Hessischer Rundfunk hr2, Hörfunk - Bildungsprogramm »Wissenswert«, Freitag, 08.02.2007
Wie Lachen heilt
Das Gelächter in Medizin und Psychotherapie (gekürzt)
Von Vera Kröning
Redaktion: Volker Bernius
Sprecherin: »Die heilsame Wirkung des Lachens wird auch in der Psychotherapie eingesetzt. Bereits der Begründer der Psychotherapie Sigmund Freud definiert den Humor als psychische Kraft, die es erleichtert, Schwierigkeiten zu bewältigen. Doch Freud sah das Lachen nicht nur positiv. Der Witz über andere ist für ihn Ausdruck einer aggressiven Überlegenheit. Und zwar gegenüber dem Menschen, der als Zielscheibe des Witzes der Lächerlichkeit preisgegeben ist.
Die Erfahrung, ständig ausgelacht zu werden, machen manche Menschen schon als Kinder, besonders dann, wenn sie anders sind, als die anderen: Wenn sie eine große Nase haben, stottern oder nicht so schnell lesen lernen, wie die anderen. Das Lachen der anderen schließt sie aus und betont grausam ihre Schwächen. Bei manchen das führt auch im Erwachsenenalter noch zu einer übermächtigen Angst davor, sich zu blamieren und wieder ausgelacht zu werden. Diese Angst vor dem Lachen kann dann das ganze Leben bestimmen. Der Psychotherapeut und Lachforscher Michael Titze arbeitet mit Angst-Patienten.«

Michael Titze: »Wir arrangieren die Scham, also Situationen, in denen sich die Patienten geschämt haben. Diese Situationen werden nachgestellt, indem dafür gesorgt wird, dass sich die Betreffenden nicht mehr frei bewegen können ... Weil wir die Beine und die Arme mit Tüchern zusammen binden, so dass dann trippelnde Schritte entstehen, so ganz ähnlich, wie bei Charlie Chaplin. Unter dieser Voraussetzung ist es vornherein nicht möglich ist, so perfekt zu sein, wie viele Patienten meinen, es sein zu müssen. Und das ist sehr befreiend! Denn diejenigen, die unter diesen eingeschränkten Voraussetzungen agieren, merken schnell, dass jetzt nichts mehr schief gehen kann. Man ist ja förmlich dazu eingeladen worden, zu versagen, im Sinne einer Minderleistung. Aber es ist eine freiwillige Komik.«

Sprecherin: »Die Therapie folgt dem paradoxen Prinzip, Gleiches mit Gleichem zu behandeln, also dem Patienten das zu verschreiben, wovor er sich fürchtet. Er hat Angst davor, ausgelacht zu werden und gibt sich durch diese Übungen gerade der Lächerlichkeit preis. Der Unterschied: Statt ungewollt ausgelacht zu werden wie sonst, steuert der Patient das Lachen der Anderen. Er begibt sich freiwillig in die lächerliche Situation. Statt als Person zum Witz zu werden, ist er jetzt derjenige, der den Witz macht. Das folgende Lachen der anderen bestätigt dann nicht mehr seine Schwächen, sondern ist ein Erfolg, und zwar der Erfolg für einen guten Scherz.

Michael Titze: »Wir verwenden auch Hilfsmittel, die einen Menschen fast förmlich dazu zwingen, sich von einem hohen Leistungsniveau hinunter zu reduzieren auf das Niveau eines Kindes. Zum Beispiel soll jemand, der eine Ansprache halten will, sich einen Schluck Wasser in den Mund nehmen und mit diesem Wasser im Mund sprechen. Oder er soll ein abgebrochenes Streichholz zwischen die Zähne oder Murmeln im Mund nehmen oder sonstige Hilfsmittel, um ja nicht perfekt sprechen zu können.«

Sprecherin: Außerdem kommt ein Clown in die Gruppe, der zusätzlich für eine heitere Stimmung sorgt, indem er die Patienten neckt. Der Clown lebt die Identität eines Menschen vor, der vor dem Lachen keine Angst mehr hat, sagt Titze. Denn der Clown entspricht nicht den Idealen von Klugheit, Schönheit oder Grazie. Er benimmt sich daneben, steht nach Misserfolgen aber sofort wieder auf, ohne sich zu schämen oder zu resignieren.

Sprecherin: »Die Idee des "Clown Doctoring" entstand Mitte der 80er Jahre in den USA. 1993 kam eine dieser Klinik-Clowns, Laura Fernadez, nach Deutschland und gründete hier den Verein "Die Clown-Doktoren". Mit Hilfe der Clowns sollen Therapieen besser anschlagen und die Patienten schneller gesund werden. Bewiesen ist das nicht. Trotzdem haben sich neun Kliniken im Rhein-Main-Gebiet von dem Konzept überzeugen lassen - denn der Jubel der Kinder beim Besuch der Clowns spricht für sich.
Ob Krankenhaus-Clownerie, Lachtherapie oder Lachyoga - Lachen setzt sich in der Medizin mehr und mehr durch, beobachtet die Ärztin und Lachyoga-Trainerin Marianne Krug.«

Marianne Krug: »Im März 95 hat ein indischer Arzt für Allgemeinmedizin den ersten Lachclub gegründet, in Bombay, und hat damals mit 5 Leuten angefangen. Und danach wurde das dann eine Riesenbewegung, so muss man sich das vorstellen, innerhalb von elf Jahren, von dem ersten in Bombay bis zu über 3000 Lachclubs in der Welt in elf Jahren, das finde ich phänomenal.«

Sprecherin: »Warum ist das Lachen so erfolgreich? Der Psychologe und Lachforscher Michael Titze sieht die Ursache dafür im Drang nach Perfektionismus.«

Michael Titze: »Es werden immer mehr Erwartungen auch an Berufstätige, aber nicht nur an diese gestellt. Man geht nämlich auch davon aus, dass im privaten Leben z.B. die Schönheit oder die Figur oder die Fitness oder auch die soziale Beliebtheit nicht durchschnittlich sein sollten, sondern einem möglichst hohen Standart entsprechen müssen. Somit gehen wir heute im allgemeinen davon aus, dass Normalität, so wie es früher vielleicht der Fall gewesen ist, nicht mehr existiert. Was hingegen zählt, ist die Ideal-Norm. Viele Leute wollen diesen Idealnormen unbedingt entsprechen, weshalb sie sich überfordert dauerhaft überfordert fühlen ...«

Sprecherin: Die Lebensqualität bemisst sich am Überdurchschnittlichen, beobachtet Titze: am ewig jugendlichen, makellosen Aussehen und einer fast unbegrenzten körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Der Mensch ist permanent und in allen Lebensbereichen überfordert. Weil er sich aber immer am Unmöglichen misst, spürt er nie echte Erfolgserlebnisse. Die Symptome dieser Entwicklung sieht Titze in der Zunahme von psychische Erkranken wie Depressionen, die sich seit den 50er Jahren verzehnfacht haben.

Michael Titze: »Es ist im Grunde ein Selbstwertproblem, das damit zusammenhängt, dass viele Menschen sich klarmachen: ich werde den Anforderungen, die die Gesellschaft an mich stellt, bzw. die ich selber an mich stelle, nicht mehr gerecht. Viele Menschen kommen sich deswegen ohnmächtig vor, sie schämen sich und letztendlich haben sie das Gefühl, dass sie, weil sie diesen Erwartungen nicht genügen, komisch sind.«

Sprecherin: Die Anhänger der Lachbewegung empfinden das Gelächter als befreiend und erleichternd. Für sie ist es auch eine Hilfe, die perfekten Ideale der westlichen Gesellschaft als unerreichbar und damit unrealistisch zu entlarven. Wer Spaß daran entwickelt, gerade nicht perfekt zu sein, kann eigene und realistischere Maßstäbe entwickeln, an denen er sich orientieren kann, ohne zu frustrieren.