1. Int. Kongress im Hospitalhof Stuttgart, 2.-4. Mai 2002
Heilsames Lachen - die ressourcenorientierte Perspektive
Intro zum Kongress von Dr. Michael Titze

»Lachen ist gesund« und »Humor ist, wenn man trotzdem lacht«:

Diese sprichwörtlichen Volksweisheiten konnten in physiologischer Hinsicht inzwischen von der Gelotologie (Lachforschung) belegt werden! Gleichzeitig wird die Bedeutung des Humors für die Psychotherapie und Pädagogik, die Krankenpflege, »Salutogenese« und selbst für den Bereich der Personalführung (»Coaching«) mehr und mehr (an)erkannt.

Dabei scheint dem Gegenwartsmenschen das wirklich unbeschwerte (»heilsame«) Lachen nicht mehr so leicht zu gelingen - auch wenn die vielzitierte »Spaßgesellschaft« über eine Unzahl von medienwirksamen Stimulationsquellen verfügt Vor drei Jahren titelte die Sunday Times »Laugh? Modern man is forgetting how«. Und aus einer Untersuchung des Humorforschers Willibald Ruch geht überdies hervor, dass jeder zehnte Mitteleuropäer Angst vor dem Lachen seiner Mitmenschen hat. Könnte der zeitgemäße Fun-Boom somit ein Hinweis dafür sein, dass wir die professionellen Spaßmacher nur deshalb brauchen, weil wir zwar »aus vollem Hals«, aber nicht »herzhaft« lachen?

Aus dem Blickwinkel der Tiefenpsychologie entpuppt sich das, was vordergründig spaßig scheint, häufig nur als eine Reaktionsbildung. Man gibt sich demnach locker und witzig, um die Auswirkungen einer sozialen Realität zu ertragen, die den althergebrachten »Ernst des Lebens« zwar vordergründig verabschiedet hat, aber dennoch an einem Leistungsanspruch festhält, der sich auf viele Lebensbereiche stresserzeugend auswirkt. Spaß darf demnach nur das machen, was mit aktivem Aufwand und konzentriertem Einsatz verbunden ist - mag es sich um Erfolge im Beruf, Sport, im Fitnessbereich oder im gesellschaftlichen Leben überhaupt handeln!

Dieser faustische Drang zum Außergewöhnlichen, der nicht selten schon mit der Einschulung beginnt, konterkariert eine heiter-gelassene Lebenshaltung, die das stresserzeugende Überbietungsdenken in seiner Bedeutung relativieren kann. Dies entspricht einem Humor, der weise und bedacht ist, der von den vielen Erfahrungen zehrt, die einen Menschen reif werden ließen - für die Erkenntnis, dass das Leben »zu wichtig ist, um ernst genommen zu werden« (O. Wilde). Diese Erkenntnis scheint in unserer Spaß- und Erlebnisgesellschaft aber paradoxer Weise an Bedeutung zu verlieren: Der »postmoderne« Mensch nimmt das Leben insgeheim doch ernst, wie aus einer breit angelegten Untersuchung von Oliver James (»Britain on the Couch«) hervorgeht: Danach hat sich die Depressionsanfälligkeit bei Westeuropäer seit den 50-er Jahren vervielfacht! Einen der Gründe dafür nennt Richard Sennett: Es ist der zunehmende Leistungs- und Innovationsdruck in allen Sparten gesellschaftlichen Lebens. Dies bezieht sich nicht nur auf die »Pflicht« der Berufsausübung (nach Sennett muss ein qualifizierter Arbeitnehmer sein Basiswissen in 40 Berufsjahren wenigstens dreimal erneuern!), sondern auch auf die »Kür« im Freizeitbereich (die häufig ebenfalls zur anstrengenden, nicht selten auch risikoreichen Hochleistung wird). So war es nur folgerichtig, dass sich - zunächst in der Psychotherapie - Ansätze zu einem Umdenken gebildet haben, das die Absolutheitsansprüche postmoderner Realität zu reduzieren vermag - damit sich endlich wieder Wohlbefinden einstellt ...

Paul Watzlawick - ein Pionier der paradoxen Psychotherapie - hat am 1. Basler Humorkongress in diesem Zusammenhang gezeigt, zu welch verblüffenden (und heilsamen) Konsequenzen die bewusste Ironisierung sakrosankter Leistungsideale führen kann. Wer diesen (schon von Viktor Frankl beschriebenen) Einstellungswandel mitmacht - und das braucht durchaus nicht nur der »neurotische« Psychotherapiepatient zu sein! -, wird zwanglos zu der Erkenntnis gelangen, dass »die Lage zwar katastrophal, aber noch lange nicht ernst ist« (Wiener Volksmund). Diese paradoxe Devise scheint sich mehr und mehr durchzusetzen - und zwar nicht allein im engeren Bereich der Psychotherapie! Heute wird »therapeutischer Humor« in allen Sparten des Gesundheitswesens als das Mittel zur Relativierung stresserzeugender Absolutheitsansprüche »ernst genommen«, ebenso in der Pädagogik, der Personalführung und - nicht zu vergessen - im großen Bereich der Prävention bzw. Salutogenese.

1996 wurde in Basel erstmals in Europa der Fachkongress »Humor in der Therapie« veranstaltet. Bis 2000 folgten vier weitere Kongresse - mit stetig steigender Besucherzahl! Auskunft darüber gibt die Website http://www.humor.ch Sie ist ein Forum für die vielfältigen Aktivitäten, die sich nach Art des Schneeballsystems um den Basler Kongress herum entwickelten. Dazu gehört die Fachgesellschaft HumorCare - ursprünglich ein Schweizer Verein, der sich mittlerweile auch in Deutschland, Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein etabliert hat. HumorCare versteht sich als eine Dachorganisation, die alle Aktivitäten im Bereich therapeutischen Humors fördert, mag es sich um Forschung, Psychotherapie, (Betriebs-)Pädagogik, pflegerische Aufgaben, die Aktivitäten von Klinik-Clowns oder die Organisation von Fortbildungen, Tagungen und Kongressen handeln. Letztes Jahr wurde HumorCare Deutschland nach deutschem Vereinsrecht gegründet. In Zusammenarbeit mit dem Hospitalhof Stuttgart wird dieser Verein erstmals in Deutschland einen internationalen Kongress in der Tradition der Basler Kongresse organisieren (die ebenfalls in Zusammenarbeit mit HumorCare durchgeführt wurden). Die jetzt schon große Zahl an Anmeldungen für den Stuttgarter Kongress »Heilsames Lachen« zeigt, dass der therapeutische Humor auch in Deutschland auf ein breites Interesse stößt.

So bedeutet das Thema heilsames Lachen für uns nicht nur einen Slogan, der gut in die heutige Zeit passt, sondern die Herausforderung, einem breiten Fachpublikum den direkten Zusammenhang von Humor und Lachen mit emotionaler und körperlicher Gesundheit auf verschiedenen Ebenen aufzuzeigen und dabei konkret erfahrbar zu machen. Mehr als dreißig Referenten konnten für den Kongress verpflichtet werden. Die meisten sind international bekannt, einige - wie Frank Farrelly, Madan Kataria und Nossrat Peseschkian - haben eigene Schulen begründet.

Die Vorträge und Workshops sollen insgesamt dazu anregen, die Idee des heilsamen Lachens nicht nur in die eigene professionelle Arbeit, sondern auch in das private Alltagsleben zu integrieren.