Königshausen & Neumann, Würzburg, 2010
Die Gelotophobie
Aus: M. Titze & R. Kühn: Lachen zwischen Freude und Scham: Eine psychologisch-phänomenologische Analyse der Gelotophobie. Königshausen & Neumann, Würzburg, 2010 (Kap. IV) S. 69-79 (leicht überarbeitete Fassung)

Der Schlüssel zum Verständnis einer manifesten Gelotophobie ist das Lachen. Einerseits haben die betroffenen Menschen niemals gelernt, das Lachen in seiner affektiv positiven Bedeutung zu schätzen bzw. als Mitvoraussetzung für eine Lebenshaltung zu nutzen, die von Freude, Heiterkeit und Ausgelassenheit geprägt ist. Andererseits wird das Lachen ihrer Mitmenschen, selbst wenn es durchaus nicht aggressiv gestimmt ist, grundsätzlich als eine Bedrohung des eigenen Selbstwertgefühls erlebt.
Die Gelotophobie kann als eine spezifische Variante der Scham-Angst betrachtet werden. Sie ist als die pathologische Angst definiert, für die Anderen ein Objekt spöttischen Lachens zu sein. Diese Angst lässt sich auf intensive und wiederholte Erlebnisse mit herabsetzenden Formen des Lachens zurückführen, die im Laufe der Sozialisation stattfanden. Gelotophobiker leben in der ständigen Angst, von den Anderen auf Anzeichen von Lächerlichkeit hin bewertet zu werden. Deshalb vermeiden sie sorgfältig solche Lebenssituationen, in denen sie von den Anderen negativ beurteilt und bloßgestellt werden könnten. Dabei werden jegliche Äußerungen von Heiterkeit (vgl. schon Kap. I, 3-4) generell negativ bewertet - unabhängig vom eigentlichen Motiv des betreffenden Individuums.

1. Schamangst
Léon Wurmser (1993, 73) schreibt, dass Scham, analytisch gesehen, eine Art von Angst ist, nämlich Scham-Angst. Er belegt diese Behauptung durch das folgende Selbstgespräch eines Betroffenen: Ich habe Angst vor einer demütigenden Bloßstellung. Scham-Angst kann sich nach Wurmsers Worten »in Form eines leichten Signals oder einer überwältigenden Panik« (ebd.) manifestieren.
Scham-Angst führt mithin zu einer gesteigerten Selbstbeobachtung, die dem Zweck dient, unangemessene (»komische«) Handlungen in sozialen Situationen unter Kontrolle zu halten. Die Betroffenen fürchten ständig, durch die Anderen verunglimpft, verspottet oder verlacht zu werden, und so leiden sie unter Gefühlen der Unterlegenheit, Unsicherheit, Selbstverachtung, und anderen Facetten der Scham. In diesem Zusammenhang werden alle Hinweise auf eine mögliche Bloßstellung durch die Anderen sehr sorgfältig überprüft. Ein gemeinsames Merkmal von Menschen, die Scham-Angst empfinden, ist die tiefe Überzeugung, dass etwas Wesentliches mit ihnen »nicht stimmt«. Dies ist ein Hauptmerkmal der Gelotophobie. Darüber hinaus glauben Gelotophobiker, in den Augen der Anderen ein völlig verachtenswertes, lächerliches Objekt zu sein. Daher wird in diesem Zusammenhang gelegentlich auch der Begriff »Katagelophobie« verwendet, abgeleitet aus dem Griechischen katagelos (= verächtliches Lachen).
Gelotophobiker neigen dazu, soziale Aktivitäten konsequent zu meiden, weil sie überzeugt sind, im Rahmen der Gemeinschaft zur Zielscheibe spöttischer Entwertung zu werden und als ein komischer Außenseiter decouvriert zu gelten. Deshalb folgen Gelotophobiker dem allgegenwärtigen Motiv, sich davor zu schützen, von den Anderen ausgelacht zu werden. Aber gerade diese Angst führt dazu, dass - auf Grund der überhöhten Selbstkontrolle - die »natürliche Schmiegsamkeit« (Bergson 1921) des lebendigen Leibes schwindet und sich ein verkrampftes, hölzernes Gehabe einstellt. Dadurch wird aber das Risiko erhöht, tatsächlich zu einer Zielscheibe von Hohn und spöttischem Lachen zu werden.

2. Soziale Phobie und Scham-Angst
Das Konzept der »sozialen Phobie« wurde von Isaac M. Marks im Jahr 1969 eingeführt. Seitdem wurden umfangreiche Forschungsarbeiten durchgeführt, um die emotionalen und körperlichen Symptome sowie die Ursachen dieser Angststörung zu bestimmen. Im Jahr 1980 wurden die Forschungsergebnisse erstmals in das »Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen« aufgenommen. Inzwischen definiert die überarbeitete Ausgabe dieses Handbuchs (DSM-IV 1994) eine soziale Phobie als »[...] eine ausgeprägte und anhaltende Angst vor einer oder mehreren sozialen Leistungssituationen, in denen die Person mit unbekannten Personen konfrontiert ist oder von anderen Personen beurteilt werden könnte. Der Betroffene befürchtet, ein Verhalten (oder Angstsymptome) zu zeigen, das demütigend oder peinlich sein könnte. [...] Die befürchteten sozialen Leistungssituationen werden vermieden oder nur unter intensiver Angst oder Unwohlsein ertragen. [Dies] beeinträchtigt deutlich die normale Lebensführung der Person, ihre berufliche (oder schulische) Leistung oder soziale Aktivitäten oder Beziehungen [...].«
Die soziale Phobie und die selbstbezogene Scham haben bestimmte gemeinsame Merkmale (z.B. Angst vor einer negativen Bewertung durch die Anderen, Verlegenheit in sozialen Situationen, soziales Vermeidungsverhalten und schließlich physiologische Störungen wie Herzklopfen, Zittern, Übelkeit und Erröten). Doch es wurde bislang kaum versucht, das gemeinsame Element dieser beiden Störungen zu synthetisieren. Auch prominente Veröffentlichungen über soziale Phobie (vgl. Heimberg et al. 1995; Schneier et al. 2004) verweisen nicht auf die schamspezifische Literatur. Dies könnte daran liegen, dass sich die Scham-Angst auf das globale Selbst (als zentrales Objekt der Selbstbewertung) konzentriert. Dabei wird die beschämende Überzeugung unentwegt bestätigt, dass dieses Selbst fundamental beschädigt sei. Entsprechend leitet sich eine Gelotophobie (als eine besondere Variante der Scham-Angst) aus der bestimmenden Überzeugung ab, dass das eigene Selbst global lächerlich sei (vgl. Carretero-Dios et al. 2010; Edwards et al. 2010).
Eine soziale Phobie, wie sie vom erwähnten »Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen« (DSM-IV: 300.23) definiert wird, erfüllt diese Kriterien nicht. Eine soziale Phobie resultiert vielmehr aus der Selbstbewertung spezifischer peinlicher Fehlleistungen, die mit schweren Selbstvorwürfen einhergeht. In diesem Zusammenhang könnte das entsprechende Selbstgespräch der Betroffenen lauten: Ich habe mir einen unverzeihlichen Fehler vor anderen Menschen geleistet. Daher ist die Demütigung, die ich jetzt zu ertragen habe, die unausweichliche Strafe für dieses Versagen. In Bezug auf solche Funktionsstörungen, wird das globale Selbst von den Betroffenen erst nachträglich bewertet, es steht nicht im Fokus der negativen Beurteilung.

3. Die agelotische Haltung von Gelotophobikern
Der allgemeine Zustand von Gelotophobikern ist »agelotisch«, das heißt, sie sind nicht in der Lage, die positive Potenzialität des Lachens zu nutzen. Der Ursprung dieser Einstellung leitet sich in vielen Fällen aus der Tatsache ab, dass die betreffenden Individuen ihre frühen Bezugspersonen (die in vielen Fällen ebenfalls gelotophobische Probleme aufwiesen) in ihrem Gesichtsausdruck als versteinert, leer, desinteressiert und unlebendig erlebten (vgl. unser Kap. I, 11). Die Fähigkeit, diesem Gesicht einen weichen lächelnden Ausdruck zu verleihen, besaßen diese Bezugspersonen nicht. Wenn bereits Säuglinge mit einem agelotischen Gesicht konfrontiert werden, kann eine affektive »zwischenmenschliche Brücke« (Kaufman 1985, 11-15) nicht aufgebaut werden. Folglich machen die betreffenden Kinder nicht jene positive Bindungserfahrung, die von einer echten Freude geprägt ist und die sich im oft strahlenden Lächeln der Bezugsperson äußert. Als Konsequenz können diese Kinder in der weiteren Folge ihrer Entwicklung ein Lächeln oder Lachen nicht als eine positive Bestätigung des eigenen Selbst interpretieren. Und als Konsequenz können sie kaum pro-soziale Emotionen entwickeln, in denen sich eine vorbehaltlose Freude am gemeinschaftlichen Mit-Sein widerspiegelt. Stattdessen erscheinen ihnen ihre Mitmenschen als feindselige Fremde, die ihnen in einer kalten, sarkastischen und herabsetzende Weise gegenübertreten.
In diesem Zusammenhang reagieren Gelotophobiker daher auf die mimischen und stimmlichen Ausdrucksmittel des Lachens bzw. Lächelns in einer unangemessenen Weise. Dabei bringen sie nonverbal zum Ausdruck, dass sie sich angesichts von lachenden und/oder lächelnden Mitmenschen sehr unbehaglich fühlen - ganz unabhängig davon, wie die wahren Motive der Betreffenden sein mögen.

4. Das äußere Erscheinungsbild von Gelotophobikern
Gelotophobikern mangelt es an Lebendigkeit, Spontaneität und Lebensfreude. Häufig wirken sie auf ihre Sozialpartner distanziert und kalt. Das wohl am stärksten kennzeichnende Merkmal ist, dass Humor und Lachen für sie keine entspannenden und angenehmen sozialen Erfahrungen sind, sondern im Gegenteil Spannung und Angst auslösen. Schon Henri Bergson (1921) verglich Personen, die zur Zielscheibe von Spott und herabsetzendem Lachen werden, mit hölzernen Puppen oder Marionetten. Solche Individuen signalisieren nonverbal, dass sie sich im Umgang mit fröhlichen Menschen sehr ungut fühlen. Dies manifestiert sich in der Regel in einer muskulären Anspannung, die mit spezifischen physiologischen Symptomen einhergeht, wie etwa Herzrasen, Muskelzuckungen, Zittern, Erröten, Schwitzen, Kurzatmigkeit und einem trockenen Hals und Mund. Solche Symptome sind für eine soziale Phobie ebenfalls charakteristisch (vgl. schon Hartenberg 1921 sowie Heimberg et al. 1995). Das spezifische Kriterium zur Bestimmung einer Gelotophobie ist jedoch die erstarrte Mimik und die unlebendige Gestik, die an die Bewegungen eines hölzernen Hampelmanns erinnert (vgl. unser Kap. I, 18). Dieses »hölzerne« Erscheinungsbild ist der eigentliche Grund, weshalb die Betroffenen auf ihre Mitmenschen komisch bzw. lächerlich wirken (Titze 2007).

5. Familiäre Ursachen der Gelotophobie
Von einer Gelotophobie sind häufig Menschen betroffen, die in ihrer Kindheit zu starken Loyalitätsanforderungen von Seiten ihrer Bezugspersonen ausgesetzt waren. Sie mussten starre Rollen übernehmen, die durch das normative Gebot definiert wurden, sich um die narzisstischen Bedürfnisse bestimmter Familienangehöriger, häufig der Eltern, in einer selbstlosen Weise zu kümmern. So durften diese Menschen nie wirklich Kinder in einem affektiv spontanen Sinne sein. Sie mussten sich so verhalten, als wären sie kleine Erwachsene, die das Wohlergehen anderer Menschen als ihre wichtigste Aufgabe ansehen.
Daraus ergeben sich in der Regel unnatürlich enge Bindungen an die Familie, was wiederum unlösbare Konflikte mit Außenstehenden, gewöhnlich Gleichaltrigen, nach sich zieht. Die Eltern zwingen diesen Kindern eine überzogene und unnachgiebige normative Ideologie auf, die bestimmt, was richtig und falsch zu sein hat (vgl. schon Kap. II, 10). Denn alleiniger Maßstab sind in diesem Zusammenhang die selbstbezogenen Realitätsauslegungen der Eltern, die ihre Selbstbezogenheit allerdings verleugnen. So präsentieren sie sich dem Kind als vorbehaltlos gütig und selbstlos. Wenn sich dieses Kind aber weigern sollte, der entsprechenden Mystifizierung zu folgen, wird es häufig durch einen beschämenden Liebesentzug, indirekte Vorwürfe und Schuldzuweisungen gedemütigt (vgl. Titze 1998). (Carlo Collodi (1990) hat in der Gestalt von Pinocchios Feenmutter eine parentifizierende Bezugsperson beispielhaft beschrieben; vgl. Kap. II, 10-11).
So wird das Kind seiner natürlichen Spontaneität beraubt und in seiner Lebendigkeit gehemmt. Es wird - dem Beispiel Pinocchios folgend - zu einer unlebendigen Spielzeugpuppe, die auf Außenstehende starr und manieriert wirken kann. Dies wirkt auf die Sozialpartner verständlicherweise »komisch«. Nicht selten reagieren diese mit einem spöttischen oder herabsetzenden Verlachen, das auf längere Sicht traumatisierend wirken kann. Die Folge ist ein oft weit reichendes Vermeidungsverhalten, das den (ohnehin schon eingeschränkten) Umgang mit den Mitmenschen zunehmend erschwert. Daher gelingt der Erwerb von sozialen Kompetenzen nur mangelhaft, was als ein wesentlicher Grund für die Entstehung eines »komischen« Kommunikationsstils verstanden werden kann (vgl. bereits Kap. III, 1).
Als Spätfolge kann es zu einem »Verlust der natürlichen Selbstverständlichkeit« (common sense, »gesunder Menschenverstand«; vgl. Kap. III. 1) kommen, so dass die Betroffenen im sozialen Leben als Fremde unter Fremden erscheinen. Dies führt zumeist dazu, dass der Teufelskreis traumatisierender Beschämungen wieder und wieder aktiviert wird. Gerade in der Pubertät (vgl. auch Kap. III,1-2) kann es dann zur Auslösung manifester Schamängste und Schamdepressionen kommen, die eine Tendenz zur Chronifizierung besitzen, so dass sich in vielen Fällen in späteren Jahren massive existenzielle Beeinträchtigungen ergeben.

6. Außerfamiliäre Ursachen der Gelotophobie und ihre möglichen Folgen
In unserem Kapitel III wurden die Voraussetzungen der Schamgenese bereits erörtert. Die Entstehungsbedingungen einer Gelotophobie sind vergleichbar, wobei allerdings traumatische Erfahrungen mit destruktiven Formen des Lachen (vgl. Kap. I, 6) im Vordergrund stehen. In den meisten Fällen reagieren die Betroffenen passiv, das heißt, sie weichen ängstlich vor sozialen Konfrontationen zurück. Dies ist aber nur unter der Voraussetzung möglich, dass eigene aggressive Tendenzen abgewehrt bzw. gehemmt werden. Doch es gibt Fälle, in denen die Betroffenen (oft nach einer langen Phase der Aggressionsabwehr) aktiv reagieren, so dass es zu explosiven Aggressionsausbrüchen kommt, die gemeinhin als »Amok-Läufe« bezeichnet werden. Um dies zu veranschaulichen, führen wir Beispiele an, die Michael S. Kimmel und Matthew Mahler (2003, 1446ff) in ihrem Bericht über wahllose Schulschießereien zwischen 1982-2001 anführen:

  • Andy Williams erschoss an seiner Schule in Santee (Kalifornien) zwei Klassenkameraden und verletzte mehrere andere. Der schüchterne Junge wurde nach Augenzeugenberichten von den Mitschülern »konstant gehänselt verspottet und niedergemacht«.
  • Klassenkameraden nannten Gary Scott Pennington, der 1993 seinen Lehrer und den Hausmeister seiner Schule in Grayson (Kentucky) erschoss einen »Trottel« und »Eigenbrötler«. Er wurde unentwegt gehänselt, weil er angeblich ein »feiner Pinkel« war und eine Brille trug.
  • Der Vorzugsschüler Barry Lukaitis erschoss 1996 seinen Mathematiklehrer und zwei Mitschüler in Moses Lake (Washington). Von den Klassenkameraden wurde er als »verklemmter Streber« beschrieben und ständig gehänselt und schikaniert.
  • Evan Ramsay erschoss 1997 in Bethel (Alaska) einen Klassenkameraden und den Schulleiter. Er war ebenfalls ein Musterschüler, der unter anderem deshalb gehänselt wurde, weil er Brillenträger war und unter Akne litt.
    Der 14 Jahre alte Michael Carneal war ein schüchterner, schwächlicher und kleinwüchsiger Schüler an einer High School in Paducah (Kentucky). Er trug eine Brille mit dicken Gläsern und fühlte sich von den Anderen ausgegrenzt, herumgestoßen und ständig »auf den Arm genommen«. So wurde ihm etwa seine Hose im Klassenzimmer heruntergezogen. Als er in einer Schülerzeitung als »Schwuchtel« beschrieben wurde, brach er in Tränen aus. Ende 1997 erschoss er in seiner Schule drei Klassenkameraden und verletzte fünf weitere. Nach seiner Verurteilung zu lebenslänglicher Haft äußerte er gegenüber seinem psychiatrischen Gutachter: »Jetzt werde ich von den Menschen respektiert!«
  • Eric Harris, einer der beiden Attentäter, die am 20. April 1999 an der Columbine High School in Littleton (Colorado) dreizehn Menschen erschossen und dreiundzwanzig weitere verletzten, erklärte in einer Videobotschaft, die in der Nacht vor dem Anschlag aufgenommen wurde: »Die Leute machen sich ständig über mein Gesicht lustig. Über meine Haare und die Sachen, die ich mir anziehe.« Wie sich später herausstellte, wurden er und Dylan Klebold, der Mitattentäter, ständig als »Schwuchteln« verspottet, in Kleiderschränke gesperrt, auf den Fluren der Schule begrapscht und als Homosexuelle parodiert und lächerlich gemacht.

7. Facetten der Gelotophobie
Das Phänomen der Gelotophobie wurde erstmals 1995 (Titze 1996, 1997, 2007) beschrieben und mit Hilfe von 8 Facetten operationalisiert. Die entsprechenden Aussagen wurden in den GELOPH 46 integriert (Ruch u. Titze 1998; Titze 2009):

a) Traumatisierende Erfahrungen mit herabsetzendem Lachen (= Auslachen) in frühen Phasen der Lebensgeschichte:
»Während meiner Pubertät habe ich den Kontakt zu Gleichaltrigen gemieden, um von diesen nicht verspottet zu werden.« - »In der Schule wurde ich häufig gehänselt.« - »Einige meiner Lehrer machten sich im Unterricht über mich lustig, wenn ich schlechte Leistungen brachte.« - »Meine Mutter bzw. mein Vater straften mich regelmäßig durch ironische/sarkastische Bemerkungen.«

b) Angst vor dem Lachen der Anderen:
»Wenn ich von jemandem ausgelacht wurde, kann ich mit diesem Menschen nie wieder unbefangen umgehen.« - »Wenn scherzhafte Bemerkungen über mich gemacht werden, fühle ich mich wie gelähmt.« - »Es dauert sehr lange, bis ich mich davon erhole, von Anderen ausgelacht worden zu sein.« - »Anderen Menschen bereitet es Vergnügen, mich in eine peinliche Situation zu bringen.« - »Schlagfertigen und humorvollen Menschen gegenüber empfinde ich Minderwertigkeitsgefühle.«

c) Paranoide Empfindsamkeit gegenüber Verspottungen:
»Wenn in meiner Gegenwart gelacht wird, werde ich misstrauisch.« - »Wenn Fremde in meiner Gegenwart lachen, beziehe ich dies häufig auf mich.« - »Blickkontakt zu halten fällt mir schwer, weil ich mich davor fürchte, abschätzig beurteilt zu werden.« - »Wenn andere Menschen spüren, dass ich mich unwohl fühle, fangen sie an, mich zu verachten.« - »Wenn mir jemand zulächelt, könnte eine böse Absicht dahinter stecken.«

d) Kritische Selbstbeurteilung des eigenen Körpers:
»Wenn ich mich vor Anderen blamiert habe, erstarre ich völlig und bin unfähig, mich angemessen zu verhalten.« - »Beim Tanzen fühle ich mich unwohl, weil ich überzeugt bin, dass ich auf diejenigen, die mich dabei beobachten, lächerlich wirke.« - »Ich kontrolliere mich stark, um nicht unangenehm aufzufallen und mich dadurch lächerlich zu machen.« - »Wenn ich von Anderen verspottet werde, verliere ich meine Fassung und bin nicht mehr fähig, meine Bewegungsabläufe angemessen zu steuern.« - »Meine Körperhaltung und meine Bewegungsabläufe sind irgendwie komisch.«

e) Kritische Selbstbeurteilung eigener verbaler und nonverbaler kommunikativer Kompetenzen:
»Wenn ich nicht Angst hätte, mich lächerlich zu machen, würde ich in der Öffentlichkeit viel mehr sprechen.« - »Ich glaube, dass ich auf Andere komisch wirke.« - »Vorstellungsrunden bereiten mir große Angst, weil ich stottern, erröten oder sonst wie unangemessen reagieren könnte.« - »Wenn ich einen Witz erzähle, kann ich plötzlich Herzklopfen oder eine belegte Stimme bekommen.« - »Wenn ich mich an Diskussionen beteilige, empfinde ich meine Argumente als lächerlich.« - »Wenn ich mich am Telefon verhaspele, stelle ich mir sofort das verächtlich grinsende Gesicht meines Gesprächspartners vor. Ich gerate dann in Panik.«

f) Sozialer Rückzug:
»Obwohl ich mich häufig einsam fühle, neige ich dazu, sozialen Aktivitäten aus dem Wege zu gehen, um mich vor Verspottungen zu schützen.« - »Wenn ich irgendwo einmal peinlich aufgefallen bin, meide ich diesen Ort konsequent.« - »Im Karneval vermeide ich es, mich am närrischen Treiben zu beteiligen, weil ich mich innerlich verkrampfe.«

g) Problematische Interaktion mit den Anderen:
»Gerade dann, wenn ich mich relativ unbeschwert fühle, ist die Gefahr besonders groß, dass ich unangenehm auffalle und auf Andere komisch wirke.« - »Ich bin für Andere nur dann akzeptabel, wenn ich in keiner Wiese unangenehm auffalle.« - »Es ist mir nicht möglich, mit Menschen, die mich erotisch ansprechen, unbefangen zu flirten.« - »Manche Menschen, die mich als lächerlich wahrnehmen, empfinden Mitleid mit mir.« - »Wenn ich in Gegenwart Anderer gelobt werde, schäme ich mich und verhalte mich komisch.«

h) Minderwertigkeitsgefühle und Neid, die aus dem Vergleich mit den Humorkompetenzen der Anderen entstehen:
»In Gesellschaft fröhlicher Menschen fühle ich mich häufig unwohl, weil ich fürchte, nicht mithalten zu können.« - »Wenn ich im Fernsehen fröhlich lachende Menschen sehe, die unbeschwert miteinander feiern, werde ich neidisch.«

8. Fragebogen zur Einschätzung von Gelotophobie (GELOPH)

Die oben angeführten Feststellungen bilden die Basis für einen Fragebogen zur Einschätzung von Gelotophobie (GELOPH 46), beginnend bei minimal bedrohlichen Situationen bis zu extrem bedrohlichen Situationen. Die ursprüngliche Form umfasst 46 Aussagen, die von den Probanden mit Hilfe von 4 Antwortmöglichkeiten (trifft gar nicht zu - trifft eher nicht zu - trifft etwas zu - trifft sehr zu) eingeschätzt werden sollen (vgl. Ruch & Proyer 2008; Titze 2009). Daraus wurde die Kurzform eines Gelotophobie-Fragebogens abgeleitet, der nur noch 15 Aussagen enthält (GELOPH 15; vgl. Ruch & Proyer 2009).
In Anlehnung an den GELOPH wurde auch ein bildliches Instrumentarium geschaffen, das auf Cartoons zurückgreift, die lachende Menschen in verschiedenen Situationen zeigen (Ruch, Altfreder & Proyer 2009). Ein Bild zeigt zum Beispiel, wie jemand zwei weitere Leute beobachtet, die lachen. Die Probanden sollen einschätzen, was der Beobachter dabei empfinden könnte. Während diejenigen, die frei von Gelotophobie sind, etwa antworten könnten: »Die Jugendlichen haben einfach Spaß miteinander«, wäre eine typische Antwort von einem Gelotophobiker: »Warum machen sie sich über mich lustig?«

9. Validierung des Gelotophobie-Konzepts
In empirischen Studien wurden statistisch abgesicherte Erkenntnisse über die Persönlichkeitsstruktur von Gelotophobikern gewonnen. So berichtete Ruch (2004), dass Gelotophobiker introvertiert und neurotisch sind und leicht erhöhte Werte auf einer Psychotizismus-Skala aufweisen. Auch scheinen sie intensive Schamerfahrungen im Verlauf ihres Leben gemacht zu haben, und sie erleben in signifikanter Weise sowohl Scham als auch Angst während einer typischen Woche. Gelotophobiker empfinden zudem negative Gefühle, wenn sie andere Menschen lachen hören (Ruch, Altfreder & Proyer, 2009).
Ein charakteristisches Merkmal, das die Einstellung von Gelotophobikern auszeichnet, ist ihre Unfähigkeit, bösartigen Spott von spielerischen Neckereien zu unterscheiden. Für sie ist das Lachen grundsätzlich aggressiv, weshalb sie auch einen harmlosen Witz als einen gegen sie gerichteten bösartigen Angriff interpretieren. Diese Menschen scheinen Probleme zu haben, Humor adäquat zu interpretieren (Ruch, Altfreder & Proyer 2009). Sie verstehen die positive Seite des Humors wahrscheinlich nicht und können sich in die affektiv warme Art und Weise, die den Humor auszeichnet, nicht hineinversetzen. Wenn Gelotophobiker gefragt werden, bei welchen Gelegenheiten sie ausgelacht wurden, zählen sie nicht mehr Vorkommnisse auf als andere Menschen. Im Unterschied zu diesen empfinden sie diese Vorkommnisse aber als weit mehr belastend und schmerzhaft (vgl. Gaidos 2009; Hemmer, 2010).
Dabei wurde zudem ermittelt, dass Gelotophobiker nicht zwischen einem freundschaftlichen und feindseligen Lachen unterscheiden können und dass sie auf jedes Lachen mit negativen Gefühlen wie Scham, Furcht und Ärger reagieren (Platt 2008). Die Fähigkeit, Freude zu empfinden und sozial kohäsive Formen von Humor zu entwickeln ist eingeschränkt (Ruch, Beerman & Proyer 2009). Die meisten Gelotophobiker erinnern sich an peinliche Kindheitssituationen, in denen sie von ihren Bezugspersonen verspottet und ausgelacht wurden (Proyer, Hempelmann &.Ruch 2009).


Literatur

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