SWR1 - Der Abend - 01.06.2008
Grenzenlos komisch - die Europäer und ihr Humor (gekürzt)
Moderation: Andreas Doms

Wir Deutschen denken über uns, das wir relativ wenig Humor haben, das stimmt aber so nicht. Der Brite wiederum ist berühmt für seinen schwarzen Humor und dem Franzosen kommen mit legerer Leichtigkeit die Witze über die Lippen. Mit dem Humor ist das aber eine komische Sache, manche Gags funktionieren überall, universell, international, doch der Humor im Land ist geprägt von der jeweiligen Kultur.
Heute fragen wir, wie vereint Europa im Lachen ist und wo die Grenzen sind.
Worüber lacht Europa? Wo ist der Humorfaktor bei unseren Nachbarn am höchsten.
Christian Faul aus Wien: »Ja, da muss man sich jede Nation einzeln vorknöpfen, um heraus zu finden, wo was witzig gefunden wird. Genau das wollen wir heute Abend machen. Wir fangen an bei unseren Alpenrepubliken und fragen: Worüber lachen die Österreicher und worüber die Eidgenossen in der Schweiz.
Die Österreicher lachen vor allem über sich selbst, aber sie lachen dabei nicht so laut wie etwa die Deutschen, das wird auch beim Fußball deutlich. Es ist eine ganz besondere Art, eine leicht depressive Lust am Schmerz, ein bisschen Selbstzerfleischung, das kommt hier in Österreich gut an. Vor allem in Wien.
Jetzt vor der Fußball-Europameisterschaft jammern alle nur noch: Unsere Mannschaft, eine Gurkentruppe ohne Chance. Die Rettung kommt durch den Humor.
Die Österreicher haben einfach einen Film gedreht, der sie als Sieger zeigt und sie jubeln schon mal vor dem ersten Anpfiff.
Verdrängung, Wahn und Neurotik - das sind die Wurzeln österreichischen Humors.
Der hat einen besonderen Schmäh, heißt es, der sich in dieser Melange aus Spießertum, Anarchie und Boshaftigkeit findet. Hier muss man übrigens höllisch aufpassen. Es kommt alles leichtfüßig und immer charmant daher, eben mit Humor, aber jede Mozartkugel verheißt auch Gift. Nur man kann ihnen nicht wirklich böse sein, wenn sie wieder einmal über die Deutschen lachen, die alles viel zu ernst nehmen
Problem bei den Schweizern und ihrem Humor ist vielleicht ihre Gemächlichkeit. Erzählt man als Deutscher einen Witz, dann muss man meist noch viel erklären, bis auch der Schweizer die Pointe begriffen hat. Alle haben sich bereits gekugelt vor Lachen, dann huscht dem Schweizer vielleicht ein kleines Lächeln übers Gesicht ... ah, so isch des ...
Schweizer begreifen deutsche Ironie einfach nicht. Ein kleines Späßle im Geschäft, im Restaurant oder auf der Arbeit kann böse ins Auge gehen. Am Ende geht man als ironischer Deutscher auf Knien raus, um noch halbwegs die Situation zu retten ... war ja nicht so gemeint.
Der vielleicht einzige Deutsche, der sich über die Eidgenossen lustig machen darf, ist Komiker Michael Mittermaier und obwohl er das wirklich in seinen Schweizer Shows ganz extrem macht, lachen die Eidgenossen herzhaft über sich selbst. Vielleicht haben sie ja auch einfach den Witz nicht begriffen und lachen aus Höflichkeit.«

Doms: »Ein Humorforscher kann uns sagen, worüber alle Europäer lachen können, warum die Deutschen sich selbst als humorlos sehen und welche Nation zum Lachen eigentlich lieber in den Keller geht.«

Frage an Dr. Michael Titze, Diplom-Psychologe und Humorforscher: »Gibt es irgendwelche Sachen, wo alle Europäer gleichzeitig und gemeinsam drüber lachen können?«

Dr. Titze: »Richard Weißman, ein englischer Psychologe, hat vor 4 Jahren eine Untersuchung durchgeführt, in der er 40 000 Witze aus der ganzen Welt gesammelt hat. Da ging es darum festzustellen: Worüber lachen die Menschen am meisten? In diesem Zusammenhang wurde festgestellt, dass wohl ein Witz bei allen Menschen besonders gleich gut ankommt. Und das ist der Witz, der - sehr verkürzt - so lautet: Treffen sich zwei Jäger im Wald - beide tot.
Und das scheint also der Witz zu sein, der bei allen Menschen gleich gut ankommt.«

Doms: »... außer bei den Jägern! Es gibt ja verschiedene Sachen, worüber Menschen lachen können. Witze zum Beispiel, die können aggressiv sein, die können beleidigend sein oder einfach schlicht geschmacklos. Was ist denn da in der Beliebtheitsskala in Europa in welchen Ländern vertreten?«

Dr. Titze: »Es ist so, dass der aggressive Witz, wie Harald Schmidt festgestellt hat, immer mehr im Kommen ist. Er sagte einmal bei einem Interview: 'Wenn ich die Leute zum Lachen bringen soll, dann muss ich Zoten bringen und dann muss es eben auch aggressiv sein!' Das heißt, es geht dann auf Kosten von Randgruppen. Das sind sexistische Witze, das sind Witze, die auch gegen Behinderte gehen oder gegen Minderheiten ...«

Doms: »... oder gegen Prominente zum Beispiel.«

Dr. Titze: »Ja, bei denen dann im Witz Schwächen herausgearbeitet werden. Durch diese Aggression wird auf Seiten des Zuhörers, des Erzählers natürlich auch, Überlegenheit hervorgerufen. Es geht also immer darum, einen Überlegenheitseffekt hervor zu rufen, so dass man als Lachender in der besseren Position ist, sich mit demjenigen, der verspottet wird abwärts, nach unten vergleichen kann.
Das ist im Prinzip auch schon der Ursprung der antiken Komödie, wo es, wie zum Beispiel Aristoteles das festgestellt hat, vor allem darum ging, dass Behinderte, Stammler, Leute, die betrunken waren, also Randfiguren: dass diese Personen vorgeführt wurden und die Zuschauer über sie lachen konnten. Diejenigen, die in der Komödie als Schauspieler auftraten sind, haben diese Randfiguren nachgemacht. Somit war die Komödie ursprünglich das Nachmachen von Abwegigkeiten, von aus der Norm schlagenden Verhaltensweisen - und das ist eigentlich heute noch so.

Doms: »Herr Dr. Titze, Humor äußert sich bei weitem nicht nur in Witzen. Humor ist eine Charaktereigenschaft. Kann man also von den Charaktereigenschaften einer Nation auch auf den Humor schließen?«

Dr. Titze: »Ja, das ist von Richard Wiseman in seinem Lachlabor sehr interessant herausgearbeitet worden. Es zeigte sich, dass diejenigen, die sehr mit sich zufrieden sind, im Humor wählerisch sind. Se lachen nicht über alles, sondern sie nur über bestimmte Witze. Diejenigen, die mit sich und ihrer Situation unzufrieden sind, lachen hingegen über alles. Es ist interessant, dass wir Deutschen diejenigen sind, die sozusagen am Besten abschneiden. Denn bei der Vorgabe der Witze konnten wir über alles lachen! Von den Witzforschern wurde dies paradoxer Weise als Hinweis interpretiert, dass die Deutschen nach Anlässen fürs Lachen lechzen: weil sie mit ihrer Situation wohl unzufrieden sein müssen. Ich meine, das könnte auch ein Grund dafür sein, dass die Comedy-Szene in Deutschland so boomt.«

Doms: »Zwei Engländer stehen auf dem Schafott, sie sind zum Tode verurteilt.
Da kommt der Scharfrichter mit dem großen scharfen Beil, lächelt der eine Engländer den anderen an und sagt: 'Wie viel gibt man hier eigentlich Trinkgeld?' War das grade typisch britischer Humor?«

Dr. Titze: »Ja, das ist Galgenhumor. Von Sigmund Freud wurde das schon sehr schön beschrieben.«

Doms: »Woher haben die Briten diesen trockenen, schwarzen Humor, den Kontinental-Europäer oft nicht so gut verstehen?«

Dr. Titze: »Man nimmt an, das hängt damit zusammen, dass die Briten schon seit dem Mittelalter relativ viele individuelle Freiheiten haben. Als es im kontinentalen Europa noch den Feudalismus gab, konnten sich die Briten schon als Persönlichkeiten entfalten. Es gab nämlich so etwas wie eine Meinungsfreiheit, und deshalb durften die Briten viele Tabuthemen thematisieren, was übrigens oft auch ins Geschmacklose hineingeht.«

Doms: »Ja, zum Beispiel Monty Python, kann ich mich dran erinnern oder Mr.Bean. Ein Film zum Beispiel von Monty Python über das Leben und Wirken von Jesus Christus, eine so bitterböse Satire, hat in Deutschland gar keinen Verleiher gefunden.«

Dr. Titze: »Und da gibt es eben die typischen Witze, die in der Untersuchung von Wiseman auch im Internet vorgestellt wurden, zum Beispiel: Ein Mann läuft eilig am Fluss entlang und begegnet einem Angler, zu dem er ganz aufgeregt sagt: 'Haben sie eine Frau in einem grünen Kleid gesehen?' - 'Ja', sagt der Angler 'vor 5 Minuten...' - 'Na dann kann ich sie vielleicht noch finden, dann wird sie nicht so weit sein ...' - 'Nein' sagt der Angler, 'sie wird nicht so weit sein, die Strömung ist heute nicht so stark ...'«

Doms: »Das ist nicht so nett. Sagen sie mal, kann man sagen, 'Sag mir, worüber du lachst und ich sage dir, aus welchem Land du kommst'?«

Dr. Titze: »Das kann man so sagen, ja. Es ist zum Beispiel so, dass in Italien die Witze bislang so formuliert gewesen sind, dass sie von allen Familienangehörigen verstanden wurden. Das ist das typische Szenario: Man sitzt in der Familie abends zusammen, dann sollen die Witze natürlich so sein, dass auch Kinder sie verkraften. Also dürfen sie nicht anzüglich sein.«

Doms: »Gibt es ein Gefälle, ein Nord-Süd-Gefälle beim Lachen?«

Dr. Titze: »Ich denke ja. In Skandinavien sind Witze typisch, die gemütlich und etwas selbstironisch, gelassen und vielleicht auch weniger aggressiv sind. Es ist eine subtile Ironie, die sich da äußert. Dazu gibt es den typischen Skandinavier-Witz: Ein Däne, ein Schwede und ein Norweger sind zum Tode verurteilt. Alle haben einen letzten Wunsch frei. Der Däne bittet um ein Hotdog und ein Tuborg-Bier. Der Norweger möchte eine Rede halten und der Schwede wünscht sich, möglichst vor der Rede des Norwegers hingerichtet zu werden.«

Doms: »Aber es gibt auch große Unterschiede bei dem Humor von Frauen und Männern. Prof. Dr.Helga Kotthoff ist Gesprächsforscherin, mit dem Schwerpunkt Humor, an der pädagogischen Hochschule von Freiburg.
Frau Kotthoff, es ist ja so, wenn man einen Witz erzählt, dann kann es passieren, dass sich die Männer vor Schenkel klopfen nicht mehr einkriegen und Tränen lachen und die Frauen verziehen nicht mal ihr Gesicht. Woran liegt das?«

Prof. Kotthoff: »Also das kann an den Inhalten liegen, das kann aber auch an der Präsentation liegen, denn Witze müssen, zum Beispiel, gut erzählt werden. Aber viele Männer können das ja und dann liegt es, so denke ich, am Inhalt. Wenn Männer irgendwelche Sexwitze zum Besten geben, die schielen ja auch oft zu den Frauen hin. Es ist manchmal auch so eine Art Test: Was kann ich mir der gegenüber erlauben? Dann ist das so eine klassische Situation, bei der Frauen gut beraten sind, nicht mit zu lachen, weil sie damit auch zeigen: Ich habe meinen eigenen Humor, ich passe mich hier nicht allem an.«

Doms: »... und ich möchte nicht, dass die Witze, die ihr mir erzählt, auf meine oder auf Kosten meiner Geschlechtsgenossinnen gehen.«

Prof. Kotthoff: »Ja genau, das zeigt dann auch Selbstbewusstsein zum Beispiel.«

Doms: »Ja gut, dass über Machowitze oder Blondinenwitze Frauen nicht lachen, ist eine klare Sache. Gibt es denn so was: Einen geschlechtsspezifischen Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Humor?«

Prof. Kotthoff: »Das gibt es in manchen Bereichen, also was man zum Beispiel immer wieder festgestellt hat ist, dass Männer und Jungs eine härtere Gangart haben beim Frotzeln. Frotzeln, das ist eben kein Witze erzählen, das sind kleine Aufzieh-Aktivitäten, so ein auf die Schippe nehmen, gegenseitig. Da sind Männer härter im Nehmen, aber auch härter im Geben. Das machen sie so unter sich, dass so Schwächen von Freunden ziemlich lautstark bewitzelt werden, aber auch im Kollegenkreis und da sind Frauen viel, viel vorsichtiger. Frauen machen das durchaus auch, also zum Beispiel über eine Freundin, die auch dabei ist, witzeln, weil sie gerade die x-te Diät abgebrochen hat, da werden schon ironische Bemerkungen gemacht. Doch sobald die Freundin ein wenig kritisch schaut, wird sofort hinterher geschickt: Ach, das war doch nur ein Scherz. Männer machen das nicht, wurde festgestellt.«

Doms: »Es gibt ja den Satz: Besser einen guten Freund verlieren, als einen guten Spruch für sich behalten.«

Prof. Kotthoff: »Wunderbar, das passt!«

Doms: »Was verbindet denn Männer und Frauen? Worüber können sie gemeinsam lachen?«

Prof. Kotthoff: »Ich denke über ganz vieles, so beispielsweise über Absurdität, über Sprachspiele. Auch über Widersprüche im Alltag. Ich denke, das ist auch eine Quelle von ständigem Humor. Wir haben ja alle in unserem Alltag Widersprüche: So spielt es bei Frauen eine Rolle dieses immer 'Gut-Aussehen-müssen'. Aber kaum eine Frau genügt diesem Idealbild, das die Medien so vor sich hertragen. Das ist auch eine Scherzquelle. Oder auch lästern. Lästern hat eine ganz komische Seite. Man sitzt abends zusammen im Wirtshaus und lästert ein bisschen über den Chef.«

Doms: »Ich glaube Frauen können auch in der Stadt, wenn sie auf einer Parkbank nebeneinander sitzen, herzhaft über die Klamotten anderer Frauen lästern.«

Prof. Kotthoff: »Das kann ich Ihnen voll bestätigen.«

Doms: »Was würden sie auf die Frage antworten: Wer hat mehr Humor? Die Männer oder die Frauen?«

Prof. Kotthoff: »Also ich glaube, dass Frauen besser über sich selber witzeln können, dass sie sich leichter tun, Distanz zu sich herzustellen. Aber so der Auftritt, die Unterhaltung großer Gruppen: da sind Männer den Frauen eigentlich bis heute ein wenig voraus.«