SDR 1 - BÜCHERBAR, 27. November 1995
Lachkunde
»Erich Kästner regte eine neue Wissenschaft an, die Lachkunde. Sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Es gibt diese neue Wissenschaft mittlerweile. In den USA hat sie sich entwickelt. Sie hat auch, wie sich das für eine anständige Wissenschaft gehört, einen Namen, ein Fremdwort, es ist die Gelotologie. Ein Vertreter dieser Zunft ist jetzt hier. Zumindest einer, der sich der Erkenntnisse dieser Gelotologie bedient. Es ist Dr. Michael Titze, Psychotherapeut in Tuttlingen und Autor des Buches Die heilende Kraft des Lachens, aus dem ich auch mein Wissen über Erich Kästner und über die Gelotologie habe.«
»Zunächst einmal Herr Dr. Titze, eine Standortbestimmung: Wenn man Psychotherapeut sagt, dann muss man das näher eingrenzen. Sie sind psychoanalytisch orientiert, oder zumindest ausgebildet.«

»Ja. Man könnte auch sagen tiefenpsychologisch orientiert. Jetzt bin ich jemand, der eine Wissenschaft vertritt, die hoffentlich anständig ist, denn es gibt natürlich auch Leute, die sich da gar nicht sicher sind. Lachkunde, Gelotologie, das hört sich irgendwie komisch an. Das ist ja das Thema meines Buches. Es geht hier um das komisch Sein, um den Mut, lächerlich zu sein, wie Viktor Frankl das bezeichnet hat. Etwas tun zu können, was der Norm nicht entspricht. Und was entspricht nicht der Norm? Alles, was die andern nicht für gut halten. Damit haben wir schon die Situation eines kleinen Kindes, das im Gesicht seiner enttäuschten Bezugspersonen etwas sieht, was ihm signalisiert: Du bist nicht gut. Dieses Gesicht wird, um noch einmal auf diesen komischen Begriff Gelotologie zu kommen, als "agelotisch" bezeichnet. Gelos ist das Lachen. Ich muss das erklären. Dieses Wort kommt aus dem Griechischen und damit klingt es natürlich sehr wissenschaftlich.
Gehen wir aber noch einmal zurück zu diesem Kind, das spürt, etwas Schlechtes getan zu haben. Es erlebt unmittelbar, wie sich im Gesicht der Mutter, des Vaters, eines Lehrers eine Erstarrung, die signalisiert, dass dieses Kind, so wie es ist, nicht Anlass zur Freude, zum Lächeln ist. Diese Kommunikation des erstarrten, versteinerten Gesichtes scheint etwas so Tiefgehendes zu sein, etwas lebensgeschichtlich so Bedeutungsvolles, dass in der Psychotherapie immer mehr damit gearbeitet wird. Es geht letztlich um die Frage, was geschieht mit einem Menschen, der überzeugt ist, es nicht wert zu sein, dass andere Menschen ihn mit einem lächelnden Gesicht anblicken.«

»Um diese frühen Beschämungen geht es zum großen Teil, oder im ersten Teil ihres Buches sehr ausführlich, also letztlich um die Wurzeln auch für seelische Beschädigungen.
Ich habe dann in Ihrem Buch einen Mann wiedergefunden, dessen Geschichte mich vor vielen Jahren ausgesprochen beeindruckt hat. Er hat auch ein Buch darüber geschrieben, es ist Norman Cousins, ein Amerikaner, der unheilbar krank war. Die Ärzte hatten ihn längst aufgegeben. Er hat sich dann aus dem Krankenhaus zurückgezogen, hat sich stundenlang Videos angeguckt, Slap-Stick Sachen á la Chaplin, oder Laurel und Hardy und ist gesund geworden. Das zeigt anekdotisch, wie wichtig das Lachen für die Gesundheit, für das Wohlbefinden ist, und es gibt ja auch zwischenzeitlich eine Wissenschaft, die sich damit auseinandersetzt, mit der Beziehung Seele und Gesundheit bzw. Krankheit. Aber wie machen Sie das nun als Psychotherapeut? Sie setzen ja Ihre Klienten sicher nicht einfach vor Videos.«

»Ja, wir müssen jetzt auch wieder unterscheiden zwischen der Gelotologie, der Wissenschaft vom Lachen, und der Verwendung des Humors in der Psychotherapie. Uns geht es, die wir den Humor bewusst in der therapeutischen Arbeit einsetzen, nicht so sehr um das Lachen, sondern, wie gesagt, um das Lächeln. Es geht darum, dass ein Mensch es lernt, die verinnerlichten Bild seiner Bezugspersonen, die sehr ernst, skeptisch und vor allem nicht liebevoll schauen, so zu verändern, dass diese Bilder von innen her lächeln! Dies erfordert eine konsequente Arbeit am eigenen Selbstbild, mit dem Ziel, dass der betreffende Mensch schließlich davon überzeugt ist: Ich kann es auch erreichen, dass die Menschen mich freundlich anschauen, dass sie mir mit einem freudevollen Ausdruck ins Gesicht blicken. Das ist eine lange Arbeit. Wir machen das in Gruppen, denn die Beschämung, die Scham an sich, die ja eine tiefe Selbstwertstörung darstellt, eigentlich ein Ausdruck von sozialen Traumatisierungen ist. In diesen Gruppen arbeiten wir übrigens mit einem therapeutischen Clown zusammen, der als Hilfs-Ich fungiert und der den Teilnehmern zeigt, wie es möglich ist, die Angst vor dem Lachen, dem Ausgelachtwerden (auch dazu gibt es ein spezielles Wort: die Gelotophobie) dadurch zu verlieren, dass in der sozialen Interaktion der Gruppe nun etwas eingeübt wird, was vorher unvollständig, vielleicht gar nicht gelungen ist, nämlich ein unverschämtes, auch im konstruktiven Sinne aggressives, selbstbewusstes Verhalten. Dieser Prozess dauert lange. Es ist dann irgendwann, fast möchte ich sagen ein kleines Wunder, wenn ein Mensch, der es seit Kindheitstagen nicht geschafft hat zu lachen und der überzeugt war, den anderen auch keinen Anlass zu geben ihn anzulächeln, wenn dieser Mensch dann plötzlich in der Lage ist, aus freiem Herzen zu lachen, zu lächeln - und das dann auch in sein soziales Leben zu integrieren.«

»Wer sich dafür interessiert, wie man das macht, das Lachen therapeutisch einzusetzen, der findet das ausführlich beschrieben in dem Buch von Michael Titze, Die heilende Kraft des Lachens, Untertitel – Mit therapeutischem Humor frühe Beschämungen heilen. Der Volksmund hat es ja immer schon gewusst, Lachen ist gesund. Sie, Herr Dr. Titze können das, hoffe ich, nur bestätigen.«

»Ich kann das bestätigen. Da kann ich mich auf Befunde stützen, die seit 10 Jahren an speziellen gelotologischen Instituten in Amerika erhoben wurden, wonach das Lachen sehr vieles bewirkt, einschließlich die Stärkung der Immunabwehr.
Es wird mit Aidskranken gearbeitet und mit Krebskranken. Das sind Befunde, über die ich jetzt gar nicht so sprechen will. Ich bin wirklich zutiefst überzeugt, dass das Lachen, so wie Sie es im Hinblick auf Norman Cousins erwähnt haben, wesentlich dazu beiträgt, dass es uns nicht nur psychisch, sondern auch körperlich besser geht.«