Am 27. Juli würde der Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick 100 Jahre alt. Niemand kommt an diesem Vordenker der modernen Psychotherapie vorbei. Schließlich sind seine Ideen in Schule, Ausbildung und Studium immer wieder Thema. Der Psychoanalytiker Michael Titze, der als Mentor des therapeutischen Humors im deutschsprachigen Raum gilt, ist Watzlawick häufiger persönlich begegnet. Dies hat sein therapeutisches Handeln entscheidend geprägt. Welche Spuren Watzlawicks Denken und therapeutischen Handeln hinterlassen hat, erzählt er im Gespräch mit Christoph Müller.
Christoph Müller: Sie sind Paul Watzlawick auf Kongressen immer wieder persönlich begegnet, Herr Titze. Sie standen mit diesem beeindruckenden Kommunikationswissenschaftler im intellektuellen Austausch. Lassen Sie uns doch an Erlebnissen teilhaben.
Michael Titze: 1969 erschienen der Sammelband Schizophrenie und Familie, der die wichtigsten Arbeiten der von Gregory Bateson gegründeten «Palo Alto-Gruppe» beinhaltet. Hier werden kommunikative «Doppelbindungen» beschrieben, die (meta-) kommunikativen Zwickmühlen entsprechen. Sie sind – so die zugrunde liegende These – «schizophrenogen», also geeignet, einen Menschen verrückt zu machen! Diese Aussage müsste verstören, hätten die Autoren nicht schon auf den ersten Seiten dieses Buches festgestellt, dass auch der Humor auf ähnliche Strategien einer paradoxen Desorganisation zurückgreift, indem er ständig zwischen heterogenen logischen Bezugssystemen oszilliert. Dabei werden zum Beispiel konkrete Metaphern mit abstrakten Begriffen gleichgesetzt, ohne den jeweiligen Sinngehalt dabei zu berücksichtigen. William F. Fry, Begründer der «Gelotologie»(Lachforschung) und «Humorbeauftragter» der Palo Alto-Gruppe, wies diese Konfusionsstrategie als das eigentliche Wesensmerkmal des Humors aus. Er war im Mental Research Institute von Palo Alto übrigens Zimmernachbar von Paul Watzlawick.
Ich lernte Fry Mitte der 1990er-Jahre persönlich kennen und war eine Zeit lang sein Übersetzer bei Vorträgen, die er in Deutschland und der Schweiz hielt. Er war es, der mich mit Paul Watzlawick bekannt machte. So konnte ich diesen zu Tagungen und Kongressen einladen, die ich in dieser Zeit mitveranstaltet habe. Dabei erlebte ich Watzlawick als einen konsequenten Reduktionisten, der belanglose Informationen ausklammern wollte, um Klarheit zu schaffen. Wenn es also darum ging, die Wirkweise paradoxer Interventionen in der Psychotherapie darzulegen, führte er diese schlicht auf das «Weniger desselben»-Prinzip zurück. Dabei geht es nicht um eine zeitaufwändige Erforschung der Ursachen psychopathologischen Verhaltens, da dies nur eine unüberschaubare Menge an Informationen liefern würde. Daher fokussieren sich Kommunikationstherapeuten in der Tradition von Watzlawick ganz auf den spezifischen Kommunikationsstil ihrer Patienten.
Christoph Müller: Wenn Sie heute an Paul Watzlawick denken, was ist vor allem von ihm geblieben?
Michael Titze: Watzlawick war ein Pionier der systemischen Psychotherapie, indem er die Forschungsergebnisse der Palo Alto-Gruppe systematisierte und für eine zeitlich stark begrenzte «Kommunikationstherapie» nutzbar machte. Sein primäres Interesse kreiste um die Frage, welche Funktion gestörte Kommunikationsweisen im Rahmen von sozialen Beziehungen erfüllen. Dazu gehört zum Beispiel der Austausch von kommunikativen Botschaften zwischen Ehepartnern oder zwischen Kindern und Eltern. Dabei kann das, was verbal (explizit) mitgeteilt wird, dem widersprechen, was nonverbal (implizit) zum Ausdruck gebracht wird. So können sich kommunikative «Doppelbindungen» ergeben, die Widersprüchliches aussagen. Da es unmöglich ist, nicht zu kommunizieren, kann schon das bloße Schweigen eine wichtige Botschaft vermitteln. Eine verbale Botschaft kann also körpersprachlich konterkariert werden, indem das offen Ausgesprochene durch das indirekt Angesprochene in Frage gestellt wird. Das ist etwa der Fall, wenn jemand das Fachwissen seines Vorgesetzten wortgewaltig lobt, während er oder sie gleichzeitig gähnt. Insgesamt findet menschliche Kommunikation auf diesen Ebenen statt:
1) Intrapsychische Ebene: umfasst (vorwiegend) unbewusste kognitive Prozesse, die sich auf affektive Bewertungen, persönliche Stimmungen und private Vorurteile beziehen.
2) Interpersonale Ebene (doppeltes Denken): «Ich denke über das nach, was andere über mich denken könnten ...»
3) Sozial normative Ebene: Bezugnahme auf soziale Leitlinien und formale «Man muss»-Regeln des Handelns, unter Berücksichtigung von angemessenen Kommunikationsstilen, durch welche durch welche die interpersonale Kommunikation zwischen anonymen Individuen intersubjektiv reguliert wird.
Insgesamt vermischt sich das «innere» (individuelle) Sprechen mehr oder weniger mit dem «äußeren» (interindividuellen). Während ersteres implizit ist und auf nonverbale (körpersprachliche) Mittel des Ausdrucks zurückgreift, nimmt letzteres explizit auf das Medium der sozial geregelten Sprache Bezug.
Watzlawicks methodischer Kunstgriff bestand darin, dass er sich von vornherein auf zwei Gesichtspunkte des Sprechens fokussierte, nämlich den Inhaltsaspekt (Was wird verbal kommuniziert?) und den Beziehungsaspekt (Wie wird dies nonverbal kommuniziert?). Die entsprechenden Aussagen können einander dabei aushebeln, so dass die Bedeutung der betreffenden Mitteilung widersprüchlich bzw. paradox ist.
Christoph Müller: Watzlawick vertrat die Position, dass Wirklichkeit nicht objektiv gegeben, sondern Ausdruck einer subjektiven Interpretation ist. Dies erscheint grundsätzlich plausibel. Was heißt dies denn für die Auseinandersetzung mit dem Humor, die Watzlawick und Sie ja verbunden hat?
Michael Titze: Der Konstruktivismus, auf den sich Watzlawick bezieht, wurde von den antiken Skeptikern vorweggenommen, indem diese sinngemäß darauf hinwiesen, dass wir nicht die wahre Realität wahrnehmen können, sondern lediglich das, was unsere Sinne und unser Verstand uns glauben machen. So schafft sich der Mensch eine je eigene (subjektive) Realität, die von der normierten Anschauungsweise der Gesellschaft mehr oder weniger abweichen kann. Aber auch die
soziale Welt schafft sich – naturwissenschaftlich gesehen – keine objektive Wirklichkeit, sondern generiert lediglich ein Gemenge von Meinungen und Glaubenssätzen, das auf einer sozialen Übereinkunft basiert. Dementsprechend ist die soziale Realität nichts anderes als das Ergebnis einer intersubjektiven Übereinkunft. Beispiele wären das Dogma der mittelalterlichen Kirche, dass die Erde eine Scheibe ist oder dass Hexen auf Besen fliegen, aber auch die Behauptung der Nazis, dass es Übermenschen gibt, die sich von angeblichen Untermenschen grundlegend abheben. Hierher gehören auch die Wirklichkeitsauslegungen diverser Verschwörungstheorien.
Watzlawicks Interesse fokussierte sich auf die Facetten der (subjektiven) Wirklichkeitsauslegung durch einzelne Individuen. Sie entspricht privatlogischen Konstruktionen, die durchaus kreativ und ideenreich sein können, obwohl sie zuweilen auch «komisch» wirken. Das zeigt uns das Beispiel einer wahnhaften Wirklichkeitsauffassung, die wir bei bestimmten Psychosen und auch bei narzisstischen Persönlichkeitsstörungen finden können. Werden derartige Konstruktionen vom Therapeuten strikt zurückgewiesen, ergibt sich unweigerlich ein rhetorischer Konflikt, bei dem es nur noch darum geht, wer eigentlich Recht behält. In diesem Fall steht nicht mehr die qualitative Bedeutung der betreffenden Wirklichkeitsauslegung im Vordergrund, sondern ein Machtkampf innerhalb der therapeutischen Beziehung.
Eben das das wollen Kommunikationstherapeuten in der Tradition Watzlawicks verhindern: Sie lassen sich – um ein sportliches Bild zu verwenden – nicht auf einen rhetorischen Boxkampf ein, sondern orientieren sich an der flexiblen Kunst eines Judoka, der den Stoß des Gegners nicht mit einem Gegenstoß beantwortet. Stattdessen wird dessen Angriffsvektor nach Kräften nicht nur bestätigt, sondern zusätzlich auch noch verstärkt. Auf diese Akzeptanz ist der Gegner aber nicht gefasst. Er oder sie kennt nur das Spiel von Gewalt gegen Gewalt, von mehr desselben, und nach den Regeln dieses Spiels wird eben ein Gegenstoß und nicht ein Spiel mit völlig andern Regeln erwartet.
Christoph Müller: Die Ironisierung nutzte Watzlawick, um auf Paradoxien in der menschlichen Kommunikation aufmerksam zu machen. Dieser Kunstgriff ermöglichte auch, problematisches Verhalten eines Menschen immer wieder zu thematisieren und so an einen Punkt zu kommen, den spezifischen Zweck und Nutzen eines Verhaltens herauszuarbeiten. Haben Sie als Psychotherapeut auch in dieser Weise gearbeitet? Wenn ja, erzählen Sie doch mal aus der Praxis.
Michael Titze: In seiner «Anleitung zum Unglücklichsein» greift Watzlawick durchgehend auf die Ironisierung zurück, indem er Verhaltensweisen lobpreist, die vom Standpunkt der Alltagsvernunft indiskutabel sind. Der Begriff «Ironie» wurde erstmals von Aristoteles verwendet und bezieht sich auf eine (nicht ernst gemeinte) Verstellung. Die gängigste Form der Ironie besteht darin, in übertriebener Weise das Gegenteil von dem zum Ausdruck zu bringen, was man eigentlich meint. So erklärte der Humortherapeut Waleed Salameh einem auffallend zwanghaften Ehepaar während einer familientherapeutischen Sitzung: «Ich verkenne durchaus nicht Ihre erzieherischen Leistungen. Insbesondere bewundere ich, wie tadellos Sie in Ihrer Familie für Zucht und Ordnung sorgen. Allerdings muss ich gestehen, einige Lebensbereiche zu kennen, in denen die Disziplin noch weiter vorangetrieben wird. Ich denke da zum Beispiel an die Strafkolonie auf der Teufelsinsel oder an den Wachwechsel vor dem Buckingham-Palast. Oder auch an das Wachsfigurenkabinett!»
Die Kommunikationstherapie greift indes weniger auf eine Ironie zurück, die direkt auf den Patienten abzielt, sondern nimmt den (selbstironischen) Umweg über die Person des Therapeuten. Indem sich dieser gezielt kleiner, unwissender oder ungebildeter gibt, als er eigentlich ist, wird der Patient sowohl verwirrt als auch besänftigt. Auf dem Wege über eine einfühlsame Identifikation mit dem Patienten können Psychotherapeuten dabei eine zunehmend amüsante «Zwillingsbeziehung» herstellen. Indem sie sich empathisch auf die Bedürfnisse, unreflektierten Absichten und Verhaltensstrategien des Patienten einstellen, können sie deren unbewusste Sinnhaftigkeit authentisch nachvollziehen und dabei auch aktiv spiegeln. Dies betrifft grundsätzlich auch die Dynamik des entsprechenden Symptomgeschehens. Der Therapeut thematisiert dabei indirekt – das heißt, auf dem Umweg über die eigene Person – eben jenes symptomatische «Arrangement» des Patienten, das sich bei genauerem Hinsehen als ein durchaus sinnvoller Kunstgriff erweist. Watzlawick führte in seinen Büchern etliche Beispiele für diese Vorgehensweise an. So schreibt er über einen intelligenten dreißigjährigen Schizophrenen, der lange Jahre seines Lebens in Anstalten verbracht hatte. Statt ihm gut zuzureden, dass er sich vom Einfluss seiner Familie unabhängig machen sollte, dass er eine Arbeit finden und sein eigenes Leben leben sollte, wurde er gleich mit der Frage konnte: «Warum sollten Sie sich ändern?» Dies wurde vom Therapeuten durch eine «vertrauliche» Mitteilung so begründet: «Ich weiß, dass ich Ihnen das nicht sagen sollte, denn was werden Sie von einem Doktor denken, der solche Dinge sagt. Streng im Vertrauen möchte ich Ihnen aber doch klarmachen, was ich von Ihrer Lage halte. Sie haben einen Lebensstil gefunden, um den die meisten von uns Sie beneiden können. Meiner Ansicht nach sollte ich mich behandeln lassen, nicht Sie. Wenn ich morgens aufwache, stehen mir zehn Stunden voll Problemen und Verantwortung bevor, in denen 99 Dinge schief gehen können. Sie brauchen nicht einmal aufzustehen, wenn Sie nicht wollen. Ihr Tageslauf ist sicher und vorhersehbar, man wird Ihnen drei Mahlzeiten servieren, nachmittags werden Sie vermutlich Golf spielen und sich abends einen Film ansehen. Sie können sicher sein, dass Ihnen Ihre Eltern den Anstaltsaufenthalt auch weiter bezahlen werden, und wenn diese dereinst sterben, wird der Staat für Sie sorgen. Was hätten Sie bloß für einen Grund, Ihren Lebensstil für eine Hetzjagd wie mein Leben einzutauschen?»
Im Zuge einer solchen selbstironischen Argumentation kann der Therapeut die Strategie des Symptomgeschehens – wiederum auf dem «Umweg über die eigene Person» – in einem neuen Licht erscheinen lassen, zum Beispiel, indem er oder sie erklärt:
• «Ich an Ihrer Stelle würde die Leute in dem Glauben lassen, dass es mir schlecht geht. Damit könnte ich sie einwandfrei zwingen, sich mehr um mich zu kümmern!»
• «Wenn ich mich meiner Partnerin so unterlegen fühlen würde wie Sie, würde ich mich über meine Impotenz freuen: weil sie mein Machtmittel ist, mit dem ich ihr beweise, dass sie mich keineswegs ‚schwach machen‘ kann!»
Das psychische Krankheitssymptom ist gerade für den übervernünftigen/ übergewissenhaften Menschen, der um alles in der Welt nicht unangenehm auffallen will, gewöhnlich sehr peinlich und daher in keiner Weise akzeptabel. Daher wird – in der Manier von Don Quichotte – verzweifelt gegen Notsignale des Körpers angekämpft, die einen letzten Halt, eine Sicherung in einer scheinbar ganz ausweglosen Lebenssituation ermöglichen sollen. Dies entspricht übrigens der konventionellen Annahme, dass ein unangemessenes Fehlverhalten (wozu die psychosomatischen Symptome an erster Stelle gehören) unbedingt korrigiert werden sollte. Dieses Patentrezept orientiert sich an konventionellen Strategien der Problemlösung, die auf eine Verbesserung des Verhaltens abzielen. Und das bedeutet, sich eben mehr anzustrengen – gerade auch dann, wenn sich kein entsprechender Erfolg einstellt! Die Folge dieses Festhaltens an einem Patentrezept führt aber unweigerlich dazu, dass diese Art der Problemlösung schließlich selbst zu einem Problem wird. Kommunikationstherapeuten gehen deshalb daran, dieses Schema einer Problembewältigung durch «Mehr desselben» konsequent auszuhebeln, indem sie Lösungsstrategien anregen, die dem «Weniger desselben»-Prinzip folgen. Damit geht es nicht mehr um die optimale Pflichterfüllung, sondern um die minimalistische Kür. So ist das «Weniger desselben»-Motiv weitgehend in der Welt des spielfreudigen Kindes verwurzelt, in der das – aus der Sicht des Erwachsenen – Belanglose zu einem spannenden Erlebnis werden kann.
Ganz nebenbei wird dabei auf Seiten der Patienten ein Perspektivenwandel angeregt, der die bisherige Methodik der Problemlösung aus dem Fokus rückt. Damit kann das entsprechende Symptom nicht weiter als ein verdammenswerter Ausdruck von Schwäche bewertet werden, sondern entpuppt sich als ein effizientes Mittel, das die eigene Selbstbehauptung sicherstellt.
Dazu ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis:
Frau M. leidet seit einigen Jahren an einer schweren Platzangst. Sie traut sich nicht mehr aus dem Haus, weil sie fürchtet, auf der Straße zu stürzen und dadurch «entsetzliches Aufsehen» zu erregen. Frau M. ist eine skrupulöse, übergenaue Frau, die sich nicht erinnern kann, jemals mit einem anderen Menschen böse gewesen zu sein. Obwohl sie schon einunddreißig Jahre alt ist, lebt sie noch bei ihrer Mutter, einer resoluten Dame, die ihrem einzigen Kind immer schon alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt hat. Nachdem sie vor ungefähr fünf Jahren ihren Mann verlor, wurde die Tochter von ihr «ganz vereinnahmt» (wie Frau M. sich ausdrückte). Verständlicherweise ist Frau M. gegenüber ihrer Mutter in einer widersprüchlichen Weise eingestellt: Einerseits braucht sie diese als «Krücke», da sie sich selbst für zu schwach und zu lebensunfähig hält, um allein zurechtzukommen. Andererseits sieht sie in ihr aber auch die Ursache für ihr freudloses, von Ängsten erfülltes Leben. (Dies wagt sie natürlich nicht bewusst einzugestehen, weil sie unbedingt eine «gute Tochter» sein will!). Somit erfüllt die Platzangst – natürlich ungewollt –eine wichtige Ventilfunktion: Mit ihrer Hilfe kann die Mutter nämlich einerseits in den Dienst gestellt werden, so dass ihr mehr und mehr die Funktion einer «Regiersklavin» zufällt. Andererseits kann diese durch die «schreckliche Angst» der Tochter aber auch tyrannisiert werden, was angesichts der uneingestandenen Ressentiments, die Frau M. ihrer Mutter gegenüber hegt, durchaus verständlich ist!
In dieser prekären Situation leite ich den Prozess der paradoxen Revidierung mit den folgenden Worten ein: «Ihre Platzangst ist augenblicklich doch das einzige Mittel, um ein gewisses Maß an Menschenwürde und Stärke aufrecht zu erhalten. Man muss doch einfach Rücksicht auf Sie nehmen! Stellen Sie sich einmal vor, welch schwachen Standpunkt Sie Ihrer Mutter gegenüber hätten, wenn Sie diese Angst nicht hätten. Oder können Sie sich vorstellen, dass Sie gegenwärtig in der Lage wären, sich bei ihr mit anderen Mitteln durchzusetzen? So lange das noch nicht der Fall ist, würde ich Ihnen dringend empfehlen, Ihre Platzangst nicht nur zu akzeptieren, sondern möglichst oft ganz bewusst hervorzurufen. Was ich damit sagen will: Sie könnten doch aller Welt einfach zeigen, wie schlecht es Ihnen geht. Was meinen Sie, wie viel Mitleid und Sympathie Sie dadurch hervorrufen werden ...» Natürlich hatte Frau M. zunächst eine ganze Reihe von Einwänden, die sich aber nur um das eine Thema drehten, nämlich die Peinlichkeit, die ein Sturz auf offener Straße nach sich ziehen könnte. Diese gedanklichen Konstruktionen übertrieb ich bewusst so lange und so weit, bis Frau M. darüber lachen musste. Dazu gehörte diese Intervention: «Stellen Sie sich vor, wie peinlich es auf die Passanten wirkt, wenn jemand auf offener Straße hinfällt! Die wissen doch nicht, ob Sie Epileptikerin sind oder gerade einen Herzanfall bekommen haben. Niemand wird Sie deswegen verachten! Bemühen Sie sich also, die Leute möglichst oft in diese Verlegenheit zu bringen! Besonders schön wäre es natürlich, wenn Sie dies in Begleitung Ihrer Mutter tun würden ... » Zusammenfassend lässt sich diese paradoxe Vorgehensweise so beschreiben:
1. Akzeptieren des Symptoms: Die Patientin darf ihr Symptom haben.
2. Übertreibung des Symptoms: Die Patientin soll indirekt dazu gebracht werden, ihre Symptome zu übertreiben oder der Therapeut soll diese (humoristisch) ausschmücken.
3. Positive Definition des Symptoms: Das Symptomverhalten wird nicht negativ bewertet, sondern positiv umdefiniert oder umgedeutet.
4. Verschreibung des Symptoms: Die Patientin wird angewiesen, sich dem Symptomverhalten verstärkt zuzuwenden.
5. Optimierung des Symptoms: Die Patientin wird aufgefordert, ihr Symptomverhalten zu perfektionieren.
Christoph Müller: Watzlawick zählt den Akteuren der radikalen Konstruktivisten. In diesem Kontext hat er sich mit dem Geschehen befasst, wie Wirklichkeitsauffassungen hergestellt werden. In der zeitgenössischen Psychotherapie empfehlen wir Techniken wie die kognitive Umstrukturierung, um Realität anzupassen. Was würde Watzlawick zu solchen Methoden sagen, wenn er eigentlich die Kommunikation mit Humor und Heiterkeit empfiehlt, um Relativierungen und Infragestellungen im Alltäglichen zu ermöglichen?
Michael Titze: Die Grundaussage des Konstruktivismus lautet: Es gibt keine «wirkliche» Wirklichkeit! Das Denken eines Menschen ist nämlich das Ergebnis von subjektiven («privatlogischen») und intersubjektiv vorgegebenen (sozialen) Konstruktionen, die die Wirklichkeit jeweils auf ihre Weise tendenziös ausgestalten. Aus leicht verständlichen Gründen besitzt die intersubjektiv konstruierte Wirklichkeit aber die stärkere Valenz. Seit undenklichen Zeiten wurde daher versucht, sozial unangepasste Individuen an die Vorgaben einer intersubjektiv verbindlichen Wirklichkeitsauslegung anzupassen. Dass der Erwerb von «sozialen Kompetenzen», der hier angestrebt wird, tatsächlich zu positiven Auswirkungen im Gemeinschaftsleben führen kann, steht außer Frage. Allerdings sind diese Effekte nicht die Folge von eigenständigen Entscheidungen, sondern eher von außengeleiteten Dressurmaßnahmen. Daher macht es nicht unbedingt Sinn, sich in der Therapie an einem konventionellen «Realitätsprinzip» auszurichten, an das sich Patienten anzupassen haben. Die Kommunikationstherapie will sich stattdessen zunächst mit den (dysfunktionalen) Lösungsstrategien der Klienten vertraut machen, um diese sodann – gemäß dem «Weniger desselben»-Prinzip – zu relativieren. Dies gelingt zuverlässig, wenn die entsprechen Strategien nicht nur gutgeheißen, sondern in einer möglichst überzogenen Weise nachgerade verschrieben werden.
In diesem Zusammenhang lotet Watzlawick auch die Bedeutung des Humors aus, dem er ein explosives Moment zuschreibt, das in eben jenem Augenblick zur Wirkung kommt, in dem die Markierung von Konstruktionen der Wirklichkeit aufgelöst und zu einer neuen Synthese zusammengesetzt wird. Deshalb geht es um die Beantwortung von Fragen wie diesen:
• Mit welchem Verhalten kann ich den anderen überraschen? Wie kann ich weniger berechenbar werden (im wohlwollenden Sinne)?
• Was brauche ich, um weniger desselben machen zu können?
Dazu bringt Watzlawick dieses Fallbeispiel: «Eine unverheiratete junge Dame führte ein sexuell ‚freies‘ Leben, das sie sehr erniedrigend fand, das ihr aber andererseits als die einzige Alternative zur deprimierenden Annahme erschien, dass sich sonst kein Mann mit ihr abgeben würde. Dazu kam noch, dass jedes Intimerlebnis sie völlig unbefriedigt ließ und ihr das Gefühl gab, sogar als bloßes Sexualobjekt wertlos zu sein. In ihrer Scham vermied sie es dann typischerweise, den betreffenden Partner wiederzusehen und knüpfte alsbald eine neue Beziehung mit irgendeinem Mann an. Sie erhielt folgende Instruktion: Sie hatte ihrem nächsten Freund zu sagen, dass sie aus bestimmten, rein symbolischen Gründen, die sie ihm unmöglich mitteilen konnte, nur dann imstande wäre, mit einem Mann zu schlafen, wenn er ihr vorher einen Silberdollar des Jahrgangs 1958 gäbe.»
Diese Intervention zielte darauf ab, einen gleicherweise (un-)logischen und beschämenden Kausalzusammenhang aufzubrechen: Wenn eine Frau ohne Vorbehalte mit einem Mann schläft, dann ist sie eine Nymphomanin (und daher wertlos); wenn eine Frau wegen des Geldes mit einem Mann schläft, dann ist sie eine Prostituierte usw. Stattdessen wurde dieser paradoxe Kausalzusammenhang hergestellt: Wenn eine Frau wegen eines Silberdollars des Jahrgangs 1958 mit einem Mann schläft, dann ist sie ...?
Christoph Müller: «Es sind subtilere Dinge, die uns langsam klarmachen, welche Möglichkeiten bestehen, in einer paradoxen und humorvollen Weise eine bestimmte festgefahrene hoffnungslose Wirklichkeitskonstruktion langsam überzuführen in eine weniger schmerzhafte und bessere», hat Watzlawick in den 1990er Jahren in Basel in einem Talk gesagt. Sie zählen selbst zu den Wegbereitern des therapeutischen Humors in den deutschsprachigen Ländern. Wie stellt sich dies in der psychotherapeutischen und psychosozialen Praxis dar?
Michael Titze: Tue genau das Gegenteil von dem, was ein (normaler) Therapeut tun würde: Das ist der Grundsatz der paradoxen Psychotherapie! Methodisch bedient sich diese, wie bereits gesagt, vor allem der «Symptomverschreibung»: Der Patient wird dabei ermutigt, ein Verhalten, das im Bezugsrahmen der Alltagsvernunft als falsch, unangemessen oder krankhaft beurteilt wird, nicht nur zu akzeptieren, sondern nach allen Regeln der Kunst zu verstärken. Diese Vorgehensweise zielt letzten Endes darauf ab, die Einstellung zum Symptomgeschehen zu ändern (und nicht das Symptom selbst!). So entsteht eine neue Art von Doppelbindung. Während eine pathologische Doppelbindung einen Menschen in eine aussichtslose Lage manövriert, zwingt eine therapeutische Doppelbindung diesen in eine verlustlose Situation, die nicht von lähmender Schamangst geprägt ist, sondern im Gegenteil von jenen Gefühlsqualitäten, die auch für die Welt des Clowns so typisch sind: Spielfreude, Blödelspaß und lustvolles Trotzen! In einer therapeutischen Doppelbindung kann ein Patient somit die Kontrolle über Symptome gewinnen, die bislang als Fremdkörper im eigenen Dasein bewertet wurden.
Das eigentliche Anliegen der paradoxen Psychotherapie ist, den Patienten zu einer radikalen Kursänderung zu motivieren. Indem dieser ein bislang störendes (und damit abgewehrtes) Verhalten willentlich hervorzurufen versucht, kommt es zu einer Umstellung der bisherigen Einstellung. Dies mag aus der Perspektive der Alltagsvernunft widersinnig erscheinen, und doch ist gerade das die Voraussetzung, dass der Patient nicht mehr von seinem Symptom unter Kontrolle gehalten wird, sondern dass er selbst es ist, der dieses Symptom kontrolliert!
Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, hatte schon vor Jahrzehnten erklärt: «Am allervernünftigsten ist es, nicht besonders vernünftig sein zu wollen!» Frankl ist der Erfinder der «paradoxen Intention», einer Technik der gezielten Symptomverschreibung. Damit ist er auch der eigentliche Pionier einer paradoxen Psychotherapie – das hatte Watzlawick in seinen Schriften vermerkt und auch mir gegenüber in einem persönlichen Gespräch bestätigt. Worauf die paradoxe Intention letztlich abzielt, ist jener existenziell bedeutsame Einstellungswandel, der sich in der Humorreaktion anbahnt. Wenn etwa eine Angstneurotiker gelernt hat, seiner verabsolutierende Angst vor den eigenen Symptomen augenzwinkernd gegenüberzutreten, wird dieser Angst der Wind aus den Segeln genommen. Der Therapeut soll an diesem Umstellungsprozess aktiv teilhaben, indem er seinen eigenen «Mut zur Lächerlichkeit» unter Beweis stellt – und so die Humorreaktion in Gang setzt. Frankl schrieb im Jahre 1959: «Der Patient soll lernen, der Angst ins Gesicht zu sehen, ja, ihr ins Gesicht zu lachen. Hierzu bedarf es eines Mutes zur Lächerlichkeit. Der Arzt darf sich nicht genieren, dem Patienten vorzusagen, ja, vorzuspielen, was sich der Patient (selbst) sagen soll. Durch diesen Humor lernt der Patient, seine neurotischen Symptome irgendwie zu ironisieren.»
Die Wirksamkeit der paradoxen Intention bei einer phobischen Problematik geht aus dem folgenden Fallbeispiel hervor. Bei der angeführten Patientin handelt es sich um eine 29 Jahre alte Frau, Mutter von drei Kindern, die bereits verschiedentlich psychiatrisch behandelt worden war. Frankl schrieb in seiner Ärztlichen Seelsorge: «Als sie (den Logotherapeuten) Dr. Gerz aufsuchte, litt sie an multiplen Phobien: Höhenangst, Angst vor dem Alleinsein, vor dem Speisen in Restaurants und zwar aus Angst, sie könnte erbrechen müssen oder in Panik geraten; Furcht davor, Supermärkte aufzusuchen, die Untergrundbahn zu benützen, sich unter die Leute zu mischen, allein im Auto zu fahren, vor einem Rotlicht stehen bleiben zu müssen, die Furcht, in der Kirche während der Messe laut aufzuschreien oder fluchen zu müssen usw.
Dr. Gerz wies die Patientin an, all das, wovor sie sich bisher gefürchtet hatte, geradezu herbeizuwünschen. Sie möge sich beispielsweise vornehmen, mit ihrem Gatten und mit ihren Freunden auszugehen, beim Dinner den Leuten‚ einfach ins Gesicht zu kotzen’ und ‚die denkbar größte Schweinerei‘ anzurichten. Tatsächlich begann die Patientin alsbald, mit ihrem Wagen Supermärkte aufzusuchen, zum Friseur zu fahren, in die Bank zu gehen und zu versuchen, ‚von so viel Angst wie nur möglich gepackt zu werden’. Schließlich konnte sie stolz berichten, was ihr alles bereits geglückt und gelungen war.»
Christoph Müller: Der Begriff der Paradoxie erscheint im Diskurs immer wieder undeutlich. Geht es dabei eigentlich um den Widerspruch zu einer offensichtlichen gegebenen Wirklichkeit oder um das Aufzeigen von Alternativen in Situationen, die unauflöslich erscheinen?
Michael Titze: Die therapeutische Paradoxie zielt auf Problemlösungen ab, die von vornherein «unlogisch» sind. Doch bereits Nietzsche hatte erkannt, dass das Unlogische notwendig ist, weil die «Freude am Unsinn» ein ursprüngliches Bedürfnis des Menschen sei. Die subjektive Realität des psychisch kranken Menschen wird aber durch ein Symptomgeschehen dominiert, das keinerlei Freude aufkommen lässt. Stattdessen werden freudlose Affekte generiert, wie Angst, depressive Niedergeschlagenheit oder zwanghafte Drangzustände. Der sog. gesunde Menschenverstand (common sense), der – wie bereits gesagt – die intersubjektive Realität spiegelt, bewertet die psychosomatischen Krankheitssymptome ebenfalls als etwas grundsätzlich Negatives, das unbedingt überwunden werden muss, damit eine Teilhabe am «normalen» sozialen Leben (wieder) möglich wird. Sofern Therapeuten diese Sichtweise nicht teilen, können sie das gegebene Symptomgeschehen als etwas durchaus Positives interpretieren. In diesem Fall stehen sie jedoch in einem Widerspruch zur subjektiven und intersubjektiven Wirklichkeit ihrer Patienten. Gerade von einem Therapeuten erwartet das normale Alltagsverständnis, dass dieser alles unternimmt, um die neurotischen Symptome zu kurieren, also «wegzukriegen». Sofern der Therapeut solche Symptome nicht als Ausdruck einer Schwäche, sondern einer inneren Ressource ansieht, geht er oder sie – aus der Perspektive des gesunden Menschenverstands (common sense) – paradox vor. Dabei eröffnen sich neue Perspektiven, so dass das Gute im Schlechten ebenso erkennbar wird wie das Schlechte im Guten. Der psychisch gesunde Mensch besitzt viele expansive Ressourcen. Diese sind eine Voraussetzung für seine innere Festigkeit. Beim typischen Psychotherapiepatienten stehen jedoch die spezifischen Symptome in Form von Ängsten, Depressionen und psychosomatischen Beschwerden derart im Vordergrund, dass die (grundsätzlich angelegten) expansiven Ressourcen nicht mehr zum Vollzug kommen. Diese Symptome entstanden zumeist aus einer Situation heraus, in der sich der Patient emotional so belastet fühlte, dass er oder sie auf die expansiven Ressourcen nicht mehr zurückgreifen konnte, sondern unbewusst nach alternativen Mitteln und Wegen suchen musste, um sich existenziell abzusichern. Gleichzeitig lassen sich diese Symptome auch als eine Rechtfertigung für defensive Ausweichmanöver nutzen. So erklären die betreffenden Patienten häufig:
• «Wenn ich nicht so große Angst hätte, dann könnte ich zur Arbeit gehen!»
• «Wenn ich nicht so depressiv wäre, hätte ich Freunde und würde am sozialen Leben teilhaben!»
• «Wenn ich nicht so große Probleme mit meiner Verdauung hätte, könnte ich durch die Welt reisen!»
• «Wenn ich nicht so einen schlimmen Hautausschlag hätte, könnte ich mich auf ein Liebeverhältnis einlassen und irgendwann heiraten!»
Solche und ähnliche Ausreden verraten uns den eigentlichen Zweck der psychischen und psychosomatischen Symptome: Sie dienen dem jeweiligen Patienten als ein plausibles Argument, sich vor den vielen potenziellen Gefahrensituationen des Lebens zu schützen. Und in nicht wenigen Fällen gelingt es den Betroffenen tatsächlich, andere Menschen mittels eben dieser Symptome in den eigenen Dienst zu stellen. Somit besitzen die psychischen bzw. psychosomatischen Krankheitssymptome die Funktion von defensiven Ressourcen.
Ein Psychotherapeut, der sich in seinem Vorgehen von der paradoxen Grundidee leiten lässt, wird unweigerlich eine andere Position gegenüber den Symptomen einnehmen, als dies zum Beispiel ein naturwissenschaftlich orientierter Nervenarzt tun würde. Er oder sie wird die defensiven Strategien, die dem Symptomgeschehen zugrunde liegen, nicht von vornherein als pathologisch bewerten, sondern diese ohne Wenn und Aber gutheißen. Das gelingt methodisch auf dem Wege einer konsequente Ermutigung, die auf den Nutzen der Symptome Bezug nimmt. Es gilt der Grundsatz: Alles was den Patienten stärker und expansiver macht, ist gut! Alle Interventionen, die den Patienten entmutigen, die sein positives Selbstbild schwächen, sollten hingegen als kontraproduktiv angesehen werden. Der Therapeut muss in diesem Zusammenhang das Terrain der Normalität verlassen und sich ins Reich der Abnormität, Widersinnigkeit und Absurdität begeben. Nunmehr kann er oder sie nicht allein das Symptomgeschehen, sondern jegliche Art von Normübertretung (= Fehlverhalten) auf Seiten des Patienten mit «positiven Augen» sehen, das heißt, als Ausdruck einer gelingenden individuellen Lebensstrategie interpretieren. Sobald ein Symptom in dieser Hinsicht umgedeutet wird, erscheint es als Ausdruck eines inhärenten Könnens, was dem Patienten – paradoxer Weise – fast immer ein Gefühl von größerer Kompetenz und Selbstakzeptanz, aber auch von Selbstkontrolle verleiht. Dabei wird das symptomatische Verhalten konsequent in einer ressourcenspezifischen Weise umbewertet.
Hier einige Beispiele, die ich bei de Shazer gefunden habe:
• Sture Unnachgiebigkeit = standhaftes Verhalten
• unreifes Verhalten = nonkonformistisch sein
• kontaktarm/abgeschieden leben = sein eigenes Bewusstsein genau erforschen
• auf Distanz gehen = sich um sich selbst kümmern
• passiv sein = die Fähigkeit, Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind
• übertriebene Ungeselligkeit = seine Bekannten sorgfältig auswählen
• unterwürfig sein = Autorität und Führung suchen, um sich selbst zu finden
• gefühllos sein = sich vor Verletzungen schützen
• promiskuös sein = auf andere Menschen anziehend und liebenswert wirken
• im Leben umherirren = alle vorhandenen Möglichkeiten erforschen
• überempfindlich sein = sehr lebendig, bewusst und intensiv auf andere Menschen eingestimmt sein
• alles kontrollieren wollen = Struktur und Überblick in seine Umwelt bringen wollen
• unangemessen impulsiv sein = spontan sein wollen
• widerspenstig sein = seinen eigenen Weg im Leben suchen
• sich selbst ständig abwerten = sich die eigenen Fehler eingestehen
• grundlos weinen = fähig sein, Gefühle, besonders schmerzhafte, authentisch auszudrücken.
Unter dieser Voraussetzung kann der therapeutische Prozess zu einem wirklich «kreativen Vorgang» werden. Denn alles, was der Patient tut (oder nicht tut), kann so als die authentische Inszenierung eines impliziten Spielplans aufgefasst werden, der einen «tieferen Sinn» besitzt. Dieses «gekonnte Spiel» mag vor den Augen der sozialen Welt als eine Ansammlung von Defiziten und Fehlleistungen erscheinen, doch wie der Clown ein (freiwilliger) Experte im Scheitern ist, der die Kunst des Stolperns virtuos beherrscht, so erweist sich auch der Patient als ein (vorerst unfreiwilliger) Experte in dieser Kunst – als jemand, der sein Symptomgeschehen zielgerichtet, also «sinnvoll» inszeniert, auch wenn er sich dieses Könnens (noch) nicht bewusst ist. Im Grunde handelt es sich hierbei um einen Prozess konsequenter Ermutigung, der den Patienten spielerisch an eigene Ressourcen heranführt, ohne dass die «im Kopf» internalisierten gesellschaftlichen Normvorgaben dem kreativen Handeln im Wege stehen.
Bücher, um die es geht
– Bateson, G. et al. (1969): Schizophrenie und Familie. Frankfurt
– De Shazer, S. (1989): Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Stuttgart
– Frankl, V. E. ([1946] 1975) Ärztliche Seelsorge. München
– Fry, W. F. & Salameh, A. W. (1987) (Hg.): Handbook of Humor in Psychotherapy. Sarasota (Florida) Salameh, W. A. (2016): Humor in der Integrativen Kurzzeittherapie. Stuttgart
– Sonnenschmidt, R. & Titze, M. (2016): Paradoxie – Die Spanne zwischen Unsinn und Erleuchtung. Tuttlingen
– Titze, M. (2013) (Hg.): Kleinbasel und der «Humor in der Therapie». Tuttlingen
– Titze, M. (2018): Wer zuletzt lacht ... Die Kunst humorvoller Selbstbehauptung. Stuttgart
– Titze, M. & Eschenröder, C. T. (1998): Therapeutischer Humor. Grundlagen und Anwendungen. Frankfurt
– Titze, M. & Patsch, I. (2004): Die Humor-Strategie. Auf verblüffende Art Konflikte lösen. München Watzlawick, P. (1983): Anleitung zum Unglücklichsein. München
– Watzlawick, P., Beavin, J. H. & Jackson, D.D. (1971): Menschliche Kommunikation. Bern
– Watzlawick, P., Weakland J. H. & Fisch, R. (1974): Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern
– Watzlawick, P. (1985) (Hg.): Die erfundene Wirklichkeit. München
– Weeks, G. R. & L’Abate, L. (1982). Paradoxical Psychotherapy. New York |