Wofür brennt Ihr Herz beruflich?
Es war mir stets ein Anliegen, meinen Patienten Frohsinn, Optimismus und Selbstvertrauen zu vermitteln.
Was soll im Kaminfeuer verbrennen, da sich die Psychiatrie davon befreien muss?
Die Psychiatrie muss kein trister Ort sein, an dem sich die Patienten nur deshalb »verwahrt« fühlen, weil sie sich vom Leben »da draußen« überfordert fühlen und weil ihnen der Lebensmut verloren ging.
Humor der Pflege ist ein zwar bekanntes Thema, wird aber in der psychiatrischen Pflege wenig praktiziert. Wie verbreitet ist Humor Therapie und wo wird sie praktiziert?
Die von Martin Seligman begründete Positive Psychologie definiert verschiedene »Stärken«, die unser persönliches Wohlbefinden regulieren. Eine dieser Stärken ist der Humor. Wer über ihn verfügt, vermag die Probleme des Lebens so zu relativieren, dass diese ihre Schwere verlieren. Die gute Nachricht ist: Diese Stärke ist erlernbar und kann entsprechend trainiert werden! Dass dies gelingt, ist in evidenz-basierter Hinsicht so eindeutig belegt, dass der therapeutische Humor inzwischen als eine alternative (komplementäre) Therapieform in der Medizin anerkannt ist! Die Angehörigen von Gesundheitsberufen können diese Stärke im klinischen Alltag erproben: sowohl im Sinne von therapierelevanten Interventionen als auch im Rahmen eigenen Selbstmanagements. Denn wer über Humor verfügt, arbeitet gerade im psychosozialen Bereich signifikant effizienter!
Sind Sie ein humorvoller Mensch oder wie sind Sie auf das Thema Humor in der Therapie gekommen? Könnten Sie uns bitte kurz ihren Werdegang als Humorforscher und Therapeuten berichten?
Ich interessierte mich schon immer für alternative Bewältigungsstrategien, die sich nicht am »main stream« orientieren, weshalb sie dem sog. gesunden Menschenverstand oft widersinnig bzw. paradox erscheinen mögen. Schon in meiner Kindheit hat mich die Geschichte von Pinocchio fasziniert, dem komischen Hampelmann aus Holz, der sich aber nicht unterkriegen lässt. Viele Jahre später interpretierte ich in meinem Buch »Die heilende Kraft des Lachens« diese Lebenshaltung als den paradoxen Versuch, die Position eines »unfreiwilligen Clowns« bewusst zu akzeptieren – und dadurch ein eigenes Schamdilemma aufzulösen. Viktor Frankl, der geniale Erfinder der »paradoxen Intention«, hatte das (im Hinblick auf die Situation in der Psychiatrie) so formuliert: »Nur der Arzt, der sich nicht geniert, seinen Patienten vorzuleben, was es heißt, den Mut zur Lächerlichkeit zu besitzen, kann diesen wirklich helfen!«
Gibt es aus ihrer Erfahrung Kontraindikationen für den Einsatz von Humor, z.B. bei einem Menschen der sich verfolgt fühlt, in einem paranoiden Zustand befindet?
Auch hier würde ich paradox vorgehen: d.h. nicht versuchen, diesem Menschen seine paranoiden Vorstellungen auszureden, indem ich etwa vorneweg ein normatives »Realitätsprinzip« in Anschlag bringe. Stattdessen könnte das Wahngeschehen als unbewusster Versuch gesehen werden, eine lebensgeschichtlich gewachsene emotionale Dissonanz affektlogisch aufzulösen. Und das ist unbedingt eine kreative Leistung, auch wenn sie den Kriterien rationalen Denkens widerspricht! Wenn ich diese privatlogische Bewältigungsstrategie nicht nur gutheiße, sondern zusätzlich begeistert übersteigere, kann dies zu folgernder Konsequenz führen: Der Patient wird mir irgendwann widersprechen müssen. Denn so verrückt, wie ich mich gebe, will er oder sie selbst dann doch nicht sein!
Lachen entspannt ja auch und gibt Distanz. Ist es diese Wirkung, die man in der Humortherapie nutzt?
Man sagt, dass Lachen sei ein »soziales Schmiermittel«. Wenn Pflegende und Patienten miteinander lachen, wird eine zwischenmenschliche Brücke aufgebaut, die eine »affektive Einheit« herstellt. Gerade im gemeinsamen Lachen öffnet sich ein Ventil, das die unmittelbare Abreaktion von Schamgefühlen ermöglicht. Denn Lachen ist der »positive Modus« der Scham. Sowohl die Scham als auch das Lachen übermannen uns unwillkürlich und anfallsartig. Es ist ebenso schwer, einem Ausbruch von Scham entgegenzusteuern, wie es unmöglich ist, einen Lachanfall willentlich zu unterdrücken. Lachen setzt aber einen spontanen Entspannungsprozess in Gang, der uns von aller Belastung und schädlichem Stress befreit. Das Gefühl unbegrenzter Lebenskraft ist sowohl der Auslöser als auch die Folge herzhaften Lachens. Die kraftvollen Bewegungen von Brust und Gliedmaßen, die beim Lachen erfolgen, zielen auf kein Objekt ab. Sie sind einzig und allein das Ergebnis einer (im besten Sinne) unkontrollierten Entladung von Energie. Die soziale Entwicklung des Menschen zeigt im Übrigen, dass die Quelle vergnüglicher Lebensfreude sehr häufig im Mitmenschen liegt. Daher ist das gemeinsame Lachen von genuin dissozialen Patienten gerade in der Psychiatrie von besonderem Interesse.
Gibt es auch »schädlichen« Humor?
Die Humorforschung hat gezeigt, dass Lachen pro-soziale und anti-soziale Auswirkungen haben kann. Lachen vermag Menschen sowohl miteinander zu verbinden wie sie auch sozial auszuschließen. Außenseiter empfinden ein Lachen, das aus der Gruppe heraus kommt, generell als eher unangenehm. Sie verhalten sich dann typischer Weise »komisch« – was die Gefahr des Auslachens aber vergrößert! In diesem Fall kann Lachen als kommunikative Waffe eingesetzt werden, die darauf abzielt, sozial abweichendes Verhalten zu sanktionieren: Wenn jemand z.B. Meinungen vertritt, die unpassend sind, kann ein Necken, Aufziehen, Bespötteln oder eben ein Auslachen darauf abzielen, diesen Menschen – durchaus wohlmeinend – zu korrigieren. Aber was passiert, wenn jemand immer wieder ausgelacht wurde und das traumatisch verarbeitet hat? Wir sprechen in diesem Fall von »Gelotophobie«: Hier wird das Lachen der Mitmenschen, selbst wenn es durchaus positiv gestimmt ist, grundsätzlich als eine Bedrohung des eigenen Selbstwertgefühls erlebt. Studien haben übrigens gezeigt, dass sehr viele psychiatrieerfahrene Menschen unter Gelotophobie leiden.
Das heißt, es ist durchaus Vorsicht geboten. Welche Empfehlungen können Sie Pflegefachpersonen aus der Psychiatrie geben für den Einsatz von Humor?
Die erste Bindung zwischen Bezugsperson und Kind erfolgt schlicht über das Lächeln. Daraus lässt sich folgern: Immer wenn ich jemandem mit einem authentisch heiteren Gesichtsausdruck gegenübertrete, entsteht eine affektive Verbindung. Auf diese Weise schaffe ich die Voraussetzung, dass unsere Beziehung weiter gefestigt wird. Wenn ich mich dem Anderen gegenüber aber mit einem affektneutralen oder gar skeptischen Gesicht präsentiere, dann wird die zwischenmenschliche Brücke nicht aufgebaut. Es geht also darum, eine positive emotionale Beziehung nonverbal herzustellen, bevor es zur eigentlichen verbalen Kommunikation kommt. Nur unter dieser Voraussetzung kann eine humorvolle Haltung entstehen, die auch therapeutisch wirksam ist. Die Humorforschung spricht in diesem Zusammenhang von der »kohäsiven Funktion« des Humors, aus der heraus Menschen – in einer von Heiterkeit und Lebensfreude erfüllten Atmosphäre – zu einer »Lachgemeinschaft« zusammenwachsen. Wie kann diese gefördert werden? Indem z.B. auf Station ganz gezielt eine mit Humor angereicherte Atmosphäre geschaffen wird. In amerikanischen Kliniken gibt es bereits fest angestellte »Humorkoordinatoren«, die mit einer Fülle von Humormaterialien arbeiten, die aber auch Elemente aus der Clownarbeit verwenden, Lachrunden anleiten und – last but not least –ermutigende Gesprächstechniken vermitteln.
Wir reden ja heute viel von Recovery (seinen eigenen Weg gehen im Umgang mit der Erkrankung) oder von Empowerment, Selbstpflege etc. Gibt es auch eine humoristische Selbstpflege oder Ermächtigung?
Im Grunde geht es um die Strategie der »positiven Augen«, die Paul Watzlawick vor bald 50 Jahren beschrieb. Statt das Defizitäre im Verhalten eines Menschen zu fokussieren, wird das Augenmerk auf das gerichtet, was an diesem »schön« ist. Damit sind nicht die expansiven Ressourcen gemeint, die Ausdruck einer aggressiven Durchsetzungsfähigkeit sind, über die ein »typischer Patient« oft nur unzureichend verfügt. Was einem eher regressiv eingestellten Menschen vielmehr Halt und Sicherheit gibt, sind spezifisch »defensive Ressourcen«, die auf tendenziell passiven und regressiven Strategien der Existenzsicherung aufbauen. Einseitig betrachtet, handelt es sich oft um symptomspezifische Verhaltensweisen, die vordergründig »nur« ein Ausdruck von Lebensangst, Depressivität und Selbstunsicherheit sein könnten. Doch tatsächlich geht es um genuine Bewältigungsmuster, die – durchaus effizient – darauf abzielen, emotionale Belastungen abzufedern und so das persönliche Selbstwertgefühl zu sichern. Der therapeutische Humor geht deshalb paradox vor: Die defensiven Strategien des Patienten werden – gerne augenzwinkernd – als geschickte Kunstgriffe des Lebenskampfes bewertet. Das Symptomverhalten wird daher positiv umdefiniert:
- kontaktarm/abgeschieden leben heißt, sein eigenes Bewusstsein genau zu erforschen;
- auf Distanz gehen heißt, sich um sich selbst kümmern;
- passiv sein heißt, die Fähigkeit besitzen, Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind;
- ungesellig sein heißt, seine Bekannten sorgfältig auswählen
- sehr empfindlich reagieren = feinfühlig und achtsam auf andere Menschen eingestimmt sein;
- grundlos weinen heißt, fähig sein, Gefühle, besonders schmerzhafte, authentisch auszudrücken.
Zusätzlich wird der Patient angewiesen, seine Symptome bewusst hervorzurufen und diese zu perfektionieren.
In Ihrem neusten Buch, «Wer zuletzt lacht… Die Kunst der humorvollen Widerrede» zeigen Sie unterschiedliche Kommunikationsstile auf, die im Widerstreit verwendet werden: z.B. den aktiv-aggressiven Typus (»Boss«) oder den passiv-regressiven Typus (»Lazarus«). Wie können diese Typisierungen auch für das therapeutische Gespräch genutzt werden?
Alfred Adler führte eine Typologie ein, die den Lebensstil durch die Bestimmungsmerkmale »Aktivität« (aktiv vs. passiv) und »Aktionsradius« (aggressiv vs. regressiv) definiert. In unserem Kulturkreis wird ein aktiv-aggressiver Typus klar favorisiert, der leistungsfähig, soziabel und eloquent ist. Weniger aktive und weniger aggressive (= regressive) Typen werden demgegenüber als eher negativ bewertet. Diese leistungsorientierte Einschätzung hat lange Zeit auch das Denken in der Psychiatrie beeinflusst: So wurde die Inaktivität von Patienten als Hinweis auf Faulheit und eine kommunikative Zurückhaltung als Indikator sozialer Ängstlichkeit angesehen. Dabei besitzen gerade regressive Typen klar defensive Stärken, die sich z.B. in einer achtsamen Lebenshaltung und in einem hintergründig ironischen Kommunikationsstil zeigen.
Ich kann mir sehr gut vorstellen, diese Gesprächstechniken im Beruf anzuwenden. Jedoch wirken einzelne Beispiele der Widerrede der Bosse und auch der Stars auf mich verletzend. Dies möchte ich vermeiden. Macht es daher Sinn, sich eher den aktiv-regressiven Eremiten- oder den passiv-regressiven Lazarus-Stil zu bedienen oder führt nicht jeder Schlagabtausch früher oder später zu Verletzungen?
Eine offensive Schlagfertigkeit wird in unserer Kultur sehr geschätzt, obwohl diese oft plump und zuweilen verletzend daherkommen kann. Der aktiv-regressive »Eremit« hat demgegenüber Zugang zum defensiven Repertoire einer feinen (Selbst-)Ironie, die z.B. den direkten Zugang zur Welt buddhistischer Selbstbehauptung eröffnet. Der Typus des passiv-regressiven Lazarus, der sich bei nicht wenigen Psychiatrieerfahrenen findet, besitzt einen unmittelbaren Zugang zur Kunst einer nonverbalen Schlagfertigkeit, die keineswegs verletzend wirkt. Das ist übrigens eine wesentliche Voraussetzung für das Einüben einer komischen Routine, die gerade für einen professionellen Clown unerlässlich ist!
Vielen Dank Herr Titze für das spannende Gespräch, das zur Reflexion der verwendeten Kommunikation und der dabei verwendeten humorvollen Strategien anregt.
Prof. Dr. Sabine Hahn (PhD) Mitherausgeberin der Psychiatrischen Pflege, Diplomierte Pflegefachfrau Psychiatrie, Pflege- bzw. Gesundheitswissenschaftlerin; leitet am Fachbereich Gesundheit der Berner Fachhochschule die Disziplin Pflege und die angewandte Forschung & Entwicklung/Dienstleistung Pflege. E-Mail: sabine.hahn@bfh.ch |