Humor und Lachen: Spekulationen, Theorien und Ergebnisse der Lachforschung
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Von Michael Titze
[Aus: Praxis Spiel + Gruppe, 1. April 1988]
Eine Selbsttherapie durch Lachen

Vor etwa zwanzig Jahren unternahm Norman Cousins, damals Herausgeber einer amerikanischen Zeitschrift, eine längere Auslandsreise. Am Ende dieser Reise war er psychisch und körperlich an einen Tiefpunkt gelangt. Er hatte schwere Fieberanfälle, Schmerzen und befand sich in einem Zustand von Schwäche und allgemeinem Unwohlsein. Im Krankenhaus wurde er genau untersucht, und die Laborbefunde ergaben, daß er an einer schweren Kollagenerkrankung litt, die in diesem Fall eine denkbar ungünstige Prognose hatte. Bei dieser Krankheit handelt es sich um eine faserige Erkrankung der Grundsubstanz des Bindegewebes, die unter anderem zur Folge hatte, daß Norman Cousins seine Gelenke nur unter größten Schmerzen mühsam bewegen konnte.

Nun hätte manch einer bei diesen erschreckend schlechten Aussichten resigniert. Doch Norman Cousins war von einem großen Lebenswillen erfüllt. Er wollte nicht aufgeben, wollte sein Schicksal auch nicht auf Gedeih und Verderb seinen Ärzten anvertrauen, sondern es - so weit es nur ging - aktiv bestimmen. Er begann zu lesen. Alles, was über seine Krankheit publiziert worden war, ließ er sich beschaffen. Und er ließ sich durch die eher pessimistischen Aussagen der Experten nicht entmutigen. Cousins stieß bei seiner Lektüre immer wieder auf den Hinweis, daß ein positiver Gemütszustand zur Stärkung der körpereigenen Immunabwehr führt und, umgekehrt, Angst, Niedergeschlagenheit und eine allgemein negative Lebenseinstellung zu einer Störung der komplizierten chemischen Abläufe im innersekretorischen System des Körpers. Daraus folgerte Cousins, daß er alles daran setzen mußte, sich in einen positiven, heiteren Gemütszustand zu versetzen. Er kam auf die Idee, sich lustige Filme anzusehen. Jahre später (1981) beschrieb Cousins, wie der Humor, der ihm durch diese Filme vermittelt wurde, seine innere Einstellung veränderte. Und er beschrieb auch, wie das Lachen, das durch diesen Humor ausgelöst wurde, sein Schmerzempfinden beeinflußte: Zehn Minuten zu lachen führte dazu, daß Cousins etwa zwei Stunden schmerzfrei schlafen konnte. Er hatte damit etwas empirisch erfahren, was erst in allerjüngster Zeit biochemisch nachgewiesen wurde, nämlich die Tatsache, daß es mit dem Lachreflex zur Ausschüttung von Hormonen kommt, die in ihrer Wirkung dem Morphium entsprechen. Man verspricht sich heute von der Synthetisierung dieses körpereigenen Schmerzmittels viel, da es keine Suchteffekte hervorbringt. Doch wie viel leichter hätten es Mediziner und Patienten, wenn mehr Heiterkeit in die kalte Atmosphäre unserer Krankenhäuser einkehren würde!

Norman Cousins, der es mittlerweile zu einem trainierten Lacher gebracht hatte, versetzte seine Ärzte in ungläubiges Staunen: Denn entgegen allen Prognosen zeigten die regelmäßig durchgeführten medizinischen Tests, daß die gefürchtete Gelenkentzündung kontinuierlich abnahm - je mehr sich Cousins eben in Heiterkeit und Fröhlichkeit übte. Die Gelotologen - auf deutsch: Lachforscher - haben inzwischen auch für dieses unglaubliche Phänomen eine Erklärung gefunden: Beim Lachen werden nämlich die sog. Katecholamine, also weitere Hormone, ausgeschüttet, die eine nachweislich effektive Entzündungshemmung hervorrufen, insbesondere bei rheumatischen Gelenkentzündungen. Dies konnte Norman Cousins natürlich ebenfalls nicht wissen, doch er brachte sich durch sein eigenes Humorprogramm weiter zum Lachen.

Vielleicht sollte erwähnt werden, daß Cousins nicht allzulange im Krankenhaus blieb. Das Personal und manche Patienten störten sich an seinem Gelächter. Denn nicht nur in Amerika geht man davon aus, daß Kranksein eine sehr ernste Sache ist und Krankenbehandlung in einer gedämpften und sterilen Atmosphäre stattfinden sollte. Deshalb zog Cousins in ein nahe gelegenes Hotel um, wo die Atmosphäre normaler und freundlicher war, um hier sein Selbsthilfeprogramm fortzusetzen.

Norman Cousins ist völlig genesen. Sein Krankheits- und Genesungsbericht erschien 1977 im angesehenen New England Joumal of Medicine. Inzwischen gilt diese Arbeit als eine Art von Initialzündung für die Humor- und Lachtherapie, die sich vor allem in den USA etabliert und geradezu rasant ausgebreitet hat. Ihre theoretischen Voraussetzungen werden in dem nun folgenden Abriß dargestellt.

Humor und Lachen als Gegenstand der Forschung

Die folgende Übersichtsdarstellung ermöglicht einen relativ weit gefaßten Überblick über die Literatur zum Themenbereich Humor - Komik - Witz - Lachen. Sie ist ohne Zweifel eher theoretisch orientiert, was vor allem dadurch gerechtfertigt ist, daß es bislang im deutschsprachigen Bereich praktisch keine Einführungen in die verschiedenen Theorien der Humor- und Lachforschung gibt.

Im Gegensatz zu manchen Autoren, so insbesondere S. Freud, wird im folgenden nicht explizit zwischen Humor, Komik, Witz und Lachen unterschieden. Der Humorist in zu verstehen, der auf verbale (Witz) und nonverbale Mittel (Komik, Klamauk, Schabernack, Parodie) zurückgreift, um den physiologischen Reflex des Lachens zu stimulieren. Dieser Reflex bedarf des Humors nicht unbedingt zu seiner Auslösung. Doch die Tatsache, daß ein psychologischer, d. h. auf einer hohen Organisationsstufe angesiedelter Reiz eine »vorhersehbare Reaktion auf der physiologischen Reflexstufe auslöst« (Koestler, 1978, S. 132), spricht allein schon für die einmalige Bedeutung des Humors als psycho-physiologisches Kommunikationsmittel, als Auslöser für einen »Lust- und Luxusreflex, der keinen absichtlichen biologischen Zweck erfüllt« (Koestler, 1966, S. 21, S. 43).

Freud hatte noch streng zwischen einer Theorie des Witzes und einer Theorie des Humors unterschieden. Den Humor sah Freud (1927/1970) als eine sehr positive psychische (Abwehr-) Leistung an, die eine erstrebenswerte Form der Lebensbewältigung ermöglicht. Den Witz brachte Freud (1905/1970) demgegenüber mit der Unberechenbarkeit des Lustprinzips in Zusammenhang, das auf die Befriedigung sexueller und aggressiver Triebtendenzen gerichtet ist. Im Witz wird diese Lust »am Über-Ich vorbei« partiell befriedigt. Manche Autoren, wie etwa Bernhardt (1985, S. 16ff), differenzieren deshalb zwischen dem »guten« Humor, der konsequenterweise nicht mit dem Lachen, sondern mit dem Lächeln in Zusammenhang gebracht wird. Bernhardt beschränkt den Humor (als »anzustrebenden Wert«) auf die nicht-aggressiven Mittel der Komik. Eben diese Differenzierung läßt sich nicht aufrechterhalten, wenn man jene vielen Arbeiten in Erwägung zieht, die gerade dem Aspekt der Aggressivität eine entscheidende Bedeutung bei der Auslösung des Lachreflexes beimessen.

Kurz wird in der folgenden Übersichtsdarstellung auch der Praxisbereich gestreift. Dazu läßt sich sagen, daß die theoretische Grundlagenforschung zum Thema Humor und Lachen eine recht lange Tradition besitzt und umfangreiche Resultate vorliegen hat. Die praktische Folgerung hieraus ist bis vor kurzem jedoch sehr bescheiden geblieben. Erst in den letzten zehn Jahren konnte sich im Ansatz eine angewandte Humortherapie etablieren, die inzwischen auch eine eigene Literatur hervorgebracht hat (vgl. Fry & Salameh, 1987).

Begriffsbestimmung

Das Wort »Humor« besitzt verschiedene Bedeutungen. Ursprünglich bezog es sich, im Sinne der antiken Typenlehre, auf »Feuchtigkeit«, »Flüssigkeit«, »Saft«. Es war der besondere Saft des Sanguinikers, des »heißblütigen Typs«, dem in früheren Zeiten jene lebensfrohe Grundhaltung zugesprochen wurde, die wir heutzutage als den »Sinn für Humor« bezeichnen.

Wer sich der Mühe unterzieht, die vielen literarischen Studien zu sichten, die seit den Tagen der Antike der (pseudo)wissenschaftlichen Ergründung des Phänomens »Humor« galten, gelangt leicht zu einer umfangreichen Autorenliste. Sie beginnt mit Plato und Aristoteles und umfaßt die Namen vieler Philosophen, Literaten, Naturforscher und Psychologen, die sich »eigentlich« auf ganz anderen Gebieten hervorgetan haben, so etwa Thomas Hobbes, Charies Darwin, Henri Bergson, Jean Paul, Sigmund Freud, Helmuth Plessner, Viktor E. Frankl und Arthur Koestler. Und wer sich eingehender mit den inhaltlichen Aussagen dieser Humor- und Lachforscher befaßt, wird bald feststellen, wie divergent, ja widersprüchlich die theoretischen Erklärungsmodi der Wirkweise des Humors in diesem Zusammenhang sind. Dies entspricht so recht der schillernden Eigenart dieses »spezifisch menschlichen Phänomens« (Frankl, 1979, S. 197), das auf Gegensätzen, »Inkongruenzen« und logischen Kontradiktionen aufbaut bzw. (um es besser auszudrücken) von diesen lebt.

So liegen uns gegenwärtig ziemlich viele heterogene theoretische Erklärungsversuche für den Humor vor. Wir können durchaus davon ausgehen, daß sie alle insofern ein »Körnchen Wahrheit« enthalten, als sie jeweils ganz bestimmte Aspekte einer menschlichen Reaktionsweise beleuchten, die physiologische, (sozial)psychologische, anthropologisch-ethologische und nicht zuletzt auch philosophische Implikationen ermöglicht.

Andere Autoren, wie etwa Kallen (1911) und Ludovici (1932), sehen im Lachen ein Instinktrelikt aus der »Raubtierphase« der menschlichen Phylogenese, in der das Zähnefletschen eine spezifische aggressive Drohgebärde darstellte. Im weiteren Verlauf der Menschheitsentwicklung sei dieses aggressive Signal so weit »entschärft« worden, daß es mittlerweile nur noch jene lustvollen Gefühle zum Ausdruck bringe, die ein sich überlegen fühlender Gegner vor einer möglichen aggressiven Konfrontation empfindet. Diese Sichtweise wurde später auch von der modernen Verhaltensforschung (vgl. Eibl-Eibesfeldt, 1986, 1987; Lorenz, 1963) eingehend erörtert. So wird vermutet, daß hinter dem Lachen ein allgemeines »Imponiergehabe« steht, das in späteren Phasen der Phylogenese allmählich zum Lächeln( = »unterschwelliges Lachen«) sublimiert, d. h. zu einer spezifischen Beschwichtigungsgeste transformiert wurde. Denn wer lächelt, fletscht nicht die Zähne, zeigt also an, daß er nicht aggressiv gestimmt ist. Echtes, frenetisches (»homerisches«) Lachen wirkt, worauf alle Ethologen hinweisen, bis auf den heutigen Tag bedrohlich und einschüchternd. (Dieser Tatsache ist in den Schriften vieler Philosophen des Mittelalters und der Neuzeit Rechnung getragen worden, die das Lachen schlichtweg als eine grobe Unart beurteilten [vgl. Goldstein, 1987; Hyers, 1981]).

Andere Lachforscher (vgl. Gregory, 1924; Rapp, 1949) waren bemüht, einerseits die aggressiven und andererseits die gruppenstärkenden Aspekte des Lachens in ihre theoretischen Darlegungen zu integrieren. Danach habe das Lachen in den frühen Phasen der Menschheitsentwicklung primär dem Zweck gedient, Angehörige der gleichen Gruppe einem äußeren Gegner gegenüber »zusammenzuschmieden«. Dadurch sei der lebenswichtige individuelle Fluchttrieb invalidiert worden, so daß aus der Gemeinschaft heraus die artspezifische »Raubtierseite« des Menschen mobilisiert werden konnte.

Theorien zum aggressiven Ursprung des Humors

Es ist leicht nachzuvollziehen, daß der Mensch als individuelles »Mängelwesen« (Alfred Adler) der Gemeinschaft bedarf, um sich gegen eine feindselige Umwelt zu behaupten, wie sie in den frühen Epochen der Menschheitsgeschichte zweifelsohne bestand. Mittlerweile bedroht diese Umwelt den Menschen kaum noch. Ganz im Gegenteil ist es der Mensch selbst, der seiner belebten und unbelebten Umwelt zum Problem geworden ist, nicht zuletzt deshalb, weil er gerade jene Aggressivität nicht zu kontrollieren und zu zügeln vermag, die ihm die Natur in grauer Vorzeit zur Oberlebenssicherung mit auf den Weg gegeben hat. Daß diese Aggressivität ganz unverkennbar im Humor und im Lachen nachweisbar ist, ist eigentlich naheliegend. Denn ursprünglich, hatte das Lachen, wie oben erwähnt wurde, ja die Funktion, Gruppenmitglieder in eine kämpferische Stimmung zu versetzen.

Biologisch-evolutionäre Theorien

In der »Blütezeit« der Humor- und Lachforschung, die inzwischen gute 90 Jahre zurückliegt, wurde primär über den Zusammenhang von Humor (als einer spezifischen kognitiven Einstellung) und Lachen (als der sich hieraus ableitenden physiologischen Reaktion) nachgedacht. In Obereinstimmung mit Aristoteles und einigen Ärzten des Mittelalters waren die betreffenden Autoren überzeugt, daß »Lachen die beste Medizin« sei. Schon Darwin (1872/ 1965) konnte zeigen, daß Lachen zum homöostatischen Ausgleich innerhalb des Organismus beiträgt, also etwa den Blutdruck stabilisiert, zur Sauerstoffanreicherung im Blut führt, den Kreislauf anregt, die Verdauung fördert und insgesamt eine nachhaltige körperliche Entspannung bewirkt. Diese Hinweise wurden allerdings nicht besonders beachtet, ja in den Jahrzehnten nach der Jahrhundertwende wissenschaftlich und praktisch überhaupt nicht in Betracht gezogen. Erst in jüngster Vergangenheit wird sehr vehement an diese frühen gelotologischen Befunde angeknüpft bzw. die machtvolle »Heilkraft des Lachens« beschworen.

Man spekulierte in der Zeit vor und um die Jahrhundertwende, das Lachen sei eine Art selbstregulativer Ausgleichseffekt, dem Menschen von der Natur mitgegeben, um seine artmäßige Insuffizienz temporär zu kompensieren: ganz in Entsprechung zu Friedrich Nietzsches Diktum, daß der Mensch nur deshalb lacht, weil er so tief leidet (zit. n. Reik, 1929, S. 90). Der bekannte Sozialpsychologe McDougall (1903,1923) glaubte daher, das Lachen sei ein angeborener Instinkt. Andere Autoren gingen davon aus, Humor und Lachen seien keine echten Instinkte, sondern lediglich Residuen archaischer Anpassungsmechanismen. Nach McComas (1923) und Hayworth (1928) soll das Lachen in der präverbalen Epoche der menschlichen Phylogenese die Funktion eines allgemeinen Kommunikationsmittels erfüllt haben. Es habe demnach der Signalisierung positiver Nachrichten gedient bzw. angezeigt, daß sich die Bezugsgruppe in Sicherheit befände. Damit nahmen diese beiden Autoren implizit Bezug auf die soziale Bedeutung des Lachens, worauf in der neueren Literatur besonders Mosak (1987) und Weinstein & Goodman (1980) ebenfalls hinweisen.

Lachen als Ausdruck von aggressiver Schadenfreude, die sich unter dem Deckmantel von Witz und Humorungestraft entfalten kann: dieser Aspekt wurde auch von Bergson, einem Klassiker der Lachforschung, diskutiert. Nur sah er das Lachen als ein soziogenes »Erziehungsmittel« an, als eine Art Strafe für diejenigen, die sich den Regeln der Gesellschaft nicht beugen wollen. Die anderen, die damit gleichsam im Auftrag der Gesellschaft handeln, dürfen sich dabei bedenkenlos auf eine »momentane Anästhesie des Herzens« einlassen und im Lachen ihrer Aggressivität freien Lauf lassen: »Das Lachen ist nun einmal ein Erziehungsmittel. Ist Demütigung sein Zweck, so muß es der Person, der es gilt, eine peinliche Empfindung verursachen. Dadurch rächt sich die Gesellschaft für die Freiheiten, die man sich gegen sie herausgenommnen hat. Und das Lachen würde sein Ziel nicht erreichen, wenn Sympathie und Güte seine herrschenden Züge wären« (Bergson, 1921, S. 131).

Überlegenheitstheorien

In enger Beziehung zur Aggressionstheorie stehen jene Erklärungsversuche, die den Humor und das Lachen mit dem menschlichen Überlegenheitsstreben in Zusammenhang bringen.

Dies beginnt mit der antiken Degradationstheorie, die auf Aristoteles zurückgeführt wird. Danach regt die Wahrnehmung von Defekten, Deformierungen oder auch nur von Häßlichkeit bei einem Mitmenschen zum Lachen an (vgl. Cooper, 1922). Übereinstimmend lag für Cicero (1976) »der Bereich des Lächerlichen [...] in einer gewissen Gemeinheit und Mißgestalt« (zit. n. Koestler, 1966, S. 45).

Der englische Philosoph Thomas Hobbes (1651/1968) legte in seinem berühmten Werk Leviathan auch eine explizite Lachtheorie vor. Lachen entsteht demnach, wenn einem Menschen das Erlebnis eines »plötzlichen Triumphes« über einen als minderwertig eingeschätzten Mitmenschen widerfährt, wodurch sich unverhofft die eigene Überlegenheit offenbare.

Die Angst vor dem Ausgelachtwerden, die den Menschen von Kindesbeinen an erfüllt, hat sicher mit dem von Adler beschriebenen Überlegenheitsstreben etwas zu tun. Denn in dieser angeborenen Gerichtetheit sieht Adler ein Regulativ zur Kompensation jener Minderwertigkeitsgefühle, die dem Menschen einerseits »in die Wiege gelegt« wurden, die andererseits aber pathologische Wirkungen hervorbringen, wenn sie über ein bestimmtes Maß hinausgehen. Deshalb wird das Lachen und der Humor auch in der neueren Literatur aus der Perspektive der Überlegenheitstheorie heraus diskutiert: Dieser archaische Effekt konnte von der experimentalpsychologisch orientierten Lachforschung auch unter uns Gegenwartsmenschen nachgewiesen werden. So berichtet LaFave (1972) über Untersuchungen, bei denen Witze ausgesucht aggressiven Inhalts vorgegeben wurden. Sie regten die Lachreaktion dann besonders an, wenn sie auf die Entwertung bzw. das »Niedermachen« des gemeinsamen Gruppengegners oder zumindest Gruppenfremden abzielten. Dies war etwa dann der Fall, wenn Antisemiten Witze zu hören bekamen, in denen Juden lächerlich gemacht wurden oder wenn Rassisten aus den Südstaaten der USA über die angebliche Dummheit von Negern herziehen konnten.

Koestler (1966, S. 45) weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es im Alten Testament neunundzwanzig Hinweise auf das Lachen gibt. Davon sind dreizehn mit Geringschätzung, Hohn, Spott oder Verachtung verbunden und nur zwei »kommen aus wirklich fröhlichem Herzen«. Diese Beobachtung wird von J. C. Gregory ausdrücklich bestätigt: »Das Gelächter, das mit dem Menschen aus dem Nebel der Antike auftaucht, scheint einen Dolch in der Hand zu halten. Es gibt in der Literatur der Antike über das Lachen so viele Beispiele für brutalen Triumph, Verachtung und Fußtritte gegen den Besiegten, daß wir annehmen dürfen, daß das ursprüngliche Lachen ausschließlich aggressiv gewesen ist« (Gregory, 1924; zit. n. Koestler, 1966, S. 44). Als Beispiel mag Plato dienen, der in seinem Philebos als Hauptquelle herzhaften Lachens die Mißerfolge, Leiden und Erniedrigungen anderer Menschen auswies.

Freud hat in seinen richtungsweisenden Untersuchungen über den Witz (1905/1970) und den Humor (1928/1970) argumentiert, das Lachen diene primär der emotionalen Befreiung bei Affekten, die kulturbedingt unterdrückt werden. Demnach löst die Humorreaktion jene Spannungen, die durch verdrängte Sex- und Zornimpulse hervorgerufen werden. Gerade der Witz steht im Dienste von Tendenzen sexuellen oder aggressiven Charakters, die an der hemmenden Über-Ich-Zensur »vorbeigemogelt« werden. Zwei Schüler Freuds, nämlich Theodor Reik (1929) und Martin Grotjahn (1974), betonen die aggressive Tendenz von Witzen, die die Lachreaktion besonders gut auslösen. Reik hat sich in diesem Zusammenhang mit dem zynischen Witz auseinandergesetzt, dessen Wurzeln er auf die Kinderjahre zurückführt, in denen das Vertrauen in die elterliche Autorität erschüttert wurde. Grotjahn sieht in jedem effektvollen Witz die Intention am Werke, andere Menschen zu verletzen. Diesem geheimen Wunsch, der vom kulturbedingten Gewissen abgewehrt wird, öffnet der sich im Witz entfaltende tendenziöse Humor ein Ventil. Denn der Humor »erspart« dem Gewissen die Empfindung von Mitleid, wie Freud (1928/1970, S. 214) besonders hervorhob.

»Wenn das Lachen als Spott und Satire mobilisiert wird, stellt es immer eine starke soziale Kraft dar. Einst waren Spottduelle eine verbreitete Sitte bei den Eskimos von Grönland. Anstatt ihre Differenzen durch körperliche Auseinandersetzungen und Blutvergießen auszutragen, verspotteten und beleidigten sich die erbosten Parteien gegenseitig. Vor den Augen der versammelten Stammesgemeinschaft und zum Dröhnen der Trommeln verhöhnten, beschimpften und verlachten die Beteiligten einander. Die Zuschauer amüsierten sich köstlich und bekundeten ihren Beifall durch fröhliches Gelächter. Die Kraftprobe wurde sehr ernst genommen, und der Verlierer wurde manchmal so gedemütigt, daß er in die Verbannung gehen mußte. Die Japaner drohen ihren Kindern damit, daß andere Leute sie auslachen würden, wenn sie bestimmte unerwünschte Dinge tun. Bei vielen anderen Völkern, zum Beispiel bei den Pygmäen, ist verlacht zu werden eine der gefürchtetsten Strafen von Seiten der Gemeinschaft« (Moody, 1979, S. 29f).

Implikationen für die Praxis

Die offenkundige Tatsache, daß Humor und Lachen auch etwas mit Aggressivität, Überlegenheitsstreben und (Angst vor) Erniedrigung zu tun haben, ist im Rahmen der sich allmählich etablierenden Humortherapie ausdrücklich berücksichtigt worden. So hat zum Beispiel der Verfasser des vorliegenden Artikels unter besonderer Berücksichtigung von Adlers Darlegungen zum Überlegenheitsstreben und zum Minderwertigkeitskomplex folgende Überlegungen zur Diskussion gestellt (vgl. Titze, 1985,1987):

(a) Psychisch kranke Menschen haben es verlernt (bzw. nie richtig lernen können), das natürliche Überlegenheitsstreben zum Zwecke einer konstruktiven Selbstbehauptung zu nützen.

(b) Die Folge ist, daß sie unter verstärkten Minderwertigkeitsgefühlen leiden, was sich stets auf den Bereich der Aggressivität auswirkt. Diese Menschen sind entweder ausgeprägt aggressionsgehemmt, neigen zu Rückzugsverhalten oder sie greifen auf destruktive Formen von Aggressivität zurück.

(c) In jedem Fall haben sie keinen spezifischen »Sinn für Humor« entwickeln können, da sie gerade gegenüber den aggressiven bzw. erniedrigenden Aspekten von Humor und Lachen überempfindlich reagieren. Das heißt, sie begegnen dem Humor ihrer Mitmenschen unangemessen, indem sie sich entweder ganz zurückziehen oder sich in paranoider Weise zur Wehr setzen. Gerade diese Reaktionsweisen decouvrieren die betreffenden Menschen in einer »Lächerlichkeit«, die den Sozialpartner veranlassen mag, sich den betreffenden Menschen gegenüber überlegen zu fühlen und sie tatsächlich auszulachen...

(d) Dieser Teufelskreis soll durchbrochen werden, indem der Klient in der Humortherapie systematisch lernt, gerade mit aggressiven Formen des Humors umzugehen, also andere Personen, Institutionen, Sachverhalte usw. zum Objekt der Lächerlichkeit zu machen. Ein erster Schritt hierzu ist die vom Therapeuten herbeigeführte »Umkehr (Inversion) der Erhabenheit« seiner eigenen (überlegenen) beruflichen Rolle und, davon ausgehend, anderer Institutionen, denen gegenüber sich der Klient bislang unterlegen und »minderwertig« gefühlt hat (Titze, 1987).

(e) Wer gelernt hat, bedrohliche bzw. angstauslösende Reizquellen systematisch zu verspotten, »durch den Kakao zu ziehen« usw., wird - im Zeichen einer wachsenden Selbstbehauptungsfähigkeit - allmählich humorvoll »kontra geben« können, also sich auf eben jene sozial akzeptierten Rangkämpfe einlassen mögen, die lediglich eine schwach dosierte (verbale) Form der Aggressivität einbeziehen. Damit können die »humorlosen«, d. h. sozial unangemessenen Reaktionsweisen (aggressions)gehemmten Zurückweichens oder hyperaggressiver Gereiztheit allmählich »überlagert« bzw. ersetzt werden (Titze, 1988).

Insgesamt stellen die verschiedenen Formen der gegenwärtig angebotenen Humortherapie also ein spezifisches Selbstbehauptungstraining dar, das die Bereitschaft zu einer moderaten Form (verbaler) aggressiver Auseinandersetzung im sozialen Kontext mobilisieren will, nachdem die Angst vordem »erniedrigenden« Ausgelachtwerden durch gewisse Sozialpartner systematisch im Rahmen der therapeutischen Beziehung abgebaut wurde.

Inkongruenztheorien

Eine erstaunlich große Bedeutung wird in der Literatur zum Humor und Lachen den formalen, d. h. perzeptiven, kognitiven und logischen Voraussetzungen dieses emotionalen Phänomens beigemessen. Eine Reihe englischer Philosophen des 18. Jahrhunderts (A. Gerard, F. Hutchsson, J. Priestley) führte die Humorreaktionen auf die Beigesellung bzw. Vermischung widersprüchlicher Sachverhalte zurück. Diese »Inkongruenz- oder Kontrasttheorie« wurde von J. Beattie (1776, S. 590f) besonders treffend definiert: »Lachen ergibt sich aus der Beobachtung von zwei oder mehreren Inkonsistenten, unpassenden oder inkongruenten Bestandteilen oder Sachverhalten, von denen man annimmt, daß sie innerhalb eines komplexen Ganzen vereinigt sind oder daß sie eine gegenseitige Beziehung aufrechterhalten.« (Übers. d. Verf.).

Auch in Deutschland wurde die Inkongruenztheorie zum Gegenstand philosophischen Interesses. I. Kant (1790/1976) beschrieb das Lachen als einen Affekt, der »aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts« (ebd., S. 276) entspringt. Und A. Schopenhauer (1819) führte die Wirkungsweise des Humors »auf die paradoxe und daher unerwartete Subsumtion eines Gegenstands unter einen ihm übrigens heterogenen Begriff« zurück. Es handelt sich daher um »die Inkongruenz zwischen einem Begriff und dem durch denselben gedachten Gegenstand, also zwischen dem Abstrakten und Anschaulichen« (zit. nach Preisendanz, 1974, S. 890).

Im 19. Jahrhundert befaßten sich dann vor allem französische Philosophen mit der Inkongruenz- und Kontrasttheorie (L. Dumont, C. Mélinand, C. Saulnier). In dieser Tradition stand natürlich auch H. Bergson (1911/1921), der die Voraussetzung für die Auslösung der Lachreaktion in der »mechanischen Verkrustung des Lebendigen« (ebd., S. 29) sah. Bergson stellte in diesem Zusammenhang das folgende »Gesetz« auf: »Stellungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichen Körpers sind in dem Maße komisch, als uns dieser Körper dabei an einen bloßen Mechanismus erinnert« (ebd., S. 23).

Bergson führt zur Veranschaulichung dieses »Gesetzes« verschiedene Beispiele an, so auch das folgende: »Da sind zum Beispiel die Gebärden gewisser Redner, die mit dem Wort im Wettstreit liegen. Eifersüchtig auf dieses, laufen sie fortwährend hinter dem Gedanken her und möchten auch als Interpret gelten. Das mögen sie, nur müssen sie auch dem Gedanken bis in seine letzten Schattierungen folgen. Die Grundidee einer Rede ist etwas, was entsteht, Knospen treibt, blüht und reift. Nie bricht sie jäh ab, nie wiederholt sie sich im Verlauf der Rede. Sie ändert sich in jedem Augenblick, denn nicht mehr sich ändern hieße nicht mehr leben. So sei denn die Gebärde lebendig wie sie! Sie folge dem vornehmsten Gesetz des Lebens, das da ist, nie sich wiederholen. Da aber kehrt ein und dieselbe stehende Bewegung der Hand oder des Kopfes in periodischen Abständen immer wieder. Wenn ich sie bemerke, wenn sie so ist, daß sie mich ablenkt [...] werde ich ganz von selber lachen. Warum? Weil ich jetzt vor mir einen automatisch funktionierenden Mechanismus habe. Da ist kein Leben mehr, das ist Automatismus, der im Leben sitzt und seine Stelle einnimmt. Automatismus aber ist immer etwas Komisches« (ebd., S. 25).

Bergsons Darlegungen zielen mithin auf den Kontrast von Mensch und Maschine ab. Koestler (1966, S. 38) faßt dies in seine eigenen Worte: »Was immerzu sein man sich einbildet, man unterliegt dem Gesetz der Schwerkraft, das alle Autorität durchkreuzen kann.« Als Beispiel kann man den Pechvogel anführen, der auf einer Bananenschale ausrutscht: Hier spielt einerseits die Schadenfreude eine gewisse Rolle, andererseits wirkt sich die Tatsache »komisch« aus, daß jemand, der eben noch locker und natürlich seines Weges ging, ganz plötzlich in unnatürlicher Stellung zu Boden geht. Koestler erwähnt sodann den Hamlet mit dem Schluckauf »und den Pedanten, der sich wie ein Roboter benimmt« (ebd., S. 37).

Diese »Einheit von Gegensinnigem« (Plessner, 1950, S. 111) bezeichnet Koestler (1978) als Bisoziation von zwei apperzeptiv-logischen Bezugssystemen, die ungleichen Ursprungs sind. Damit ergibt sich eine Affinität zu Adlers Darlegungen zur (Un)Logik des Humors: Danach kollidiert die »Logik des gesunden Menschenverstands« (die stets eine universal gültige »Erwachsenenlogik« ist) nämlich mit der »Unlogik des Unbewußten« (die mit der spezifischen »Weltanschauung« des Kleinkindes übereinstimmt). Dieses Zusammentreffen bzw. -prallen von normativen und privat-regellosen Aufschlüsselungsweisen der Realität resultiert im Falle des Humors stets in einem Triumph des »kleinen Kindes in uns«, das mit Witz und Schabernack gegen die Erwachsenenwelt revoltiert. Denn »es ist keine Frage, daß auch der Witz eine Revolte gegen das gesellschaftlich-durchschnittliche Bezugssystem darstellt« (Adler, 1927/1982, S. 181; vgl. auch Titze, 1985, S. 62ff).

Koestler (1978) weist nun darauf hin, daß unser Alltag einen festgefügten Rahmen bereitstellt, in dem die »Routinetätigkeiten des disziplinierten Denkens in einer einzigen Begriffswelt, gleichsam auf einer einzigen Ebene, ablaufen« (ebd., S. 135). Der Einbruch einer neuartigen Welt des Denkens und Wahrnehmens in dieses festgefügte Bezugssystem resultiert in einer »abrupten Verlagerung des Bewußtseinsstroms in ein anderes Bett, das von einer anderen Logik oder ,Spielregel’ beherrscht wird« (ebd., S. 155). Der dabei sich ergebende Überraschungseffekt (vgl. Willmann, 1940) löst eine Lachreaktion und damit das Humorerlebnis aus. Grundsätzlich kann es aber auch zu einer Verschmelzung der an sich inkongruenten Bezugssysteme kommen, so daß eine »neue geistige Synthese« (Koestler, 1978, S. 36) entsteht. Der Humorist somit stets als der« Hintereingang zur Kreativität« (ebd., S. 155) zu erachten, da er geistig Festgefügtes und Verkrustetes aufbricht und neuartige perzeptive und logisch-kognitive Zusammenhänge bzw. Gestalten« (Maier, 1932) hervorbringt.

Implikationen für die Praxis

Die Tatsache, daß der Humor eingefahrene Denk- und Wahrnehmungsweisen aufzubrechen bzw. zumindest »aufzuweichen« vermag, ist gerade für die Arbeit mit psychisch kranken Menschen von nicht unerheblicher Bedeutung. So ist bekannt, daß etwa Zwangsneurotiker und Depressive in einer verabsolutierend einseitigen Weise in das »gesellschaftlich-durchschnittliche Bezugssystem« (Adler) eingebunden sind, daß sie sich also in einer starren und inflexiblen Weise an den sozial vorgegebenen Normen und Vorschriften orientieren (vgl. Titze, 1985, S. 39ff, S. 91 ff). Hier vermag der Humor, wenn er behutsam und vor allem nicht verletzend eingesetzt wird, gerade jenen relativierenden Umdenkprozeß anzuregen, der die Quellen einer Kreativität wieder freilegt, die bei vielen psychisch Kranken schon in der Kindheit verschüttet wurden. Besonders zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, daß »Humortherapie« durchaus nicht auf das gesprochene Wort beschränkt bleiben darf. Auch wenn das Erzählen von Witzen, Anekdoten und Schwänken eine gewisse Bedeutung besitzen mag (vgl. Titze, 1988), sind es gerade die nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten des Humors, die seine kreative Dynamik im therapeutischen Bereich offenbaren: Hierzu gehören alle Mittel und Techniken komischer Darstellung, wie sie im Rahmen eines Rollenspiels oder« Stegreiftheaters« angewendet werden können (z. B. Elemente der Parodie, Pantomime und Travestie). Daneben lassen sich solche Mittel und Techniken auch in einem tanztherapeutischen und maltherapeutischen Setting umsetzen.

Nahezu unerschöpfliche Möglichkeiten eröffnen sich einer alogisch und antinormativ orientierten Humortherapie in der Arbeit mit Psychotikern, vor allem mit Schizophrenen und Paranoikern. Denn hier wird die basale »Methodik« des Humors -das Zusammenprallen heterogener Bezugssysteme, das »Verrücken« der Normalität und die Relativierung der sozialen Realität - ganz unmittelbar transparent. Im Gegensatz zur Schulpsychiatrie faßt die Humortherapie den Psychotiker daher nicht primär als einen an einem geistigen Defekt leidenden »Kranken« auf, sondern als einen Kreativen, der sich der Beweggründe und der Finalität seines ungewöhnlichen Tuns nicht bewußt ist. Die Aufgabe des Humortherapeuten besteht deshalb darin, das »private Bezugssystem« des Psychotikers zunächst so weit verstehen zu lernen, daß er in der Folge in dessen »Schuhen gehen« kann. »Konspirativ« (Titze, 1987) wird sich der Therapeut mit dem psychotischen Klienten »verbünden«, wird er ihm dessen »Weltanschauung« und (Un)-Logik spiegeln, ja vorspielen und damit näher bringen, was Über kurz oder lang eben jene komischen Effekte hervorbringt, die auch den sog. Geisteskranken zu einem Aha-Erlebnis anregen, das kennzeichnenderweise in der Lachreaktion kulminiert.

Dies entspricht weitgehend den richtungsweisenden Darlegungen Viktor E. Frankls, des »Vaters« der modernen Humortherapie. Schon vor dreißig Jahren schrieb er: »Nichts läßt den Patienten von sich selbst so sehr distanzieren wie der Humor. Der Humor würde verdienen, ein Existential genannt zu werden. Nicht anders als die Sorge (M. Heidegger) und die Liebe (L. Binswanger). Der Patient soll lernen, der Angst ins Gesicht zu sehen, ja ihr ins Gesicht zu lachen. Hierzu bedarf es eines Mutes zur Lächerlichkeit. Der Arzt darf sich nicht genieren, dem Patienten vorzusagen, ja vorzuspielen, was sich der Patient sagen soll: Auch wenn Sie all dies sich selbst sagen werden, werden Sie lächeln und gewonnenes Spiel haben!« (Frankl, 1987, S. 164).

Und was soll der betreffende Mensch sich im einzelnen nun vorsagen? Im Sinne der von Frankl so benannten »paradoxen Intention« soll er sich »innerlich« vornehmen, sich geradezu wünschen, das bewußt hervorzurufen, wovor er sich bislang sosehr gefürchtet hatte - nämlich das »schreckliche Symptom«! So soll etwa derjenige, der Angst vor Ansteckung durch Bakterien hat, sich wieder und wieder sagen: »Heute habe ich schon fünf Millionen dieser niedlichen Tierchen geschluckt. Mal sehen, ob ich noch ein paar weitere Millionen zu fassen kriege!« Jemand, der Angst hat, in der Öffentlichkeit zu zittern, soll bewußt versuchen zu zittern und sich dabei sagen: »Jetzt will ich den Leuten mal so richtig zeigen, was für ein Weltmeister im Zittern ich doch bin!« Und ein anderer, der vor Angst fast vergeht, auf offener Straße zu stürzen (welch eine Blamage!), soll sich fest vornehmen, den Leuten mal ein richtiges Spektakel zu bieten und für einen Auflauf zu sorgen, wie ihn die Stadt noch nicht erlebt hat!« (Vgl. Titze, 1985, S. 103).

Hier wird also etwas »auf den Kopf gestellt«: Das Symptom, ursprünglicher Grund zur Katastrophierung und Verängstigung, wird nun zum Ziel eines offensichtlich widersinnigen Wunsches - und damit ein Grund zum Lachen oder zumindest Lächeln. Denn die paradoxe Intention greift auf die humoristische Technik der Ironie zurück, die die Realität verzerrt, gegebene negative Sachverhalte maßlos übertreibt und normative Festsetzungen aus den Angeln hebt. Genau dies war dem überangepaßten, übergewissenhaften ängstlichen Menschen aber stets so abwegig erschienen! Denn er wollte ja »alles hundertprozentig richtig« machen, nicht auffallen, nirgends anecken, nichts riskieren. Doch die Vorstellung, es auch ganz anders machen zu dürfen, ist befreiend und belustigend zugleich. Sie läßt den betreffenden Menschen vage ahnen, daß dieses Leben vielleicht doch mehr zu bieten hat als Kummer und Sorgen.

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© Dr. Michael Titze
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