SWR1 »Der Abend«, 15.02.2013
 
Vom Humor und der Kunst, über sich selbst zu lachen
 
mit Andreas Doms
 
 
Humor ist, wenn man trotzdem lacht, und es ist vor allem die Kunst auch über sich selbst zu lachen. Mediziner und Psychologen sagen: Lachen verlängert das Leben und stabilisiert die Psyche. Wir reden deshalb über Humor heute Abend. Also Ich persönlich finde, Humor zu haben ist ein wunderbarer Charakterzug. Wer Humor hat, der wird geliebt, bewundert, oft eingeladen. Wer Humor hat, der hat es trotz einer vielleicht strengen Erziehung nicht geschafft, ein todernster Mensch zu werden, sondern hat sich sein Lachen bewahrt, das muss man können. Menschen, die sich ihr Lachen bewahren, die können einmal aus voller Seele einfach herzhaft loslachen. So etwas ist ja wie ein wärmender heller Sonnenstrahl in mancher grauen Realität.
Kann man Humor eigentlich erforschen oder kann man ihn nur haben oder eben nicht? Man kann ihn erforschen. Dr. Michael Titze tut das. Er ist Psychologe und Humorforscher und arbeitet an der Akademie für Individual-Psychologie in Zürich. Außerdem ist er Vorsitzender von HumorCare Deutschland. Es ist also tatsächlich ein Verein zur Bewahrung des Humors.

Herr Dr. Titze, Humor ist, sagt man so schön, wenn man trotzdem lacht. Das ist ein uralter Spruch. Ist der nur einfach blöd oder ist da tatsächlich was dran?

Titze: Da ist sogar sehr viel dran. Das war übrigens ein Lieblingsbegriff von Viktor Frankl, dem großen Begründer der Logotherapie, der vielen Lesern auch über sein KZ-Buch bekannt ist »Trotzdem ja zum Leben sagen«. Dieses Buch schrieb Frankl, nachdem er Auschwitz überlebt hatte, inerhalb einer Woche. In diesem Buch schreibt er (das erste Mal in der Geschichte der Psychotherapie): »Wenn ich den Humor nicht als Trotzmacht genutzt hätte, dann hätte ich nicht überlebt. Dann würde es auch die Logotherapie, diese neue Richtung in der Psychotherapie, nicht geben!« Das heißt, Frankl sagte »trotzdem ja zum Leben«, und dieses »Trotzdem« ist wahrscheinlich auch der Schlüssel zur Wirkweise des Humors.

Doms: Was genau ist für sie Humor?

Titze: Humor entsteht aus Widersinn und für mich persönlich ist es immer am einfachsten, wenn ich mir vor Augen führe, dass im Menschen, wie Goethe es gesagt hat, zwei Seelen wohnen. Und die eine Seele ist das, was der Mensch als Kind gewesen ist, man spricht heute vom »inneren Kind«. Die zweite Seele ist das, was wir durch die Erziehung geworden sind. Dies ist im Grunde eine ganz neue Form der Persönlichkeit. Es ist das, was man als den ernsthaften Erwachsenen bezeichnet. Das ist der Mensch, der sich im Berufsleben, der sich im gesellschaftlichen Leben zurechtfinden soll und der dabei keine Fehler machen soll.

Doms: Im Ernst des Lebens sozusagen.

Titze: Ja, der seine angemessene Rolle spielt und wenn man da zu viel blödelt und zu viel lacht, dann wird man nicht ernst genommen.

Doms: Lachen ist gesund, sagt man. Das ist auch kein blöder Spruch, das lässt sich statistisch nachweisen, dass die Leute länger leben, die oft herzhaft lachen.

Titze: Ja, dazu gibt es natürlich jede Menge von Untersuchungen und Befunden der Lachforschung, der Gelotologie, und man geht davon aus, dass nur ein herzhaftes Lachen gesundheitsfördernde Wirkungen erzielt. Die genau ist das Lachen eines Kindes, das sich vom Lachen des Erwachsenen unterscheidet. Das Lachen des Erwachsenen hat vor allem eine kommunikative Funktion. Dieses Lachen kommt nicht aus dem Bauch. Es soll vielmehr eine Unterhaltung erleichtern und soll dem Gesprächspartner signalisieren, dass man das eben Gesagte nett gemeint hat.

Doms: So kontrolliert.

Titze: Ja, denn dieses Lachen wird strategisch eingesetzt. Aber das echte Lachen, das aus dem Bauch kommt, das ist das homerische Lachen. Dieses Lachen bewirkt sehr viel im Körper. Es kommt zunächst zu einer muskulären Entspannung. Die Muskeln krampfen sich richtig an. Und wenn man lange genug gelacht hat, dann entkrampfen, entspannen sie sich, und das weiß man ja, dass das in diesem Fall manchmal so ist, dass man sich vor Lachen in die Hose machen kann ... Das hängt eben mit dieser totalen muskulären Entspannung zusammen. Zusätzlich werden Stresshormone abgebaut. Und es kommt auch zu einer Intensivierung der Atmung. Man atmet beim Lachen tief ein, dadurch kommt mehr Sauerstoff in die Lungen, was sowieso gesund ist, und dieser Sauerstoff landet irgendwann auch im Gehirn. Man wird dadurch spritziger, kann besser nachdenken, und wenn viel Luft in die Lunge kommt, dann wird diese nachhaltig durchlüftet. Das ist für Menschen, die zum Beispiel eine chronische Bronchitis haben sehr gut. Außerdem kommt es auch zu einer Stärkung des Immunsystems. Ich denke, das sollte man jetzt nicht alles aufzählen, das wäre schon wieder eine Sendung für sich.

Doms: Wenn kleine Kinder losbrüllen müssen vor Lachen, dann tun sie das ohne Vorbehalte, ohne Rücksicht auf die Gefühle von anderen Menschen. Sie platzen einfach heraus. Es hat ihnen noch niemand beigebracht, ihnen das aberzogen. Nicht gefiltert, nicht kontrolliert. Wenn man dann als Erwachsener ein solch lachendes Kindergesicht vor sich sieht, dann muss man zwangsläufig mitlachen, was auch passiert, wenn man solch ein Kinderlachen von einem Tonband abspielt. Das hat auch so einen Mitlacheffekt. Frage an den Psychologen und Humorforscher Dr. Michael Titze: Was passiert da?

Titze: Also das ist wahrscheinlich angelegt, das hat uns die Natur in die Wiege gelegt. Man sagt, dass das Baby seine Mutter dazu bringt, die zwischenmenschliche Brücke mit ihm aufzubauen und über das Lachen oder auch nur Lächeln zum Kind eine ganz enge Beziehung zu bekommen. Babys lächeln natürlich zuerst, das Lachen kommt später, und dieses engelsgleiche Lächeln, das zwingt eine Mutter förmlich mit zu lachen. Das ist schon das, was man als die allererste Form der Kommunikation bezeichnen könnte. Dieses Lächeln des Kindes wird allmählich zu einem typischen Lachen. Dieses einfach wunderbare Lachen des Kindes ist etwas, was Lebensfreude pur signalisiert und deswegen gibt es in unserer traurigen postmodernen Zeit auch den Trend, dass sich immer mehr Menschen die vielen Comedy-Sendungen anschauen. Man will einfach mal lachen, man will die Ernsthaftigkeit des Lebens vergessen! Man springt dabei unweigerlich in ein anderes Bezugssystem: in die Welt des Kindes. Und dort macht man sich nicht viele Gedanken über den Ernst des Lebens. Dort wird das entbunden, was man als die Weisheit des Körpers bezeichnet. Es ist also nicht die Vernunft, die uns dann dominiert, sondern es wird das freigesetzt, was sozusagen in unserem Körper schlummert. In diesem bedenkenlosen Lachen des Kindes erleben wir das Leben von seiner puren, schönen, freudvollen Seite.

Doms: Ich kenne Menschen, die, wenn man versucht die zum Lachen zu bringen oder denen auch nur einen harmlosen Witz erzählt, die einen mit so einem ganz strafenden Gesicht anschauen, so nach dem Motto: Meinst du, über solch einen Kram kann ich lachen? Diese Menschen halte ich für besonders humorlos. Die das gar nicht an sich heranlassen.

Titze: Das ist das eine, zum anderen könnte man sagen, dass diese Leute besonders gut verwurzelt sind in der Welt des Erwachsenen, in der man ntürlich auch Karriere machen kann und in der man sich im Hinblick auf den Status auch ganz anders positionieren kann.

Doms: Ja, so mit Ernsthaftigkeit kokettieren, nach dem Motto: Stell dir mal vor dein Chef erwischt dich beim Lachen.


Titze: Ja das ist auch richtig. Der Chef, der darf nämlich eher lachen als der Untergebene. Wenn der Untergebene lacht, dann wird das als unbotmäßig angesehen. Es gibt Untersuchungen dazu. Erst, wenn der Chef lacht, dürfen auch die Untergebenen mitlachen, aber nicht von sich aus! Denn die sollen ja in ihrem Rollenkorsett bleiben, sie sollen steuerbar sein. Jemand, der lacht, ist nicht mehr der Untertan und deswegen gab es im Dritten Reich das berüchtigte Kritikastergesetz. Das hat bedeutet, dass jemand, der Witze erzählt hat, die darauf hinausliefen, dass man über die mächtigen Nazis gelacht hat, dass dieser Mensch ganz schnell damit rechnen musste, ins KZ zu kommen oder sogar aufs Schafott.

Doms: Ganz besonders humorvolle Menschen können auch besonders viel über sich selbst lachen. Ein Beispiel ist der kanadische Sänger und Entertainer Michael Bublé. Er hat über sich gesagt: »Bitte mach Dich lustig über mich«. Ist das nicht ein wenig übertrieben?

Titze: Also zunächst ist es ein Hinweis auf den berühmten Mut zur Lächerlichkeit: Übrigens auch ein Begriff der von Viktor Frankl geprägt wurde. Das besagt nichts anderes als dieses: Wenn ich mir nichts draus mache, zum Objekt des Lachens zu werden, habe ich Kontrolle über mich und dann ist der andere auch nicht automatisch mein Gegner, den ich fürchten muss und zu dem ich in Gegnerschaft trete, sondern da sind wir sozusagen Verbündete. Der andere will, dass ich das Lachobjekt bin, ich will es auch und ich kann jetzt noch eins draufsetzen, indem ich das Ganze noch auf die Spitze treibe: In diesem Fall bin ich sogar noch besser als er. Und so sind wir beide zwei Personen, die miteinander kooperieren in einem Wettstreit, in dem es nicht drum geht, wer ist oben, wer ist unten, sondern wir sind in einem Wettstreit, wo es darum geht: Was können wir tun, um unser gemeinsames Lachen zu optimieren.

Doms: Was sagt es über den Betreffenden aus? Er ist souverän oder?

Titze: Das ist ein Mensch, der sehr souverän ist, und ich denke da immer an Václav Havel, der das konnte. Ich erinnere mich an eine Sendung, die ich einmal gesehen habe. Das war kurz vor der Wende, als es gerade auf der Kippe war in der damaligen Tschechoslowakei. Havel wurde von einer Interviewerin darauf angesprochen, dass er sich doch zahlreiche Fehler geleistet hätte, auch wenn er jetzt der Kandidat wäre für die Präsidentschaft. Das war natürlich sehr tendenziös. Havel nahm das aber zum Anlass, sich eine Visitenkarte drucken zu lassen, auf der dann stand: »Václav Havel, Autor vieler Fehler und Irrtümer.« Das war alles, was er den Leuten dann in die Hand drückte. Damit hat er natürlich den Kritikern, die ihn gerne in eine peinliche Situation gebracht hätten, den Wind aus den Segeln genommen. Das ist die hohe Kunst der Selbstironie. Die Selbstironie ist eine Haltung sich selbst gegenüber, in der man, gemäß dem Diktum des Apostels Paulus davon ausgeht, dass meine Schwäche meine Stärke sein soll. Theo Lingen bezeichnete das als eine sehr famose Turnübung, die einfach darin besteht, dass man sich selbst auf den Arm nimmt. Dadurch kann eben das entstehen, was einen Machtkampf verhindert. Übrigens hat sich auch Goethe entsprechend geäußert, das geht sinngemäß so: »Wer sich nicht selbst zum Besten haben kann, der ist gewiss nicht von den Besten.« Selbstironie ist eine spielerische Haltung sich selbst gegenüber, die liebevoll und sympathisch ist. Man macht sich ja nicht wirklich klein, sondern übertreibt die scheinbare Schwäche in einer Weise, die einem keiner abnimmt. Und dadurch ist man schlussendlich tatsächlich der Überlegene. Menschen, die diese Form humorvoller Selbstironie besitzen, können eigentlich gar nicht zu Fall gebracht werden.

Doms: Witzigkeit kennt keine Grenzen, Witzigkeit kennt kein Pardon. Es gibt ja angeblich humorvolle Sachen, aber die sind alles andere als witzig. Viele Menschen sagen in solchen Situationen: Also hier hört der Spass wirklich auf. Offenbar hat auch Humor enge Grenzen. Was darf Humor denn alles im Prinzip? Wo sind Grenzen? Gibt es welche?

Titze: Wenn man die Perspektive des Kindes einnimmt, das noch kein Gewissen in einem streng moralischen Sinne entwickelt, verinnerlicht hat, dann weiss dieses Kind eigentlich gar nicht, was moralisch gut ist und was böse ist. Ein Kinderarzt hat mir mal erzählt: Da kam die Mutter mit einem Dreijährigen in seine Praxis und der Arzt wollte dann, dass das Kind die Zunge herausstreckt, was das Kind natürlich nicht wollte. Doch plötzlich ging ein Aufleuchten über sein Gesicht, und es schaute die Mutter feixend an: »Darf ich auch A…loch sagen?« Für ein Kind ist diese Unbefangenheit ganz typisch, es macht sich noch keine Gedanken über mögliche Konsequenzen. Denn das Kind ist einfach lustvoll. Dieses Lust-und-Laune-Verhalten wird Kindern durch die Erziehung aber wegtrainiert. Dann wissen sie definitiv: So etwas sagt man nicht! Dadurch fehlt dem Menschen aber dieser deftige Zugang zu einem Auslöser des Lachens, den man heute inzwischen wieder in der Comedyszene entdeckt hat.

Doms: Man macht keine Türkenwitze, außer man heißt Bülent Ceylan, der ist selber Türke und der kann die Besten.

Titze: Der macht natürlich genau das, was Selbstironie bedeutet: Er macht sich über sich selbst lustig. Er macht sich über die Tatsache lustig, dass er jemand ist, der einen Migrationshintergrund hat. Kurzum: Wenn ich mir für einen kurzen Augenblick all das ersparen kann und nicht daran denke, was mir in der Erziehung beigebracht wurde, dann kann ich ausgiebig lachen. Wer das bedient, ist natürlich der Clown oder der Comedian. Die geben sich so, wie wenn sie selbst kleine Kinder wären und die lassen mal die Tabus ganz weit weg und gehen in eben diesen Bereich, der für Kinder noch sehr lustvoll ist. Und das sind nun mal Kraftausdrücke. Harald Schmidt hat einmal gesagt: »Wenn ich Leute wirklich zum Lachen bringen will, dann muss ich Zoten verwenden!« Das bedeutet: Wenn man Zoten bringt, dann ist das etwas, was sich eigentlich für einen gesitteten Menschen, einen gut erzogenen Menschen überhaupt nicht gehört, aber es ist haargenau das, was in der Psychoanalyse mit der frühen Entwicklung des Menschen in Verbindung gebracht wird. Man spricht hier von der analen Phase, wo es auch um Ausscheidungsprodukte geht. Und man spricht auch von einem Aggressionstrieb, wo es um das lustvolle Ausleben von Aggressivität geht: Alles das wird in einem Humor, der sich zwischen den Welten des Kindes und des Erwachsenen bewegt, aktiviert bzw. dem betreffenden Menschen zur Verfügung gestellt. Natürlich nur kurzfristig. Es ist nicht so, dass man in diesen Impulsen ewig schwelgt, sonst wäre man ein primitiver Mensch. Aber man flirtet sozusagen mit der Primitivität oder mit dem kleinen Kind, das so etwas noch zum Anlass nimmt, in ein herzhaftes Lachen auszubrechen.

Doms: Mein Hausarzt hat gesagt: Jeden Tag zwei Minuten lachen, aber bewusst: Das hält jung.