DRS 2 - 14.10.1996
Humor als Therapie (gekürzt)

Bericht von Michael Koechlin vom ersten internationalen Kongress zum Thema Heilkraft des Lachens in Krankenpflege, Psychotherapie und Medizin, der letzte Woche im Kongresszentrum der Messe Basel stattfand.

Michael Titze, Psychotherapeut und Autor des Buches 'Die heilende Kraft des Lachens': »Humor in der Therapie heißt das zuzulassen, was ungewöhnlich ist, was nicht den normativen Vorstellungen unseres 'gesunden Menschenverstandes' entspricht. Dies zuzulassen wird in der Fachsprache als 'paradox' bezeichnet.«

Humor in der Therapie: Das tönt zunächst einmal so banal und selbstverständlich, wie die Forderung nach mehr Menschlichkeit in der therapeutischen Arbeit! Was soll das alles? Kommt in dem für Laien ohnehin schon so unüber- und undurchschaubaren Angebot an Psychotherapieformen noch die Lach- oder Witztherapie hinzu? Sollen sich Analytikerinnen und Psychiater vielleicht Pappnasen und Schielbrillen aufsetzen? Der erste internationale Kongress zum Thema Humor in der Therapie hat letzte Woche in Basel eine illustre Fachgesellschaft in das Kongresszentrum Basel gelockt, und gezeigt, dass es tatsächlich um nichts anderes geht als eben um mehr Menschlichkeit in allen Formen therapeutischer Beziehungen und Arbeit. Zum Thema Humor in der Therapie ein Beitrag von Michael Koechlin:

»Wir haben da einen Witz von einem Patienten, der alle 20 Sekunden in die Hände klatscht und man fragt ihn nach dem Grunde dieses merkwürdigen Verhaltens und er sagt: 'Um die Elefanten zu vertreiben.' 'Elefanten? Aber es gibt doch hier gar keine Elefanten!' Darauf sagt er: 'Na sehen Sie, hat doch funktioniert!'« Ein Witz erzählt vom Psychotherapeuten Paul Watzlawick. Paul Watzlawick ist einer der bekanntesten und prominentesten Praktiker und Forscher auf dem Gebiet der Psychotherapie. Sein Buch, »Anleitung zum Unglücklichsein« hat mittlerweile die 39. Auflage erreicht, und gilt schon fast als eine Art Kultbuch. Den Witz vom Patienten, der ständig in die Hände klatscht, um vermeintlich bedrohliche Elefanten zu verscheuchen, erzählt Paul Watzlawick gerne, um die verschiedenen Formen psychotherapeutischer Arbeit zu illustrieren. Wie, so lautet die Frage, könnte man denn dem Mann mit der Elefantenwahnvorstellung helfen?

Watzlawick: »Eine Möglichkeit wäre, dass man in seiner Vergangenheit nachforscht nach den Ursachen, das wäre so der typische klassische Ansatz. Welche Gründe in der Vergangenheit verursachen dieses Benehmen in der Gegenwart? Das dauert lang. Noch länger würde es dauern, wenn man versuchen würde, mit dem Patienten eine sehr schöne Vertrauensbeziehung herzustellen, so dass der mir nach Jahren vielleicht glaubt, das es stimmt, dass keine Elefanten da sind. Die dritte Möglichkeit wäre, dass man, wie in der Verhaltenstherapie Elefanten in die Therapie hereinbringt. Das ist etwas schwierig. Es wäre dann wahrscheinlich auch zwecklos, denn der Mann würde zwar merken, dass das Klatschen die Elefanten nicht verscheucht, es würde aber seine Angst vor den Elefanten nicht ändern. Die vierte Möglichkeit wäre, dass er einen Autounfall hat, sich das Handgelenk bricht und die Hand in Gips hat und nicht klatschen kann. Auf diese Weise stellt sich dann heraus, dass es keine Elefanten gibt. Das wäre eine Illustration, die die Bedeutung des Humors in der Therapie so ungefähr benennen könnte.«

Koechlin: »Wenn wir von Humor reden, dann ist es vielleicht fast nicht zulässig, das so als homogenen Begriff zu verwenden. Humor geht von der feinsten Ironie bis zur Pappnasenkalauerei. Wenn Sie jetzt aber davon sprechen, Humor - vielleicht ist das auch ein unzulässiger Begriff - Humor als Instrument in einer therapeutischen Situation einzusetzen, wovon reden Sie dann?«

Watzlawick: »Ja wissen Sie, da müsste ich ausführlich über den radikalen Konstruktivismus sprechen, darüber, wie wir unsere Wirklichkeiten herstellen, statt sie objektiv zu erfassen. Der moderne Konstruktivismus befasst sich eben genau mit den Prozessen, durch die Wirklichkeitsauffassungen hergestellt werden, die Auffassungen, die wir dann mit eiserner Sicherheit als die wahre Wirklichkeit ansehen. Und der Humor wäre nun eine Möglichkeit, das zu relativieren und in Frage zu stellen.«

Koechlin: »Im gewöhnlichen Leben, im Alltagsumgang mit Menschen erleben wir Humor ja oft als etwas, was uns aus einer verfahrenen Situation herausführen kann, als etwas, was gewohntes Verhalten brechen kann, als etwas, was einer vermeintlich zwangsläufigen Entwicklung einer Situation plötzlich die Spitze nimmt oder sie in eine andere Richtung führen kann. Geht es im therapeutischen Bereich um ähnliches?«

Watzlawick: »Genau das ist es, was wir in unserem Ansatz im Mental Research Institute in Palo Alto versuchen: zu intervenieren ohne über den Umweg der Vergangenheit die Ursachen zu suchen und dergleichen mehr, sondern das zu tun, was sich ja millionenfach im Alltag ergibt, das heißt, Zufallsereignisse, die einem Menschen plötzlich klarmachen: Nein, jetzt versuchte ich immer, in der Richtung zu gehen und in diese Richtung geht's! Und da sind humorvolle Interventionen durchaus angebracht. Dass eine Beziehung hergestellt wird zwischen zwei Gegebenheiten oder zwei Möglichkeiten oder zwei Auffassungen, zwei Identitäten, die bisher für sich durchaus bekannt waren, aber noch niemals in diese Beziehung gesetzt worden waren. Und genau das, so weist Koestler nach, findet eben im Humor statt. Das Humorvolle daran ist, dass plötzlich eine Beziehung da ist, von der man vorher keine Ahnung hatte ...«

Koechlin: »... und die dann, was wir schon angesprochen hatten, unter Umständen in der Therapie plötzlich etwas lösen kann oder plötzlich eine neue Tür auftun kann.«

Watzlawick: »Genau das. Plötzlich begreife ich: ach ja, natürlich, so geht das. Das ist mir bisher nie aufgefallen, aber jetzt weiß ich es.«

Koechlin: »Jetzt geht es ja nicht darum, dass sich die Therapeutin oder der Therapeut eine Pappnase aufsetzt oder in der Therapie Witze erzählt. Die Frage ist, Humor in der Therapie, das ist auch der Titel dieses Kongresses, ist das lernbar? Ist das in der Ausbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten etwas, was man lernen kann wie andere Dinge auch?«

Watzlawick: »Ja gut, man kann vor allem dadurch lernen, dass man erfolgreiche Therapeuten, wie zum Beispiel unseren Chef Don Jackson, den Gründer und ersten Direktor unseres Institutes bei der Arbeit beobachtet und langsam zu begreifen beginnt, was die Natur dieser Interventionen ist. Das ist aber nicht etwas, was man in einem Kurs lernen kann. Es sind subtilere Dinge, die uns langsam klarmachen, welche Möglichkeiten bestehen, in einer paradoxen und humorvollen Weise eine bestimmte festgefahrene hoffnungslose Wirklichkeitskonstruktion langsam überzuführen in eine weniger schmerzhafte und bessere.«

Koechlin: »Professor Watzlawick, wo liegt für Sie die Grenze zwischen Lachen und Lächerlichkeit?«

Watzlawick: »Ja gut, über Lächerlichkeit lache ich nicht, das finde ich dumm, und kann es unter Umständen sogar übel nehmen, dass mir jemand zumutet, dass ich das für lustig oder humorvoll finde. Das ist ungefähr der einzige Unterschied, den ich mir im Augenblick vorstellen kann.«

Informatikkongresse werden von Informatikern, Ferienmessen von Urlaubs- und Reisefachleuten und Kardiologiekongresse von Herzspezialisten gemacht. Der Kongress Humor in der Therapie wurde zwar von Therapiefachleuten bestritten, was die Referate anging, die Idee stammt aber von einem Humorkonzeptionisten, dem Buchautoren und modernen Till Eulenspiel Renè Schweizer: »In meinem ersten Buch, das vor beinahe 20 Jahren erschienen ist, habe ich unter anderem einen Brief ans Fundbüro Basel geschrieben und darin schrieb ich: Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe am vergangenen Freitag auf dem Barfüßer-Platz meinen Verstand verloren. Ist er vielleicht bei Ihnen abgegeben worden? Und zu meinem Erstaunen habe ich dann so ungefähr 14 Tage später eine Antwort darauf bekommen, und zwar eine ganz sachliche, nüchterne, trockene. Da hieß es einfach, ich müsse das beiliegende Formular ausfüllen und es zurückschicken. Das habe ich dann getan, da stand oben: Gegenstand. Da habe ich reingeschrieben: Verstand intakt, rot mit gelben Tupfen, hört auf den Namen Erwin. Und dann stand da noch: ungefährer Wert des Gegenstandes. Da hab ich reingeschrieben: ungefähr 45 Franken. Dann habe ich das eingeschickt und kurze Zeit später habe ich einen Brief bekommen, in dem stand: Sollte der erwähnte Gegenstand bei uns eintreffen, werden wir Ihnen berichten. Sollte er nicht eintreffen, werden wir Ihnen nicht berichten. Das ist die ganze Story.«

Koechlin: »Renè Schweizer, das erste Buch, das ein Mensch schreibt, ist und bleibt immer ein besonderes Buch und ich denke, dieses erste Buch von Ihnen ist einerseits etwas, worüber die Leserin, der Leser lacht, aber ich gehe sehr davon aus, es ist auch ein Buch, bei dem sie selbst viel gelacht haben. Und vielleicht kommt hier die Verbindung zum Thema dieses Kongresses Humor in der Therapie. Was lustig ist an diesem ersten Buch ist, dass eigentlich viele Institutionen, Behörden, Einrichtungen ganz ernst auf etwas reagieren, was Sie vielleicht ein bisschen in einem Eulespiegel- Humorsinn gemacht haben, und da entsteht die Komik. Trotzdem jetzt aber die Frage, ist so ein Buch nicht irgendwo auch ein Stück Eigentherapie, Selbsttherapie?«

Schweizer: »Ich habe mir das noch nie so überlegt. Aber jetzt, da Sie es sagen, wird mir plötzlich klar, dass es hundertprozentig so ist und zwar, als ich angefangen habe mit diesen Briefen war ich in Spanien. Ich war dort quasi der Hofnarr der Leute, die sich da unten befunden haben während dieser Zeit, es war, glaube ich, im Frühsommer 1974. Ich hab mal die Leute beobachtet, mit denen ich tagsüber zusammen war, als ich von einer anderen Seite, als die mich erwartet haben, ins Café kam, wo wir den Morgenkaffee genommen haben und dann habe ich gesehen, dass die immer wieder den Kopf drehen nach der Richtung, wo ich eigentlich herkommen sollte. Dann ist mir plötzlich klar geworden, intuitiv, dass die auf mich warten, weil sie gedacht haben, dann geht's wieder los oder weil ich grundsätzlich gern Späße mache. Dann hab ich angefangen, solche Briefe zu schreiben, einfach um mich abzulenken von dieser Einsicht, dass diese Leute quasi darauf angewiesen sind, dass ich komme, denn das hat mich deprimiert. Das war dann wirklich eine Art Selbsttherapie, denn ich hab dann die verrücktesten Briefe losgeschickt, hab die auch rumgezeigt, den Leuten, die deutsch konnten und die haben gesagt, du bist verrückt, da bekommst du nie eine Antwort drauf und ich hab gesagt, ja, ich weiß es nicht, ich mach's jetzt einfach mal und dann sind ja die erstaunlichsten Antworten gekommen.«

Koechlin: »Ich kann mich an eine Antwort erinnern. Sie haben nach Basel, in Ihre Heimatstadt geschrieben, an die Basler Verkehrsbetriebe, ans Tram, ans Trämli, wie man hier sagt, Sie brauchen für eine Haifischausstellung Tramschienen und man hat Ihnen eine ganze Sammlung von technischen Zeichnungen geschickt und man hat Ihnen angeboten: Tramschienen gebogen neu, oder Tramschienen gebogen gebraucht, mit Preis. Das ist ja wirklich Humor in der höchsten Vollendung. Nur, es gibt eine andere Seite. Sie haben heute, an diesem Kongress, eigentlich sehr viel von sich gezeigt. Sie haben erzählt aus Ihrer Kindheit, aus einem sehr, sehr schönen Umfeld. Eine Familie, in der der Humor einfach als Selbstverständlichkeit da war und dann der Schock des Schuleintritts. Plötzlich ist alles anders und das Kind Renè Schweitzer, meine ich herausgehört zu haben, hat sich lange Zeit eigentlich nicht mehr so richtig orientieren können. Was ist jetzt wirklich wichtig? Ist es der Humor oder ist es der sogenannte Ernst? Ist das eine Auseinandersetzung, die Sie in Ihrem Leben weiter beschäftigt hat?«

Schweizer: »Ja ich meine, der Ernst gehört zum Humor, so wie das Lachen zum Ernst gehört. Also das ist ein Paar. Wir leben ja in einer polaren Weit, mit Nordpol und Südpol, und in der Elektrizität gibt es die Pole, im Magnetismus gibt es die Pole, überall gibt es die Pole. Auch von Mann und Frau. Bei dem Beispiel von Mann und Frau ist es am deutlichsten zu zeigen: wenn der männliche und der weibliche Pol zusammenkommen, nur wenn der männliche und der weibliche Pol zusammenkommen, kann neues Leben entstehen. Und so ist es meiner Meinung nach mit allen polaren Ergänzungspaaren. Wenn der Ernst allein für sich steht, dann fehlt etwas. Dann ist das nicht im Sinne der natürlichen Voraussetzungen oder natürlichen Gegebenheiten. Außer es ist Irrsinn, den Ernst nicht mit dem Humor zusammenzunehmen. Man muss das Wechselspiel spielen zwischen Ernst und Humor, weil man sonst krank wird. Das ist ganz eindeutig.«

Die Mediclowns waren am ersten internationalen Kongress zum Thema Humor in der Therapie ein ganz praktisches und auch ein sehr überzeugendes Beispiel dafür, wie das Lachen, das Wegkommen vom erstickenden Ernst einer Krankheit, ob die nun körperlich oder seelisch ist, wie der Humor eindeutig positiven Einfluss auf den Heilungsprozess und auf das wieder gesund Werden hat. Zu den Autoren, die an einem Kongress zum Thema Humor in der Therapie ganz einfach dabei sein müssen, gehört der Psychologe Michael Titze. Er hat lange in der klinischen Psychiatrie gearbeitet, hat sich zum Psychotherapeuten und Analytiker weitergebildet und wurde vor allem mit seinem Buch Die heilende Kraft des Lachens einem größeren Publikum bekannt. Michael Titze hat auch den Begriff des Therapeutischen Humors geschaffen. Was genau meint er damit eigentlich?

Titze: »Der große amerikanische Komödiant Groucho Marx hat auf die Frage, wie er Humor definieren würde gesagt: Humor is reason go mad - also Humor ist verrückt gewordene Vernunft. Darin sehen wir auch schon, dass die Vernunft sehr viel mit Humor zu tun hat, denn Humor baut eine Gegenwelt zu einer Vernunft auf, die sehr kalt sein kann. Die eben nur die Logik gelten lässt, nur das normativ Richtige gelten lässt und alles andere, das irgendwie spontan kommt und den Regeln, Erwartungen des gesunden Menschenverstands nicht entspricht, als etwas Negatives abtut. Und zwar gibt es ja diesen Begriff komisch. Also wenn jemand komisch wirkt, dann hält er sich nicht an diese Regeln und komisch zu sein heißt auch lächerlich sein, so dass wir immer mit dem Humor zu tun haben. Wie Sie gesagt haben, gibt es die negativen Formen von Humor: Sarkasmus und Zynismus, und leider ist es so, dass gerade diejenigen, die die Vernunft sehr hoch halten, diese Art von Humor besonders gerne verwenden. Denken Sie an einen Lehrer, der einen Schüler dabei ertappt hat, dass dieser an der Tafel eine Rechenaufgabe falsch gelöst hat. Nehmen wir einmal an, dass dieser Lehrer ein Mensch ist, der nicht im positiven Sinne humorvoll ist, sondern den Humor als eine Waffe gebraucht: Er wird also eine spöttische Bemerkung machen, wird dabei vielleicht grinsen, und wird über diese Beschämung vielleicht erreichen, dass der Schüler sich sofort verwiesen findet auf ein Regelsystem, in dem nur das Fehlerlose akzeptiert ist. Im therapeutischen Humor geht es aber um eine andere Form von Humor. Sie leitet sich von der Einstellung her, die besagt, die es uns erlaubt, jederzeit aus der Welt der Vernunft, bzw. der Welt des gesunden Menschenverstands auszubrechen, sich also über das allgemeine Regelsystem hinwegzusetzen. Ein Clown macht das. Der Clown geht in eine andere Welt. Jedes gesunde Kind macht das. Kinder sind nicht ausschließlich in der Welt der Erwachsenen daheim. Sie haben ihre Welt. Sie schaffen sich mit sehr viel Phantasie und Kreativität ihre eigenen Welten, in denen sie sich einrichten und in denen sie auch glücklich sein können. Nun ist es so, dass im therapeutischen Humor eine spezifische Zielgruppe klar ins Auge gefasst wird: Es sind dies Menschen, die sich ein Leben lang bemüht haben, nichts falsch zu machen, ja nicht aufzufallen, sich nicht lächerlich zu machen, nicht komisch zu sein - die also versuchen, mit einer willentlichen Anstrengung etwas zu erreichen, was eigentlich nur geht wenn's spontan ist, nämlich sich normgerecht, 'normal' zu verhalten. Und je mehr sich diese Menschen an den normativen Erwartungen der Gesellschaft, an dem vorgegebenen Regelsystem orientieren, um so mehr spüren sie, dass dies nicht gelingt. So brechen sie dann irgendwann mithilfe ihrer Symptome, ihrer jeweiligen psychosomatischen Erkrankung aus dieser Welt aus. Sie gelangen so in die Welt des Kranken. In die Welt des Neurotikers. In die Welt desjenigen, der sozial nicht dazugehört. Diese Welt ist für den Normalen komisch. Und was macht der therapeutische Humor? Er versucht einfach, diesen Weg in eine unfreiwillig komische Welt zu akzeptieren - ja sogar ganz vorbehaltlos gutzuheißen! Und indem der Patient ermutigt wird, sein komisches Verhalten, all das eben, was nicht der Norm entspricht, wohlwollend und augenzwinkernd anzunehmen, wird durch den Therapeuten eine paradoxe Selbstannahme angeregt: Dieser soll sich dabei nicht scheuen, wie Viktor Frankl sagte, auch selbst vorzuspielen, was es heißt, komisch zu sein bzw. den Mut zur Lächerlichkeit unter Beweis zu stellen. Erst unter dieser Vorraussetzung kann der Patient allmählich und ohne ein schlechtes Gewissen lernen, sich in einer alternativen Welt einzurichten zu haben, in der sich all das abspielt, was für den normalen Erwachsenen peinlich, lächerlich, komisch ist - für ein Kind aber das Allerschönste ist. Diese alternative Welt ist nämlich die Welt des Clowns. Und der Clown ist auch derjenige, der dem Patienten als Wegbegleiter bei der Grenzüberschreitung in diese alternative Welt zur Seite stehen kann. Deshalb arbeiten wir mit dem Clown, dem therapeutischen Clown zusammen. Er ermutigt unsere Patienten den Überganng in eine Welt zu wagen, in der alles anders aussieht. Denken Sie an die wunderschöne Erzählung von Michael Ende über die Unendliche Geschichte, das Hineingehen in das Land Phantásien. Und wer ist der Protagonist? Ein beschämtes kleines Kind, das von anderen lächerlich gemacht wird, böse behandelt wird und sich verzieht auf einen Dachboden und dort ein Buch liest. Und plötzlich ist dieses Kind in einer anderen Welt. Was uns dieses Buch zeigen kann, entspricht auch dem Sinn des Humors, der die Spiellaune und die Freude an der Kreativität befördert.«

Koechlin: »Wenn ich mir konkret eine therapeutische Situation vorstelle, dann kann ich mir sehr gut vorstellen, dass im therapeutischen Gespräch etwas passiert, was entweder dazu führt, dass ich über mich lachen kann, oder dass wir gemeinsam lachen, oder dass ich vielleicht über den Therapeuten lachen kann. Da kann - und das kann ich mir sehr gut vorstellen - etwas ganz Phantastisches passieren. In dem Moment, in dem ich aber merken würde, dass der Therapeut das sozusagen wie technisch, willentlich, voraussehend herbeigeführt hat, würde mir wahrscheinlich das Lachen im Hals stecken bleiben.«

Titze: »Ja. Sie haben völlig recht. Ich denke jetzt an meinen Lehrer Viktor Frankl, einen der wirklich ganz großen Pioniere der Psychotherapie, ein Mann der vier Jahre Konzentrationslager überlebt hat und der sagte, wenn er seinen Humor nicht gehabt hätte, wäre das nicht möglich gewesen. Ein Mann, der sogar in Auschwitz in einer Baracke, wo Hunderte Mithäftlinge nachts gelegen sind, therapeutischen Humor praktiziert hat, indem er sie zum Lachen brachte. Nachzulesen in seinem Buch Trotzdem Ja zum Leben sagen. Und Viktor Frankl sagte, therapeutisch anwendbarer Humor ist nur dann möglich, wenn der Arzt oder der Therapeut den Mut zur Lächerlichkeit entwickelt. Das heißt, wenn der Therapeut in der Lage ist, sich selbst über die Schulter zu sehen und auch an sich selbst das Komische zu erleben. Komisch wäre zum Beispiel auch, wenn der Therapeut nur in seinem Regelsystem, nur in seiner Technik, nur in dem, was er gelernt hat, verhaftet bleibt, und nicht über diese Grenze hinausgehen kann, wo es um die Menschlichkeit geht. Natürlich ist es ist so, dass Therapeuten Techniken lernen, auch Techniken der Humorentstehung. Es lässt sich sehr schön erlernen, wie man z.B. mit Übertreibungen oder Untertreibungen oder anderen Humortechniken witzige Effekte hervorbringt. Wenn jemand aber nur das macht, oder einen Patienten bei seinen Schwächen anpackt und ihn provoziert in der Vorstellung, dass dieser sich dann angepasster, normativ besser verhalten wird, dann tut der Therapeut allerdings genau das Gleiche, was reglementierende Erzieher gemacht haben, die ein Kind auf seine Schwächen deshalb aufmerksam machten haben, weil sie hofften, dass ihr Kind sich dadurch an die Welt der Regeln, der Vernunft, der Überbietung besser anpassen soll. Wenn wir den Humor ernst nehmen, dann sollten wir realisieren, dass die Welt der Normalität nicht alles ist, dass diese Welt begrenzt ist, während es gleichzeitig Welten gibt, die jenseits dieser Grenzlinie liegen.«