»Weniger wäre besser gewesen ...« -
Das Grundprinzip des Humors
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Von Michael Titze
[Quelle: Die Schwester-Der Pfleger 8/99, S. 630-634]
Vor kurzem brachte die Fachzeitschrift »Psychologie Heute« eine Titelgeschichte, die sich mit einem Poblem befasste, das sich in unserer Gesellschaft epidemisch auszubreiten scheint: Schüchternheit, Gehemmtheit und soziale Ängstlichkeit sind danach Zeitkrankheiten, die einer wachsenden Zahl von Menschen zu schaffen machen. Dieses Phänomen wird von Sozialpsychologen auf einen grundlegenden Wertewandel zurückgeführt, der für unsere postmoderne Zeit bestimmend ist. Während den Menschen vergangener Epochen eindeutige Massstäbe für ein »richtiges« und »falsches« Handeln gesellschaftlich vorgegeben waren, ist dies heutzutage keineswegs eindeutig definiert. Zu den Zeiten unserer Urgrosseltern gab es normgebende Instanzen (z.B. Kirche, Staat, Zünfte), die dem einzelnen Menschen genau vorschrieben, was er zu tun und zu lassen hatte. Elternhaus und Schule waren die Instanzen, die diese Sollensnormen im Zuge einer oft unnachgiebig strengen Erziehung an die Kinder herantrugen. Wie sieht es demgegenüber heute aus? Nachdem ein grundlegender sozialer Wandel hin zu vermehrter Freizügigkeit und Selbstbestimmung stattgefunden hat, wissen Eltern und Lehrer oft nicht mehr, welche Grenzen sie ziehen dürfen, was sie verbieten dürfen, was sie offerieren müssen, damit ein Kind als »gut erzogen« gelten kann. Erlaubt ist heute sehr viel mehr als früher. Doch dies überfordert viele Erzieher. Da sie - aufgrund mangelnder Normvorgaben - nicht wissen, wie sie »alles richtig« machen sollen, erleben sie ihre Aufgabe als Belastung. In einer Notiz der Schwäbischen Zeitung hiess es vor kurzem:

»Während Eltern in anderen Ländern die Geburt eines Babys als wertvolles Geschenk empfinden, sind Kinder für deutsche Eltern eine Belastung und beeinträchtigen die Beziehung ... Der deutsche Mann bemüht sich ... alles richtig zu machen, weil er dem Ideal des 'modernen Mannes' entsprechen will ... Viele Männer sind unzufrieden, weil es ihnen nicht gelingt, so zu sein, wie sie es sich vorgestellt hatten. Und die Frauen sind enttäuscht, dass ihr Mann sich anders als vorher verhält. Die jungen Eltern werden schon während der Schwangerschaft durch die riesige Informationsflut überfordert.«

Damit wird deutlich, dass gerade in einer Zeit, in der es keine eindeutigen Normvorgaben für den einzelnen gibt, eine Neigung zum Perfektionismus entstehen kann. Durchschnittlich gut zu sein ist dabei keineswegs »gut genug«. Deshalb treten häufig Versagensängste und Selbstzweifel, und die eigene Spontanität und Handlungsinitiative wird gehemmt. Dies wirkt sich natürlich insbesondere im emotionalen Bereich aus. Der Psychologe und Chefredakteur der Zeitschrift »Psychologie Heute« Heiko Ernst stellt daher fest: »Eine fast permanente Selbstkontrolle, gepaart mit der ständigen Angst, etwas falsch zu machen oder etwas Dummes zu sagen, macht verkrampft und befangen.« Solche Menschen haben buchstäblich nichts zu lachen.

Aus einer Untersuchung über das Sexualverhalten von Westdeutschen und Ostdeutschen, die 1996 von der Klinik für Psychotherapie und psychosomatische Medizin der Leipziger Universität durchgeführt wurde, geht folgendes hervor: Ostdeutsche sind generell sexuell weniger gehemmt als Westdeutsche und fühlen sich wohler in ihrem Körper. Die meisten Menschen in den neuen Ländern zeigen sich mit ihrem Sexualleben zufrieden, währen Westdeutsche »oft wie blockiert sind«. Die Wissenschaftler erklärten dies unter anderem mit der höheren Leistungsorientierung der Westdeutschen.

Dies ist insofern bemerkenswert, als das gesellschaftliche System der alten DDR alles andere als freizügig war! Im Gegenteil entsprach es in seiner normativen Bevormundung des einzelnen den autoritären Verhältnissen während der Kaiserzeit und des Dritten Reiches. Und doch scheinen diese Normvorgaben insofern emotional entlastend zu sein, als der einzelne nicht aufgefordert ist, aus sich heraus zu bestimmen, was »richtig« und »falsch« ist. Denn wenn die äusseren Wegweiser fehlen, die uns die »richtige Richtung« weisen, neigen wir offensichtlich dazu, uns innerlich zu verkrampfen, weil wir nach der einen, absolut richtigen Lösung suchen.

In einer Lanzeitstudie der Universitäten Konstanz und Saarbrücken wurden hunderte von Müttern und Kindern im Hinblick auf ihre Erziehungsstile hin untersucht. Es wurde ermittelt, dass Mütter in den neuen Bundesländern ihre Kinder einerseits strenger erziehen als in Westdeutschland. Zugleich ist das Verhältnis von Mutter und Kind in Ostdeutschland aber liebevoller und harmonischer. Streng und liebevoll seien keine Gegensätze, erläuterte Gisela Trommsdorff, die Leiterin dieses Projekts. Vielmehr verunsichere der westliche Erziehungsstil ohne klare Grenzen die Kinder und führe häufiger zu Streit. In ihrem Bestreben, »ideale« - und nicht lediglich »durchschnittliche« - Mütter zu sein, haben sich die westdeutschen Frauen offensichtlich emotional überfordert, so dass sie - paradoxerweise! - in die beschämende Position »schlechter« Erzieherinnen gerieten. Es lässt sich vermuten, dass dadurch der ohnehin schon bestehende Perfektionismuszwang nur noch weiter verstärkt wurde.

Interessanterweise fühlen sich auch Westdeutsche weit weniger verkrampft, wenn sie im Rahmen ihres Berufslebens (wo die entsprechenden Normvorgaben durch den betrieblichen Rahmen definiert sind) Entscheidungen zu treffen haben. Marianne Hammerl, Wissenschaftlerin an der Universität Düsseldorf, stellt in diesem Zusammenhang fest: »Besonders in Deutschland definieren sich viele ganz stark über ihren Beruf. Dort können sie auch präsentieren, sind oft auch locker und charmant. Als Privatmensch aber, wenn es nicht darum geht, ein Produkt zu verkaufen oder eine Firma zu repräsentieren, folge das grosse Fiasko: die Betreffenden sind plötzlich verstockt, verklemmt, unsicher.

Tiefenpsychologisch gesehen ist die Neigung, sich nicht an Durchschnitts-, sondern an Idealnormen zu orientieren, ein untrüglicher Hinweis auf einen bedenklichen psycho-logischen Entwicklungsrückstand. Wer nämlich, wie der Perfektionist, alles richtig und nichts falsch machen möchte, folgt einer frühkindlichen Strategie, die nur scharfe Gegensätze kennt. Diese Verabsolutierung, die dem »Mehr desselben-Prinzip« entspricht, muss aber überwunden werden, damit eine reifere Urteilsfähigkeit erreicht wird, die zwischen diesen Gegensätzen Abstufungen ermöglicht bzw. in ein reines Schwarz-Weiss-Denken entsprechende »Grauzonen« hineinbringt. Diese Fähigkeit zur Relativierung ist gerade im Hinblick auf unser emotionales Wohlbefinden von eminenter Bedeutung, da wir uns gerade im Berufsleben keine Stimmungsschwankungen im Sinne von »himmelhoch jauchzend« und »zu Tode betrübt« erlauben dürfen. Wir werden später noch sehen, dass der Humor, der dem »Weniger desselben-Prinzip« folgt, das Mittel der Wahl ist, das uns davor bewahrt, in diese emotionale Berg- und Talfahrt zu geraten.

Wer sich in seinem Leben vom verabsolutierenden »Mehr desselben«-Prinzip leiten lässt, wird nur die überwertige Leistung im Visier haben - die gleichwohl immer fiktiv, das heisst unerreichbar bleiben wird. Denn gleichgültig, was real erreicht wird, ob es der berufliche, gesellschaftliche oder sportliche Erfolg ist, ob es sich um das eigene An- und Aussehen handelt: nichts ist gut genug, alles soll (noch) besser sein! Ein Beispiel dafür ist der vielzitierte Narzissmus, das heisst der quälende Zwang noch schöner, noch schlanker, noch attraktiver zu sein. In einer Meldung der Deutschen Presseagentur vom 5. Januar 1999 hiess es, dass sich in den USA jährlich mindestens 15000 Minderjährige beim Schönheitschirurgen unters Messer begeben. Die Ärzte seien besorgt, denn oft hätten ihre blutjungen Kundinnen völlig unrealistische Erwartungen. Sie reihen sich damit ein in die zunehmende Anzahl von jungen Menschen, die - wie etwa die Magersüchtigen - auf das Ideal eines makellosen Körpers fixiert sind, das doch unerreichbar bleiben muss. Deshalb wirkt sich diese narzisstische Störung in einer permanenten Versagensangst aus, die mit teilweise massiven Selbstzweifeln, permanenter Unzufriedenheit und Scham einhergeht. In der schon angeführten Leipziger Studie über die emotionale Befindlichkeit von West- und Ostdeutschen wurde entsprechend festgestellt, dass die Westdeutschen wesentlich narzisstischer als die Ostdeutschen sind: Sie schauen zum Beispiel öfter in den Spiegel, kontrollieren ihr Gewicht »gewissenhafter« und geben mehr Geld für Kleidung und Kosmetika aus. Dennoch sei ein stabiles Selbstwertgefühl bei Menschen in den alten Ländern schwächer ausgeprägt als im Osten. Diesem entmutigenden und stresserzeugenden Muster entsprechen auch die sog. workaholics, für die jegliche Form von Musse und entspannter Inaktivität solange Anlass für beunruhigende Gewissensbisse ist, bis sie schliesslich »ausbrennen« bzw. in das Burnout-Syndrom hineingeraten.

Menschen, die im Banne dieses Perfektionismuszwanges stehen, bringen sich allein schon deshalb um jegliche Lebensfreude, weil sie aufgrund einer permanenten öberforderung niemals echte Erfolgserlebnisse haben. Wenn sich jemand, um dieses Beispiel anzuführen, die Messlatte beim Hochsprung auf 2 m legt, wird er unweigerlich eher versagen als jemand, der sich die Latte auf 1 m gelegt hat! Dies könnte auch eine Erklärung dafür sein, weshalb Menschen in der Dritten Welt, trotz ihrer Armut und ihrer beruflichen »Perspektivlosigkeit« dem Besucher aus einer entwickelten Industriegesellschaft im allgemeinen weit fröhlicher erscheinen, als die wohlsaturierten Angehörigen seiner eigenen Kultur. Dieses scheinbar paradoxe Phänomen wurde auch durch ein Umfrageergebnis bestätigt, aus dem hervorging, dass die Westdeutschen in den frühen Fünfzigerjahren täglich dreimal so viel gelacht hatten als in der Gegenwart. Wohlgemerkt in einer Zeit, in der es den meisten materiell wesentlich schlechter ging als heute! Auch hier könnte die Erklärung die sein, dass die Ziele, die sich die damalige Generation setzte, wesentlich weniger hoch angesetzt waren als heutzutage. Die Gefahr zu versagen, sich zu blamieren ist umso mehr reduziert, je geringer die Anforderungen sind, die dem einzelnen gestellt sind, objektiv wie subjektiv! Paradoxerweise können in diesem Zusammenhang Fertigkeiten aktiviert werden, die in den kreativen Ressourcen eines Menschen schlummern. Voraussetzung ist aber, dass eine stressfreie, von Lebensfreude, Selbstvertrauen und Optimismus erfüllte Atmosphäre gegeben ist. Genau das kann aber nur dann der Fall sein, wenn es nicht um »alles oder nichts« geht, wenn die betreffende Leistung nicht eine unumgängliche »Pflicht«, sondern lediglich eine »Kür« ist.

Das hier bestimmende »Weniger desselben»-Prinzip ist eine erlässliche Voraussetzung für jegliche Humorentstehung! Es eröffnet uns die Möglichkeit, uns auf das Naheliegende, Unmittelbare einzustellen. Martin Luther hatte das in die folgenden Worte gefasst: »Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute doch ein Apfelbäumchen pflanzen!«

Diese - scheinbar - unlogische Sichtweise ist typisch für den Humor. Im Humor werden alle Erhabenheitsansprüche (Idealvorstellungen, Perfektionismen, Verabsolutierungen, Mehr desselben-Zwänge) aufgelöst bzw. weitestgehend relativiert. Der Philosoph Jean Paul hat den Humor vor über 200 Jahren deshalb so definiert:

»Der Humor ist das umgekehrt Erhabene. Es gibt für ihn keine einzelne Torheit, keine Toren, sondern nur Torheit und eine tolle Welt. Er hebt keine einzelne Narrheit heraus, sondern erniedrigt das Grosse, um ihm das Kleine, und erhöhet das Kleine, um ihm das Grosse an die Seite zu setzen und so beide zu vernichten, weil vor der Unendlichkeit alles gleich ist und nichts.«

Die Tendenz, scheinbar festgefahrene Zwänge aus der Erwachsenenwelt (dem »Ernst des Lebens») aufzulösen, eröffnet die Möglichkeit, uns auf eine spielfreudige, »bedenkenlose« Spontanität zu reduzieren, die uns die Ressourcen der »emotionalen Intelligenz« auftut. Diesen Weg gehen alle Komiker. Als Beispiel führe ich zunächst Woody Allen an:

»Es mag stimmen, dass es keinen Gott gibt. Aber versuchen Sie erst einmal, einen Installateur am Wochenende zu finden!«

»Was wäre, wenn alles nur eine Illusion wäre und nichts existierte? In diesem Fall hätte ich für meinen Teppich definitiv zu viel gezahlt!«

»'Benny, Benny!' Eine Mutter ruft nach ihrem Sohn. Benny ist sechzehn, aber schon vorbestraft. Mit sechsundzwanzig wird er auf den elektrischen Stuhl kommen. Mit sechsunddreissig wird man ihn hängen. Mit fünfzig wird er eine eigene Heissmangel besitzen.»

Ein weiteres Beispiel gibt uns der berühmte Derwisch Mulla Nasrudin:Jemand beobachtete Nasrudin, wie dieser etwas auf dem Boden suchte.
»Was hast du verloren, Nasrudin«, fragte er.
»Meinen Schlüssel«, sagte der Mulla.
Beide lagen nun auf den Knien und suchten.
Nach einer Weile fragte der andere: »Wo hast du ihn den eigentlich verloren?«
»In meinem Hause.»
»Aber warum suchst du ihn dann hier draussen?«
»Weil es hier heller ist.«

Dies ist ein schönes Beispiel für das Aufheben bzw. »Verrücken« logischer Regeln. Nasrudin konzentriert sich auf das Naheliegende: die besseren Lichtverhältnisse! Dadurch ist er Teil einer kindlichen Welt, in der die rationalen Gesetze des Denkens unwichtig sind. Uns, die wir der vernunftgeleiteten Erwachsenenwelt verhaftet sind, mag dies - ähnlich wie im Fall von Woody Allen - vielleicht befremden, doch wir fühlen uns gleichzeitig auch amüsiert und befreit. Und diese Befreiung führt zu einer emotionalen Reaktion, die sich im Lachen äussert!

Wer sich auf diese »Aufruhr (rationaler) Regeln« (Enzensberger) bewusst einlässt, beschreitet einen Weg, an dessen Ende sich ein »Mut zur Unvollkommenheit« auftut, der immer auch einem »Mut zur Lächerlichkeit« entspricht. In dieser Einstellung sind wir buchstäblich »zwanglos«. Wir denken nicht »doppelt«, das heisst, wir überlegen uns nicht, wie wir auf andere wirken, was diese sich über uns denken könnten, wenn wir uns eventuell »etwas geleistet haben«. (In dieser Formulierung wird der perfektionistische Leistungsanspruch übrigens auf den Kopf gestellt: Wer sich »etwas leistet«, folgt dem Lustprinzip, ist also auf die Maximierung seiner emotionalen Möglichkeiten, seiner spontanen Lebensfreude eingestellt.) Und genau dies ist die Voraussetzung der Humorentstehung! Es ist die Befreiung von unnötigem Denkballast, die Reduktion zum emotionalen Kindsein als Hort emotionaler Spontanität, Kreativität und damit von ursprünglicher Lebensfreude.

Gesunde Kinder sind die Vorbilder aller Clowns. In der Rolle des Clowns präsentiert sich ein Erwachsener daher immer als ein Mensch, der sich von allen Perfektionismusansprüchen befreit hat. Clowns sind weniger logisch, weniger fingerfertig, weniger eloquent, weniger schön, weniger ... als der vom reinen Leistungsdenken geleitete Perfektionist. Diesem gegenüber haben sie aber eines voraus: Sie sind weniger verklemmt, weniger ängstlich, weniger verkrampft als dieser, weil sie den Zugang zur Sphäre ihrer emotionalen Kreativität nicht blockieren.

Die moderne Psychologie hat erkannt, welche Bedeutung der »emotionalen Intelligenz« gerade im Hinblick auf die Entfaltung kreativer Ressourcen zukommt. Die ausschliessliche Bevorzugung der »rationalen Intelligenz« (als reiner logischer Denkleistung) wird damit relativiert. Und wer ist der Lehrmeister auf diesem Gebiet? Der Clown!

Seit einigen Jahren wirken Clowntherapeuten in den verschiedensten Bereichen. Angefangen hat dies in der Psychotherapie. Frank Farrelly, der Begründer der Provokativen Therapie, der ohne Zweifel ein höchst gebildeter Mann ist, hat sich bedenkenlos die Identität des Clowns angeeignet. So eröffnete er ein wissenschaftliches Symposium mit den folgenden Worten:

»Ich bin ganz fest auf der Seite der Engel. Und ich dachte, ich könnte sagen, ich wüsste im allgemeinen, was provokative Therapie sei. Und ich denke, in gewisser Weise weiss ich immer weniger und weniger, was das ist. Nun, das liegt wohl weniger daran, dass sie so kompliziert ist, sondern vielleicht eher daran, dass ich immer mehr und mehr zu einem Dummkopf werde.«

Der amerikanische Humortherapeut Waleed Salameh erklärte: »Ich habe eine Menge von Leuten gesehen, die sich etwas darauf eingebildet haben, perfekt zu sein. Sie schienen es geschafft zu haben, den 'Idioten in sich' zu unterdrücken. Sie schafften es zwar, diese Seite ihrer Persönlichkeit vor den Augen der anderen zu verbergen. Doch es gelang ihnen nicht, sich gegenüber den entsprechenden Auswirkungen abzuschotten. Diese Menschen wollten sich nach aussen perfekt geben, doch die menschliche Natur stand ihnen im Wege.«

Der kürzlich angelaufene Kino-Film über den Arzt Patch Adams zeigt eindrucksvoll und amüsant zugleich, wie der Clown Einzug in die verkrampfte, sterile Welt der Medizin hielt. Patch Adams entdeckte den Humor, mit dem er heute tausende von Menschen heilt, nachdem er in eine schwere existentielle Krise geraten war. Ausgerechnet auf einer geschlossenen psychiatrischen Station begann er, im Aufbegehren gegenüber total humorlosen Ärzten, seine ungewöhnlichen Methoden zu entwickeln, die er dann später, während seines Medizinstudiums, auch im Rahmen eines zwanghaft verknöcherten Medizinbetriebs bedenkenlos einsetzte.

Dem Pionier Patch Adams sind inzwischen tausende von Ärzten, Krankenschwestern, Therapeuten, zunächst in den USA, inzwischen aber auch weltweit, nachgefolgt. Es gibt mittlerweile viele Krankenhäuser, die fest angestellte »Humorberater« einsetzen, »Gelächterzimmer« etabliert haben und ihre eigenen Humorprogramme erproben. Auch in den Bereichen von Coaching und Betriebspädagogik sind in den letzten Jahren zunehmend Clowns tätig geworden - entweder als eigenständige Kommunikationstrainer oder als Assistenten von bestimmten Humorberatern. In allen diesen Fällen geht es primär nicht darum, Patienten bzw. Seminarteilnehmer unspezifisch zum Lachen zu bringen, sondern diese zu einem heilsamen Einstellungswandel anzuregen. Dabei geht es darum, das einseitige Verhaftetsein an das Idealbild eines allzeit vernunftgeleiteten Erwachsenen zu relativieren, um so zur lustbetonten Sphäre eigenen Kindseins zurückzufinden. Diese »ausgeglichene« Einstellung hatte Erich Kästner wohl vor Augen gehabt, als er das Folgende schrieb: »Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie erwachsen, aber was sind sie nun?«
Nur wer erwachsen ist und ein Kind bleibt, ist ein ganzer Mensch.

© Dr. Michael Titze
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