Bayerischer Rundfunk (Forum der Wissenschaft - Zündfunk), 27. Juni 2002
Über das Lachen (gekürzte Fassung einer Sendung)
Autor: Matthias Nöllke
Redaktion: Ulrike Ebenbeck

Wie die Kinder lachen lernen.

Bevor Säuglinge anfangen zu lachen, lächeln sie. Das erste Mal bereits zwei Wochen nach der Geburt. Dieses erste Lächeln ist noch unspezifisch, es scheint wie aus einer anderen Weit zu kommen und wird deshalb auch oft als »Engelslächeln« bezeichnet. Vom vierten Lebensmonat an entwickelt sich daraus nach und nach ein Lächeln, mit dem der Säugling eine innige Beziehung zu seiner Mutter aufbaut. Der Säugling lächelt seine Mutter an - und keine andere Person mehr, die Mutter lächelt zurück. Daraus erwächst so etwas wie ein Urvertrauen. Wenn dieses Lächeln fehlt, hat das dramatische Folgen. Der Psychologe Michael Titze, in Deutschland einer der engagiertesten und kompetentesten Experten für das therapeutische Lachen: »Da gibt es auch Experimente von Babyforschern ( still-face Experimente ). Man hat Eltern den Auftrag gegeben, mit dem Lächeln aufzuhören, wenn das Kind lächelt. Nach einigen Lächelansätzen war das Kind sehr irritiert. Dies ist wahrscheinlich eine frühe Form frühkindlicher Depression, eine schwerwiegende Traumatisierung. Das agelotische Gesicht statt Spielgesicht führt wahrscheinlich zu Entwicklungen, die dann eher in Richtung Depression gehen. »

Kinder lachen zehn Mal häufiger als Erwachsene, so Michael Titze. Das bedeutet aber nicht unbedingt, dass das Leben der Kinder so viel unbeschwerter ist. Die Kindheit ist nämlich auch die Zeit tiefer Beschämung, quälender Ängste undbedrohlicher Hilflosigkeit. Nie wieder haben wir so viele Alpträume wie in der Kindheit. Mit einem Wort: Unterm Strich dürfte die Kindheit genauso hart sein wie dasErwachsenensein. Und daran hat auch das Lachen seinen Anteil. Denn in derKindheit beginnt eine weniger freundliche Form des Lachens, das Auslachen und das Ausgelachtwerden.

Michael Titze: »Das Auslachen ist die schlimmste Form der Entwertung, die man sich vorstellen kann und die Kinder schon erleben. Das Hänseln und Auslachen führt dazu, dass ein Kind sich selbst nicht als Teil der Bezugsgruppe erlebt, sondern vereinzelt ist, Aussenseiter und Spottobjekt wird. Leider war es früher auch ein pädagogisches Mittel, über das Auslachen das Kind soweit zu bringen, sich an Regeln zu halten. In unserer Arbeit mit therapeutischem Humor erleben wir, dass sehr viele Menschen zu uns kommen, die immer noch unter den Folgen des Ausgelachtwerdens leiden. »

Überhaupt verliert das Lachen nach und nach seine Harmlosigkeit. Nicht selten zum Entsetzen der Eltern, die nicht begreifen können, wieso ihr vormals so sonniges Kind plötzlich eine ausgesprochene Vorliebe für obszöne Ausdrücke entwickelt und sich in nicht akzeptabler Weise über Randgruppen und sozial benachteiligte Mitbürger lustig macht. Der Humor wird aggressiver, vor allem bei Jungs. Alles in allem scheint sich der kindliche Humor von prosozialen zu antisozialen Inhalten fortzuentwickeln, wie die Kommunikationswissenschaftler Thomas J. Socha und Brian Kelly in einer großangelegten Studie feststellten.
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Michael Titze - Lachen in der Psychotherapie

Wer unter Angstzuständen, Depressionen oder Zwängen leidet, dem ist bestimmt nicht zum Lachen zumute. Er will ernst genommen werden und braucht kompetente Hilfe. Von einem seriösen Therapeuten und keinem Spaßmacher. Lachen hat in der Psychotherapie keinen Platz. Oder doch? Michael Titze ist Diplompsychologe und Psychotherapeut. In Deutschland ist er einer der führenden Experten für Humor und Lachen in der Psychotherapie. Natürlich hält er Lachen in Therapie für sehr hilfreich. Nur: Man sollte nicht zu früh damit anfangen.

Michael Titze: »Lachen kann nur der, der sich auch überlegen und stark fühlt. Lachende Menschen werden deshalb in der Werbung immer in dem Zusammenhang gezeigt, dass es um Gewinnersituationen geht und Erfolg. Politiker, die nicht lachen, werden nicht gewählt. Man signalisiert: Mir geht es gut! Unterlegene können das auch als Provokation erleben. Auch in der Therapie ist es nicht so einfach gleich das Lachen einzuführen, weil dies einen ohnehin schon entmutigten Menschen in eine Position bringen kann, in der er sich unterlegen fühlt. One man up - der Therapeut. One man down - der Patient.«

Humor in der Psychotherapie ist gar nicht so exotisch, sondern hat eine durchaus ehrwürdige Tradition. Der Begründer der Individualpsychologie, Alfred Adler, baute wohl als erster humoristische Elemente in seine therapeutischen Sitzungen ein. Lachen verbindet und stärkt das Selbstvertrauen, meinte Adler. Die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Therapie.

Michael Titze: »Während Freud Distanz hielt, trat Adler seinen Patienten als heiterer Kamerad gegenüber. Dabei bediente sich Adler häufig ironischer Bemerkungen. Paranoiden Patienten, die sich ständig von anderen beobachtet fühlten, pflegte er zum Beispiel zu sagen: »Wie sind Sie doch zu beneiden! Wenn ich auf die Straße gehe, schert sich nicht einmal mein Hund um mich!« -

Michael Titze: »Alfred Adler ist auch der Erfinder der »Antisuggestion«: Dabei wird dem Patienten geraten, genau das Verhalten zu verstärken, das er loswerden will. Einem Patienten mit Schlafstörungen empfahl Adler sich bewusst anzustrengen, nicht einzuschlafen. Dieses überraschend effektive Verfahren griff der Psychotherapeut Viktor Frankl auf, er nannte es 'paradoxe Intervention' und behandelte damit Angstneurosen. Er forderte seine Patienten auf, sich genau das zu wünschen, was sie bis jetzt so sehr fürchteten. Dabei sollten sie ihre Furcht mit humorvollen Formeln übertreiben. Denn Humor schafft Distanz. Humor entlastet. Humor kann dafür sorgen, dass wir uns von quälenden Gedanken befreien können. Bis heute ist Viktor Frankl einer der wichtigsten Gewährsmänner für den gelungenen Einsatz von Humor in der Psychotherapie. Und nicht nur in der Psychotherapie.

Michael Titze: »Die Selbstdistanzierung ist, glaube ich, auch das Entscheidende. Im lachen distanziere ich mich von einer Realität, die manchmal unerträglich ist. Frankl, der selbst im Konzentrationslager gewesen ist, hat das immer wieder beschrieben, dass in einer undenkbaren für uns unvorstellbaren Situation, Dantes Inferno, die Menschen das Lachen nicht verlernt, sondern gelernt haben. Das ist etwas Großartiges, dass sich der Mensch eigentlich im Lachen von etwas distanzieren kann, was sonst unerträglich wäre.«