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SÜDWESTRUNDFUNK, SWR2 Wissen, 19. Mai 2004 |
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»Lachen ist nicht nur lustig - Die soziale und kulturelle Funktion von Komik« |
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Autorin: Dorothea Hilgenberg
Redaktion: Sonja Striegl
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Dr. Hans Rudolf Velten:
»Es ist ja nicht so, dass es nach dem Stimulus-Response-Schema den Witz gibt mit Pointe - Zack und dann lachen wir alle. Nein, es wird ja schon vorher gelacht. Und es wird auch von demjenigen gelacht, der erzählt. Also das Lachen ist etwas, was sich in der sozialen Kommunikation oder Interaktion der Gemeinschaft manifestiert und von einem zum anderen geht; und einmal ist der eine Lacher und dann ist er wieder derjenige, der das Lachen auslöst.«
Autorin:
»Lachen ist nicht nur lustig - Die soziale und kulturelle Funktion von Komik«. Eine Sendung von Dorothea Hilgenberg.
Der Prozess, den der Wissenschaftler Hans Rudolf Velten als eine vergnügliche Kettenreaktion in Fahrt geratener Frohnaturen beschreibt, ist für Psychologen ein Sieg des Körpers über den Verstand. Manche bezeichnen auch das Lachen als Machtübernahme des Körpers über den Geist oder die Weisheit des Körpers über die Dominanz der Vernunft. Tatsächlich treiben jegliche Versuche, sich in der Situation mit dem Kopf gegen die Heiterkeit zu stemmen, die Lachmuskeln noch weiter an. Das gilt, wie der Psychologe Michael Titze betont, aber nur bei lang anhaltenden Lachrunden, die das Zwerchfell erschüttern, die Stimmbänder in Schwingungen und die Bauchmuskeln in Bewegung versetzen:
»Leute, die nicht viel lachen, und die dann einmal sehr herzhaft gelacht haben, die verspüren dann zum Beispiel Bauchschmerzen, das kommt von der Anspannung der Muskulatur. Man hat manchmal sogar Nackenschmerzen, weil sich die ganze Muskulatur anspannt, aber wenn es dann weitergeht - sagen wir mal 5, 7, 8 Minuten - dann kommt es zu einer ganz weitgehenden Entspannung der Skelettmuskulatur. Es ist beim Lachen so, dass zuerst das Herz-Kreislaufsystem sehr stark angeregt wird, aber wenn man das dann durchhält, kommt es zu einer Verlangsamung.«
Autorin:
Schon vor zwanzig Jahren wurde nachgewiesen, dass sich beim Lachen die Blutinhaltsstoffe verändern und Hormone ausgeschüttet werden, von denen man annimmt, dass sie das Immunsystem stabilisieren. Indizien sprechen außerdem dafür, dass Lachende mithilfe des freigesetzten körpereigenen Morphins schon nach etwa zehn Minuten in einen ähnlich euphorischen Zustand versetzt werden wie Jogger nach einem etwa einstündigen Laufpensum. Doch im Gegensatz zum individuellen Fitnessprogramm kann sich andauernde Heiterkeit nur in Gemeinschaft entfalten. Das ist so, und das war auch immer so, meint der Berliner Literaturwissenschaftler Hans Rudolf Velten. In einem Projekt eines interdisziplinären Sonderforschungsbereichs der Berliner Humboldt-Universität befasst er sich mit Lachkulturen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit:
Dr. Hans Rudolf Velten:
»Das kann man doch als universales Phänomen ansehen, dass wir in Gemeinschaft lachen. Lachen ist eine Kommunikationsform. Natürlich gibt es auch Momente, wo wir alleine lachen. Also heute z. B. können wir uns vorstellen, dass wir eine komische Sendung im Fernsehen sehen und dann auch alleine vor dem Fernseher lachen. Aber das ist dann trotzdem eine Illusion der Gemeinschaft, die wir uns machen. Wir gehören dann zu denen dazu, die mitlachen, die natürlich in der Show lachen. Wir lachen da praktisch mit. Das wäre so eine illusionierte Lachgemeinschaft. Das Lachen ist ein soziales Phänomen. Das sagen die meisten Theoretiker. Bergson spricht von einem »rire de group«, Freud vom Lachen als einem sozialen Vorgang. Das heißt, es gibt etwas im Lachen, das praktisch zwischenmenschlich übertragen werden kann.«
Autorin: Und sich immer weiter ausbreitet. Jeder kennt es aus der Schule, wo gerade der Versuch, das Lachen zu unterdrücken, noch größeres Prusten hervorruft und nach und nach die gesamte Klasse ansteckt. Sogar flächendeckende und Tage andauernde Lauffeuer der Heiterkeit hat es schon gegeben.
Dr. Hans Rudolf Velten:
»Es geht so weit, dass es ganze Lachepidemien gibt. Die letzten Lachepidemien sind aus den 60er Jahren überliefert aus Afrika, wo es begann in einer Schule, in einer Mädchenschule, der Grund ist heute nicht mehr ersichtlich. Wo dann die Klasse begonnen hatte zu lachen und nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Und das hat sich dann epidemisch verbreitet und hat Tage gedauert. So etwas gibt es auch heute noch.«
Autorin:
Zum gemeinsamen Lachen anstecken soll auch eine auf Yoga und dem Zen-Buddhismus basierende Methode, die der indische Arzt Madan Kataria in den neunziger Jahren entwickelt und eine ganze Bewegung hervorgebracht hat: Die Lachyoga-Bewegung. Das Verfahren soll den Lachclub-Besuchern helfen, durch Atmung in einen bestimmten Reflex, den Lachreflex, zu kommen. Dazu hat Kataria Übungen entwickelt. Der Psychologe und Vorsitzende der »HumorCare«-Vereinigung Deutschland Michael Titze glaubt, dass diese einfachen Lachyoga-Übungen das Immunsystem stärken:
Dr. Michael Titze:
»Sie erinnern teilweise auch an Spiele von Kindern bei Geburtstagen und werden kombiniert mit Atemübungen aus dem Yoga, und dies führt dazu, dass eine spielerische Atmosphäre entsteht, eine Spiellaune. Man könnte das tiefenpsychologisch auch als eine Regression auf die Entwicklungsstufe von spielenden Kindern bezeichnen, kombiniert mit Atemübungen und rhythmischem Klatschen. Bei diesem Klatschen werden dann Akupressurpunkte angeregt. Das führt insgesamt dazu, dass ohne verbale Intervention oder das Erzählen von Witzen es sehr schnell zu einem Lachen kommt, das die ganze Gruppe einbezieht und dazu führt, dass sich das steigert.«
Autorin: Viele Lachforscher halten das Lachen für die älteste Form der Kommunikation, für eine sprachlose Verständigungsform. Sie vermuten, dass unsere Vorfahren schon lange, bevor sie zu sprechen begannen, lachten. Denn während das Sprachzentrum in der entwicklungsgeschichtlich jüngeren Hirnrinde liegt, entspringt das Lachen einem älteren Teil des Gehirns. Er ist auch für die Steuerung urmenschlicher Emotionen wie Angst und Freude zuständig ist.
Michael Titze:
»Das sind euphorische Gefühle, die wahrscheinlich sehr früh in der Menschheitsentwicklung, möglicherweise schon vor 100.000 Jahren, auch eine kommunikative Funktion hatten. Man stellt sich das so vor: Wenn die Urmenschen, eine Gefahr überwunden hatten, also ein gefährliches Tier erlegten oder auch einen bedrohlichen Feind besiegt hatten, dann gab es ein Triumphgeheul. Und das war zunächst einmal eine psychophysische Entlastung, aber eben auch eine Kommunikation. Denn Sippenangehörige, die vielleicht weiter weg waren, haben dann, wenn sie dieses ursprüngliche Lachen vernommen haben, sofort gewusst: Die Gefahr, die so bedrohlich war, die ist überwunden, und wir können uns freuen.«
Autorin:
Während das Lachen der eigenen Gruppe oder dem eigenen Stamm Entwarnung signalisierte, nahm es der Besiegte als Hohn und Spott wahr. Als Zeichen der gegnerischen Überlegenheit. Lachen kann lustvoll verbinden, den Verlachten aber auch mit äußerster Härte ausgrenzen. Die Geschichte und die Literaturgeschichte ist voll von Beispielen, wie Herrscher und Höflinge, Regierende und Regierte es gezielt für eigene Zwecke einsetzten. Vor allem die mittelalterlichen Lachinszenierungen zeichnen das Bild eines deftigen, teilweise gnadenlosen Umgangs mit Humor und Komik. Als Leiter des Projekts »Lachkulturen im Mittelalter« interessiert Professor Werner Röcke von der Berliner Humboldt-Universität vor allem der Hintersinn der vielschichtigen Narreteien. Zum Beispiel: Was stand hinter den öffentlichen Osterspielen?:
Professor Werner Röcke:
Das sind geistliche Spiele, Theaterspiele, in denen die Auferstehung gefeiert wird und Christus selbst auch als Auferstandener gefeiert wird. Die sind in der Regel mit Teilen verbunden, in denen hemmungslos gelacht wird. Da gibt es die sogenannten Krämerszenen, auch Teufelsszenen, die natürlich sehr negativ dargestellt werden, aber das Gelächter spielt dabei eine zentrale Rolle. Infragestellen der Autoritäten, das ist zweifellos so. Das hat es natürlich gegeben. Das hat es im geistlichen Sinne gegeben. Die ganze Infragestellung kirchlichen Denkens, aber auch kirchlicher Hierarchie natürlich spielt dabei eine Rolle. Das hat es aber auch im politischen Kontext gegeben. Das Verhöhnen von Machtstrukturen, von Herrschaftsansprüchen, Parodisierungen von Herrschaftspositionen bis zum Kaiser; das alles ist gut belegt und spielt von daher eine zentrale Rolle.
Autorin:
Es gab Lachgemeinschaften junger Männer, die durch die Stadt zogen und Bürger öffentlich verspotteten, weil sie durch ihr Verhalten, eine unstandesgemäße Heirat zum Beispiel, gegen die angeblich guten Sitten verstoßen haben. Für die Opfer war es keineswegs lustig, den Fahnenschwingern eines vermeintlich gesunden Volksempfindens ausgeliefert zu sein. Streng und gnadenlos ging es im Mittelalter auch bei den höfischen Inszenierungen von Heiterkeit zu. Hier kam es vor allem darauf an, an der richtigen, das heißt, vom Fürst goutierten Stelle in gemeinschaftliches Lachen auszubrechen:
Professor Werner Röcke:
»Wenn man so einen höfischen Zusammenhang mit dem ganzen Zeremoniell, mit den fest fixierten Bewegungen, Redeweisen, Kniefällen, Bewegungsformen etc. sich vorstellt, ist natürlich jede Form der Körpersprache des Herrn von einer eminenten Bedeutung. Und da war natürlich nicht nur der gehobene oder gesenkte Daumen, sondern schon jedes Zwinkern, jedes Gelächter über irgendeinen Scherz eines Höflings, ja, wenn Sie so wollen, entweder ein Todesurteil oder eine Erhebung. Und solche Rahmenbedingungen können Lachgemeinschaften konstituieren. Der Hof lacht dann über diesen Scherz des Herrn und lacht damit zum Beispiel über den, der durch den Scherz des Herrn ausgegrenzt ist, einer von den Höflingen. Dasselbe kann ihm aber am nächsten Tag selbst passieren. Das heißt, diese Lachgemeinschaft begründet sich in diesem Akt und ist eigentlich auch nur begrenzt auf diesen Akt des Lachens, ist danach dann wieder beendet. Weil es unter der Willkürherrschaft dieser feudalen Gesellschaft durchaus möglich war, dass auf ein solches Gelächter stimulierendes körpersprachliches Indiz des Herrn auch das genaue Gegenteil erfolgen konnte.«
Autorin: Die höfischen Inszenierungen von Komik und Heiterkeit gingen immer zulasten anderer. Wann man Opfer und wann Täter sein würde, war nicht vorherzusagen. Verlacht wurden vorzugsweise Höflinge und das einfache, wenig gebildete Volk. Ein Schwankroman erzählt von einem besonders deftigen Scherz des Pfaffen und Possenreißers Kalenberger, der gutgläubige Bauern den Spottgelüsten der Adelsgesellschaft ausliefert.
Dr. Hans Rudolf Velten:
»Die Bauern möchten zum Fürsten vorgelassen werden, erreichen das aber nicht, und der Kalenberger verspricht ihnen, durch eine List das eben doch möglich zu machen. Er sagt ihnen: Der Fürst ist jetzt im Bade, und wenn Ihr euch auszieht, dann könnt Ihr ihn sprechen. Die Bauern tun das, sie ziehen sich aus. Der Kalenberger führt sie in einen Raum, in den sie dann eintreten und dort befinden sie sich natürlich nicht im Bad, sondern mitten unter den Hofleuten, und der Fürst ist auch dabei. Der ganze Hofstaat bricht in unbändiges Gelächter aus. Die Bauern schämen sich, sie drücken sich an den Rand und sagen dann: man hat uns gesagt, der Fürst sei im Bade. Und dann gibt es noch einmal ein großes Gelächter. Also es ist eine sehr subtile Inszenierung von Lachsituationen, das geht weit über einen Witz mit einer Pointe hinaus, die hier in diesem Schwankroman erkennbar ist.«
Autorin:
Wer die Lacher auf seiner Seite hatte, hatte schon halb gewonnen. Da es im Mittelalter noch keine Möglichkeit gab, seine politischen oder wirtschaftlichen Interessen auf rechtliche Art und Weise durchzusetzen, versuchten die Herrscher, Auseinandersetzungen oder Verhandlungen mit Mitteln der Komik für sich zu entscheiden. Mit dem Weinen, dem Sinnbild von Traurigkeit, verhielt es sich ähnlich. Werner Röcke:
Professor Werner Röcke:
»Auch das Weinen war in hohem Maße funktionalisiert. Darüber hat Althoff, mein Kollege aus Münster, einen faszinierenden Aufsatz geschrieben. Der heißt: Der König weint. Da geht es überhaupt nicht darum, dass diese Könige, von denen er da berichtet, nun auf irgendeine Art und Weise betroffen waren oder traurig oder irgendetwas, sondern er beschreibt Situationen, in denen das Weinen ähnlich funktional eingesetzt worden ist wie das Lachen, d. h. also dazu diente, Interessen durchzusetzen oder Positionsbestimmungen zu markieren an diesem Hof, in diesem labilen Verband.«
Autorin:
Dem Gelächter, dem Auslachen und Verspotten, schreiben Forscher in bestimmten Fällen aber auch eine positive Funktion zu. Gezielt eingesetzt, kann es vor allem in Gesellschaften mit wenig ausgeprägten Rechtsstrukturen helfen, Gewalt abzubauen oder wenigstens zu reduzieren. Es werden Situationen eingeübt, in denen der einzelne lernt, Konflikte auszuhalten. Oder sogar über sie zu lachen. Wie Werner Röcke in Afrika beobachtet hat, spielt das Verspotten dabei die zentrale Rolle:
»Ich war einmal auf einer Gastprofessur in Westafrika und habe dort ein Phänomen kennen gelernt, was mich sehr erstaunt hat, mich aber als sogenannter Lachforscher besonders interessiert hat. Es gibt dort nämlich das Institut eines sogenannten Lachvetters - meist Männer, bei Frauen habe ich es nicht festgestellt. Männer bezeichnen sich wechselseitig als Lachvetter, der eine ist der Lachvetter des anderen, und das bedeutet, dass Herr X sozusagen Herrn Y hemmungslos verspotten kann - wegen seines Aussehens bis hin zum rassistischen Vorwurf - was ich dort erlebt habe -, dass der eine dem anderen sagt: Was hast Du für eine Negernase, wie siehst Du überhaupt aus? Und der Witz bei der Geschichte ist, bei dieser, wie das nun auch wissenschaftlich heißt, »joking relationship«, der Witz dabei ist, dass der Verlachte sich nicht wehren darf.
Die Forschung geht davon aus, dass dies eine Form ist, so etwas wie Gewalt, die ja in Gesellschaften mit relativ gering ausgebildeten gesellschaftlichen und rechtlichen Strukturen besonders virulent und gefährlich ist, zumindest zu reduzieren. Wenn nicht beherrschbar zu machen, so auf jeden Fall zu reduzieren. Das heißt also, Situationen einzuüben, in denen der andere eigentlich zuschlagen, zurückschlagen müsste, aber dazu gebracht wird, darüber zu lachen. Das heißt, das Verspotten führt nicht zur gewalttätigen Auseinandersetzung, sondern führt dazu, dass man sich im gemeinsamen Gelächter vereint. Das finde ich eine sehr weise Institution.«
Autorin:
Im Mittelalter, wo die Gewalt nach den Erkenntnissen der Wissenschaft sowohl zwischen Männern als auch zwischen den Geschlechtern außerordentlich destruktiv war, hat es eine ähnliche humanisierende Form des Gelächters gegeben. Das Gewaltpotential war damit nicht beseitigt, konnte aber gemildert werden:
Professor Werner Röcke:
»So etwas gibt es ganz offensichtlich, jedenfalls nach meinen eigenen Arbeiten, auch in der Literatur des Mittelalters. Wir haben literarische Figuren, die ganz ähnlich funktionieren. Figuren, die ausschließlich darin bestehen, dass sie provozieren, wobei die Provokation auch zur gewalttätigen Auseinandersetzung führt, aber es ist eine gewalttätige Auseinandersetzung, die anders geführt wird als normalerweise in diesen mittelalterlichen Epen z. B. Nämlich nicht, dass Menschen gespalten werden, die Köpfe eingeschlagen werden, Glieder abgeschlagen etc., sondern dieser Agent provocateur - wenn sie so wollen - wird auf eine lächerliche Art und Weise besiegt, so dass er sich möglicherweise ein Bein verrenkt oder einen Arm, aber nicht zu Tode kommt. Und was das Entscheidende dabei ist, dass der gesamte Hof über ihn lachen kann. Es enden diese Konflikte im gemeinsamen Gelächter.«
Autorin:
Wer in der höfischen Gesellschaft lachte und verlachte, bestimmte der Herr, der Fürst. Der Überlieferung zufolge war nur eine Person von der humoristischen Hackordnung ausgenommen: das war der Hofnarr. Er hatte das Privileg und die Aufgabe, die Mächtigen zu verspotten und damit für allgemeine Erheiterung zu sorgen. Die Forscher vermuten, dass die Narrenrolle von der Antike bis zum frühen Mittelalter oft von Behinderten, den sogenannten »natürlichen Narren«, später dann zunehmend von gewitzten Jongleuren, Possenreißern und Schauspielern übernommen wurde. Werner Röcke:
Professor Werner Röcke:
»Nach allem, was wir wissen, ist es ein Amt. Also es ist ein Amt bei Hofe, so wie andere Ämter auch. Das waren Leute die fest »verbeamtet« waren. Die - was sehr wichtig war - ernährt wurden, bekleidet wurden, die wohl auch bei Hofe wohnten und die eine bestimmte Funktion hatten, nämlich die Funktion, die Wahrheit zu sagen. Das ist etwas, was es wohl, nach allem, was wir wissen, vor allem im Spätmittelalter gegeben hat. Also wir haben auch Narrenfiguren mit Namen, insofern sind es wohl historische Figuren gewesen. Also Klaus Narr am sächsischen Hof ist eine solche historische Figur, Gonella in Italien. Also es gibt einfach verschiedene Figuren, die als solche überliefert sind, und das ist ein sehr starkes Argument dafür, dass es das als Ämter auch tatsächlich gegeben hat.«
Autorin:
Ob die Narrenfreiheit grenzenlos war, darf bezweifelt werden. Eher dürfte die witzig verpackte Kritik am Herrn eine sorgfältig ausbalancierte Gratwanderung und nicht ohne Risiko für den Spaßmacher selbst gewesen sein. Das gilt für die heute freischaffenden politischen Kabarettisten glücklicherweise nicht mehr. Doch ihre Funktion, ihr Publikum mit witziger Kritik an den Regierenden zu unterhalten, ist ähnlich. Hans Rudolf Velten sieht hier zeitgenössische Parallelen zum geistreichen Narren des Mittelalters:
»Wenn wir jetzt mal unser Leitmedium, das Fernsehen, anschauen, da werden doch Politiker jeden Tag durch den Kakao gezogen, indem sie imitiert werden. Man imitiert ihre Stimmen, man imitiert ihre Gestik, und das ist teilweise sehr platt und albern und teilweise sehr brillant. Ich denke da an Matthias Richling, der brillante Imitationen von Politikern bietet, die dann natürlich auch ins Absurde geführt werden. Das ist ja das Schöne, dass der Politiker nicht nur imitiert wird, sondern dass das dann so absurd dargestellt wird, dass wir sofort sehen: Das ist ein komischer Rahmen, ein Spielrahmen. Das ist nicht ernst gemeint, aber trotzdem steckt darin so eine gewisse Aggressivität, die vergleichbar ist mit der Aggressivität, die im Mittelalter geherrscht hat, aber lange nicht so stark.«
Autorin:
Nach dem Niedergang des Feudalismus wurde der Zirkus Heimat von Narren und Possenreißern. Dort erheitern sie ihr Publikum mit tollpatschigen Bewegungen und witzigen Gesten, mal lachend mal weinend noch heute. Dass das Publikum sie auslacht, ist gewollt, wie ehedem im Mittelalter. Hans Rudolf Velten:
Dr. Hans Rudolf Velten:
»Also Zirkus ist ja auch ein Phänomen, was in die Neuzeit gehört. Und das ist so ein Rest, wo diese Leute noch Arbeit gefunden haben. Ich denke schon, dass man den Zirkus als eine Art Verlängerung dieser großen Schausteller-, Jongleurs- und Narrenkultur des Mittelalters ansehen kann. In den Darstellern. Gerade auch die Körperkomik. Wenn man an die großen unbeholfenen Schritte der Clowns denkt. Der melancholische Clown, das ist natürlich wiederum eine Art romantischer Vertreter der Komik, der gleichzeitig Lachen macht, aber selbst weint und traurig ist. Das gehört also typisch in die romantische Vorstellung von Witz und von Komik hinein, wo eben Heiterkeit und Melancholie zwei Seiten der gleichen Medaille sind.«
Autorin:
Inzwischen setzen auch Krankenhäuser Clowns in ihren Kinderabteilungen ein. Ihr heiteres Programm soll helfen, jungen Patienten den Aufenthalt in einer von Apparaten und weißen Kitteln beherrschten Umgebung zu erleichtern. Häufig mit Erfolg, wie Michael Titze meint:
»Es ist so, dass die Kinder von den Clowns auf einer sehr spielfreudigen einfachen Ebene angesprochen werden und dazu gebracht werden, auch über diese ganze Apparatemedizin lachen zu können, selbst über Ärzte lachen zu können. Da haben die Clowns die Funktion, eine gesunde Selbstbehauptung wachzurufen und zum anderen natürlich auch eine andere Perspektive zu eröffnen. Man hat inzwischen festgestellt, dass die Verweildauer von Kindern, die durch Klinikclowns betreut werden, sehr viel geringer ist im Krankenhaus, als von Kindern, die eben konventionell behandelt werden.«
Autorin: Über Witze kann man lachen, Humor kann man nur haben. Oder auch nicht haben. Beides hat aber wenig miteinander zu tun. Der Witz bedarf des gesprochenen Wortes, setzt Schlagfertigkeit und Redegewandtheit voraus. Humor ist eine Eigenschaft, eine gewinnbringende für den, der sie hat.
Michael Titze:
»Jemand, der witzig ist, muss immer auch gewitzt sein und er muss über ein beträchtliches Wissen verfügen. Das entspricht ja auch dem Wortstamm: Wissen, Witz und Gewitztsein hängt miteinander zusammen. Humor hingegen ist eine Haltung. Der Humor kann sich des Witzes bedienen, ohne auf ihn angewiesen zu sein. Man bezeichnet Humor als die Haltung, in der sich eine heitere Gelassenheit offenbart.«
Autorin:
Ob man die sarkastischen, zynischen und schädlichen Formen des Lachens dem Humor zuordnen kann, ist unter Experten nicht eindeutig geklärt. Allerdings sind viele wie Michael Titze der Meinung, dass in der Schadenfreude archaische Elemente zum Ausdruck kommen:
Dr. Michael Titze:
»Das geht natürlich wieder sehr weit in die Entwicklungsgeschichte zurück, wo Schadenfreude auch immer identisch war mit der Überwindung einer Gefahr. Man freut sich gerade dann über den Schaden eines anderen Menschen, wenn dieser potentiell gefährlich hätte sein können: also ein Konkurrent oder jemand, den man fürchtet. Wenn so jemand zu Fall kommt, dann bedeutet das: Dieser Mensch ist jetzt nicht mehr gefährlich und in diesem Augenblick, wo er aufgrund widriger Umstände zu Fall gekommen ist, bin ich ihm sogar überlegen. Das hat viel mit Selbsterhaltung zu tun. Schadenfreude ist auch etwas, was Kinder kennen und was Kinder zunächst mal nur entwickeln, damit sie ihr eigenes Selbstwertgefühl stärken. Schadenfreude wird dann destruktiv, wenn ich denjenigen, der zu Fall gekommen ist, noch zusätzlich schädigen möchte.«
Autorin:
Manche Witze, über die man sich in anderen Ländern ausschüttet vor Lachen, finden wir überhaupt nicht komisch, entdecken darin sogar einen Ansatz von Gemeinheit: Wenn etwa im japanischen Fernsehen Missgeschicke anderer Menschen vorgeführt und herzhaft belacht werden oder chinesische Zoobesucher sich köstlich amüsieren, wenn kleine Küken Krokodilen zum Fraß vorgeworfen werden. Andere Länder haben nicht nur andere Sitten, sondern auch einen anderen Humor. Hans Rudolf Velten sieht kulturelle Unterschiede als Ursache:
Dr. Hans Rudolf Velten:
Große Unterschiede, die natürlich von den Mentalitäten her bestimmt werden und von der Tradition der Geselligkeit. Das ist ganz wichtig. Also die Tradition der Geselligkeit einerseits und auch die Mentalitäten, wie man miteinander umgeht. In Frankreich z. B. gibt es diesen Esprit und auch den sehr geistreichen Humor. Der aus der Salonkultur stammt. Es sind immer soziale Institutionen, die Geselligkeit hervorbringen. In Deutschland gibt es aber auch diesen Wirtshauswitz, weil der allergrößte Teil der Bevölkerung sich über Jahrhunderte hinweg in Wirtshäusern getroffen hat. Und da werden natürlich auch schon mal Zoten erzählt. Das hat in Deutschland eine lange Tradition und kann sehr unterhaltsam sein, wenn man mal von der Derbheit absieht. In England gibt es den absurden Humor, den makabren Humor. Da sind dann doch verschiedene Arten des Humors ausgeprägt worden. Und die Engländer identifizieren sich ja schon fast damit, so dass sie das auch pflegen. Also es gibt in jedem Land eine bestimmte Humortradition.
Autorin: Es gibt viele Gründe, herzhaft zu lachen: Weil wir in einer fröhlichen Runde sind und komische Anekdoten, ein Ungeschick oder das Verletzen von Tabus und Normen lustig finden. Wie weit sich unser Zwerchfell erschüttern lässt, hängt von der jeweiligen Situation, von der Gesellschaft und der eigenen Grundstimmung ab. Humorvolle Menschen, die gern und häufig lachen, sind allgemein beliebt. Wo sie sich aufhalten, breitet sich eine angenehme, entspannte Atmosphäre aus. Es gibt aber auch Menschen, die gar nicht oder nicht mehr lachen können, sogar Angst haben, Angriffsfläche für Spott zu werden. Weil sie innerlich verkrampft sind, sich ständig selbst beobachten und kontrollieren. Während der humorvolle Mensch sich um das Urteil der Mitmenschen wenig schert, ist die größte Sorge der Verunsicherten: Was denken andere über mich? Ihnen versuchen Psychologen seit einiger Zeit, mithilfe des sogenannten Therapeutischen Humors zu mehr Selbstbewusstsein und Lebensfreude zu verhelfen.
Dr. Michael Titze:
Die Grundidee des therapeutischen Humors besteht darin, dass ein Mensch, der über tragische lebensgeschichtliche Entwicklungen in die Position eines unfreiwilligen Komikers oder Clowns hineingeraten ist, nichts anderes tun soll, als sämtliche Begleiterscheinungen dieser negativen Haltung nicht nur bewusst hervorzurufen, sondern noch etwas dazutun soll.
Autorin: Indem man zum Beispiel aufgefordert wird, das, was man als besonders blamabel empfand, der Therapie-Gruppe vorzuführen, und zwar doppelt übertrieben. In humoristischer Form. Michael Titze glaubt, dass Menschen durch diese parodistische Übertreibung vermeintlicher Schwächen und den Lacherfolg in der Gruppe Schritt für Schritt entkrampfen. Und schneller als in herkömmlichen Therapien von ihrem Zwang zur Selbstkontrolle und Unauffälligkeit befreit werden:
Dr. Michael Titze:
Ich habe auch die Feststellung gemacht, dass Menschen, die in Einzeltherapie durchaus Fortschritte gemacht haben, oft genau dort nicht weitergekommen sind, wo es um das physische in Erscheinung treten vor den Augen der anderen geht, dass sie als eben in diesem Zusammenhang weiterhin ihre Hemmungen haben. Das löst sich aber sehr schnell auf (und wird sogar zu einem großen Erfolg transformiert!), wenn versucht wird, diese bislang unterdrückten physischen Symptome ganz bewusst hervorzurufen. Das geschieht in einer Gruppe, im Rahmen eines Rollenspiels. Die Beteiligten wissen natürlich, dass das ein Spielen oder Nachspielen von Problemen ist, die allen in der Gruppe peinlich sind. Aber später ist es dann so, dass die Teilnehmer, dann natürlich auch immer begleitet von anderen Gruppenmitgliedern, die sich aber nicht zu erkennen geben, in die Welt hinaus müssen: in eine Fußgängerzone zum Beispiel oder in einen Laden, wo man sich bewusst danebenbenimmt. Nunmehr besteht das eigentliche Problem nur noch darin, das Lachen zu unterdrücken!
Autorin:
Und vielleicht lernen sie eines Tages auch den glückseligen Zustand hemmungslosen Lachens kennen. Wie in geselliger Runde die Lachfunken von einem auf den anderen überspringen und sich ein wahres Feuerwerk der Erheiterung entfaltet. Soviel unbändige Spontaneität funktioniert glücklicherweise ohne Regelwerk und Rezept:
Dr. Michael Titze:
Da gibt ein Wort das andere, man lacht auch spontan, und man kann weiterlachen, indem gelacht wird. Also das Lachen selbst löst wiederum andere Bonmots oder Zusätze oder weitere Geschichten, die erzählt werden, aus, über die dann wiederum gelacht wird.
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