Spiegel-TV - Freitag Nacht - Vox, 12.04.1996
Nichts zu lachen (gekürzt)
Es gibt Tage, da hat man wirklich nichts zu lachen. Ein Freitag könnte so ein Tag sein, weil die Woche die erste war nach den Ferien, weil irgendwie alles schiefgelaufen ist, weil die Arbeit keinen Spaß macht, und dann ist das Wetter auch noch schlecht! Was Sie dann tun müssen ist lachen - das klingt schwer, aber wenn sie nicht lachen, wird es noch schlimmer.
Sprecher: »Lachen ist gesund. Wer lacht, bringt seinen Kreislauf auf Touren, kräftigt das Herz und senkt den Blutdruck. Lachen hilft gegen Migräne und sorgt für reine Haut.
Jetzt entdecken auch die Heilberufler die Vorzüge, die in dieser menschlichen Regung liegen. So wird in der modernen Lachtherapie Humor als Mittel gegen körperliche Gebrechen und seelische Tiefs eingesetzt - mit Erfolg.«

Sprecher: »Michael Titze heitert seine Patienten mit der Methode des Reflexlachens auf. In Einzelgesprächen bereitet er die Teilnehmer auf die Sitzungen vor.«

Dr. Michael Titze: »Die Schwellenangst, die besteht, kann riesig sein. Es wird dann phantasiert: Wenn ich da reinkomme, dann lachen mich alle aus. Ich bin der einzige, der nicht lustig sein kann, alle anderen sind lustig und ich sitze da mittendrin. Diese Angst hängt auch mit der enormen Leistungsbezogenheit vieler Patienten zusammen.«

Sprecher: »Die Möglichkeit, sich mit dem eigenen Gelächter aus einer psychischen Malaise zu befreien, ist ein menschliches Privileg. Denn Tiere können eigentlich nicht lachen, bis auf nächste Verwandte des Menschen, die Affen. Doch die Orang-Utans brauchen Gesellschaft, allein im Käfig verziehen sie keine Miene. Darüber kann der Betreuer nur manchmal leise lächeln.
In vielen Krankenhäusern wird Lachen vor allem auf den Kinderstationen eingesetzt. Die Eskapaden des Clowns helfen den Kindern Schmerzen zu vergessen und sich in der fremden Umgebung wohl zu fühlen.
Aufblühen sollen auch die Patienten in der Lachtherapie. Rollenspiele bereiten die Teilnehmer auf Alltagssituationen vor. Für Patienten mit Minderwertigkeitskomplexen ist ein solcher Auftritt vor Publikum eine Schreckensvision. Doch schon nach wenigen Sitzungen finden die Betroffenen den Mut, lästernden Mitmenschen gegenüber zu treten. Das wirkt auch physisch positiv, denn 60 Sekunden Lachen ersetzen 45 Minuten Entspannungstherapie.«

Sandra Maischberger: »Wir haben einen Humoristen und Kabarettisten und einen Psychotherapeuten und Lachforscher eingeladen - René Schweizer und Dr. Michael Titze. Haben Sie heute schon gelacht?«

Titze: »Auf der Fahrt nach Stuttgart zum Flughafen habe ich etwa 10 Minuten gelacht. Das mache ich so oft ich im Auto sitze.«

Maischberger: »Haben Sie einen Grund gehabt?«

Dr. Titze: »Ich habe nicht immer einen Grund, wenn ich lache. Ich lache oft ohne Grund, weil ich davon ausgehe, dass das Lachen keinen Grund braucht.«

Maischberger: »Wieso lachen sie jetzt Herr Schweizer?«

René Schweizer: »Das ist so großartig dieser Spruch: 'Ich habe nie einen Grund wenn ich lache.' Ich weiß, was er gemeint hat, deshalb muss ich so lachen. Weil er eigentlich gemeint hat, dass er eine Technik anwendet.«

Maischberger: »Wir haben das ganz kurz gesehen. Sie machen das in den Gruppen und Sie wenden diese Technik an, die Reflexlachen heißt und wie geht das?«

Titze: »Das ist eine relativ einfache Technik. Man muss über Atemübungen in einen markanten Spannungszustand hineinkommen, der zuweilen als fast unerträglich erlebt wird. Danach setzt der ist es so, das sich der Lachreflex auf wunderbare Weise ein.«

Maischberger: »Es wird unerträglich? Wie darf man das verstehen?«

Titze: »Wenn Sie eine gewisse Zeit sehr schnell atmen, ins Hecheln kommen, entsteht ein Spannungszustand. Deshalb sollte dies nur unter Anleitung geschehen. Und man muss das vorher unter Kontrolle, mit Vorübungen, gemacht haben. Danach ergibt sich der Reflex des Lachens von selbst. Deswegen sagte ich auch, dass ich den Grund gar nicht brauche, sondern dass wir inzwischen, aufgrund der Lachforschung so weit sind, dass wir keine Witze brauchen, dass wir keine Komödianten brauchen, die können wir uns zusätzlich noch anschauen ...«

Maischberger: »... als stimulierendes Element.«

Titze: »Wir kommen inzwischen über eine Technik ins Lachen, die dann dazu führt, dass man 30 Minuten am Stück lachen kann.«

Maischberger: »Gut, das habe ich gesehen, aber dann habe ich gedacht, dass einer beginnt zu lachen und dann finden die anderen das komisch, es wirkt irgendwie ansteckend und dann lacht man darüber, das andere Leute lachen. Ist das nicht auch ein Grund?«

Titze: »Wir haben das auch schon so probiert, dass wir uns einfach so auf den Boden gelegt haben und einer fing an zu lachen. Doch das ist schwierig. Man kann sich nicht einfach so anstecken, das geht dann vielleicht 2-3 Minuten, dann hört das auf, es wird langweilig. Man braucht diese Vorübung dazu, und wenn man die praktiziert hat, dann ist das Ganze ein Prozess, der sich von selbst entwickelt. Es ist wellenförmig und die Teilnehmer, die das mitgemacht haben, die sagen dann auch, das ist unglaublich, das hätte man nicht für möglich gehalten!«

Maischberger: »Und die sind gesünder jetzt als andere? Weil das ist ja diese alte Binsenweisheit: Lachen ist gesund. Kann man sagen, das ist jetzt erst wissenschaftlich erwiesen worden ist?«

Titze: »Seit etwa 30 Jahren ist es allmählich wissenschaftlich bewiesen worden. Am Anfang gab es diesen berühmten Norman Cousins. Das war ein Laie, der eine schlimme Krankheit hatte und eigentlich war er aufgegeben worden von den Ärzten. In seiner Not hat er sich dann folgendes überlegt: Er wusste, Stress erzeugt etwas Negatives im Körper, also musste er das Gegenteil machen. Er nahm sich also vor, sich etwas Lustiges anzuschauen, um sich dadurcj zu erheitern. Also hat er sich Slapstickfilme angeschaut ...«

Maischberger: »Er hat also noch Hilfsmittel gebraucht?«

Titze: »Ja, die hat er gebraucht. Das hat man lange Zeit so gemacht, also bis vor 10 Jahren hat man sich grundsätzlich Slapstickfilme, zum Beispiel Dick-und-Doof-Filme angeschaut. Norman Cousins hat es so geschafft, 10 Minuten am Stück zu lachen. Danach war er dann zwei Stunden schmerzfrei. Und er konnte schlafen, was er vorher nicht konnte. Und schließlich ist er genesen. Das ist also der berühmte Bericht von Norman Cousins.«

Maischberger: »Er hat sich selber durch Lachen geheilt. Kann man das so sagen?«

Titze: »Ja, das kann man so sagen.«

Schweizer: »Und zwar von einer Krankheit, von der die Ärzte die Prognose stellten, dass man ihm noch ein Jahr oder ein paar Jahre zu leben gab. Sie wussten eigentlich aus Erfahrung, dass diese Krankheit tödlich endet. Er hat dann nicht nur durch Lachen, sondern durch die Kombination lachen und Schulmedizin sich geheilt.«

Maischberger: »Herr Schweizer, Sie kommen ja jetzt aus dem Kabarett und wir haben ja im deutschen Fernsehen so viele Lachsendungen, dass man sie gar nicht mehr zählen kann. Sind das jetzt alle Ärzte? Herr Schmidt, Didi Hallervorden und Otto, verstehen die alle was von Gesundheit?«

Schweizer: »In einem gewissen Sinne natürlich schon. Lachen ist ja an sich gesund, aber was Dr. Titze macht, das ist ja der therapeutische Humor.«

Maischberger: »Das klingt ehrlich gesagt gar nicht lustig, therapeutischer Humor ...«

Schweizer: »Na ja, wenn man über das Lachen redet und die Seriosität der Lachforschung beschreiben will, dann muss man das ja seriös machen. Sie können sich das vorstellen wo das endet, dann wird man angegriffen und hält uns für Spinner! Es ist einfach so, dass in Amerika diese Lachforschung jetzt schon so etabliert ist und so ganz klar mit empirischen Beweisen aufwarten kann, dass diese Frage jetzt eigentlich geklärt ist. Es geht jetzt nur noch darum, dass das in die Öffentlichkeit getragen wird.«

Maischberger: »Was passiert denn eigentlich tatsächlich, wenn man lacht, warum ist das gut für Körper und Geist?«

Titze: »Es ist so, dass das erstmal ein Muskeltraining ist: Sämtliche Muskeln werden aktiviert und die Atmung läuft ja auch über die Muskulatur.«

Maischberger: »Das haben die beim Fitness vorher auch gesagt ...«

Dr. Titze: »Richtig. Man sagt ja auch: 10 Minuten lachen das ist wie 90 Minuten Jogging. Das gleiche was beim Jogging, also beim ausgiebigen Laufen geschieht, vollzieht sich auch beim ausgiebigen Lachen: zum Beispiel werden Endorphine ausgeschüttet, Hormone, die uns in einen Glückszustand bringen.«

Maischberger: »Das Publikum freut sich, das sie jetzt nicht mehr joggen gehen müssen.«

Schweizer: »Was im Blut passiert, ist vielleicht wichtig. Nehmen wir wieder Norman Cousins: Er hatte eine sehr starke schmerzhafte Entzündungskrankheit, hat dann einen Artikel darüber veröffentlicht, nachdem er genesen war. Da wurden die Ärzte hellhörig und haben sich gedacht, ob da wohl was dran sei. Prof. Fry, der Begründer der Gelotologie (Lachforschung) hat dann mit den Experimenten angefangen. Er ließ einer Gruppe Studenten Blut abnehmen, brachte sie zum Lachen und ließ ihnen danach erneut Blut abnehmen. Beim Vergleich der beiden Blutwerte hat er festgestellt, dass zusätzliche Substanzen darin enthalten waren, zum Beispiel Katecholamin, ein entzündungshemmendes Hormon.«

Maischberger: »Was Sie jetzt hier vorhaben, vor allem auch im deutschsprachigen Bereich, ist, auch zum ersten Mal einen Kongress zu veranstalten, d.h. also die Fachkräfte zusammen zu holen. Ist das quasi so, dass man am Anfang steht und sagt, die Lachforschung etabliert sich gerade und da ist noch sehr sehr viel zu tun?«

Schweizer: »Ja wissen Sie, es ist eigentlich ein Problem mit der Information der Öffentlichkeit. Ich habe vor Jahren ein Zentrum des Humors konzipiert, ein so genanntes Humoratorium, wie wir es nannten. Das wollte ich durchziehen, durchboxen quasi, aber es ist einfach nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Dann habe ich mir überlegt, weshalb? Es war einfach so, dass der Boden noch nicht vorbereitet war. Deshalb dieser erste Kongress, dem dann weitere folgen werden, um ganz klar herauszuarbeiten und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass es das gibt. Dr. Titze hat das übrigens in einem kürzlich erschienenen Buch sehr schön beschrieben: »Die heilende Kraft des Lachens«. Doch so etwas reicht leider nicht aus, denn man muss auf breiter Basis die Öffentlichkeit über die Medien informieren, damit das zunehmend auch begriffen wird.«