Mit destruktivem Humor wie Sarkasmus und Zynismus könnte ein Therapeut Gefühlen von Wut und Verärgerung Luft machen. Das entspräche aber einer Unsensibilität gegenüber dem Patienten. Die Auswirkungen eines solchen Hohnlachens verletzen und schaffen Misstrauen. Sarkastischer Humor beeinträchtigt zwischenmenschliche Beziehungen und stört den therapeutischen Prozess.
Welche Form von Humor fördert den therapeutischen Prozess?
Der heilsame Humor, der die authentischen Bedürfnisse von Patienten wichtig nimmt. Er fördert eine offene, wertschätzende und im eigentlichen Sinne therapeutische Beziehung. Dies ebnet den Weg, existenzielle Probleme aus einer anderen, eben komischen Perspektive zu betrachten. So wird der «faustische Drang zum Perfektionismus», wie es der österreichischer Neurologe und Psychiater Victor Frankl formulierte, ausgehebelt und gleichzeitig der Prozess einer unbefangenen Selbsterkenntnis fast spielerisch angeregt.
Wie entfaltet Humor in der Therapie die grösste Wirkung?
Durch die Methode der «paradoxen Intention», die auf einen existenziell bedeutsamen Einstellungswandel abzielt, der wiederum zu einer umfassenden Relativierung aktueller Probleme führt. Diese Veränderung bahnt sich in der Humorreaktion an. Wenn etwa ein Angstneurotiker gelernt hat, seiner Angst vor den eigenen Symptomen – was einem tiefgehenden Misstrauen gegenüber der eigenen Person entspricht – ins Gesicht zu lachen, wird dieser Angst augenzwinkernd der Wind aus den Segeln genommen.
Beispiel Humor in der Psychotherapie: Wie muss ich mir das vorstellen?
Viele Selbstwertprobleme lassen sich auf Beschämungen zurückführen, die ursprünglich im Rahmen einer nonverbalen Interaktion erlebt wurden. So können wir den versteinerten Gesichtsausdruck eines depressiven Patienten als untrüglichen Hinweis auf eine zugrunde liegende Schamproblematik interpretieren. Die lebensgeschichtlich gewachsenen Auswirkungen dieser Scham sind mimisch «eingefroren». Darin findet vor allem der Schmerz, nicht liebens- und beachtenswert zu sein, seinen unverkennbaren Ausdruck.
Wie kann man dieses Wissen umsetzen und in die Therapie miteinbeziehen?
Studien haben gezeigt, dass Kinder, die nach dem Lächeln keine soziale Stimulation erfahren, immer seltener lächeln. Dieses Defizit gilt es in einer therapeutischen Beziehung, die den relativierenden Vorgaben heilsamen Humors folgt, zu korrigieren. Letztlich geht es um die Revision einer negativen Sichtweise, die sich der Patient in frühen Phasen seiner Entwicklung zu eigen gemacht. Der Therapeut soll an diesem Umstellungsprozess aktiv teilhaben, indem er seinen eigenen Mut zur Lächerlichkeit unbekümmert unter Beweis stellt. |