ORF - NOVA, 11. Februar 1997
Universelles Gelächter (gekürzt)
Es ist niemals zu spät für eine glückliche Kindheit.

Dr. Eleonore Höfner: »Humor ist für mich nicht nur lautes Lachen, oder lachen über Witze oder Schadenfreude oder so was, sondern Humor ist für mich eine Form von Weisheit, d. h. die Möglichkeit, sich selber zu relativieren, aus dem eigenen System auszubrechen und von außen zu betrachten was ich mache und damit auch Freiheit zu gewinnen vor Denkblockaden, Fühlblockaden, Verhaltensblockaden.«

Sich selbst von außen zu betrachten. Mit den eigenen Symptomen zu spielen. Es gehört u. a. zu den Zielen der provokativen Therapie, die selbstschädigenden Verhaltensweisen in den Mittelpunkt zu rücken und sie dann so ins Absurde zu verzerren, bis der Betroffene darüber lachen kann. Das erfreut auch die Therapeutin, weiß Eleonore Höfner aus eigener Erfahrung.

»Ich habe mit einer Therapieform angefangen und vor 11 Jahren die provokative Therapie kennen gelernt, zu einem Zeitpunkt, wo ich eigentlich entschlossen war aufzuhören mit Psychotherapie, weil ich gesagt habe, ich gehe dabei vor die Hunde, ich kann das nicht aushalten und seit dem ich diese Therapieform mache, habe ich viel mehr Spaß bei der Arbeit, die Klienten haben mehr Spaß. Wobei ich dazu sagen muss, dass heißt nicht, dass man jetzt die ganze Zeit schallend lacht, sondern man berührt manche Punkte, zieht es ins Absurde, dann wird gelacht, dann wird wieder ganz normal und ernsthaft geredet. Es wird auch geweint, das ist ja kein Problem und dann wird eben wieder gelacht. Die Bühne ist sehr weit gefasst. Das menschliche Leben besteht eben nicht nur aus Heulen und Zähneklappern und die Psychotherapie hat sich jahrzehntelang darauf spezialisiert.«

Die Spezialisierung auf die Defizite der Klienten und Klientinnen hat die moderne Psychotherapie weitgehend verlassen. Die meisten psychotherapeutischen Ansätze orientieren sich nunmehr weitgehend an den Ressourcen ihrer Patienten und Patientinnen und so schreibt Michael Titze in seinem Buch Therapeutischer Humor: »Die klassischen Therapieformen, Psychoanalyse und Verhaltenstherapie, haben dem Humor im Rahmen ihrer Behandlungsmethodik erstaunlich wenig Bedeutung beigemessen. Man könnte spekulieren, dass die Absicht, die eigene Wissenschaftlichkeit unter Beweis zu stellen, diese reservierte Haltung gegenüber einem vordergründig unseriösen Phänomen motiviert hat. Andererseits war dieses Phänomen selbst durchaus Gegenstand scharfsinniger Untersuchungen, wenn man etwa an Freuds umfangreiche Abhandlung über den Witz denkt. Diese ambivalente Haltung hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten jedoch grundlegend geändert. Es gibt heute kaum ein Therapieverfahren, die klassischen Ansätze sind dabei nicht ausgeschlossen, das die Bewertung des Humors für die psychotherapeutische Methodik ausdrücklich in Frage stellen würde.«

In der provokativen Therapie spielt der Humor eine, wenn nicht gar die entscheidende Rolle. Der amerikanische Sozialarbeiter und Psychotherapeut Frank Farrelly arbeitete in den 60er Jahren in einem psychiatrischen Krankenhaus in Maddison County mit schwerst gestörten Patienten, wie chronisch Schizophrenen, Depressiven, Drogenabhängigen und kriminellen Psychopaten. Darunter auch Bill, ein chronisch Schizophrener, dem Farrelly 91 Stunden lang versuchte mitzuteilen, dass er wertvoll und wichtig sei, dass er sich und sein Leben ändern könne. Bill reagierte immer gleich auf Farrelly Ermutigungen. Er sagte: »Ich bin wertlos, ein hoffnungsloser Fall und ich kann mich niemals ändern.« Irgendwann reichte es Farrelly und er sagte: »In Ordnung, ich stimme mit Ihnen überein, Sie sind ein hoffnungsloser Fall.« Fast sofort, nicht erst innerhalb von Wochen und Monaten, begann Bill zu protestieren, dass er nicht so schlecht und hoffnungslos sei und er änderte sich. Nach diesem unerwarteten Erfolg begann Farrelly Humor als strategisches Werkzeug der Therapie zu benutzen, das vor allem bei Depressiven rasch zu einem Erfolg führt.«

»Da kam diese Frau in meine Praxis und ich fragte sie: »Was haben Sie für ein Problem?«

Sie lehnte sich nach vorne, vergrub ihr Gesicht in ihre Hände und sagte: »Das Leben.«

Ich antwortete darauf: »Das ist gut, sie haben es bemerkenswert eingeengt.«

Die Frau schaute überrascht auf, fing an zu lachen und meinte: »Nun, ich kann es Ihnen schon genauer sagen.«

Farrelly darauf: »Machen Sie sich nicht die Mühe. An diesen metaphysischen, philosophischen Implikationen von kosmischer Weite ist was dran.«

Darauf die Frau: »Nun, also es handelt sich um meinen Freund.«

Farrelly: »Es ist so typisch. Die Patienten oder Klienten meinen immer, es gibt keine Lösung für ihr Problem. Da war dieser Mann, der zu mir sagte, ich bin wohl der schwierigste Fall den sie jemals hatten. Ich brach in lautes Lachen aus und antwortete ihm, aber nein, die Arbeit mit Ihnen ist so einfach, wie einen Fisch mit einer Schrotflinte in einem Fass zu erschießen, man kann ihn nicht verfehlen. Mein irischer Vater sagte immer, es gibt Menschen, die genießen ihr miserables Leben. Sie sehen sich als Goldmedaillengewinner des internationalen Leidenswettbewerbslottos.«

Farrelly singt nicht nur, er benutzt die unterschiedlichsten humoristischen Methoden in seiner provokativen Therapie. Er übertreibt mit Worten, ahmt die oft absonderlichen Verhaltensweisen der Patienten und Patientinnen nach, stellt sie in verzerrter Form dar, gibt absurde Pseudoerklärungen für pathologische Verhaltensweisen, benutzt deftige Worte. Das alles aber auf der Basis von Respekt, Ehrlichkeit und Authentizität. Die Herausforderung der provokativen Therapie besteht darin, an die wunden Punkte des anderen heranzugehen, aber, schränkt Eleonore Höfner ein, mit einer liebevollen Grundhaltung den Klienten zu provozieren über sich selbst positive Dinge zu sagen:

»Das heißt, wir sagen nicht, du bist stark, du kannst es, du schaffst es, sondern wir denken das zwar, sagen aber offiziell, also ich glaube nicht, dass Sie so, wie Sie geartet sind, in der Lage sind, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, Sie brauchen einen Beschützer oder Sie müssen eben schauen, dass immer jemand anderes Ihnen die Dinge abnimmt u. s. w. und Sie können sicher sein, die haben schon ganze Kohorten von Leuten, die ihnen helfen. Und da fang ich dann an mich dafür zu begeistern und ihnen Tipps zu geben, wie sie noch mehr Leute für sich einspannen können. Allerdings erwähne ich im Nebensatz den Nachteil, den es hat, wenn man so schwach ist. Also, dass man dann eben auch viele Sachen nicht mehr selber entscheiden darf. Das ist der Nachteil der Schwäche, aber ich würde dann immer sagen, das macht ja nichts, dafür haben Sie ja so viel Unterstützung u.s.w. Und ich würde auch den Vorteil der Stärke nicht sagen, sondern ich würde sagen, stark zu sein, hat nichts als Nachteile, plötzlich muss man alles selber machen, der scharfe Wind bläst einem ins Gesicht und die Leute behandeln einen nicht mehr wie ein rohes Ei, das ist doch furchtbar und dann würde ich im Nebensatz sagen, natürlich hat man dann sein Leben selbst in der Hand, aber das zählt nicht, ich spiele das dann runter und sage, dass ist nicht wirklich wichtig, viel wichtiger ist ja, dass man eben behütet wird, beschützt, in Watte gepackt. Und das hat immer diesen Effekt, wenn sie wieder in eine solche Situation kommen, dass sie sich daran erinnern, wenn es mir gelingt, das auch noch als Bild auszumalen, d. h. also ein wirklich kleines schwaches Mäuschen, das den großen Katzen dieser Welt dauernd gegenübertritt, dann sehen sie dieses Bild vor sich, sie erinnern sich an das Gelächter, was wir gemeinsam hatten und dann können sie sich gar nicht mehr in derselben Weise verhalten, das funktioniert nicht mehr.«

In seinem Buch »Therapeutischer Humor« schreibt Michael Titze: »Im Gegensatz zu den positiven Einschätzungen der Möglichkeiten der provokativen Therapie steht das Fehlen von empirischen Studien über die Wirkung dieser Therapieform. Es gibt bislang weder kontrollierte Einzelfallstudien, noch Fallserien oder Gruppenuntersuchungen mit Kontroll- und Vergleichsgruppen.« Michael Titze ist aber von der Wirksamkeit des therapeutischen Humors überzeugt. Er sieht diese Form des Humors als ein Mittel scheinbar unverrückbarer Lebensweisen unserer naiv hingenommenen Alltagswelt auszuklammern. Das sei, so Titze, mehr als nur eine bloße Relativierung normativer Zwänge, denn es ermögliche den Zugang zum affektiven Kindsein, als der Sphäre reinen Lebens. Einen Zugang, den vor allem Menschen brauchen, die unter der sogenannten Schamangst leiden.«

Dr. Michael Titze: »Ein Mensch, der an sich zweifelt, dessen Selbstwertgefühl sehr reduziert ist, empfindet Scham, denn Scham ist ein Affekt der besagt, dass ich als Ganzes, als Person nichts wert bin, dass ich weder liebenswert, noch anerkennenswert, noch ansehenswert bin. Und im ganz konkreten Sinne kann man ermitteln, dass Patienten, die unter Schamproblemen leiden, in ihrer Kindheit von ihren Bezugspersonen nicht liebevoll, nicht mit einem Ausdruck von Freude, nicht mit einem lächelnden Gesicht angesehen wurden, sondern eher skeptisch, desinteressiert und links liegen gelassen wurden. Oft waren das Bezugspersonen, die selber unter narzisstischen Problemen gelitten haben, die selbstbezogen gewesen sind, das Kind nur gelten ließen, wenn es Leistung im Sinne ihrer Idealvorstellungen erbrachte. Wenn das nicht der Fall war, dann wurden die Kinder im Regen stehen gelassen. Und als Erwachsene sind diese Menschen bestrebt, ihre große Scham, als Person nichts wert zu sein, zu verbergen, und das führt dann zu Scheu, Rückzugsverhalten, arrogantem Verhalten, oft auch zu Überkompensationen im Leistungsbereich und unter Umständen kann es auch zu Suchtproblemen kommen und in nicht seltenen Fällen eben zur Entwicklung schwerwiegender Schamdepressionen, die sich dann so auswirken, dass diese Menschen im wahrsten Sinne des Wortes erstarren, dass sie zu einem hölzernen Hampelmann, zu einer Marionette werden, wie es Henri Bergson schon vor über 90 Jahren formuliert hat. Und dieses hölzerne Gehabe des Unlebendigsein ist ein weiterer Anlass, sich seiner selbst zu schämen und sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen.«

»Pinocchio-Komplex« nennt Michael Titze diesen Kreislauf. Menschen, die sich als komisch und lächerlich erleben, deren Angst vor dem ausgelacht werden ihre Bewegungen hölzern und unfrei werden lässt. Das Lachen der anderen wird nicht als Ausdruck fröhlicher Lebenslust, sondern als grausames Zuchtmittel erlebt. Es beginnt wenige Wochen nach der Geburt. Das Baby lächelt. Wenn es Glück hat, lächeln die Eltern zurück. Bleibt deren Gesicht versteinert oder neutral, gerät die Welt aus den Fugen. Säuglingsforscher haben Eltern im Rahmen des Still-Face-Verfahrens aufgefordert, statt zu lächeln ein ausdrucksloses und unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen. Ergebnis: Schon drei Monate alte Säuglinge zeigen darauf eine Reaktion, in der leichte Bestürzung und Rückzug aus der Interaktion mit Versuchen abwechseln, die teilnahmslosen Eltern zum Lächeln zu bringen. Später kommt die Schlussfolgerung, du musst dich so verhalten, dass das Lächeln aus dem Gesicht von Mutter oder Vater usw. nicht entschwindet. Du musst dich so verhalten, wie es die anderen von dir erwarten. Die Keimzelle des Gewissens entsteht, das auf Idealnormen aufbaut, die nicht hinterfragbar sind. Es folgen frühe Man-muss-Vorstellungen. Das Kind lernt, die ihm zugeschriebene Rolle zu spielen. Der Erwachsene wird später von der eigenen Minderwertigkeit überzeugt sein. Wird sich ständig unerbittliche Selbstvorwürfe machen, wird meinen, nicht gut genug zu sein und daher in ständiger Angst leben, sich lächerlich zu machen.

Michael Titze schreibt: »Das Leben sensitiver Menschen wird durch Scham vergiftet. Sie kommen nicht zur Ruhe. Ihre Schamangst wird auf die Umwelt projiziert, so dass sie sich von dieser ständig beobachtet, kontrolliert und gnadenlos verurteilt fühlen. So muss der schamgebundene Mensch ständig darum bemüht sein, seine körperlichen Bewegungen, seinen Gesichtsausdruck, sein Sprechen, sein Tun im Griff zu haben, damit man keinen Anstoß an ihm nimmt. Das Gegenmittel nennt sich therapeutische Paradoxie, die das Unlogische und die Freude am Unsinn fördert und damit eine relativierende Weltsicht ermöglicht. Das Vorbild: das unverschämte Kind mit seinem unbeschwerten Lachen als Ausdruck einer kleinen Revolte gegen die Erziehung.«

Michael Titze: »Es gibt bestimmte Kulturen, die auch als Schamkulturen bezeichnet werden: ostasiatische Kulturen, wie Japan z. B. wo das Lächeln etwas Erlaubtes, Gebotenes, Erwünschtes ist, das laute Lachen aber überhaupt nicht gern gesehen wird. Und das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass das Lachen, wie George Orwell es ausgedrückt hat, eine kleine Revolte ist - der lachende Mensch ist in einem Aufbegehren begriffen, das für viele Mitmenschen auch gefährlich sein kann. Denken Sie an das Auslachen. Es ist in der Zeit des Nationalsozialismus und sicher auch in anderen Diktaturen so gewesen, dass das Erzählen von Witzen und das Lachen über die Potentaten regelmäßig mit oft sehr strengen Strafen belegt wurde, denn jemand, der lächerlich gemacht wird, über den man lacht, der ist nicht mehr so mächtig und deswegen ist das Lachen auch etwas, das gefürchtet wird.«

In seiner therapeutischen Praxis arbeitet Michael Titze mit dem Clown: Sinnbild des trotzigen Kindes, des revoltierenden Menschen, ein Grenzgänger zu Abgründen. Er steht dem jeweiligen Klienten im Sinne eines kindlichen Doppelgängers zur Seite.

Erika Kunz agiert als sogenannter therapeutischer Clown. Sie setzt die rote Clownnase auf und sorgt dafür, dass bei der Gruppenarbeit der Kopf, also das selbstkontrollierte Erwachsenendenken ausgeklammert bleibt. Beispiel: Ein Mensch mit Sprechangst.

Erika Kunz: »Er hat die Angst in der Gruppe oder vor anderen Leuten zu sprechen. Das wird natürlich in der Gruppe geübt, diese Angst stellt er dar. Er hält sich am Stuhl fest. Er fängt an zu stottern oder er bekommt Herzrasen oder er fuchtelt mit den Händen umeinander. Er weiß im Grunde gar nicht so recht was er tun soll. Und dann lernt er mit minimalen Mitteln etwas anderes zu tun, um damit bewusst zu scheitern! Und das ist ja gerade das Paradoxe - dass er ja damit gerade nicht scheitert. Er bekommt allmählich dieses Egal-Gefühl , er braucht sich da nicht mehr festzuhalten, er braucht da nicht mehr rumzuhampeln, wenn er einfach lernt, den Blickkontakt zu halten, ganz lebendige Augen zu bekommen, den Atem runterfließen zu lassen, einfach nur so dazustehen und dann unartikuliert »chinesisch« zu reden. Durch das Kauderwelsch reden lernt der Klient aus dem kontrollierten Erwachsenendenken herauszukommen und später dadurch dann auch ganz normal reden zu können.«

Immer geht es dabei um die Angst, sich daneben zu benehmen, etwas falsches zu sagen, unangenehm aufzufallen. Der therapeutische Clown macht nun aber dem Klienten vor, was es heißt lustvoll zu scheitern. Er flüstert ihm Botschaften zu, die gegen die Ich-Ideale gerichtet sind. Agiert also als unverschämtes Identifikationsmodell. Unverschämt zu sein, sich über die Normen der Gruppe lustig zu machen, gehört auch zum Verhaltensrepertoire der Clowns bei indianischen Stammesgesellschaften. Sie stören die Zeremonien der Medizinmänner und Schamanen mit ihrem Lachen, ihren Späßen, ihren grotesken Tänzen und obszönen Liedern. Die Clowns bilden die Gegenteile zu den Stammesheiligen. Sie betrachten die Welt wie aus dem Kopfstand heraus und verhalten sich ihr gegenüber dementsprechend. Seiner sozialen Stellung nach, zählt der Clown sowohl zu einem Angehörigen der Dorfgemeinschaft, ist gleichzeitig aber auch Ausgeschlossener. In vielen Stämmen, so meinen Annette Fried und Joachim Keller in ihrem Buch »Faszination Clown«, gilt der Clown als besserer Heiler als der Medizinmann. Weil er keine Traurigkeit kennt und jede Art von Schuld, Strafe, Isolation, Schmerzen, Krankheit und Tod überwunden hat.